Michael Braungart: „Das Problem sind die Hersteller“

Interview

Prof. Michael Braungart, der Erfinder des Cradle-to-Cradle-Systems, fordert ein Verbot bestimmter Plastiksorten.

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Solche Plastikberge müsste es mit dem Cradle-to-Cradle-System nicht mehr geben

Nick Reimer: Es gibt Polyolefine, PET, Styropur, Thermo-, Duro- oder hunderte verschiedene andere Plastearten. Herr Professor, warum gibt es eigentlich so viel verschiedenes Plastik?

Prof. Michael Braungart: Das hat zwei Gründe: Erstens suchen die Hersteller immer nach der billigsten Plastik für ihre Anwendung. Eine Waschmaschine enthält zum Beispiel 150 verschiedene Plastiksorten. Praktisch käme sie aber auch mit 5 Sorten aus. Aber dann wäre das Gerät teurer.

Zweitens spielen patentrechtliche Gründe eine Rolle. Firmen wie BP, Exxon oder Evonik – jeder will seinen eigenen Plastik-Rohstoff auf den Markt bringen. Allein für Polypropylen – angewendet etwa als Joghurtbecher, Strohhalm oder in Teppichen - gibt es weltweit 900 verschiedene Additive.

In diesen werden eine Reihe von hochproblematischen Stoffen eingebracht, vor allem die chlorierten Plasten gehören dazu, weil sie Recycling praktisch unmöglich machen und die Umwelt vergiften.

 

Michael Braungart

Der Verfahrenstechniker, Jahrgang 1958, entwickelte zusammen mit William McDonough das Cradle-to-cradle-Konzept, mit dem der Stoffkreislauf und dessen Umweltwirkungen „von der Wiege bis zur Bahre“ analysiert werden muss. Braungart ist Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts.

Wäre die Welt besser, wenn es nur vier, fünf verschiedenen Plastiksorten gebe?

Besser würde ich nicht sagen: Sie wäre immerhin weniger schlecht! Wenn wir schon Plastik einsetzen, müssen wir sicherstellen, dass es wieder genutzt wird. Man könnte beispielsweise alle Verpackungen aus drei Kunststoffen herstellen, und zwar aus reinen Kunststoffen. Nylon zum Beispiel ist solch ein Plastik, das sich sehr gut in die ursprünglichen chemischen Substanzen zurückverwandelt ließe und dann erneut polymerisiert werden kann.

Allerdings ist ein solches Recycling nur machbar, wenn das Nylon tatsächlich rein ist: Schon wenn diesem Rohstoff Pigmente etwa zur Farbgebung beigemischt werden, verliert Nylon die guten Eigenschaften. Eines der umweltschädlichsten Pigmente ist beispielsweise das kupfer-chlorhaltige Grünpigment, was etwa bei den Biermarken Jever, Becks oder Heineken zum Einsatz kommt: Wer solche Stoffe im Verpackungsmüll hat, kann damit nichts Vernünftiges mehr anfangen.

Sie haben ein Pfandsystem vorgeschlagen: Wie soll das funktionieren?

Wir müssen zunächst verhindern, dass sozial benachteiligte Menschen die Zeche bezahlen. Deshalb schlage ich vor, dass alle Kunden eine Pfandkarte bekommen, auf der 30 Euro Pfand gebucht sind. Damit könnten sie etwa 150 verschiedene Gegenstände einkaufen, dann wäre das Pfand aufgebraucht.

Aber sie würden die Verpackungen ja wieder zurückzubringen. Plastikflaschen aus PET lassen sich sechs, sieben Mal recyceln für denselben Zweck, und zwar in Lebensmittelqualität. Das gilt auch für Polypropylen, aus dem beispielsweise der Deckel der Tic-Tac-Verpackung gemacht ist. Wichtig ist, diese Verpackungen sortenrein zu haben.

Die Deutschen sammeln ihren Müll nicht richtig?

Das Problem sind die Hersteller! Dosen aus Metall werden mit Plastik beschichtet und so unrecyclebar. Papiertaschentücher verrotten jahrelang nicht, weil ihnen ein Kunststoff als Bindemittel beigemischt wurde. Ein einziger Joghurtbecher kann bis zu 600 verschiedene Chemikalien enthalten, weil er möglichst leicht und billig sein soll: Antioxidantien, Hitze-Kälte-Stabilisatoren, Füllstoffe.

