Kann das ökologische Grundeinkommen eine Antwort auf die aktuelle ökologische und soziale Krise sein bzw. ein Türöffner in das Zeitalter der Postwachstumsgesellschaft? Mit Ulrich Schachtschneider, Ronja Weil und Katrin Langensiepen sprachen wir über Gerechtigkeit in der sozialökologischen Transformation.
Wie unter einem Brennglas zeigte die Corona-Pandemie die immer weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Vermögen, Chancen und Beteiligung sind extrem ungleich verteilt innerhalb Deutschlands, Europas, Globalem Norden und Globalem Süden. Das birgt enormes Konflikt- und Krisenpotential weltweit, aber auch für die Demokratie und Gesellschaft in Deutschland.
Angesichts immer vielfältigerer Arbeits-, Beschäftigungs- und Lebensrealitäten stößt in Deutschland das bestehende Sozialsystem immer öfter an Grenzen, bzw. war von Beginn an ungerecht - wie etwa bei Hartz IV und der Berücksichtigung von Care-Arbeit.
Durch Digitalisierung und Decarbonisierung brechen Wirtschaftszweige weg. Neu entstehende Arbeitsplätze mit oftmals noch komplexeren Anforderungen stehen nicht allen Arbeitsuchenden gleichermaßen offen, da durch ungleiche Bildungschancen beginnend in Kita und Schule Wege vorgezeichnet wurden, die später nur noch schwer zu verlassen sind.
Und als sei die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit nicht Herausforderung genug, schwebt über allem noch die Frage: Ob und wie wir als Menschen in einer Umwelt (über)leben werden, die wir gerade selbst in atemberaubendem Tempo zerstören. Was ist also zu tun: für Umwelt- und Klimaschutz und gegen die klaffenden Gerechtigkeitslücken?
Das besprachen wir am 18. Januar 2022 mit Dr. Ulrich Schachtschneider (Sozialwissenschaftler und Autor), der Aktivistin Ronja Weil und der Europaabgeordneten Katrin Langensiepen.
Alles anders?! Gerechtigkeit neu denken - BoellSachsen
Direkt auf YouTube ansehenDas ökologische Grundeinkommen
Wird das bedingungslose Grundeinkommen eher oft im Zusammenhang mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen aufgrund zunehmender Digitalisierung und Robotisierung sowie als Ausweg aus ökonomischer Armut gesehen, verbindet das ökologische Grundeinkommen eine Basissicherung mit Umweltschutz. Aus der Bepreisung von in Anspruch genommenen Umweltressourcen bzw. verursachtem CO2 (Tax) wird ein Budget aufgebaut. Dieses wird als Grundeinkommen, also einer existentiellen Basissicherung, an alle Menschen gleichermaßen zurück verteilt (Share). Ressourcenschonendes Verhalten schlägt weniger zu Buche als ein großer Verbrauch an Ressourcen. Die Bepreisung dürfte damit vor allem ökonomisch besser gestellte Menschen treffen, da sie vergleichsweise mehr konsumieren und weit über dem eigentlich angestrebten Klima-Fußabdruck liegen, wie es die jüngste Oxfam-Studie Carbon Inequality in 2030: Per capita consumption emissions and the 1.5C goal zeigte.
Bereits im Jahr 2014 erschien zum Thema das Buch von Ulrich Schachtschneider unter dem Titel "Freiheit. Gleichheit. Gelassenheit. Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle" im Oekom-Verlag.
"Die Grundqualitäten wie Freiheit, Gleichheit und Gelassenheit kamen eben aus der Idee heraus, mit dem sozialökologischen Umbau nicht nur das MUSS zu verbinden, sondern eben auch eine persönliche Befreiungsperspektive."
(Ulrich Schachtschneider)
Wie kann der ökologische Umbau mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft werden?
Anhand konkreter Thesen von Ulrich Schachtschneider (Thesen 1 bis 3) und Ronja Weil (These 4) kamen wir ins Gespräch:
1. Sicherheit im Wandel
Die sozial-ökologische Transformation braucht ökonomische und soziale „Sicherheit im Wandel“. Ökonomische Basissicherheit, nicht in materiell prekäre und /oder sozial entwürdigende Situationen geworfen werden zu können (Beispiel: Bedingungsloses Grundeinkommen, repressionsfreie Grundsicherung).
