Aktuell ist Kohle das zentrale Thema: Aber wir bringen mehr Themen in den öffentlichen Diskurs

Interview

Limity jsme my (We are the limits) in Tschechien gehört zu einer internationalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Im Interview formulieren sie ihre Ideen einer klimagerechten und solidarischen Welt und berichten über Projekte in Tschechien.

Lesedauer: 6 Minuten
Besetzung eines Kohlebaggers in Tschechien

Könnt Ihr Euch kurz vorstellen? Wer seid Ihr und was macht Ihr?

Wir nennen uns Limity jsme my (We are the limits).

Wir gehören zu einer internationalen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Wir wirken hauptsächlich in Tschechien, aber begrüßen unter uns Menschen aller Länder und Kulturen. Wenn es die Situation erlaubt, so fahren wir auch zu unseren ausländischen Kameraden aus der Klimabewegung, um deren Aktionen zu unterstützen.

Unsere zentrale Motivation ist eine schnelle Reaktion auf die Klimakrise und eine Abschwächung der Folgen. Zudem wollen wir einen besseren und nachhaltigen Lebensstil aufzeigen, der auf Respekt, Solidarität und Rücksichtnahme beruht.

Warum und wann habt Ihr Euch gegründet? Gab es einen konkreten Auslöser oder Anlass?

Wir haben uns 2015 gegründet, als Reaktion auf den Vorstoß der Regierung die Grenzen für die Braunkohleförderung in Nordböhmen aufzuweichen. Das hätte im schlimmsten Fall die Auslöschung der Ortschaften Horní Jiřetín und Černice bedeutet. Gemeinsam mit vielen tausenden Menschen aus der ganzen Republik stellten wir uns 2015 gegen die Überschreitung der Förderlimits in den Gruben Bílina und ČSA in Nordböhmen.

Die weitere Förderung bedroht nicht nur die Natur und die Gesundheit sowie die Häuser der Menschen in den Kohleregionen. Die fossilen Brennstoffe sind Hauptverursacher der Treibhausgasemissionen und damit auch des Klimawandels. Die Klimakrise ist ein globales Problem. Deshalb bekennen wir uns zu der globalen Bewegung und unterstützen Klimagerechtigkeit weltweit.

Welche Ziele verfolgt Ihr konkret?

Wir streben ein schnelles und gerechtes Ende der Förderung und Verbrennung von Kohle und allen anderen fossilen Brennstoffen an. Wir wollen Klimagerechtigkeit und einen gerechten Übergang zu einer kohlenstofffreien Ökonomie durchsetzen. Dabei genügt es nicht, fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energie zu ersetzen. Wir brauchen eine Verringerung des Verbrauchs und eine demokratische, dezentrale Energieversorgung, also kleinere Erzeuger erneuerbarer Energien, im Eigentum der Gemeinden, Kommunen und Genossenschaften.

Für uns ist nicht akzeptabel, dass der Klimawandel die gesellschaftlichen und ökonomischen Unterschiede noch vertieft. Wir brauchen im Gegenteil eine gerechtere und nachhaltige Welt, die nicht auf ständigem Wachstum beruht. Maßstab des Erfolgs sind nicht Produktion und Konsum, sondern nachhaltige Bedingungen für das Leben.

Welche Projekte wollt Ihr uns ein bisschen näher erläutern?

Die tschechische Regierung soll bald den endgültigen Kohleausstieg in der Tschechischen Republik beschließen. Ihre Kohlekommission schlug dafür das Jahr 2038 vor. Wir streben an, dass die Regierung einen näheren Termin bestimmt und eine gerechte Transformation und demokratische Energieerzeugung auf der Basis erneuerbarer Energien unterstützt.

Protest der Klimagerechtigkeitsbewegung "Limity jsme my"

Wir haben eine Reihe von Aktionen, Demonstrationen, Diskussionen und Workshops zum Thema Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit veranstaltet.

Unsere größte und bekannteste Aktion war ein Klimacamp – wir haben schon vier tschechische Klimacamps durchgeführt, zuletzt ein Aktionswochenende und im Sommer 2020 in Nordböhmen eine Radtour für das Klima.  

Wir haben eine Schatten-Kohlekommission initiiert, in der Experten und Menschen aus von der Förderung und Verbrennung von Kohle betroffenen Region vertreten sind. Diese Kommission schlug der Regierung einen Alternativplan für den Kohleausstieg vor.

Und wir widmen uns in dem Podcast Trhlina der Klimagerechtigkeit.

Da ist ne Menge los bei Euch! Welche Verbündete habt Ihr denn bei Euren Projekten?

