Plastik: Gefahr für unser Wasser

Interview

Im Gespräch mit der Meeresbiologin Dr. Rosanna Schöneich-Argent besprechen wir, was das Tempolimit mit Mikroplastik zu tun hat. Wir erfahren mehr über die Verschmutzung unserer Gewässer und was wir dagegen tun können.

Lesedauer: 20 Minuten
Plastiknest in Amsterdam

Rund 150 Millionen Tonnen Plastik schwimmen in unseren Meeren. Bis zu 13 Mio. kommen jährlich hinzu. Die Meeresverschmutzung beginnt in acht von zehn Fällen an Land.

Im Interview sprachen wir über Plastik, dass mittlerweile in den entlegensten Winkeln der Arktis zu finden ist. In heimischen Böden und Gewässern ist Mikroplastik weit verbreitet: Die Konzentration liegt hier bis zu 23-mal höher als im Meer.

Eigentlich ist klar: So kann es nicht weitergehen! Was ist also zu tun, um den erwarteten, weiteren Anstieg der Plastikproduktion zu stoppen? Wer kann und muss handeln?

 

Grit Ebert: Ich würde gern in unser Thema direkt einsteigen wollen anhand eines konkreten Beispiels: Eine achtlos am Elbufer vergessene bzw. liegen gelassene Plastikflasche. Was passiert, wenn sie ins Wasser gerät und was genau ist das Problem daran?

Dr. Schöneich-Argent: Die Flasche an sich ist kein Problem, wenn jemand sie aufhebt, in den Mülleimer schmeißt oder eben zum Pfandautomaten bringt. Wenn sie in der Umwelt liegen bleibt, dann wird sie zum Umweltproblem! Am Beispiel der Elbe - es ist natürlich ein sehr langer Fluss, ein sehr komplexes System, ein sehr dynamisches System - zeigt sich, was dann auch Schwierigkeiten bei der Forschung zu dem Thema Plastikmüll angeht. Es ist die Frage: Bleibt die Flasche da liegen? Haben wir ein Hochwasser oder einen großen Regen-Niederguss, der die Flasche einträgt? Dann ist sie natürlich erstmal auf Reise!

Die Reise kann ziemlich turbulent sein, denn die Elbe ist eben zu großen Teilen schiffbar! Wenn so ein großer Pott vorbeikommt, Bug-, Heckwelle kann die Flasche natürlich auch schwups wieder irgendwo in der Ufervegetation, also in dem Röhricht, in dem Schilf hängenbleiben. Buhnenfelder sind genau so eine Barriere, Hafen-, Kaimauern, kleine Molen. Da kann so eine Plastikflasche, selbst wenn sie in den Elbstrom gerät, überall hängenbleiben.

Gehen wir jetzt mal davon aus, dass sie sich immer wieder losreißt und mit transportiert wird, dann hat sie einen langen Weg vor sich, bevor sie dann über Hamburg in das so genannte Elb-Ästuar, den Mündungsbereich der Elbe, gerät!

In der Nordsee ist sie noch viel größeren Strömungssystemen ausgesetzt und um zu verstehen, wo die Flasche hintreibt, muss man wissen, wie die Nordsee-Strömungen aussehen. Grob gesprochen kommt das Nordsee-Wasser entlang der Ostküste Schottlands und Englands und fließt nach Süden. Gleichzeitig kommt Wasser über den Ärmelkanal in die Nordsee hineingeströmt. Das fließt dann entlang der Küste Frankreichs, Belgiens und dann der Niederlande in die so genannte Deutsche Bucht. Das ist der Meeresbereich hier bei uns in der Nordsee vor Deutschland und wird dann durch die Landmasse von Schleswig-Holstein und Dänemark nach Norden abgelenkt. Am Zipfel von Dänemark haben wir den Skagerak. Das ist also ein Meergebiet zwischen Dänemark und Norwegen und Schweden. Da wird das Wasser echt durchgewühlt! Ein Teil fließt dann auch in die Ostsee ab. Durch eben die Landspitze von Skandinavien wird das Wasser wieder abgelenkt und dann über die so genannte Norwegische Rinne, ein sehr tiefer Bereich der Nordsee, entlang der Küste Norwegens in die Arktis geleitet.