Dies hat Folgen für die Art und Weise, wie sich die Einzelnen in die Welt/ in die Gesellschaft gestellt sehen: Welt als Bedrohung/ Welt als Chance.
2. Reale Entfaltungsfreiheit
Die sozial-ökologische Transformation muss für die Einzelnen mit persönlicher Entwicklung/ bzw. Befreiung aus als einengend/bedrückend empfundenen Lebensverhältnissen verknüpft sein. Dies gilt besonders für den wesentlichen Lebensbereich der Arbeit. Authentische Arbeit ist zentral für weniger kompensatorischen und statusorientierten Konsum. Sie wird dann (eher) erreichbar, wenn es eine freie(re) Wahl der Arbeitsform (Erwerbsarbeit, Gemeinschaftsarbeit, Eigenarbeit), der Arbeitsgegenstände und des Zeiteinsatzes gibt: Verschiedene Work-Lifestyles of Degrowth in der „Arbeitsgesellschaft der Vielen“ müssen für alle Gesellschaftsschichten /-milieus möglich sein.
3. Materielle Ungleichheit verringern
Bei der Anwendung von ökonomischen und ordnungsrechtlichen Instrumenten für den ökologischen Umbau muss gleichzeitig eine Umverteilung von oben nach unten stattfinden, damit dieser nicht als Sache/Klientelpolitik der Wohlhabenden interpretiert werden kann.
4. Nur der Wandel hin zu einem sozial- ökologisch gerechten System genügt
Die Ausbeutung von Menschen, Ressourcen und unseren planetaren Lebensgrundlagen finden ihre Wurzeln im Kapitalismus. Während die reichsten Menschen der Welt die Klimakrise durch obszönen Konsum anheizen, leiden darunter vor allem Menschen, die kaum etwas zur Erhitzung des Klimas beitragen. Eine Besteuerung klimaschädlichen Verhaltens in Kombination mit einem Grundeinkommen für alle ist eine der vielversprechendsten Reformen innerhalb der Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftssystems. Wir müssen diesen Rahmen allerdings komplett sprengen, um den vielen Krisen unserer Zeit begegnen zu können und die Ausbeutung, die auf Diskriminierung und Entfremdung beruht zu stoppen.
Im Zusammenhang mit der Vorstellung seiner ersten These sieht Schachtschneider die größte Herausforderung, die Menschen mitzunehmen. Der größte Widerstand gegen Veränderung komme nicht aus der Wirtschaft, sondern von Menschen, die diese eher als Bedrohung wahrnehmen.
"In Gesellschaften, im Parlament könnte Einschneidendes beschlossen werden: schärfere Grenzwerte, soliarischste Umverteilung, schnellere Ausstiegspläne, mehr Commons... . Wenn das mehrheitlich gewollt wird, hätte Kapital wenig Veränderungsmacht." (Ulrich Schachtschneider)
Im Rahmen der zweiten These arbeitete Schachtschneider die Vorteile eines Grundeinkommens heraus: Zum einen wäre hier die persönliche Entfaltung zu nennen: Niemand müsse länger eine Erwerbsarbeit fortsetzen, allein um Wohnen & Leben zu finanzieren. Man könne freier wählen, was den Zeiteinsatz für Arbeit, aber auch die Art der Arbeit anbetrifft und eigenen Prioritäten Lauf lassen - sei es nun mit Erwerbsarbeit, als Gemeinschafts- oder Eigenarbeit, in Teil- oder Vollzeit. Grundeinkommen könne aber auch als Basis für Entschleunigung in einer Postwachstumsökonomie eine entscheidende Rolle spielen.
Die angestoßenen Prozesse aus These 1 und 2 kämen erst mittelfristig spürbar als positive Veränderung und Erfahrung im Zusammenhang mit einer sozialökologischen Transformation bei den Menschen an. Um die Menschen auf dem Weg dahin nicht (wieder) zu verlieren, müsse die materielle Ungleichheit beim Umbau rasch verringert werden. Dafür brauche es eine Umverteilung von oben nach unten, etwa durch eine Vermögensabgabe. Über diese ließen sich dann Umbauprozesse - wie etwa die energetische Gebäudesanierung oder die Stärkung des ÖPNV - finanzieren.
"System nicht reformieren. System beenden!" (Ronja Weil)
Für Ronja Weil geht das ökologische Grundeinkommen innerhalb des bestehenden Systems einen vielversprechenden Schritt, um ein Mehr an Gerechtigkeit mit Klima- und Umweltschutz zu verbinden. Allerdings müsse das Ziel ein kompletter Systemwandel sein, hin zu einem sozial gerechten und ökologischen System.
