Interview mit Mohammad Okasha // Postmigrantisches Netzwerk e.V.
1) Was ist aktivistische Politik und warum braucht es ein Zusammenspiel zwischen aktivistischer und parlamentarischer Arbeit?
Aktivistische Politik beschreibt einen Ansatz, der Politik und Aktivismus zusammendenkt und parlamentarische sowie aktivistische Arbeit miteinander verknüpft. Aktivismus ist selbst bereits eine Form der politischen Partizipation, die versucht, auf das politische Geschehen Einfluss zu nehmen. Diese Arbeit findet dabei außerhalb der parlamentarischen Strukturen in meist öffentlichen Räumen statt. Die Formen dieser Arbeit können sehr unterschiedlich sein und reichen von Demonstrationen, über (Hunger)Streiks, bis hin zu Workshops oder anderer Bildungsarbeit.
Im Zusammenspiel mit parlamentarischer Arbeit können sich beide Komponenten gegenseitig unterstützen. So fehlt es im Aktivismus allein oft an der Handlungsmacht, auf Entscheidungsprozesse direkt einzuwirken. In der Verbindung mit parlamentarischer Arbeit kann hingegen die Stellung als legitime*r Verhandlungspartner*in erlangt werden. Parlamentarische Mitglieder, die diese Rolle übernehmen, sind wiederum selbst oft in der Minderheit und haben damit weniger Druckmittel, um ihre Forderungen und Perspektiven zu verteidigen und durchzusetzen. An dieser Stelle kann aktivistische Arbeit diesen Mitgliedern mit öffentlichem Druck mehr Einfluss verleihen. Dies wird möglich, wenn beides so aufeinander abgestimmt ist, dass öffentliche Aktionen wie zum Beispiel Demonstrationen konkrete Verhandlungen begleiten und damit durch ihre Präsenz und Stärke den Minderheitenstatus aufbrechen und stattdessen verdeutlichen, dass die Forderungen von einer breiteren gesellschaftlichen Gruppe getragen wird.
2) Wie kann eine gute Zusammenarbeit zwischen aktivistischer Politik, Verwaltung und parlamentarischer Arbeit aussehen?
Bei einer guten Zusammenarbeit zwischen Aktivismus und parlamentarischer Arbeit wird die Möglichkeit der gegenseitigen Unterstützung effektiv eingesetzt. Momentan wird das Potenzial des Aktivismus von linken Parteien in Deutschland wenig genutzt. Es braucht daher eine stärkere Zusammenarbeit und Verknüpfung der einzelnen Arbeitsbereiche und politischen Forderungen. Wenn gemeinsame Strategien entwickelt werden, kann aktivistische Arbeit durch die Präsenz und Stimmen der Bürger*innen den Politiker*innen helfen, in politischen Diskursen, in denen die Machtverhältnisse ungleich verteilt sind, ernst genommen zu werden.
3) Welche Chancen und Herausforderungen hat aktivistische Politik in Deutschland?
Aktivistische Politik hat in Deutschland viele Chancen, neue Impulse zu setzen. Deutschland hat keine wirkliche Revolutionskultur, das heißt, Demonstrationen allein bringen nicht viel. Stattdessen ist der parlamentarische Weg der passende, um politische Veränderung zu erwirken. Dafür muss die parlamentarische Arbeit jedoch mehr mit Aktivismus unterfüttert werden, der Druck von der Straße und aus der Öffentlichkeit muss übertragen werden in politische Entscheidungsprozesse. Wenn linke Politik und linker Aktivismus also, anstatt nebeneinander her an denselben oder ähnlichen Themen zu arbeiten, gemeinsam politische Strategien entwickeln, um die Macht des Aktivismus mit der Handlungsmacht im Parlament zu verbinden, entsteht neues Potenzial, tatsächlichen Wandel herbeizuführen.
Erschwert wird dies bislang durch eine relativ strikte Trennung von Politik und Aktivismus und entsprechend wenig Kommunikation, Austausch und Zusammenarbeit der Beteiligten beider Bereiche. Politiker*innen, die zur Wahl stehen, sind oft nicht in der aktivistischen Szene vor Ort bekannt oder in sie eingebunden. Aktivistische Politik bedarf an dieser Stelle einer engen und lebendigen Beziehung, sonst bleibt es bei einem sporadischen Austausch und politische Teilhabe kann nicht neu gestaltet werden. In diesem Sinne müssten Maßnahmen ergriffen werden, die es gerade den Menschen, die bereits (vielleicht schon seit Jahren) aktivistisch engagiert sind, ermöglichen und erleichtern, auf Listen zu kommen und als parlamentarische Vertreter*innen gewählt zu werden. Sie können die aktivistische Perspektive in ihre Arbeit einfließen lassen und die Verknüpfung stärken. Der Aktivismus müsste jedoch gleichermaßen nachhaltig gestaltet werden, was bedeutet, dass regelmäßige und auf die politischen Prozesse abgestimmte Aktionen geplant und veranstaltet werden.
Aktivistische Politik hat somit besonders durch die Bündelung und gezielte Ausrichtung von Ressourcen, Handlungsmacht und politischer Arbeit die Chance, effektiv und nachhaltig Einfluss auf politische Entscheidungs- und Transformationsprozesse zu nehmen.