Wenn unsere Flasche voll läuft, dann sinkt sie ab. Wenn wir aber sagen, gut, da ist ein Deckel drauf und da ist auch Luft drin, dann kann das Ding gut stabil sein, dass es auch wirklich bis in die Arktis getrieben wird, wo sie dann ein sehr einzigartiges Ökosystem belasten kann.

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Grit Ebert: Sie ist also als Flasche noch erkennbar?

Dr. Schöneich-Argent: Grundsätzlich wird bei PET-Flaschen immer von 450 Jahren gesprochen, bis sich das Material so zersetzt hat, dass es eben nicht mehr als Kunststoff erkennbar ist, also zu Mikroplastik, zu Kleinstpartikeln geworden ist. Diese Zahlen beruhen auf Hochrechnungen - wir stellen Kunststoffe erst seit 70 Jahren im großen Maßstab industriell her. Um diese Zahlen zu errechnen, sind Laborexperimente durchgeführt worden, so genannte künstliche Verwitterungsprozesse, wo das Material den Umständen ausgesetzt wird, wie man sie in der Natur finden würde: Mit Sonneneinstrahlung, UV-Einstrahlung, Temperaturunterschiede, in Salz oder in Frischwasser. Dann wird nach einem bestimmten Zeitraum geguckt, wie hat sich das Material verändert. Sieht man da Verwitterungsspuren? Ist das brüchiger geworden? Wie ist die Elastizität? Und dann wird hochgerechnet.

Wenn eine Plastikflasche z.B. auf den Meeresboden oder auf das Flussbett absinkt und da eben nicht mehr UV-Strahlung ausgesetzt ist, kein Wellenschlag mehr bekommt, die Temperaturen sind auch relativ kühl, kann es noch deutlich länger dauern! Das heißt, das Material an sich hat erstmal das Potential, sehr lange sehr stabil zu bleiben.

Es kommt also darauf an, ob die Flasche irgendwo hängenbleibt. Wenn sie Jahre lang in einem Schilfröhricht vor sich hingammelt und die ganze Zeit die Sonne auf den Buckel kriegt, vielleicht irgendjemand drauf tritt, dann kann ein Fragmentierungsprozess, wie wir dazu sagen, also ein Zerbrechen des Materials, schneller passieren. Natürlich zeigen auch an Stränden der Arktis gefundene Plastikflaschen, dass diese dort landen.

 

Grit Ebert: Von Dresden kann ich berichten, dass es hier regelmäßige Elbwiesen- Reinigungen gibt. Sollte man vielleicht doch lieber den Strand mal dreckig lassen, um die Leute zu sensibilisieren? Oder macht es mehr Sinn, den Müll aus der Natur herauszuholen und zu vermeiden, dass der irgendwo in der Deutschen Bucht oder in der Arktis landet? Was sagst Du denn?

Dr. Schöneich-Argent: Ich denke, das kann man so oder so sehen. Auf der einen Seite muss man sich bewusst werden: Wir werden nicht das Umweltproblem Plastikmüll durch Clean Ups, also durch Müllsammel-Aktionen, beheben können. Das ist also kosmetischer Natur. Wer selber mal teilgenommen hat, weiß, wenn er an die selbe Stelle ein, zwei, drei Tage später, eine Woche, einen Monat später geht: Sie wird wahrscheinlich genau so verdreckt aussehen. Und das kann – und das habe ich auch selber erlebt bei Leuten – sehr frustrierend sein, weil sie sich natürlich schon fragen: Ich hab da meine Zeit, meine Energie in so einen Clean Up gesteckt. Ich wollte etwas Gutes für die Natur tun und dann kommen Leute hin, denen das egal ist und die schmeißen trotzdem wieder ihren Müll hin. Oder am Strand: Selbst, wenn er sehr abgelegen ist, transportiert eben das Meer wieder neuen Müll an solche Küstengebiete.

