Lebensgrundlagen für kommende Generationen sichern

Interview

In der "enkeltauglichen Gemeinde" Nebelschütz im Osten Sachsens befindet sich derzeit die Stiftung Enkeltauglichkeit in Gründung. Wir sprachen mit dem Stifter Thomas Zschornak über Ziele und Arbeit der geplanten Stiftung.

Thomas Zschornak auf dem Rodelberg vor der Kita in Nebelschütz. Interessierten erklärt er, wie die Gemeinde zu ihrer ökologischen Kita kam.

Beginnen wir gleich mit dem Begriff, um den es heute gehen soll: Enkeltauglichkeit. Was verstehst Du darunter?

Thomas Zschornak: „Enkeltauglichkeit“ hat für mich eine größere Aussage als etwa Nachhaltigkeit. Wenn man hört, dass Atomkraft heute nachhaltig sein soll, weiß man, dass dieser Begriff von vielen für vieles genutzt wird – das Gute, das im Begriff der Nachhaltigkeit eigentlich mal drinsteckte, wird damit aufgeweicht, ja deformiert.

Enkeltauglichkeit ist für mich, wenn man sich bei all seinem Tun die Frage stellt, was wohl die Enkel dazu sagen werden, die später mal mit dem leben müssen, was wir ihnen hinterlassen. Was man heute macht, wird also sehr weit in nächste Generationen gedacht. Stichwort Ressourcenverbrauch: Je besser und schonender wir heute mit unseren Ressourcen umgehen, um so enkeltauglicher!

 

Wir sind heute in der Gemeinde Nebelschütz, die bereits seit Jahren und weit über die Grenzen Sachsens als „enkeltaugliche Gemeinde“ bekannt geworden ist. Du hast diese Entwicklung als Bürgermeister bis 2022 vorangetrieben. Vielleicht können wir anhand dessen den Begriff der „Enkeltauglichkeit“ konkreter werden lassen?

Thomas Zschornak: Bei der Dorfentwicklung, die wir in den letzten 30 Jahren nach vorne gebracht haben, haben wir Plätze geschaffen, die für die Gemeinschaft wichtig sind. Das ist ein wichtiger Punkt: Es geht nur gemeinsam.
Dann haben wir geschaut, welche Ressourcen das Dorf hat, was das Dorf benötigt, um sich selber auf die Beine zu stellen oder sagen wir, möglichst unabhängig zu sein. Früher haben sich ja die Dörfer selbst organisiert und von den eigenen Ressourcen gelebt. Und die wichtigste Ressource war unmittelbar auch der Mensch, weil auch die Leute im Dorf gewusst haben, wer welche Talente hat und somit konnte sich einer auf den anderen verlassen.

Wir müssen uns also wieder darauf besinnen, wie ein Dorf existieren kann, was alles dazugehört: angefangen bei Wasser, über Wegeverbindungen, Bäume, die für ein gutes Mikroklima wichtig sind, für die Selbstversorgung die Felder, die gesund sind; die Zusammengehörigkeit, die kommt, wenn das Dorf zusammenarbeitet. Das ist in den letzten Jahren total verloren gegangen und dort müssen wir einfach wieder hin. Und das alles zusammen, also als Ganzes gesehen, ist für mich enkeltauglich.

 

Bei unserem gemeinsamen Ausflug durch den Ort hast Du gesagt: „Es entsteht mit den Menschen.“ Diesen Satz fand ich sehr schön. Enkeltauglich würde ich dann so verstehen, dass die Menschen, das Miteinander, das Gemeinschaftliche im Zentrum stehen?

Thomas Zschornak: Der Gemeinde Nebelschütz gehören fünf Ortsteile an. Vor Jahren haben wir noch so gedacht, dass auch alle Ortsteile so funktionieren müssen wie der Hauptort, also Nebelschütz. Später dann haben wir verstanden, dass jeder Ort eine eigene Gemeinschaft war, die noch vor 100 Jahren für sich gelebt hat. Auch die Menschen selbst sind vielfältig. Wenn man sie vernünftig zusammenbringt, schafft man den Ort, wo sich alle wohlfühlen in dem Geschaffenen und sich auch gern einbringen. Uns ging es also darum, die Menschen mitzunehmen und allen die Möglichkeit zu geben, gestalterisch und schöpferisch sein zu können.

