Werner Scooler - Von der gescheiterten Ausreise bis zur Ermordung

Werner, Dan, Liesel mit Rose Scooler um 1938

Werner Scooler heiratete im Oktober 1936 Liesel Schwab in der Synagoge in Dresden. Sie war ausgebildete Wohlfahrtspflegerin und arbeitete als Landespflegerin im Sächsischen Israelitischen Gemeindeverband in Dresden. 1937 wurde ihr Sohn Dan geboren.

Werner Scooler hatte bereits 1935 begonnen, sich nach Auswanderungsmöglichkeiten umzusehen. Das zeigt ein Bescheid des Finanzamtes Pirna vom 17. September 1935 über eine zu entrichtende Reichsfluchtsteuer. Diese Steuer wurde fällig, wenn der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben werden sollte. Mehr ist zu Werner Scoolers Auswanderungsplänen Mitte der 1930er Jahre allerdings nicht bekannt.

1938 begann Werner Scooler Vorbereitungen für eine Auswanderung. Werner und Walter Scooler ließen sich ihre Lebensversicherungen auszahlen und lösten ihre Wertpapierbestände auf, um das Geld bei der geplanten Auswanderung transferieren zu können. Auswanderungsziele wie Peru und Australien scheiterten. Werner Scooler wollte dann mit seiner Frau Liesel und seinem Sohn Dan ins britische Mandatsgebiet Palästina. Die Verhandlungen und Vorbereitungen waren langwierig; Werner Scooler wollte möglichst viel vom Familien- besitz retten und mitnehmen.



Die Vorbereitungen zur Auswanderung nach Palästina liefen zunächst gut an. So tauschte Werner Scooler Reichsmark in englische Pfund und schloss mit dem Palästina-Amt einen Vertrag zur landwirtschaftlichen Niederlassung in Palästina ab. Damit verbunden war die Zahlung eines sogenannten Vorzeigegeldes, das Werner Scooler sofort überwies. Einen Monat nach Vertragsabschluss wurden Werner Scooler und seine Familie für die Auswanderung angenommen. Es wurde eine Erste-Klasse-Kabine auf dem Schiff Marco Polo für ihn und seine Familie reserviert. Allerdings kam es dann zu Problemen; Zertifikate fehlten und das Vorzeigegeld ist aufgrund eines Fehlers zu spät beim Palästina-Amt eingegangen, weswegen keine Einreise- papiere ausgestellt wurden. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 war eine Auswanderung fast unmöglich.



Die Auswanderung von Werner, Liesel und Dan Scooler scheiterte mit katastrophalen Folgen. Denn so musste die Familie in Dresden bleiben, wo sie gezwungen war, im sogenannten Judenhaus Kyffhäuserstraße 15 zu wohnen. Es ist nichts über das Leben der Familie zwischen 1939 und 1941 bekannt. Am am 20./21. Januar 1942 wurden Werner, Liesel und Dan Scooler mit etwa 1.000 weiteren Dresdner und Leipziger Jüdinnen und Juden ins Ghetto Riga (heutiges Lettland) deportiert.1



Durch Zeitzeug*innenberichte der wenigen Überlebenden ist bekannt, dass die Waggons bei der Deportation trotz eisiger Temperaturen ungeheizt waren. Es gab keine Verpflegung und kaum zu trinken. Der Pirnaer Jude Esra Jurman berichtet von der Deportation:

»Ein SS-Mann kommt in einen Wagen und erkundigt sich, ob alles in Ordnung sei. Als Leute meinten, es sei kalt, wollte er sofort wissen, wer das geäußert hätte. Als er keine Antwort erhielt, drohte er, alle im Wagen anwesenden Personen zu erschießen, wenn die Betreffenden sich nicht sofort melden würden. Schließlich meldeten sich zwei, ein Junge von ungefähr 14 Jahren und ein Mann von ungefähr 60 Jahren. Sofort schlägt die SS auf sie ein. Man zwingt die beiden, auf das Wagendach zu klettern, und während der Zug zu fahren anfing, dort hin und her zu laufen. Nach einer Stunde dürfen sie wieder in den Wagen. Dies geschah auf unserer Reise durch Litauen, und draußen herrschten über 30 Grad Kälte.«2

Drei Tage nach Beginn der Deportation erreichte der Zug Riga und damit das Ghetto. Im Ghetto von Riga verliert sich die Spur der jungen Familie. Es ist nicht bekannt, wann und unter welchen Umständen Werner, Liesel und Dan Scooler ermordet wurden.3

Die Hinterbliebenen stellten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Nachforschungen an, um Werner, Liesel und Dan Scooler zu finden – doch ohne Ergebnis.