Ein Clean Up hat neben dem kosmetischen Aspekt auch einen edukativen Effekt, also einen Lehreffekt. Ein Clean Up ist ein erster Zugang. Menschen wird dabei bewusst, das Problem ist nicht nur irgendwo in Asien, irgendwo in Afrika, weit weg, wo man jetzt nicht unbedingt morgen hinkommt, sondern auch hier in Deutschland! Ein Clean Up gibt den ganz wichtigen Impuls, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Und wenn man korrekt kommuniziert, also nicht sagt, wir müssen nur alle aufräumen, dann regelt sich das Thema von selbst, sondern ganz eindeutig die Vor- und Nachteile von solchen Clean Ups aufzeigt, dann ist es ein ganz wichtiger Puzzle-Stein bei der Lösung dieses Problems.

Es gibt auch Leute oder Initiativen, die sagen, wir lassen den Müll liegen, um ein Augenmerk darauf zu werfen oder wir sammeln ihn und stellen ihn aus. Da ist z.B. jetzt in Hamburg ein Herr unterwegs, der sammelt regelmäßig Müll direkt in Hamburg am Elbstrand und stellt den aus, also zeigt wirklich, was kommt da alle paar Tage über die Elbe an. Das versieht er mit Info-Schildern zu der Problematik und informiert eben darüber. Genau das gleiche Prinzip ist auch an Nord- und Ostseestränden mit diesen großen Gitterboxen, so genannte Strandmüll-Boxen, wo Leute, die einen Strand-Spaziergang machen, den gefundenen Strandmüll reinwerfen sollen.

"Diese Dauerexposition, dieses ständig in Kontakt sein mit Kunststoffen - man muss sich nur einmal angucken, was man so im Alltag um sich herum hat, man fasst es immer an, man trägt es, ja, man isst Nahrungsmittel daraus - ist ein großes Langzeit-Experiment! Das klingt jetzt sehr gruselig, aber es ist wirklich so, weil wir uns ja dem nicht mehr entziehen können." (Rosanna Schöneich-Argent)

 

Grit Ebert: Was ist denn eigentlich die Gefahr oder das Problem, das von Plastik ausgeht?

Ein Nest aus Plastik

Dr. Schöneich-Argent: Wenn wir jetzt große Müllteile nehmen, so genanntes Makroplastik, allgemein definiert als Müllteile, die größer als 5 Millimeter sind, dann können sich natürlich neugierige Tiere, die vielleicht sogar durch die Essensreste, die am Material noch kleben, angelockt werden und sich an den Müllteilen, in den Plastikmüll-Teilen verheddern, verletzen, sich Schnittwunden zufügen. Wir kennen alle die Fotos von den Basstölpeln und den Trottellummen auf der Langen Anna auf Helgoland, die das Material, weil es eben so robust ist, in ihre Nester einbauen. Aber leider können sie das Material nicht als schädlich identifizieren, strangulieren sich oder verheddern sich an den Füßen und haben dann eben keine Hände und kein Messer, um sich da loszuschneiden.

Wenn das Material dann mit der Zeit durch Umwelteinflüsse wie eben Sonneneinstrahlung, mechanische Einwirkungen, Temperaturunterschiede brüchig wird, dann fragmentiert es: es wird bröselig, es krümelt auseinander. Und je kleiner diese Partikel werden, desto weniger haben sie jetzt unbedingt eine Folge in mechanischer Hinsicht.

