Ostdeutsche Frauen*kämpfe um 1989

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Dr. Jessica Bock promovierte zur ostdeutschen Frauenbewegung (Porträt)

Jessica Bock (Digitales Frauenarchiv) promovierte zur ostdeutschen Frauenbewegung. Sie moderierte am 18. Oktober 2019 das Gespräch über ostdeutsche Frauen*kämpfe um 1989 in der Dresdner Rößlstube mit Dresdner und Leipziger Aktivist*innen. Wir haben sie gebeten, uns einige Fragen rund um die ostdeutsche Frauenbewegung zu beantworten.

 

Frage: Es gibt nicht die ostdeutsche Frauenbewegung, die um 1989 aktiv war. Kannst du kurz schildern, welche Gruppen in Sachsen aktiv und wie sie miteinander verbunden waren?

Antwort: Seit dem Spätsommer 1989 gründeten sich in der DDR zahlreiche neue Frauengruppen. Sie waren eine Reaktion auf den Stillstand in der DDR – z. B. in der Frauenpolitik - und der Massenflucht tausender DDR-Bürger/innen. Auch in Sachsen, vor allem in den größeren Städten, entstanden neue weibliche Interessensgruppen: Fraueninitiative in Leipzig, die Bürgerinneninitiative „Frauen im Aufbruch“ in Karl-Marx-Stadt und in Dresden die Interessensgemeinschaft Frauen sowie der UFV Dresden. Die Basis für diese neuen Zusammenschlüsse war die nichtstaatliche Frauenbewegung in der DDR, die sich vor allem in den 1980er Jahren entwickelt hat. Ohne deren Akteurinnen, Netzwerke und informellen kleinen Publikationen wäre der feministische Aufbruch im Herbst 1989 nicht möglich gewesen.

Die Gründung separater Frauengruppen resultierte aus den Beobachtungen und Erfahrungen der Frauen, dass sich in den neuen Bürgerrechtsgruppierungen stereotype Geschlechterrollen und Machtverhältnisse reproduzierten. Wie die Verbindung zwischen diesen Zusammenschlüssen in den Herbstmonaten sich konkret gestaltete, ist bislang unerforscht und bedarf weiterer Untersuchungen. Ein verbindendes Element zwischen den Städten war jedoch seit Dezember 1989 der Unabhängige Frauenverband (UFV). Diesen riefen am 3. Dezember 1989 etwa 1.000 Frauen in der Ost-Berliner Volksbühne ins Leben – anwesend waren auch Akteurinnen aus Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig.



 

Frage: Was war allen Gruppen gemein und worin unterschieden sich ihr Aktivismus und ihre Forderungen?

Antwort: Gleich ob Dresden, Karl-Marx-Stadt oder Leipzig – die Frauen stellten im Herbst 1989 die Machtfrage. Gegenstand ihrer Kritik war nicht nur das politische System, sondern auch die ihm zugrundeliegenden Geschlechterverhältnisse. Sie verbanden die Systemfrage mit der Geschlechter- bzw. Frauenfrage. In diesem Sinne forderten sie eine fundamentale Revision der gesamten sozialen, politischen und kulturellen Ordnung. Die Verknüpfung zwischen Demokratisierung und Realisierung einer tatsächlichen Gleichberechtigung schlug sich auch in den formulierten Gesellschaftskonzepten und Forderungen der Frauengruppen nieder. Gemeinsam ist den Papieren, dass sie Überlegungen zu verschiedenen Themenbereichen enthalten wie zum Beispiel „Demokratische Grundrechte“, „Rechtsform“, „Bildungs- und Erziehungswesen“, „Ökologie/Ökonomie“, „Gesundheits- und Sozialwesen“, „Kunst und Kultur“ und „Entmilitarisierung“. Hier wird ein wichtiges Charakteristikum der ostdeutschen Frauenbewegung aus dieser Zeit deutlich: Sie hatten für eine partikulare Frauenpolitik wenig übrig, sondern verfolgten die Frauen- und Geschlechterfrage aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive.