Quellen:

1 Hugo Jensch: Familie Scooler, Porschendorf.

2 Hugo Jensch: Juden in Pirna. Mit Berichten von Max Tabaschnik, Ilse Fischer, geb, Engler und Esra Jurmann, S. 80-81

3 Hugo Jensch: Familie Scooler, Porschendorf.

Auswanderung und Exil // Ghetto und Vernichtungslager

Auswanderung und Exil

»Alles war auf der Flucht, alles war nur vorübergehend, aber wir wußten noch nicht, ob dieser Zustand bis morgen dauern würde oder noch ein paar Wochen oder Jahre oder unser ganzes Leben.«1

Anna Seghers: "Transit"

Mit der Machtübernahme durch die NationalsozialistInnen 1933 gab es kaum noch Sicherheit für Andersdenkende und -lebende, politische Gegner*innen, Jüdinnen*Juden, Sint*ezze und Rom*nja und die vielen weiteren Verfolgtengruppen. Viele entschieden sich für Flucht und Auswanderung; den wenigsten gelang sie.



Die Emigration aus Deutschland hatte mehrere Höhepunkte, die auf politische Maßnahmen und Entwicklungen folgten. In den ersten Wochen und Monaten nach der Machtübernahme verließen vor allem politische Gegner*innen aus Angst vor Repressalien und Verfolgung Deutschland. Unter ihnen waren viele Künstler*innen, Journalist*innen und Schriftsteller*innen, denen die Nationalsozialist-Innen jede Schaffensgrundlage genommen hatten. Zuerst flohen die Verfolgten nach Frankreich und in die Tschechoslowakei; Paris und Prag waren wichtige Zentren des politischen Exils.



Mit Beginn der antijüdischen Gesetze und Maßnahmen begannen auch Jüdinnen*Juden, Deutschland zu verlassen. Nach dem Geschäftsboykott im April 1933 und der sich anschließenden antisemitischen Gesetze verließen etwa 37.000 Jüdinnen*Juden Deutschland. Aufgrund der Nürnberger Gesetze, die Jüdinnen*Juden ihre politischen Rechte nahmen, folgte 1935 die zweite große Auswanderungswelle. Nach den Novemberpogromen 1938 setzte eine regelrechte Massenflucht ein. Bis zum endgültigen Auswanderungsverbot 1941 gelang etwa 300.000 deutschen Jüdinnen*Juden die Flucht.



In den ersten Jahren nach der Machtübernahme durch die NationalsozialistInnen emigrierte die Mehrheit der Jüdinnen*Juden zunächst in westeuropäische Nachbarländer. Doch durch die geografische Expansion der NationalsozialistInnen waren die sicheren Fluchtziele immer weiter entfernt. Schließlich suchten Jüdinnen*Juden in der ganzen Welt nach einem sicheren Ort.



Flucht und Auswanderung waren mit hohen bürokratischen Formalitäten verbunden. Es brauchte viele Dokumente und Belege. Schiffsplätze mussten gebucht, Transits und Visa organisiert werden. Es herrschten Unsicherheit, Angst, Warten – nicht nur in Deutschland, sondern auch an den europä-ischen Außengrenzen, um Europa mit dem Schiff verlassen zu können. Für all dies mussten Flüchtlinge und Emigrierende viel Geld bezahlen. Für viele waren dies unüberwindbare Hindernisse.



Katastrophal war auch, dass kaum ein Land seine Grenzen für Flüchtlinge aus Deutschland öffnete. Viele Länder wie das britische Mandatsgebiet Palästina, Großbritannien, Kanada, Südafrika nahmen nur wenige jüdische Flüchtlinge aus Deutschland auf. Edith Frank, die Mutter von Anne Frank, schrieb Ende 1937 in einem Brief an eine Bekannte in Buenos Aires:

»... ich glaube, alle deutschen Juden suchen heute die Welt ab und können nicht mehr rein.«2

Nur Initiativen, um Kinder in Sicherheit zu bringen, hatten noch etwas Erfolg. Mit den sogenannten »Kindertransporten« konnten 1938 und 1939 fast 10.000 jüdische Kinder nach Großbritannien auswandern. In den meisten Fällen waren sie die einzigen in ihrer Familie, die die Shoah überlebten.