Was dann aber viel wichtiger wird, sind die Inhaltsstoffe: Plastik sind verschiedene Kunststoffe, so genannte synthetische Polymere, die wir mit zusätzlichen Chemikalien voll pumpen, um den Kunststoff genau so zu formen, genau so zu machen, wie wir ihn brauchen: Ob das jetzt ein kuscheliger Fleece-Pulli ist oder eben eine Handy-Hülle, die besonders robust sein soll, die Tupper-Dose, die auch in eine Mikrowelle gestellt werden soll, ohne uns da einzuschmelzen. Es gibt also verschiedenste Kunststoffe und die sind auch je nach Produktionsfirma und Produktionsort, selbst, wenn es derselbe Kunststoff ist, mit unterschiedlichen Chemikalien voll gepumpt.

Diese Chemikalien, Tausende von verschiedenen Stoffen, können dann über die große Oberfläche, die diese Kleinstpartikel haben, in die Umwelt gelangen: Ob das jetzt das Wasser ist, in dem solche Mikroplastik-Partikel dann mit treiben oder eben der Fisch, der Meeresvogel, die einen Partikel fressen, weil sie ihn mit Nahrung verwechselt. Viele von diesen Stoffen können Reaktionen in dem Körper des Tiers, des Organismus auslösen.

Man weiß von Experimenten mit Muscheln, Wattwürmern und Krebsen, dass es Entzündungsreaktionen hervorruft: Die Körper, die Organismen merken, das ist nicht unseres. Das ist nicht natürlich und sie reagieren mit Stress. Was das alles in langer Sicht mit der Nahrungskette macht, das beginnen wir gerade erst zu verstehen, weil es eben so viele Stoffe sind und natürlich die Hersteller auch nicht preisgeben, was ihre "Geheimrezepte" sind.

Und so kann man sich vorstellen, dass, wenn ein Fisch so einen Partikel frisst, weil er ihn mit Nahrung verwechselt, dass er ihn vielleicht selber ausscheidet, aber die Chemikalien ins umliegende Fleisch übergegangen sind und genau das ist es dann, was auch wir futtern. Wenn wir gar nicht wissen, was das alles für Chemikalien sind, auch welche Reaktionen die untereinander auslösen, wird es schwierig, festzustellen, was nachher die Folgen sind.

Diese Dauerexposition, dieses ständig in Kontakt sein mit Kunststoffen - man muss sich nur einmal angucken, was man so im Alltag um sich herum hat, man fasst es immer an, man trägt es, ja, man isst Nahrungsmittel daraus - ist ein großes Langzeit-Experiment! Das klingt jetzt sehr gruselig, aber es ist wirklich so, weil wir uns ja dem nicht mehr entziehen können.

 

Grit Ebert: Das führt mich auch gleich zu der nächsten Frage. Weil ich mich jetzt gerade an Plastiktüten erinnere, wo draufsteht, dass sie aus Bio-Plastik sind. Gibt es denn besseres und schlechteres Plastik?

Dr. Schöneich-Argent: Plastik, also Kunststoffe an sich, sind super Werkstoffe. Ja, sie haben unseren westlichen Lebensstandard absolut vorangetrieben. Man muss sich nur einmal die Medizin anschauen, was da für revolutionäre Dinge jetzt möglich sind, die vor 100 Jahren überhaupt nicht denkbar gewesen wären! Da kann man erst einmal sagen, Kunststoffe haben auch absolut positive Eigenschaften. Wo es eben problematisch wird, ist bei der Größenordnung! Und wir haben uns erst relativ kürzlich Gedanken gemacht, was eigentlich mit dem ganzen Material passieren soll, wenn wir es verbraucht haben. Das wird jetzt zum Problem.

Das Thema Bio-Plastik ist ein "Baby-Thema", sehr jung im Gesamtverlauf der Plastikherstellung. Was man aber dazu schon sagen kann, ist, dass bei diesem Thema Acht gegeben werden muss! Bio klingt ja erstmal grün und gut. Bio-Lebensmittel ist eine Sache, weil es dafür verschiedene, klare Definitionen gibt, was ein Bio-Lebensmittel bio macht. Bei Bio-Plastik gibt es die nicht: Bio-Plastik kann sowohl heißen, es ist biobasierter Kunststoff oder es ist bio abbaubar. Jetzt könnte man sich denken, ist nicht das eine auch irgendwie das andere? Kann es sein, muss es aber nicht! Und da müssen wir jetzt das Ganze etwas differenzierter angucken.  

