Das triumphierende Comeback der FPÖ ist eine Warnung für Europa

Analyse

Die Entwicklungen in Österreich sollten anderen europäischen Ländern mit aufstrebenden rechtsextremen Parteien – also auch Deutschland – eine Warnung sein: Die FPÖ hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach gezeigt, dass mit einer rechtsextremen Partei kein demokratischer Staat zu machen ist.

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Bundespräsident Alexander van der Bellen (links) hat klar gemacht, er werde bei der Regierungsbildung darauf achten, dass die Grundpfeiler der liberalen Demokratie respektiert werden. Hier im Bild mit Herbert Kickl (FPÖ) am 21. Oktober 2024.

Der Wahlsieg Ende September kam einem historischen Dammbruch gleich: Die FPÖ, von ehemaligen Nazis 1955 mitbegründet, wurde mit 29 Prozent zum ersten Mal stimmenstärkste Partei bei einer österreichischen Nationalratswahl – vor der ÖVP und der SPÖ. Die Überraschung im öffentlichen Diskurs in den Wochen danach hielt sich dennoch in Grenzen. Auch wenn es noch die eine oder andere Demo gegen die FPÖ gab – die meisten Wählerinnen und Wähler reagieren schulterzuckend, sind sie doch mittlerweile an FPÖ-Regierungsbeteiligungen auf Landes- und Bundesebene gewöhnt.

Österreich mag klein und geopolitisch unbedeutend sein. Dennoch sollten die dortigen Entwicklungen anderen europäischen Ländern mit aufstrebenden rechtsextremen Parteien – also auch Deutschland – eine Warnung sein: Die FPÖ hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach gezeigt, dass mit einer rechtsextremen Partei kein demokratischer Staat zu machen ist. Sie arbeitet systematisch daran, demokratische Institutionen auszuhöhlen, sich mit gleichgesinnten Parteien enger zu vernetzen und die Grenzen des Sagbaren stetig zu erweitern.

Die Annahme, Mitte-Rechts-Parteien könnten ProtestwählerInnen zurückgewinnen, indem sie rechtsextreme Narrative übernehmen, wurde schon vielfach widerlegt.

Ob die Partei ihren Traum von einer “Festung Österreich” umsetzen kann, ist noch offen. Die FPÖ unter Herbert Kickl hat nach wie vor keine Partner für eine Regierungsmehrheit und versucht derzeit Druck auf jene Teile der ÖVP auszuüben, die die strikte Linie von Noch-Kanzler Karl Nehammer ablehnen, der sich nicht zum „Steigbügelhalter“ der FPÖ machen lassen will. Und selbst wenn eine Regierungsbildung ohne die FPÖ gelingt, hat die Partei schon jetzt in vielerlei Hinsicht gewonnen: Sie hat sich von einer Randpartei hin zu einer etablierten politischen Kraft entwickelt – trotz unzähliger Skandale. Vorbei die Zeiten, als EU-Mitgliedsstaaten diplomatische Sanktionen gegen Österreich wegen der FPÖ-Einbindung in die Bundesregierung unter Wolfgang Schüssel (ÖVP) verhängten und das Singen von SS-Liedern kurz vor der Wahl noch politische Konsequenzen hatte.

Zur Normalisierung dieser Partei, die in Teilen außerhalb des demokratischen Verfassungsbogens steht, trugen politische Akteure und Medien, aber besonders Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz bei, unter dessen Ägide die “Balkanroute” geschlossen, der UN-Migrationspakt abgelehnt und das Asylrecht deutlich verschärft wurde. Die Annahme, Mitte-Rechts-Parteien könnten ProtestwählerInnen zurückgewinnen, indem sie rechtsextreme Narrative übernehmen, wurde schon vielfach widerlegt. Dass das Original attraktiver ist als die Kopie, musste Kanzler Nehammer nun schmerzlich zur Kenntnis nehmen: Rund ein Drittel der FPÖ-Stimmen stammte von vormaligen ÖVP-WählerInnen.

Dabei hat die FPÖ mit Kickl als Spitzenkandidaten eines der extremsten Parteiprogramme veröffentlicht. Darin wirbt sie offen für “Remigration”, nutzt also jenes Stichwort, das der österreichische Identitäre Martin Sellner als “Masterplan zur Remigration” beim berüchtigten Potsdamer Treffen Ende November 2023 vorstellte.

Die FPÖ ist eine Sicherheitsgefahr für Europa

Interessant ist auch ein im März 2024 von der linksliberalen Wochenzeitung „Falter“ veröffentlichter Bericht: Demnach hatten zwei ehemalige Top-Beamte des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz (BVT) erst Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek zur Flucht nach Russland verholfen, wo er jetzt für den FSB tätig ist. Später spionierten sie den bulgarischen Journalisten Christo Grosev in Wien aus, der für das Investigativportal Bellingcat den Giftanschlag auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny aufgedeckt hatte. Grosev floh daraufhin in die USA. Beide Beamte des BVT hatten enge Kontakte in die FPÖ. Nachdem Kickl 2018 Innenminister geworden war, arbeiteten sie gezielt daran, russlandkritische BVT-Beamte auszutauschen und den Informationsaustausch zu verbessern – ganz im Sinne der Freundschaftsvereinbarung zwischen der FPÖ und der Putin-Partei Einiges Russland von 2016. Vor diesem Hintergrund liest sich das FPÖ-Bekenntnis zur österreichischen Neutralität eher wie eine Sicherheitsgefahr für Europa.

