

Warum fliehen Menschen?
2019 flohen 6.645 Menschen nach Sachsen. Das sind 6.645 Menschen mit einem Namen, einer Familie, einer Geschichte. Und einem Grund, der sie gezwungen hat, ihr Land zu verlassen.
Fluchtgründe sind sehr unterschiedlich. Menschen fliehen vor Krieg, politischer, rassistischer oder religiöser Verfolgung. Viele fliehen aber auch aufgrund massiver Diskriminierung, Unterdrückung, den Folgen des Klimawandels oder unerträglicher Lebensbedingungen. Was alle flüchtenden Menschen verbindet, ist, dass sie sich unter großer Gefahr in eine große Ungewissheit begeben müssen. iele Menschen urteilen schnell und sprechen von richtigen und falschen Fluchtgründen. Fakt ist: Jeder Mensch – unabhängig vom Geschlecht, Alter oder Familienstand – hat das Recht zu fliehen!
Wenn Not zur Flucht zwingt ...
Unter den Begriff „Wirtschaftsflüchtlinge“ werden solche Menschen gruppiert, denen unterstellt wird, nur aus ökomischen Gründen in einem anderen Land Asyl zu suchen.
Dieser Begriff wertet die Not und damit die Menschen selbst ab. Es wird unterstellt, Menschen suchten nur finanzielle Vorteile auf Kosten anderer. Was aber exististenzielle Not bedeutet und dass sie Folge massiver Diskriminierung, staatlicher Korruption oder jahrelanger gewaltvoller Konflikte und Unterdrückung sein kann, wird dabei bewusst ignoriert.
Diese meist lebensbedrohliche Not ist oft auch Ergebnis der globalen Wirtschaftsordnung – eine Ordnung, die die Industriestaaten zum eigenen Vorteil geschaffen haben und die Lebensgrundlage von Bauern und Bäuerinnen sowie Fischer und Fischerinnen im globalen Süden zerstört. So führen bspw. Subventionen europäischer Exporte in afrikanische Staaten dazu, dass lokale Agrarprodukte nicht mehr verkauft werden können, weil die europäischen billiger sind. Auch befeuern milliardenschwere Waffenexporte gewaltsame Konflikte. Flucht und Elend sind die Folgen.
Existenzielle Not hat immer auch eine politische Ursache.
Roma in Sachsen und auf dem Balkan
Eine Gruppe von Asylsuchenden in Sachsen kommt aus den Balkanstaaten. 2019 kamen 37 Personen aus Serbien, 43 aus Nordmazedonien, 21 aus Bosnien-Herzegowina, 60 aus Albanien und 12 aus dem Kosovo in die Erstaufnahmeeinrichtungen. Die meisten Asylsuchenden sind Roma.
Wie die EU-Kommission berichtet, sind Roma in ihren Herkunftsländern einer umfassenden Diskriminierung ausgesetzt, die sie daran hindert, ein normales Leben zu führen. Viele leben ohne Zugang zu Bildung, Arbeit oder Gesundheitsversorgung in Slums, oft sogar ohne Strom und Heizung. 30% der Roma in Serbien haben kein sauberes Trinkwasser. Roma-Kinder haben eine um ein Drittel geringere Chance, das erste Lebensjahr zu erreichen, als andere Kinder. Immer wieder werden Roma Opfer rassistischer Gewalt.
In Deutschland wird dies jedoch häufig übersehen. Seit 2012 wird Roma von einigen Politiker_innen „Asylmissbrauch“ unterstellt. In Schnellverfahren werden ihre Asylanträge abgelehnt. Eine Null-Prozent-Anerkennungsquote ist die Devise. In ganz Europa sind Vorurteile gegenüber Roma tief verwurzelt. So erfahren sie auch hierzulande Rassismus und andere Diskriminierungen.
Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wurden im Oktober 2014 zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Aufgrund der sehr geringen Anerkennungsquote in Deutschland wird argumentiert, dass in diesen Staaten keine Diskriminierung oder Verfolgung stattfinde. Tatsächlich wurde 2019 nur 48 Asylsuchenden aus Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo ein Schutzstatus zugesprochen – das ergibt eine bereinigte Schutzquote von 1,06 %.
Zahlreiche Berichte durch internationale und UN-Organisationen zeigen jedoch, dass Roma dort struktureller Verfolgung ausgesetzt sind. Nach einer Richtlinie der EU aus dem Jahr 2011 hätten sie somit Anspruch auf Asyl:
„Wenn eine Person von verschiedenen Diskriminierungen und Menschenrechtsverstößen betroffen ist, die einzeln keinen Asylgrund darstellen, können diese aber zusammengenommen nach Europäischem Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention als Verfolgung eingestuft werden.“
Wie leben Asylsuchende in Sachsen?