Biobasierter Kunststoff heißt, ein Kunststoff wurde hergestellt auf Basis von natürlich nachwachsenden Rohstoffen. Das ist oftmals Mais oder Soja, also verschiedene Stärken, die umgewandelt werden zu Kunststoffen. Diese Kunststoffe sind teilweise absolut identisch zu denen, die aus fossilen Ressourcen hergestellt werden. Sie brauchen genau so lange zum Abbauen, wenn sie in die Natur gelangen und müssen eben auch genau so behandelt werden in der Abfallentsorgung. Biobasiert heißt also nicht notwendigerweise auch bio abbaubar.

Bio abbaubare Kunststoffe müssen, um als solche zu gelten, verschiedene Normen erfüllen. Sie müssen verschiedene Kriterien in Laborexperimenten erfüllt haben, sich also in einem Zeitraum X zu so und so viel Prozent abgebaut haben, um als bio abbaubar zertifiziert zu werden. Diese abbaubaren Kunststoffe können biobasiert sein, also auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt worden sein. Sie können aber auch aus Rohöl hergestellt werden mit ein paar – ich nenne es mal salopp – Kniffen in der chemischen Struktur, so dass sie eben auch in der Natur schneller zerfallen.

Nun kann man jetzt sagen: Das ist doch super, dann sparen wir fossile Rohstoffe, indem wir unseren Kunststoff nur noch biobasiert herstellen! Was man dabei aber nicht vergessen darf, biobasiert heißt, dass die Rohstoffe erst einmal wachsen müssen. Da ist die Frage, können wir oder wollen wir in Kauf nehmen, dass wir Landfläche, teilweise auch neue, roden für nachwachsende Rohstoffe, die dann wieder in Plastik gesteckt werden? Dieselben Landflächen könnten wir auch für Lebensmittel, die wir direkt konsumieren, nutzen!

Eine direkte Nahrungskonkurrenz mit einer wachsenden Erdbevölkerung können wir uns nicht leisten, vor allem auch vor dem Aspekt des Umweltschutzes, des Naturschutzes – ja, wir können uns nicht die ganzen Ökosysteme kaputt machen!

Beim Thema Bio-Plastik sollte man eher überlegen, wo kann man Bio-Kunststoffe langwierig einsetzen, wo haben sie eine lange Lebensdauer? Wo können sie lange im System bleiben? Da können sie eine gute Alternative darstellen!

 

Grit Ebert: Ich würde gerne noch einmal vertiefen wollen, was Du vorhin gesagt hattest zum Anreichern von Kunststoffen mit Zusätzen. Wäre eine Beschränkung der Zusätze eine Lösung?

Dr. Schöneich-Argent: Ich bin keine Chemikerin. Ich kann nicht sagen, wie viele Zusatzstoffe es braucht, um Kunststoffe so zu machen, wie sie sind. Es wäre wünschenswert, die Anzahl an Kunststoffen oder auch die Vielfalt der Produkte, die wir daraus herstellen, so zu begrenzen, dass sie möglichst gut recycelbar bzw. möglichst lange in diesem Kreislauf bleiben können. Denn genau darum geht es!

Wir alle wissen, dass nicht der Gesamtinhalt vom Gelben Sack recycelt wird: Wenn man sich so genannte Verbundstoffe anguckt, wo also Kunststoffe mit anderen Stoffen, ob das jetzt Alufolie ist oder Papierschichten, Wachsschichten oder Pappe, zusammengepresst werden. Es gibt auch so genannte Polyplends. Das sind dann verschiedene Kunststoffe, die für eine Folie z.B. zusammengepresst werden.