Ein Beispiel: Für unsere Kita im Ort haben wir die Kinder befragt, was beim Neubau nicht fehlen darf. Sie haben sich einen Rodelberg gewünscht, wir haben hingehört und ihn gebaut. Daran hätten wir als Erwachsene nicht gedacht.

Vielleicht noch ein anderes Beispiel: In der Gemeinde Nebelschütz hat jedes Dorf entschieden, wo es hingehen soll. Nicht der Bürgermeister und nicht der Gemeinderat, sondern das Dorf - in einem Dorfentwicklungsplan festgehalten.
Ein Dorf und Ortsteil von Nebelschütz ist mit 55 Einwohnern Dürrwicknitz: Es funktioniert für sich. Es gibt einen Badeteich, einen Kinderspielplatz und beides ist gemeinschaftlich geschaffen, auch mit Unterstützung der Gemeinde.

 

Das sind wichtige Erfahrungen und durchlebte Prozesse. Fließen sie auch in die Stiftungsarbeit ein? Und wenn ja, wie?

Thomas Zschornak: Wir haben uns auch die Frage gestellt, was soll die Stiftung am Ende machen; was ist unser „Talent“ in unserer Gemeinde? Und da sind wir wieder bei den Menschen, denn wir sind sehr gut vernetzt mit Menschen und Projekten, die im Entstehen sind. Auch können wir unseren Beitrag leisten, Menschen mitzunehmen, ihre Gedanken und ihre Vorstellungen einzubeziehen. Wir können eine typische Art Vorplanung leisten, wo man die Menschen  mit dazu nimmt. Das können z.B. Zukunftskonferenzen sein, wo man unterschiedliche Meinungen hört, gemeinsam diskutiert und  gemeinsam einen Konsens findet. Bei unserer nächsten Zukunftskonferenz sind wir auch viel zu Fuß unterwegs. Die Leute wollen auch was sehen. Sie brauchen bildliche Vorstellungen.

Die Kommunikation ist auch immer sehr, sehr wichtig. Wenn gute Projekte nicht gut kommuniziert werden, werden sie schnell in Frage gestellt, denn es gibt natürlich immer offene Fragen. Rasch  wird dann das Projekt selbst in Frage gestellt.

Wir wollen aber nicht nur die Leute sensibilisieren, sondern wichtig ist auch, den Prozess selbst zu begleiten, wenn etwas entsteht. Viele Projekte werden irgendwann nicht weiter fortgeführt, weil zum Teil die Bürokratie sehr groß ist oder hier und da Menschen ausfallen oder auch keine Lust mehr haben, weil der Weg sehr lang ist. Da braucht es immer wieder Motivation! Auch da kommen wir ins Spiel. Wir können fragen, wie wir sie unterstützen können, man ihnen vielleicht wieder Kraft geben kann. An dieser Stelle sind Netzwerke ganz wichtig.

Eine weitere wichtige Komponente bei der Umsetzung ist, wie ein Projekt vom Dorf auch mitgetragen wird. Wie können  sich die Leute selbst auch mit einbringen, dass es auch ihr Projekt wird? Mitwirkung schafft ein Gefühl, dass man sich wohlfühlt. Man kann stolz auf Erreichtes sein und hat vielleicht Mut gefasst, auch das Nächste anzugehen.

Wir können also von der Planung bis zur Umsetzung begleiten und unterstützen.

 

Ich stelle mir das schon sehr herausfordernd vor, wenn jetzt eine Gemeinde z.B. aus Sachsen-Anhalt auf Euch zukommt und Euch um Unterstützung bittet. Sich da erst mal einzuarbeiten, mit den Leuten das Gespräch zu suchen, das ist ja eine sehr, sehr aufwendige Sache...

Thomas Zschornak: Ich bin jede Woche unterwegs. Ich motiviere und gebe Erfahrung weiter.  In größeren Dörfern ist es schon manchmal nicht so einfach: Da hat man das Unterdorf, das Oberdorf. Dort muss man Möglichkeiten finden, wie man die Menschen zusammen und motiviert bekommt, Verantwortung für den Ort zu übernehmen und ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt mitzumachen.

 

Jetzt haben wir schon ganz viel über die Stiftungsarbeit gesprochen, dabei ist die Stiftung aktuell noch in Gründung. Wie ist denn der aktuelle Stand?