Wem Flucht und Auswanderung gelang, musste sich im Aufnahmeland mit Gefühlen wie Orien-tierungslosigkeit, Existenzbedrohung, Sprachprobleme, Geldmangel und politische Unmündigkeit auseinandersetzen. Aber oft auch mit Heimweh und der Angst um daheim gebliebene Verwandte und Freund*innen.



Ab 1941 verboten die NationalsozialistInnen Jüdinnen*Juden auszuwandern, denn sie sollten vernichtet werden.3



Ghetto und Vernichtungslager

Während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) wurden für die von den NationalsozialistInnen deportierten Jüdinnen*Juden zwischen 1.100 und 1.200 Ghettos eingerichtet, die sich ausschließlich in den von den NationalsozialistInnen okkupierten Gebieten befanden wie Polen, Tschechoslowakei und die Sowjetunion. Meist waren die dort vorher lebenden jüdischen Einwohner*innen schon ermordet. Die Ghettos dienten der Internierung, der Zwangsarbeit und der Vernichtung der europäischen Jü-

dinnen*Juden. Sie waren auch Durchgangsstationen in die Vernichtungslager.



Die Ghettos waren in ihrer Struktur sehr unterschiedlich. Trotzdem hatten sie Gemeinsamkeiten: Sie waren in sich geschlossen und die Jüdinnen*Juden waren gezwungen, dort zu wohnen. Ghetto-bewohner*innen durften das Ghetto nicht unerlaubt verlassen. Sie durften keinen Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen oder an die Absperrungen herantreten. Auf unbefugtes Verlassen der

Ghettos oder auf das Schmuggeln dringend benötigter Lebens- und Arzneimittel stand die Todesstrafe.



Der Alltag in den Ghettos war geprägt von Mangel an Nahrung und Wohnraum, schlechtesten hygienischen Bedingungen, von Krankheit und Tod. Täglich starben vor allem Kinder und alte Menschen aufgrund der katastrophalen Verhältnisse. Ausbeutung durch Zwangsarbeit, Kontrolle und Terror durch die WärterInnen waren ebenso zentraler Bestandteil des Alltags.



Der im Rigaer Ghetto (Lettland) internierte Esra Jurmann beschreibt das Leben im Ghetto so:

»Die erste Nacht im Ghetto verbrachten wir mit 10 Personen in einem kleinen Zimmer. Am nächsten Morgen wurden uns sogenannte Wohnungen zugewiesen. Wir bekamen ein Zimmer nebst Küche. Außer meiner Mutter, meinem Bruder und mir mußten wir dieses Zimmer mit 4 anderen Personen teilen. Die Küche stand auch für die Bewohner des nächsten Zimmers zur Ver-fügung, so daß auf einem schlechten Herd für ungefähr 13 Personen gekocht werden mußte. Letzteres war kein großes Problem, denn meistens gab es nichts zu kochen, außerdem fehlte es uns an Heizmaterial. Unsere täglichen Rationen bestanden aus einer kleinen Rübe, 220 Gramm »Brot«, gebacken aus Kartoffel­schalen, welches sauer schmeckte und feucht und schwarz wie der Fußboden war. Ferner gab es einmal in der Woche 10 Gramm Margarine und 100 Gramm Grütze. Das war alles. [...] wir waren natürlich stets hungrig. Wir begannen daher die schlimm-sten Abfälle zu essen. Mein Bruder wurde krank, er bekam Lungenspitzenkatarrh. Die Lage ver-schlechterte sich zusehends, und von den Leuten, die mit uns im Zimmer wohnten, waren drei Personen bereits gestorben.