Da muss man sich nur mal so eine Käse- oder Wurstpackung angucken: Das Tablett, auf der die Wurst, der Käse liegt, ist aus einem Kunststoff. Aber allein in dem Deckel, können mehrere Lagen verschiedener Kunststoffe miteinander verbunden sein und wir wissen es gar nicht! Wir sehen es ja nicht! Alle haben dabei unterschiedliche Eigenschaften. Jede Schicht hat eine eigene Rolle. Und die auseinander zu klamüsern, das bekommt man gar nicht mehr oder nur mit hohem Aufwand hin!

 

"Ein Großteil der Kleidung, die wir heutzutage tragen, ist aus Kunststoff, ist aus Plastik. Wir tragen Plastik." (Rosanna Schöneich-Argent)

Grit Ebert: Okay, jetzt sind wir die Käse- und die Wurstpackungen durchgegangen, aber was hat denn das Waschen unserer Kleidung mit Plastik zu tun bzw. Auto fahren?

Dr. Schöneich-Argent: Unsere Kleidung bestand früher aus Naturstoffen. Aber jeder weiß es selber: Naturmaterialien sind oft sehr unflexibel. Die Erfindung von Nylon war revolutionär, auch die Entwicklung von Kunststoff-Fasern, die wir in unsere Kleidung einbauen können, um sie eben flexibel, kuschelig weich, Schweiß absondernd, isolierend zu machen. Deswegen muss man ganz klar sagen: Ein Großteil der Kleidung, die wir heutzutage tragen, ist aus Kunststoff, ist aus Plastik. Wir tragen Plastik.

Wenn wir jetzt unsere Halbplastik-, Vollplastik-, anteilig Plastik-Kleidung waschen, dann reiben sich diese Fasern ab und gelangen ins Waschwasser. Da kommt es darauf an, ob die Kläranlage in der Nähe, mit diesen Mikro-Fasern umgehen kann, d.h., ob sie eine so genannte vierte Reinigungsstufe hat, wo auch Mikroplastik-Partikel, Mikro-Fasern herausgefiltert werden können. Ältere Klärwerke haben diese so genannte vierte Reinigungsstufe nicht. Trotz Klärung gelangen Mikro-Fasern aus unserer Wäsche dann in das fertig geklärte Wasser, bleiben in dem fertig geklärten Wasser drin und gelangen so wieder in unsere Flüsse. Dort können sie aufgenommen werden und in die Nahrungskette geraten.

Kleidungsstücke aus Synthetik-Fasern - einen Fleece-Pulli, eine Yoga-Hose, Sport-Oberteile - können in spezielle Beutel beim Waschen gesteckt werden. Diese halten einen Großteil der Fasern auf. Das ist z.B. eine Möglichkeit, wie jeder bei sich zu Hause gucken kann, dass vielleicht ein bisschen weniger Fasern ins Abwasser gelangen.

 

Grit Ebert: ... Und das Auto fahren?

Dr. Schöneich-Argent: Der größte Anteil Mikroplastik, der in die Umwelt gelangt, ist der Reifenabrieb. Jeder weiß das, wenn er ein paar Schuhe hat und man läuft damit und irgendwann denkt man sich, verdammt, meine Sohle ist durch. Ich brauche ein neues Paar. So. Wo ist die Sohle hin? In der Natur! So kann man sich das natürlich auch bei Autoreifen vorstellen. Ja, die haben auch ein Profil und das Profil ist irgendwann abgefahren. Abgefahren heißt, dass das Material irgendwo, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Strecke geblieben ist und dann eben durch Regengüsse von der Straße runter in die Landschaft gespült wird und sich da eben anreichert.

Früher waren Autoreifen zum größten Teil aus Natur-Kautschuk. Das ist ein Naturstoff. Aber heutzutage haben wir es mit High-Tech-Reifen zu tun. Da ist auch sehr viel Kunststoff drin, Verbundstoffe, viele verschiedene Materialien zusammen.

