#BringBackOurNeighbours – Was Nachbar*innen tun können

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Bild in rot schwarzen Tönen Andeutung eines Publikums

Interview mit CHRISTINA RIEBESECKER // AG Asylsuchende Sächsische Schweiz/Osterzgebirge und MARK GÄRTNER // Initiativkreis Menschen.Würdig und Bon Courage

1) Warum erreichte die Kampagne #BringBackOurNeighbours so eine breite Aufmerksamkeit und warum konnte sie so erfolgreich sein?

Wir glauben, es kamen viele positiv wirkende Faktoren zusammen, die wir bei unserem Workshop im Rahmen der Asylinitiativenkonferenz analysiert haben. Wir haben daraus Erkenntnisse für weitere Initiativen, die sich gegen Abschiebungen wehren, gewonnen.

Als wichtige Voraussetzung sehen wir die gute Beziehung der betroffenen Familie zu ihren Nachbar*innen sowie ihrem weiteren sozialen Umfeld wie Kita, Arbeitgeber, Tafel, Fahrschule usw. Entscheidend waren auch der Wille der Familie, öffentlich gegen ihre Abschiebung zu protestieren, ihren Mut und ihr Vertrauen in ihre Freund*innen zu legen und gleichzeitig für zahlreiche Interviews, Foto- und Filmaufnahmen zur Verfügung zu stehen. Öffentlich sprachen sie über ihren Schmerz und ihre Not.

Hilfreich war auch die schnelle Anbindung an ein asylpolitisches Netzwerk in Sachsen, das zügig Kontakte zu Landtagsabgeordneten und Medienschaffenden und weiteren Akteur*innen im Bereich Asyl und Flucht herstellen konnte. Diese griffen den Fall auf und verbreiteten ihn weiter. Politiker*innen der Linken, Grünen, später auch SPD, äußerten sich sehr zügig klar und kritisch zur Abschiebung von Familie Imerlishvili.

Binnen einen Tages wurden – auch dank des Netzwerkes – eine Kundgebung, eine Petition, eine Website und eine Protestmailwelle an politisch Verantwortliche organisiert. Nachbar*innen und Aktivist*innen verbrachten dazu den ganzen Tag am Telefon und PC, sagten alle anderen Termine ab.

Einen enormen Push bekam die Kampagne durch die engagierte Berichterstattung von Franziska Klemenz von der Sächsischen Zeitung, die dafür mittlerweile mit dem Deutschen Reporter*innenpreis ausgezeichnet wurde.

Wichtig war auch, dass die Initiative dran blieb, immer wieder neue Gespräche suchte, Debatten auslöste, öffentlich vielfältig Stellung nahm und damit klar machte, dass sich dieser Aufruhr nicht nach einigen Tagen oder Wochen von selbst wieder legt.

Letztendlich konnte die Familie durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zurückkehren. Dies ist dem Engagement und der Erfahrung der Anwältin, die auf Migrationsrecht spezialisiert ist, zu verdanken.

(2) Die Kampagne für Familie Imerlishvili war erfolgreich – sie konnte zurückgeholt werden. Wie kann die Unterstützung für von Abschiebung bedrohte Geflüchtete aussehen, die nicht dem "Integrationsideal" entsprechen?

Tatsächlich war vor allem zu Beginn der Berichterstattung in den Medien, aber auch bei den zahlreichen Kommentaren von Bürger*innen die Integrationsleistung der Familie der entscheidende Punkt der Empörung: "Es werden die Falschen abgeschoben". Aber auch bei Familie Imerlishvili wurde versucht, durch die Kriminalisierung des Vaters das "Integrationsideal" zu trüben. Kriminalisierung ist ein gängiges Modell, Abschiebung zu legitimieren, das gilt es zu dekonstruieren. Möglicherweise helfen auch viele individuelle und persönliche Berichte von Menschen, die von Abschiebung bedroht sind und kriminalisiert wurden, die Menschen und ihre Geschichten hinter dem Vorurteil "krimineller Ausländer" aufzuzeigen und dieses abzubauen. Das jedenfalls hat bei Familie Imerlishvili geholfen. Die Versuche der verantwortlichen Behörden und einiger CDU-Politiker*innen, Stimmung gegen die Familie aufzubringen, sind jedenfalls gescheitert.

Tatsächlich erfahren Menschen, denen eine Affinität zu Kriminalität zugeschrieben wird, häufig weniger öffentliche Solidaritätsbekundungen – gerade dann, wenn alleinstehende Männer abgeschoben werden. Genauso wie Familien suchen sie jedoch häufig Rat zu ihrer rechtlichen Situation, wollen vielleicht wissen, wo Beschwerden behandelt werden können, wollen Wohnung und Arbeit finden. An ihrer Aufenthaltsverfestigung arbeiten viele Nachbar*innen und Freund*innen. Solidarität hängt nicht von Familienstand oder Geschlecht ab.

(3) Was können Nachbar*innen tun, um den Schutz vor Abschiebung zu erhöhen?

Die Handlungsmöglichkeiten sind zugleich beschränkt und vielfältig und unterscheiden sich in präventive und intervenierende Maßnahmen.

Bestenfalls werden Abschiebungen präventiv verhindert. Nachbar*innen können unterstützen, indem sie bei Terminen begleiten, Briefe erklären, Unterstützungsschreiben verfassen und emotionalen Beistand leisten. Es braucht aber häufig die professionelle und hauptamtliche Begleitung von Anwält*innen und/oder Beratungsstellen.

Beschränkt werden die Handlungsmöglichkeiten durch behördliche Willkür (zum Beispiel bewusste Fehlinformationen) und unzureichende Informationen über den Abschiebungsprozess ("Blackbox Abschiebung"). Eine laufende Abschiebung zu stoppen, gelingt oft nicht. Dennoch kann versucht werden, zu intervenieren. Es ist beispielsweise wichtig, als Augenzeug*in und Beistand anwesend zu sein. Sollten Hinweise auf Abschiebehindernisse bestehen, zum BeispielBeispiel, wenn gesundheitliche Gründe vorliegen, sollten diese sofort und hartnäckig gegenüber dem*der Einsatzleiter*in angesprochen und bestenfalls nachgewiesen werden. Anwält*innen, die bereits mit dem Fall betraut sind, sollten informiert werden. Sofern in Erfahrung gebracht werden kann, von welchem Flughafen abgeschoben wird, kann im Zweifel eine Abschiebungsbeobachtungsstelle informiert werden. Abschiebungsbeobachtungsstellen gibt es in Düsseldorf, Frankfurt a.M., Hamburg und Berlin. Auch Leipzig wird künftig eine solche Stelle haben.

Wir wollen die vielfältigen Handlungsmöglichkeiten, die sich für Nachbar*innen vor (also präventiv) und während einer laufenden Abschiebung auftun, in diesem Jahr sammeln, aufbereiten und darüber in Workshops, Handzetteln und auf der Website bringbackourneighbours.de informieren!