Eines Tages kam ein Soldat und suchte Frauen zur Arbeit. Meine Mutter ging mit und arbeitete beim H.V.M. (Heeres-Verpflegungs-Magazin). Dort war eine Kolonnenführerin, die ebenfalls geschmiert werden mußte, um das Privileg zu haben, dort arbeiten zu dürfen. Im Ghetto wurden fortwährend neue Verbote erlassen. So kam z. B. ein Befehl, daß alles Geld, Gold, Silber, Uhren, Füllfederhalter usw. abgegeben werden mußten. Wer im Besitz dieser Gegenstände erwischt wurde, wurde mit dem Tod durch Erhängen bestraft. Jeden Tag konnte man am schwarzen Brett Anzeigen etwa folgenden Inhalts lesen: Wegen Tauschhandels oder Diebstahls aus Heeresgut oder verbotenen Besitzes von Geld usw. wurden mit dem Tode bestraft: die Namen folgten. [...] Jeder Tag brachte Angst und Schrecken. Mußte ich doch stets gewärtig sein, daß meine Mutter mal beim Tauschhandel erwischt wird. Anderer­seits verdanke ich mein Leben nur diesem Tauschhandel, den meine Mutter betrieb. Andernfalls wären wir glatt verhungert.«4

1942 begannen die NationalsozialistInnen damit, die Ghettobewohner*innen systematisch zu erschießen oder zu deportieren.



Insgesamt war die Hälfte aller ermordeten Jüdinnen*Juden Europas gezwungen, in einem Ghetto zu leben.5

Die Ghettos waren eine weitere Stufe der Verfolgung europäischer Jüdinnen*Juden durch die NationalsozialistInnen. Die letzte Stufe waren die Vernichtungslager. Am 20. Januar 1942 wurde in der Berliner Wannsee-Konferenz beschlossen, die bereits begonnene massenhafte Vernichtung der europäischen Jüdinnen*Juden industriell zu beschleunigen. Um den systematischen Massenmord durchzuführen, wurden in Polen sechs Vernichtungslager eingerichtet: Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Majdanek und Auschwitz-Birkenau. In diesen Lagern wurden mehr als drei Millionen Menschen durch Gas ermordet – darunter vor allem Jüdinnen*Juden, aber auch Rom*nja und Sinte*zze.



Anders als in Konzentrationslagern, wo Inhaftierte vor allem durch Erschießen, Erschlagen, Krank-heit, Unterernährung, Seuchen und unmenschliche Arbeit zu Tode kamen, dienten die Vernichtungs-lager nur der sofortigen Ermordung der Deportierten. Alle Deportierten wurden sofort nach dem Transport in das jeweilige Lager in den Gaskammern ermordet. Nur ganz wenige Menschen wurden ausgewählt, um Zwangsarbeit im Lager oder für Rüstungsfabriken in Nebenlagern zu leisten. Sehr wenigen Häftlingen gelang es zu überleben.



Die Deportationen und der Massenmord wurden bis Ende 1944 fortgesetzt. Doch obwohl der Massenmord in den Gaskammern auf eine Anweisung Heinrich Himmlers, Chef der SS, beendet wurde, starben weiterhin viele Häftlinge durch Misshandlungen, Hunger und Krankheiten.



Das bekannteste Vernichtungslager ist Auschwitz-Birkenau – allein dort wurden über eine Million Jüdinnen*Juden, 70.000 Pol*innen, 25.000 Rom*nja und Sinte*zze und etwa 15.000 Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und anderen Ländern ermordet. Die rauchenden Schornsteine wurden weltweit zum Symbol für den Holocaust.6



Quellen:

1 Anna Seghers: Transit. 2013, S. 38

2 www.annefrank.org

3 www.bpb.de, www.dhm.de, www.annefrank.org

4
Hugo Jensch: Juden in Pirna. Mit Berichten von Max Tabaschnik, Ilse Fischer, geb.

Engler und Esra Jurmann
, S. 80–84

5 www.bpb.de, www.dhm.de, www.holocaust.cz

6 www.yadvashem.org, www.yadvashem.org

 

Zum Lesen:

Die Internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem dokumentiert die nationalsozialistische Verfolgung der Jüdinnen*Juden und erinnert an sie. Die Internetseite bietet viele Materialien, Videos und Dokumente in mehreren Sprachen:

www.yadvashem.org/de



Zum Schauen:

»Shoah« von Claude Lanzmann ist ein ­Dokumentarfilm von 1985, in dem Zeitzeug*innen zur Shoah befragt werden. Es sind vor allem Interviews und langsame Kamerafahrten durch die Orte der Vernichtung zu sehen.



Zum Besuchen:

Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau

ul. Wiezniów Oswiecimia 20 | 32-620 Oświe ̨cim

E-Mail: muzeum@auschwitz.org.pl

Website: www.auschwitz.org.pl