Claudia "Wanda" Reichardt kam nach Dresden. In der baufälligen Villa Marie fand sie eine Bleibe im Kreise einiger Künstler*innen und eröffnete später die private Galerie 'fotogen'. Auch wenn die Galerie 1987 verboten wurde: stoppen konnte man Wanda nicht. Ihre Sicht auf die Ereignisse um 1989 schilderte sie in einem Podiumsgespräch am 18. Oktober 2019 zu ostdeutschen Frauen*kämpfen und in diesem Interview.
Frage: Du hast 1982 die Villa Marie besetzt, dort bis 1990 gelebt und dort auch die Galerie "fotogen" betrieben. Wie war die Zeit? Was war das Besondere der Galerie und wie prägend war die Galerie für die Kunstszene in Dresden und über Dresden hinaus?
Antwort: Zunächst muss gesagt werden, dass in den Achtzigern der DDR in den Städten die Aneignung von Räumen (Wohnungen, Ateliers, Gärten) keiner besonders subversiver Energie bedurfte. Es stand viel leer, vergammelte und rief nach Pflege. Das waren natürlich Räume, die für kleinbürgerliche Verhältnisse nicht von Interesse waren, weil sie keinerlei Komfort besaßen – für unkonventionelle junge Leute jedoch absolut reizvoll und ziemlich einfach zu haben waren: Ein Dreh mit dem Dietrich (kennt man das Ding heute noch?) und schon war man am Ziel. Mit der Hausbesetzerszene des Westens der damaligen Zeit hatte das nicht sehr viel zu tun. In der DDR nannte man das ‚schwarz wohnen‘, also illegal.
Als ich 1982 nach abgebrochenem Studium wieder in Dresden ankam, brauchte ich ein paar Quadratmeter Lebensraum und in der zauberhaften Villa Marie am Schillerplatz wurde ein Zimmer frei. Es wohnten schon einige Künstler*innen dort und ich war glücklich, über 25qm mit Ofenheizung, Außentoilette und Warmwasser per Tauchsieder verfügen zu können.
Mit fortschreitender Zeit wurden weitere Räume im Haus frei und 1986 war Platz entstanden, eine eigene private Galerie einzurichten. Sie hieß ‚fotogen‘ und verfolgte das Konzept, fotografische Positionen zu zeigen. Parallel dazu verdiente ich meinen Lebensunterhalt im Studentenklub der Hochschule für Bildende Künste, wo wöchentlich Lesungen, Vorträge zu philosophischen Themen, Filmvorführungen und natürlich Ausstellungen stattfanden. Das Programm war so ausgerichtet, dass speziell Veranstaltungen ausgewählt wurden, die in anderen offiziellen Räumen keine Chance auf Öffentlichkeit hatten. Der Klub mit dem Namen ‚Wendel‘ war zwar auch ein öffentlicher Ort, zumindest zu den Abendöffnungszeiten, die HfBK war allerdings ein Ort mit besonderen Freiräumen, weil mehrere der verantwortlichen Akteure diese Denk- und Handlungsfreiheiten für bedeutsam und schützenswert hielten. Bei Aktivitäten in privaten Räumen wie der Villa Marie fehlte dieser Schutz und so wurde die Galerie kurzerhand 1987 verboten. Was uns nicht daran hinderte, weiterzumachen.
Frage: Was bedeutet der Begriff Feminismus für dich? Bezeichnest du dich als Femininistin? Oder wird dein Handeln einfach feministisch interpretiert, weil zu wenig Frauen das tun, was du tust?
Antwort: Ich war damals keine Akteurin, die sich als Feministin bezeichnen hätte und ich bin auch heute keine, nein! Es ist mir wichtig, für die Rechte von Frauen einzustehen, heute mehr als in den Achtzigern der DDR. Damals gab es auf dem Papier die gesetzliche Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die gibt es auch heute und wir alle wissen, wie anders sich das in der gesamtgesellschaftlichen Praxis darstellt. Vielleicht war die DDR in Fragen der praktischen Gleichberechtigung der Geschlechter eine Nase voraus, den gesellschaftlichen Diskurs mal ausgenommen, der hat heute sicher einen ganz anderen Drive.