Wir kooperieren mit weiteren Klimabewegungen, Bürgerinitiativen und gemeinnützigen Organisationen in Tschechien und weiteren Ländern. Wir bemühen uns, auch mit den Gewerkschaften und den Menschen aus den Kohleregionen ins Gespräch zu kommen – wir veranstalten öffentliche Diskussionen und gemeinsame Aktionen.

Wie sieht denn Eure Arbeit in Zeiten der Corona-Pandemie aus?

Während der Pandemie haben wir die meisten Aktivitäten ins Internet verlagert. Gelegentlich kommen wir zu kleineren, dezentralen Aktionen zusammen. Die Zeit des Lockdowns bietet uns aber auch eine Gelegenheit, uns mit internen Themen zu befassen, wie emotionaler Unterstützung und Resilienz.

Seht Ihr die Corona-Krise eher als Rückschlag oder als eine Chance der Bewegung für Klimagerechtigkeit?

Krisen können das offenlegen, was sonst verdeckt bleibt. Sie zeigen die Ungleichheiten und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, die Notwendigkeit von Fürsorge und Solidarität. Wie auch bei anderen Krisen – einschließlich der Klimakrise – trifft sie hauptsächlich die Benachteiligten der Gesellschaft: Arme und Alte, Frauen, Menschen mit anderer Hautfarbe, Angehörige von Minderheiten und Behinderte. Auch Menschen aus dem Süden unseres Erdballs sind stärker gefährdet.

Deshalb müssen wir auf diese Diskrepanzen aufmerksam machen und Solidarität zwischen Menschen und Kommunen und international durchsetzen.

Wir dürfen nicht dem Mythos unterliegen, dass wir wegen der Pandemie und der geschwächten Ökonomie uns eine grüne Transformation nicht leisten können. Das Gegenteil ist der Fall. Die beste Investition wäre in eine nachhaltige, gerechte und freie Gesellschaft, sofern diese Veränderungen den Menschen dienen.

Was ist bislang Euer größter Erfolg?

Die Bewegung für Klimagerechtigkeit hat noch einen langen Weg vor sich. Ein Erfolg besteht darin, dass sich uns andere Menschen anschließen – direkt bei unseren Aktionen, aber auch durch Unterstützung in den Netzwerken oder durch Zuwendungen. Jahr für Jahr bekommt die Klimabewegung mehr Raum in den Medien und die Öffentlichkeit unterstützt unsere Themen und Gedanken immer mehr. Bei den Klimacamps zeigen wir wiederholt, dass eine bessere Welt möglich ist, dass wir nachhaltig und rücksichtsvoll leben, einander helfen und die lokalen Kommunen sowie den Planeten unterstützen können.

Welches Thema ist gerade für Euch besonders wichtig?

Aktuell ist in unserem Land die Kohle das zentrale Thema. Aber wir bringen breitere Themen in den öffentlichen Diskurs – von der Demokratisierung der Energieerzeugung über die Spaltung der Gesellschaft bis hin zu einer Zukunft ohne Wachstum.

An welchen Stellen wünscht Ihr Euch mehr Unterstützung und Engagement für Eure Themen von Politiker*innen im eigenen Land, der EU und global?

Die Politiker sollten sich für einen unverzüglichen Rückzug aus der Kohle und anderen fossilen Brennstoffen einsetzen. Ersatz durch Gas (auch ein fossiler Brennstoff) und auch Kernenergie sind keine Lösung. Wir brauchen deshalb mehr Unterstützung für die erneuerbaren Energien und eine kommunale und genossenschaftliche Energieerzeugung.

Eine gerechte Transformation muss lokale Gemeinschaften unterstützen, gute und stabile Arbeitsplätze schaffen und nicht nur Investoren Gelegenheiten für neuen Profit anbieten. Auf allen Ebenen der Politik muss gewährleistet werden, dass Maßnahmen zur Abmilderung und Anpassung an den Klimawandel rechtzeitig erfolgen und vor allem sozial gerecht sind.

Wo würdet Ihr Euch mehr Unterstützung von der Zivilgesellschaft wünschen?

Klimabewegungen müssen eine möglichst breite Öffentlichkeit ansprechen. Daher müssen wir weitere Kontakte und Kooperationen knüpfen – besonders mit regionalen Initiativen und Vereinen in den Kohleregionen.

Bei welchen Themen würdet Ihr Euch gern mit deutschen Initiativen vernetzen bzw. seid Ihr bereits vernetzt? Mit wem und warum?

Wir stehen z.B. mit der Bewegung Ende Gelände und Fridays for Future im Austausch. Aber wir begrüßen prinzipiell Kontakte mit allen, die Klimagerechtigkeit unterstützen.

⇒ Interview in tschechischer Sprache