Was hier helfen könnte und dann auch wieder zum Thema Klimaschutz die Brücke schlägt: Langsamer Auto fahren! Man weiß heute: Je höher die Geschwindigkeit, desto höher der Abrieb. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung vor allem auf den Autobahnen einzusetzen, würde auch die Menge an eingetragenen Mikroplastik-Partikeln vom Reifenabrieb zumindest verlangsamen oder reduzieren.

 

Grit Ebert: Jetzt hast Du das Stichwort Klimaschutz schon genannt, da würde ich gerne weitermachen wollen. Und zwar mit der Frage, was denn jetzt Plastik konkret mit der Klimakrise zu tun hat.

Dr. Schöneich-Argent: Neuere Studien haben festgestellt, dass der größte Teil des CO2-Fußabdrucks von Kunststoffen, also 96 % (Anmerkung der Red.: Studie von Livia Cabernard et al. (2021)), in Förderungs- und Raffinerieprozessen, also ganz zu Beginn bei den Herstellungsprozessen liegt. Die Transporte zu uns, unser Gebrauch und selbst die Abfallverwertung machen nur einen Bruchteil aus. Damit haben wir ein ganz klares Argument dafür, einfach weniger von dem Material herzustellen.

 

Grit Ebert: Da höre ich heraus, dass die Industrie wieder in der Pflicht ist und wenn sie es nicht von sich aus tut, eben auch die Politik. Was wären denn Ansatzpunkte, wo Du sagst, das brauchen wir jetzt unbedingt, damit wir einen Weg einschlagen zu weniger Plastikverschmutzung?

Plastikverschmutzung an der Elbe
Volle Mülleimer am Elbufer. Rasch gelangt der lose Müll auch in das Wasser.

Dr. Schöneich-Argent: Die übergreifenden Stellschrauben, was machbar ist und was gemacht werden muss, müssen von der Politik gesetzt werden, wirklich klar definierte Zwischenziele und nicht ein Wischiwaschi-Endziel in irgendwie ein paar Jahren und keiner weiß so richtig, wie er dahin kommen soll. Es braucht eine klare Vorgabe, die eben kontrollierbar ist, die nachvollziehbar ist, wo auch Konsequenzen folgen, wenn die Zwischenziele nicht erreicht werden. Man muss dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn man sich nicht an Vorgaben hält. Dann können solche Vorgaben ganz wichtige ja „Stepping stones“, also Trittsteine sein, um ein größeres, ambitioniertes Reduktionsziel zu erreichen.

Ich denke, jede Ebene der Gesellschaft kann einen Beitrag leisten, muss einen Beitrag leisten. Das Thema geht uns alle an. Aber die Politik ist ganz klar gefordert, auch ambitioniertere Ziele zu setzen und nicht nur ein Mindestmaß! Sie muss mehr den Fokus auf Nachhaltigkeit und den Erhalt einer lebenswerten Umwelt für zukünftige Generationen legen als auf Aspekte des Profits.

 

Grit Ebert: Ich habe kürzlich gelesen, dass sich die Herstellung von Plastik bis 2045 noch einmal verdoppeln wird, obwohl eigentlich allen klar ist: Wir sind auf dem falschen Kurs! Das hinterlässt einen und  mich auch natürlich schon ziemlich rat- und ja auch machtlos. Aber vielleicht möchtest Du an dieser Stelle uns allen noch etwas mit auf den Weg geben, was Positives, was Gutes vielleicht?

Dr. Schöneich-Argent: Es geht nicht darum, dass wir alle von heute auf morgen die „Super-Zero-Wastler“ werden! Es ist ein Prozess. Und jeder Prozess muss mit dem ersten Schritt beginnen: Ob das ein Clean Up ist oder indem ich meinen Joghurt im Mehrwegglas kaufe, dass man eben im Kleinen erstmal anfängt. Dadurch wird man motiviert, man merkt: Ich kann meinen Lebensstil halten und ich produziere weniger Müll!