Thomas Zschornak: Es haben sich gute Menschen für die Arbeit in Vorstand und Kuratorium gefunden. Den Vorstand haben wir bewusst ziemlich klein gehalten. Das Kuratorium ist aktuell mit 3 Personen besetzt, aber nach oben offen. Alle, die sich dort mit einbringen wollen, die auch zu uns passen, auch menschlich zu uns passen, die sind gerne mit aufgenommen bei uns. Da sehen wir keine Grenzen.

Aktuell sind wir dabei, mit einem guten Anwaltsbüro die Satzung zur Genehmigung zu bringen. Die ist auf einem guten Weg.

Und wir brauchen 50.000 € als Grundkapital. Wir hoffen, dass wir das Geld bis Ende des Jahres zusammen haben, um dann rasch als Stiftung auch unterstützen zu können.

Aktuell machen wir alles ehrenamtlich und arbeiten aus eigener Tasche.
Später wollen wir professionell in die Prozessbegleitung gehen. Dann werden wir wohl ein Büro benötigen. Wir können uns gut vorstellen, später mit anderen Stiftungen, die auch gemeinnützig sind, Projekte zusammen zu denken und zu realisieren: Wir könnten voneinander lernen, aber jeder hätte seinen Schwerpunkt. Vielleicht könnte man gemeinsam ein kleines Büro unterhalten, wo vielleicht 1,2,3 Beschäftigte sich um die Projekte kümmern und Prozesse begleiten.

 

Warum habt ihr euch  für die Gründung einer Stiftung und gegen einen Verein entschieden?

Thomas Zschornak: Der Zweck der Stiftung ist fester als in einem Verein. Als gemeinnützige Stiftung wird man auch ernster genommen - denken wir uns -, wenn es um Projekte geht, die man unterstützen kann.

 

Was sind die wichtigsten Ziele Eurer künftigen Arbeit?

Thomas Zschornak: Uns geht es um die Sicherung guter Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen.

Im Detail wollen wir u.a. ein Bildungszentrum mit angeschlossenen Erprobungsflächen für enkeltaugliche Landwirtschaft aufbauen und unterhalten. Wir wollen Aus- und Weiterbildungen in den Themenfeldern Nachhaltigkeit, Biodiversität, Resilienz, Subsistenz, nachhaltige Wirtschaftsformen und Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements durchführen. Die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich regionaler Resilienz möchten wir fördern. Und auch der interkulturelle Dialog, insbesondere zwischen nationalen Minderheiten (Sorben/Wenden) und der nationalen Mehrheitsgesellschaft, soll gefördert werden.
Wir möchten Menschen beraten bei Vorhaben zur Landschafts-, Dorf- und Stadtentwicklung unter permakulturellen Gesichtspunkten mit dem Ziel der Erhaltung und Stärkung biologischer Vielfalt sowie der Implementierung landwirtschaftlicher und städtebaulicher Methoden zur Verbesserung des Klimaschutzes.
Und last but not least werden wir Stipendien für Forschungsvorhaben zu den Themen resiliente Kommunen, Permakultur, Boden, Ökologie und verwandten Bereichen vergeben sowie für Studienplätze in sogenannten grünen Studienfächern.

 

Das klingt nach weit gefächerter Zielgruppe! Wer kann mit welchen Anliegen zu Euch kommen?

Thomas Zschornak: Wem es gefällt, Unterstützung zu bekommen in dem Bereich, wo unsere Schwerpunkte liegen, kann kommen! Das können Vereine sein, aber auch private Personen oder Gemeinschaften, die vielleicht nicht organisiert sind, die vielleicht auch erst einen Prozess einleiten wollen für eine Dorfgemeinschaft oder vielleicht für ein gewisses Projekt. Erste Gedanken und Prozesse beginnen ja meistens im Privaten oder kleinen Raum. Schon dort versuchen wir zu helfen.

 

Also ganz an der Wurzel?...

Thomas Zschornak: … Ganz an der Wurzel. Im Entstehungsprozess, ja. Genau das ist es, wo ein Planungsbüro vielleicht schon den nächsten Schritt gehen will, da sagen wir vielleicht: Guck doch mal vielleicht noch einmal auf dieses oder jenes. Gemeinsam mit den Akteuren wollen wir Sensibilität entwickeln, die es schon im Vorfeld braucht.

 

(Das Interview führte Grit Ebert im März 2023)