Eine weitere Gemeinsamkeit der Reformkonzepte bestand in der Forderung nach einer paritätischen Quote in allen Entscheidungs- und Machtebenen. Am deutlichsten forderte dies Cornelia Matzke auf der bereits erwähnten Kundgebung des Neuen Forums: „Uns geht es nicht nur darum, daß einige Frauen, die sich gut durchsetzen können, entsprechende Posten besetzen. Es geht vielmehr darum, die Bedingungen aufzuzeigen, die verhindern, daß die Mehrzahl der Frauen politisch wirksam werden kann. Die Strukturen bestehender Parteien, Organisationen, Vereinigungen, sind weder von Frauen noch für Frauen gemacht. Deshalb fordern wir Quotierung. Das heißt: gleiche Anteile von Frauen und Männern in allen Funktionen, auf allen einschließlich der höchsten Ebenen.“

Wie die Bürgerrechtsbewegung auch favorisierten die Frauengruppen im Herbst 1989 zunächst eine Demokratisierung und Reformierung der DDR. Eine Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik war für sie keine Option. Spätestens mit dem Wahlsieg der Allianz für Deutschland bei den ersten freien Volkskammerwahlen änderte sich das. Jedoch pochten die Frauen auf eine Widervereinigung auf Augenhöhe, d.h. es sollten die jeweils positiven Aspekte beider Staaten in ein Gesamtdeutschland überführt werden. Vor diesem Hintergrund beteiligten sich die Frauen an der Ausarbeitung einer Sozialcharta, die heute weitgehend vergessen ist.



 

Frage: Wie wird heute die Arbeit der ostdeutschen Frauengruppen in der DDR und um die Wende herum aus feministischer Sicht eingeschätzt? Wie sehen die Nachwirkungen aus?

Antwort: Die Geschichte der Frauenbewegung in der DDR und in Ostdeutschland ist bis heute kaum bekannt. Zwar ist schon eine Veränderung erkennbar und es finden vor allem in diesem Jahr vermehrt Veranstaltungen zu diesem Thema statt. Aber es besteht hier immer noch ein Ost-West-Gefälle. Im vergangenen Jahr zum 50jährigen Jubiläum des Tomatenwurfs wurden lange vor dem 13. September 2018 Artikel und Podcasts veröffentlicht. Die mediale Resonanz war groß. Mit Blick auf das 30jährige Jubiläum der Gründung des UFV haben wir eine solche Fülle nicht. Die Berichterstattung darüber wird wohl erst kurz vor dem Gründungsdatum einsetzen. Interessant ist auch, dass der Frauenrevolte von 1989 vor allem als eine Geschichte der Niederlage erzählt wird, während das weibliche 68 mittlerweile zu einer Erfolgsgeschichte avanciert ist. Ich bin da anderer Meinung bzw. ich plädiere für eine differenzierte Sichtweise. Ja, es stimmt, der UFV hat bei den ersten freien Volkskammerwahlen kein Mandat errungen. Und ja, viele gesetzliche Bestimmungen und Maßnahmen, wie z. B. der straffreie Schwangerschaftsabbruch und das flächendeckende Kita-Netz, sind nicht übernommen worden. Nicht wenige Frauen empfanden den Prozess der Wiedervereinigung als einen „Anschluss“, der nicht auf Augenhöhe zwischen Ost und West erfolgte. Fakt ist aber auch, dass die Frauen trotzdem konsequent ihre Forderungen und Ziele verfolgten. Sie erkämpften sich ihre Stühle an den Runden Tischen und stritten dort für Frauenkulturzentren, Frauenhäuser und Gleichstellungsbeauftragte. Ohne die seit 1990 entstandene feministische Infrastruktur wäre feministisches wie frauenpolitisches Engagement in Ostdeutschland und speziell in Sachsen in der Form nicht möglich. Zudem haben die seit dem Herbst 1989 formulierten Konzepte und Forderungen an Aktualität nichts eingebüßt und lohnen einer neuen Lektüre. An diese dezidiert ostfeministische Gedanken anzuknüpfen, halte ich mit Blick für das erfolgreiche Fortbestehen der Frauenbewegung so wichtige Traditionsbildung und feministisches Geschichtsbewusstsein für unerlässlich.