Eine Regierungsbeteiligung oder gar Machtübernahme der FPÖ würde auch in Ost- und Südosteuropa demokratische Kräfte schwächen: Herbert Kickl tritt für eine “aktive Neutralität” Österreichs ein. Unterstützt wird er vom aktuellen ÖVP-Kanzler Nehammer, der übrigens nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine als erster europäischer Regierungschef zu Putin flog.

Die FPÖ ist offen für enge Beziehungen zu Putin und seinen Helfern.

Kickl hielt es für falsch – auch darin wie Nehammer –, den Import russischen Gases zu drosseln oder aufzugeben. Überdies sei es letztlich egal, wer bei Verhandlungen zum Krieg gegen die Ukraine auf eigene Interessen verzichten muss – Russland als Aggressor oder die Ukraine als überfallenes Land. Vom Schutz kleinerer Länder gegen übermächtige Nachbarn, von der “europäischen Solidarität” und der Leitidee der “Souveränität”, die die FPÖ für Österreich proklamiert, wäre dann keine Rede mehr. Von der FPÖ zu erwarten ist auch ein Zusammenschluss mit Ungarns Premierminister Viktor Orbán und dem slowakischen Premier Robert Fico – beide ebenfalls offen für enge Beziehungen zu Putin und seinen Helfern. Gemeinsam wären diese Länder in der EU eine Vetomacht, die kaum noch überwunden oder integriert werden könnte.

In der EU-Erweiterungspolitik, bisher ein Pfeiler österreichischer Außenpolitik, wäre bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung ebenfalls mit einem Einschwenken auf Orbáns Kurs zu rechnen. Soll heißen: Die FPÖ könnte eine unterstützende Haltung gegenüber Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić sowie gegenüber dem bosnischen Serbenführer Milorad Dodik als Präsident der Republika Srpska einnehmen. Anzunehmen ist auch, dass die mehrheitlich muslimischen Beitrittskandidaten Albanien und Kosovo vernachlässigt würden, unabhängig von deren Reformschritten in Richtung EU-Recht und Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskriterien. Auch wenn es für eine FPÖ-Regierung mit der progressiven Slowenin Marta Kos als neuer EU-Erweiterungskommissarin schwieriger wird als mit dem Ungarn Olivér Varhelyi: Die Aussicht, mit Serbiens Präsident Vučić einen weiteren Repräsentanten autokratischer, euroskeptischer Politik in die EU zu holen, wird die FPÖ motivieren. Dabei spielt die polizeiliche Zusammenarbeit gegen Migranten ebenso eine Rolle wie die lukrative Umgehung der Sanktionen gegen Russland.  

Gegen den Rechtsextremismus müssen alle demokratischen Kräfte zusammenfinden

Die FPÖ hat erfolgreich eigene Echo-Kammern etabliert

Der FPÖ ist es gelungen, zu Themen wie dem Ukraine-Krieg, dem Klimawandel oder der Corona-Pandemie Parallelwelten aufzubauen. Verschwörungserzählungen über sogenannte links-konnotierte „Globalisten“, die angeblich hinter den Kulissen die Politik von NATO, WHO und EU dirigieren, sind mittlerweile fester Bestandteil des Vokabulars. Auf den sozialen Medien und durch rechtsextreme Propaganda-Medien (z.B. FPÖ-TV, AUF1, Info-Direkt) hat die FPÖ erfolgreich eigene Echo-Kammern etabliert.

Den Erfolg der FPÖ sollten alle demokratischen Parteien und Akteure als dringenden Anlass zum Handeln sehen. Es gilt natürlich, auf legitime Sorgen und Ängste der Menschen einzugehen und reale Probleme effektiv anzugehen. Daneben aber ist eine parteiübergreifende und zivilgesellschaftliche Allianz über Österreich hinaus nötig, um dem Rechtsextremismus die Stirn zu bieten. Statt innerparteiliche Flügelkämpfe zu führen und über ideologische Ausrichtungen zu streiten, müssen alle demokratischen Kräfte zusammenfinden. Demokratie kann nur gemeinsam verteidigt werden.

Einen wichtigen Verbündeten dafür hat Österreich zumindest: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat klar gemacht, er werde bei der Regierungsbildung darauf achten, dass die Grundpfeiler der liberalen Demokratie respektiert werden - etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft. Deshalb sehe er sich derzeit noch nicht in der Lage, einen Regierungsauftrag zu vergeben. Den Ball hat Van der Bellen damit an die anderen Parteien gespielt, insbesondere die politisch weit divergierenden Parteien ÖVP und SPÖ, ohne die keine Koalition zur Verhinderung einer FPÖ-Regierungsbeteiligung möglich ist. Sie müssen nun unter Beweis stellen, wie ernst sie es mit der Demokratie meinen.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de