Von den anschließend zur Abstimmung gestellten Thesen erhielt die Forderung des kompletten Systemwandels (These 4) die meisten Stimmen.
Über aktuelle (europa-)politische Anstrengungen im Zuge der sozialökologischen Transformation Gerechtigkeit mitzudenken, berichtete die Europaabgeodnete Katrin Langensiepen - konkret kamen wir auf den Social Climate Fund der EU zu sprechen. Für sie sei es wichtig, dass die Menschen niedrigschwellig unterstützt werden, wenn sie durch Klima- und Umweltmaßnahmen in noch größere Bedrängnis geraten: Energiearmut sei hier ein wichtiges Stichwort. Aber auch Mobiltätsarmut sei ein Problem.
zu den Personen:
Dr. Ulrich Schachtschneider ist freier Sozialwissenschaftler, Energieberater, Bildungsarbeiter und bezeichnet sich selbst als "konkreter Utopist". Auf die Lehre folgten zwei Studiengänge zum Sozialwissenschaftler (Soziologie/ Umweltpolitik/-planung) und zum Diplom-Ingenieur in der Fachrichtung Energietechnik. Mit einem Herz, das für Mathematik und Technik einerseits und Gesellschaftspolitik und Soziales andererseits schlägt, beschäftigt er sich seit längerem mit der Frage, wie Nachhaltigkeit und moderne Gesellschaft zusammengehen könnten. In seinen Veröffentlichungen geht er Fragen des
(Post)Wachstums, sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Wegen aus der ökologischen Krise nach. 2014 erschien sein Buch zum Ökologischen Grundeinkommen (Ulrich Schachtschneider: Freiheit, Gleichheit, Gelassenheit. Mit dem ökologischen Grundeinkommen aus der Wachstumsfalle. Oekom-Verlag). Schachtschneider ist im Vorstand von UBIE (Unconditional Basic Income Europe), engagiert sich außerdem im Institut Solidarische Moderne und der Bundesarbeitsgemeinschaft Climate Justice
der Partei DIE LINKE. Aktuell baut er gerade die Arbeitsgruppe Ecology und Basic Income am FRIBIS (Freiburg Institut of Basic Income Studies) auf.
Ronja Weil ist Aktivistin und bemüht sich um die Verbindung von Klimakämpfen mit Kämpfen unter anderem im antirassistischen, mieten- und landwirtschaftlichen Kontext. So war sie 2020 - 21 Pressesprecherin des Bündnisses "Ende Gelände", das seit Jahren mit Aktionen zivilen Ungehorsams für einen Systemwandel und gegen das Versagen in der Klimakrise kämpft. 2021 hat sie außerdem Pressearbeit für die Aktionstage "Gerechtigkeit Jetzt" gemacht, die eine Intervention von 27 verschiedenen Bündnissen und Organisationen in die Koalitionsverhandlungen war. Dabei sind verschiedenen Bewegungen zusammen aktiv gewesen, um dafür zu sorgen, dass Themen wie Mietenpolitik, Klima und Migration nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ronja ist Sozialwissenschaftlerin und studiert derzeit Jura.
Katrin Langensiepen ist seit 2010 Mitglied bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Schon ein Jahr nach dem Parteieintritt wurde sie in den Rat der Stadt Hannover gewählt, wo sie als sozialpolitische Sprecherin aktiv war. Zugleich setzte sie sich als Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik für mehr Teilhabe und Solidarität ein. Von 2017 bis 2019 arbeitete sie im Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler und im Landtagsbüro von Filiz Polat und Belit Onay. Im Juli 2019 zog sie in das Europäische Parlament ein. Als Vize-Vorsitzende des Sozialausschusses im Parlament und
sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Greens/EFA engagiert sie sich für ein soziales Europa. Als Schattenberichterstatterin für den EU Social Climate Fund kämpft sie für soziale Gerechtigkeit bei der ökologischen Transformation in Europa.
Die Veranstaltungsreihe wurde in Kooperation mit weiteren Landesstiftungen und der Heinrich-Böll-Bundesstiftung im Rahmen des aktuellen Verbundprojekts „Wirtschaften mit Zukunft* ökologisch – demokratisch – sozial“ und in Zusammenarbeit mit dem Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. durchgeführt.