Die Unterkunftssituation
In Sachsen sind etwa 65% aller Asylsuchenden dezentral, also in Wohnungen, untergebracht. Dabei gibt es Landkreise wie der Vogtlandkreis und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, wo mehr als 85% der Asylsuchenden in Wohnungen leben – anders als im Landkreis Bautzen, wo dies nur 26% dürfen (Stand: 31.12.2019).
Die Gemeinschaftsunterkünfte variieren zwischen 5 und 450 Plätzen. In der Grafik sind Empfehlungen der Sächsischen Verwaltungsvorschrift dargestellt. Die realen Zustände in den Heimen sind sehr unterschiedlich. Manche sind in kleine Wohneinheiten unterteilt, in anderen teilen sich alle Bewohner_innen eine Küche und sanitäre Einrichtungen, die oft in sehr schlechtem Zustand sind. Allen ist gemein, dass die mangelnde Privatsphäre, der psychische Stress und die soziale Isolation Menschen krank machen. Auf engem Raum müssen zumeist traumatisierte Menschen aus verschiedenen Ländern und sozialen Hintergründen gemeinsam leben.
Unverbindlich empfohlen wird, dass 1 Sozialarbeiter_in für 150 Asylsuchende zuständig ist.
Die Umsetzung der Verwaltungsvorschrift liegt in der Verantwortung der Städte und Kommunen. Ihr politischer Wille entscheidet, ob Asylsuchende menschenwürdig untergebracht werden.
Ansprüche und Anspruchseinschränkungen Asylsuchender
Das Asylsystem ist kompliziert und der rechtliche Status entscheidet, welche Ansprüche und Beschränkungen die jeweilige asylsuchende Person hat. Für die meisten Asylsuchenden trifft Folgendes zu:
- Amtssprache ist Deutsch. Daher sind auch alle Briefe der Behörden auf Deutsch. Mittlerweile haben die meisten Asylsuchenden in Sachsen Zugang zu Deutschkursen. Ausgenommen davon sind Asylsuchende aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“. Viele Geflüchtete haben jedoch aufgrund ihrer isolierten Situation nur wenig Möglichkeiten Deutsch zu üben.
- In den ersten 15 Monaten des Aufenthalts haben Asylsuchende nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen das Recht auf ärztliche Versorgung. Was akut ist, bestimmt das Sozialamt. Dieses gibt einen Krankenbehandlungsschein im Bedarfsfall aus. Krankheiten, die deswegen nicht behandelt werden, werden chronisch. Seit 2015 haben die Bundesländer das Recht, die Gesundheitskarte für Asylsuchende einzuführen. Damit könnten Asylsuchende direkt zu Ärzt_innen gehen, um sich behandeln zu lassen. Im April 2020 wurde dies in Dresden als bislang erste sächsische Kommune umgesetzt. Nach 15 Monaten erhalten Asylsuchende in der Regel eine Gesundheitskarte analog zur gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kosten werden vom Sozialamt übernommen.
- In den ersten 3 Monaten gilt ein generelles Arbeitsverbot. Danach gilt das Arbeitsverbot weiterhin für Asylsuchende, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen und für Geflüchtete aus „sicheren Herkunftsstaaten“. Die Ausländerbehörde kann auch Menschen mit Duldung oder Personen, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ oder unzulässig abgelehnt wurde, ein Arbeitsverbot erteilen.
- Erwachsene alleinstehende Asylsuchende erhalten bei dezentraler Unterbringung 344 € im Monat, in Sammelunterkünften 310 € – sofern sie Bargeldleistungen erhalten. Nach 18 Monaten wird der Satz auf Hartz 4-Niveau angehoben. Er kann aber unter bestimmten Voraussetzungen drastisch gekürzt werden, bsw. wenn Geflüchtete nicht bei der Passbeschaffung mithelfen. In Gemeinschaftsunterkünften können Asylsuchende auch ausschließlich Sachleitungen bekommen, wenn der Verwaltungsaufwand dafür nicht zu hoch ist.
- Asylsuchende dürfen sich in den ersten 3 Monaten nur in einem festgelegten Bereich aufhalten. Möchten sie diesen Bereich verlassen, müssen sie einen „Urlaubsschein“, bzw. „Verlassenserlaubnis“, bei der Ausländerbehörde beantragen. Ab dem 4. Monat des Aufenthalts – sofern sie die Erstaufnahmereinrichtung verlassen haben – ist die Residenzpflicht für eine Reihe von Geflüchteten aufgehoben; andere sind von der Erleichterung ausgeschlossen. Wiederholte Verstöße gegen die Residenzpflicht sind Straftaten und werden mit Geldstrafen oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr geahndet. Die Residenzpflicht existiert innerhalb der EU nur in der Bundesrepublik.