Meine Branche, der Kunstbetrieb, ist nach wie vor deutlich von Männern dominiert, sowohl auf der Produktions- als auch auf der Distributionsebene. Und es ist das alte Lied: Es wird keiner kommen, der das einfach regelt und die Relationen verschiebt. Insofern sind alle Aktivitäten von Frauen für Frauen wichtig, um den Finger in der Wunde zu lassen und täglich neu für Gleichberechtigung in der Praxis zu kämpfen.
Frage: Was empfandest du als das Schönste und Wichtigste in der kurzen Zeit der Freiheit, also um 1989?
Das ist eine schöne Frage, weil ich sie nicht gleich und auf die Schnelle beantworten kann. Zunächst stutze ich ob der Setzung: ‚die kurze Zeit der Freiheit um 1989‘. Freiheit ist in meinem Verständnis nie absolut und allumfassend, meine Lebenszeit in der DDR war allerdings wesentlich unfreier als alles, was danach kam. Das Wichtigste im Spätherbst war wohl das kollektive Entwickeln von ernstgemeinten Gesellschaftsmodellen; Utopien waren plötzlich ganz nah an die Realität herangerückt und wir gaben uns in jugendlicher Naivität einige Wochen der Vorstellung hin, dass davon etwas wahr werden könnte, nach dem kompletten Kollaps des alten Systems. An Beitritt dachte in meinen Kreisen zunächst niemand; das kam dann erst im Dezember ins Spiel und wurde bei der Rede von Helmut Kohl an der Ruine der Frauenkirche am 19.12.1989 offen sichtbar.
Beglückend war auch zu erleben, wie die Ereignisse des Herbstes 89 auf die Menschen wirkten und das meine ich gesamtgesellschaftlich. Dazu würde ich gern mal in Forschungsergebnissen lesen. Vermutlich gibt es die auch, nur habe ich sie bisher leider nicht entdecken können.
Frage: Welche Rolle spielen Frauen in deinem künstlerischen Verständnis und in deiner Galeriearbeit?
Zur Zeit habe ich keine eigenen Galerieräume, insofern kann ich im Moment darauf nur rückblickend antworten. Ich habe Künstlerinnen nie bevorzugt oder benachteiligt, was vielleicht ein Fehler war. Ich wünschte im Rückblick, ich hätte mehr Solidarität mit weiblicher Kunst üben sollen. Männerbünde haben eine lange Tradition, intellektuell intendierten Frauenbündnissen als Gegengewicht gehört die Zukunft, daran glaube ich.
Gibt es und braucht es feministische Kunst?
Ja, selbstverständlich gibt es feministische Kunst. Wir haben z.B. 1998 im Festspielhaus Hellerau, wo ich zu dieser Zeit arbeitete, die amerikanische Künstlerin Nancy Spero (1926-2009) mit der Ausstellung „Rebirth of Venus“, die sie vor Ort erarbeitete, gezeigt. Diese Künstlerin ist eine Pionierin feministischer Kunst und konnte damit weltweite Anerkennung erlangen.
In ihren Werken feiert sie weibliches Wirken und ihre feministische Position drückte sich, um es stark zu verkürzen, in der Abwesenheit männlicher Figuren aus. In ihrer realistisch konditionierten Arbeit finden sich prägende Frauenfiguren aus allen Zeiten und von verschiedenen Kontinenten. Sie führt uns vor Augen, wie Kunst auch großzügig und weit generationenübergreifend gedacht werden kann.
Schauen wir in die Gegenwart …
weiterführende Literatur:
Claudia "Wanda" Reichardt: "Die Galerie bleibt während der Öffnungszeit geschlossen". Verlag Martin Schmitz, Berlin