Vor vier Jahren hatte ich Besuch von einer guten Freundin. Sie brachte ihr Kulturbeutelchen an und ich sagte: Mensch, was hast denn Du hier? Ja, sagte sie, guck mal hier: Ich brauche gar keine großen Deospray-Dosen mehr. Ich habe Deo-Creme. Ich sagte: Was ist denn Deo-Creme? Ich hatte noch nie davon gehört. Ja, sagte sie, total ergiebig und hier, riech mal! Und ich sagte: Wow. Da habe ich gedacht, aha, kann man ja mal ausprobieren! Ich hatte mein Lieblingsdeo schon seit Jahren, wollte da auch gar nicht von weg! Und dann habe ich mir so eine Pröbchen-Tüte gekauft. Es hat Spaß gemacht! Man hat sich mal mit etwas völlig neuem beschäftigt, was man so gar nicht auf dem Schirm hatte. Jetzt kriegt man die ja schon in Drogeriemärkten. Das ist ja viel salonfähiger geworden. Und so bin ich zu Deo-Creme gekommen.

Wenn man merkt, Produkte funktionieren genau so gut wie vorher, ist es dann wieder so eine Bestätigung: Man merkt, man ist in die richtige Richtung unterwegs. Und genau darum geht es: um eben bewussten Konsum. Und nicht einfach Kaufen-Kaufen-Kaufen! Die Werbung suggeriert einem, man braucht die verschiedenen Teile, man braucht dieses Jahr ein neues Smartphone, das neueste, tollste Auto – wie auch immer! Einfach mal sagen: Nee, halt, stopp!

Manche haben vielleicht nicht die finanziellen Mittel, um nur noch unverpackt einzukaufen oder nur noch auf Bio-Lebensmittel zu setzen. Aber denen sage ich, dann such Dir das aus, was Du kannst!

Ich habe irgendwo mal gelesen, der Einkaufszettel ist der Stimmzettel für die Natur. Klingt ein bisschen kitschig. Aber da steckt drin, dass man nicht die eigene Macht als Konsument, als Konsumentin unterschätzen sollte!

 

Rosanna Schöneich-Argent lächelnd

Dr. Rosanna Schöneich-Argent:

Dr. Rosanna Schöneich-Argent, Jahrgang 1991, ist Meeresbiologin und arbeitete zuletzt als Projektleitung beim BUND Landesverband Niedersachsen. Während ihres Grundstudiums (2010-2013) wurde sie durch ihre Bachelorarbeit auf die Verschmutzung der Meere mit (Plastik-)Müll und deren Auswirkungen aufmerksam. Dass dieses globale Umweltproblem zum damaligen Zeitpunkt kaum im Fokus öffentlicher Diskussionen und medialer Berichterstattung stand, obwohl in Wissenschaftskreisen seit Jahrzehnten bekannt, aber dennoch relativ wenig erforscht, ließ sie nicht los. Ansporn genug, einen Beitrag zum besseren Verständnis dieses komplexen Themas leisten zu wollen! Während ihres Aufbaustudiums beschäftigte sie sich in ihrer Masterarbeit mit der Mikroplastikbelastung von Strandsedimenten. Nach einigen Monaten beim niederländischen Startup-Unternehmen The Ocean Cleanup promovierte sie schließlich im interdisziplinären Forschungsprojekt „Makroplastik in der südlichen Nordsee – Quellen, Verbreitungspfade und Vermeidungsstrategien“ an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (2016-2020).

Aufgrund des stark gestiegenen, öffentlichen Interesses an der Thematik sowie durch die Beteiligung von Bürger*innen am universitären Forschungsprojekt war sie in den letzten Jahren parallel zur Forschung regelmäßig in Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit involviert. Bewusstseinsbildung spielte auch im Rahmen ihrer Tätigkeit im BUND-Projekt "Kommunaler Wettbewerb – Köpfchen statt Kunststoff" eine zentrale Rolle. Seit Projektende arbeitet sie nun für das Bremer Startup planblue.

Das Interview führte Grit Ebert im August 2022.