Kinder und Jugendliche im Asylsystem
71.421 Kinder und Jugendliche haben 2019 einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt. Damit machen sie die Hälfte der Asylerstanträge aus. Die meisten leben zusammen mit erwachsenen Familienangehörigen. Kinder und Jugendliche gelten als besonders schutzbedürftig. Daher gelten für sie teilweise andere Regeln. Familien mit minderjährigen Kindern dürfen beispielsweise nicht länger als sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Das gilt auch für Familien aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“.
Unsichere Zukunftsaussichten, Angst vor Abschiebung, Polizeieinsätze und mangelnde Privatsphäre prägen den Alltag von Kindern und Jugendlichen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Kinder unter- stützen ihre Eltern häufig als Dolmetscher_innen. Sie übersetzen bei Arztbesuchen und Behördengängen und erleben so die Ohnmacht und Ängste der Eltern unmittelbar mit.
Während des Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung bzw. dem AnKER-Zentrum besuchen Kinder und Jugendliche keine Regelschule oder Kita. In Sachsen gibt es ein Lernangebot, das jedoch nicht vergleichbar mit regulärem Unterricht ist. Damit verstößt Deutschland laut einem Gutachten des Deutschen Kinderhilfswerks gegen die UN-Kinderrechtskonvention, nach welcher drei Monate nach Ankunft der Schulbesuch ermöglicht werden muss. Kommen Kinder und Jugendliche in die Regelschule, gibt es für Schüler_innen ohne ausreichende Deutschkenntnisse Vorbereitungsklassen.
Einige Kinder und Jugendliche fliehen ohne Begleitung von Familienangehörigen oder verlieren diese auf der Flucht. 2019 sind 96 unbegleitete Minderjährige nach Sachsen gekommen. Für sie ist das Jugendamt zuständig und sie bekommen einen rechtlichen Vormund. Meistens wohnen die Jugendlichen in sozialpädagogischen Wohngruppen. Viele erhalten keinen festen Aufenthaltstitel, sondern lediglich eine Duldung. Dies bedeutet ein Aufwachsen mit Zukunftssorgen, Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche und evtl. Abschiebung. Nach dem 18. Lebensjahr wird geprüft, ob sie in Deutschland bleiben können oder abgeschoben werden.
Viele Verschärfungen, wenig Erleichterungen – Das deutsche Asylrecht
Mit der steigenden Zahl von Asylanträgen kam es in der Vergangenheit fast automatisch zu Asylrechtsverschärfungen.
Ein Asyl-Paket nach dem anderen wurde verabschiedet. Die Rechte vieler Asylsuchenden wurden massiv eingeschränkt und das Bild von den „guten“ und den „schlechten“ Asylsuchenden wurde weiter zementiert.
Asylverfahren sollen immer weiter beschleunigt werden. Schnellere Verfahren bedeuten jedoch nicht qualitativ gute Asylverfahren: 2018 bekamen Geflüchtete, die gegen ihre Bescheide geklagt haben, in 31,4% der Fälle Recht. Über 30.000 Bescheide mussten revidiert werden.
Die Position der Bundesregierung ist deutlich: Nicht alle Menschen auf der Flucht sind willkommen. Abwehr und Bedrohungsszenarien stehen auf der politischen Tagesordnung. Das ist gefährlich. Denn so werden Hetze gegen und Übergriffe auf Geflüchtete und Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren, geschürt.
Verschärfungen auch in Sachsen - AnkER-Zentrum
AnkER-Zentrum bedeutet alles unter einem Dach: Ankunft neuangekommener Geflüchteter, Entscheidung über den Asylantrag und Rückführung abgelehnter Asylsuchender. Nur wer eine positive Bleibeperspektive, also Aussicht auf Anerkennung des Asylantrags hat, darf in eine Kommune umziehen und bekommt Integrationsmaßnahmen.
Bis zu 1.500 Menschen können in einem solchen „Zentrum“ 24 Monate lang untergebracht werden. Das bedeutet Enge, Perspektivlosigkeit, Konfliktpotenzial. Auch besonders schutzbedürftige Personen, wie traumatisierte, psychisch kranke, schwangere oder alte Menschen müssen dort oft lange Zeit verbringen.
Ärzt_innen warnen davor, dass die Lebensumstände krank machen.
Die Länder können, müssen sie aber nicht installieren. Neben Sachsen gibt es diese nur in Bayern und im Saarland.
Solidarität als Antwort
Es gibt sie überall in Sachsen: Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen. Und damit der Hetze gegenüber Geflüchteten aktiv entgegentreten. Sie zeigen, dass es auch anders geht – nämlich offen und solidarisch.