Ein großes Problem ist PVC, das immer noch zwei Prozent des Plastiks von Verpackungen ausmacht. Weil es genau die gleiche Dichte wie PET hat, lassen sich beide Materialien nicht gut trennen. Also kann man sie auch nicht recyclen.

Warum passiert nichts?

Die Politik war in den letzten 25 Jahren mit anderen Dingen beschäftigt. Und dann gab es ja den Grünen Punkt, der suggerierte, das wir das Problem im Griff haben. Aber seit seiner Einführung in den 90er Jahren ist kein einziger giftiger Klebstoff, kein einziges giftiges Pigment vom Markt verschwunden.

Der Gesetzgeber schützt uns zu wenig?

Das sollte wie bei der sexuellen Selbstbestimmung sein: So wie wir ein Recht darauf besitzen, sexuell nicht belästigt zu werden, so haben wir auch ein Recht darauf, dass wir nicht von Mikroplastik belästigt werden. Wir haben ein Recht darauf, dass wir das Zeug nicht über unsere Nahrung, über die Atemluft in unsere Körper aufnehmen müssen.

Was müsste passieren, damit wir – um in ihrem Bild zu bleiben – vor der mikroplasteriellen Belästigung geschützt werden?

Zuerst einmal müssten PVC und die Giftstoffe in allen Verpackungen verboten werden. Zweitens: Man müsste auf die Verpackungen drauf schreiben was drin ist – und nicht, was nicht drin ist. Drittens müsste man die Erzeuger der Plasten in die Verantwortung nehmen, ihr Zeug auch tatsächlich selbst zu entsorgen. Viertens wäre wichtig, dass immer mehr Verpackungen zum Einsatz kommen, die biologisch abbaubar sind. Und wir brauchen fünftens einen anderen Umgang mit dem Thema.

Nämlich?

Bei Windeln zum Beispiel: 20 Prozent des Hausmülls sind hierzulande Babywindeln. Ein Baby braucht im Durchschnitt 5.000 Windeln zum Heranwachsen. Das Abfallproblem schieben die Hersteller aber auf die Kommunen ab, die sich um die Entsorgung kümmern müssen. Die Hersteller verdienen hervorragend am etablierten System, es zahlt die Allgemeinheit.

Gebe es in jedem Windelladen ein Rückführsystem, würden sicherlich die Händler ganz anders mit dem Thema umgehen! Warum nicht eine Hightech-Babyverpackung konstruieren, die man zum Beginn seines Einkaufs abgibt und danach superrein gewaschen zurückbekommt.

Das gibt einen Aufschrei!

Warum? Wir haben bei Untersuchungen in Israel die Wasserspeicher der Windel geändert: von Polyacrylaten auf natürliche Zellulose. Die Plastikfasern sind problematisch für die Umwelt, die Zellulose nicht. Nach der Nutzung könnte der Zellulose-Windelspeicher in der Wüste ausgebracht werden; wir könnten Bäume darauf pflanzen. Ein Baby würde derart kohlenstoffpositiv! Wir müssen neu denken: Alle Dinge, die in die Biosphäre zurück gelangen können, müssen natürlich sein.

Wenn Sie für einen Tag König in Deutschland wären: Was würden sie zuerst tun?

Als erstes würde ich Pfand auf alle Verpackungen einführen. Zweitens würde ich eine Liste mit problematischen Kunststoffen erstellen – und diese per Gesetz verbieten. Drittens schließlich würde ich das Augenmerk viel stärker auf das Mikro-Plastik-Problem legen: Allein durch den Abrieb unserer Kunststoff-Schuhsohlen produziert jeder Deutsche statistisch betrachtet 107 Gramm dieser Kleinstpartikel pro Kopf und Jahr. Beim Abrieb der Autoreifen sind es sogar 1,3 Kilogramm!

Für mich ist Donald Trump der ehrlichere Lügner. Während der sagt, was er denkt, wurde hierzulande noch vor drei Jahren ganz legal Plastikmüll in Bergwerke verbracht – deklariert als „Wertstoff“. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit bei diesem Problem!