Von A wie Arteninventare über E wie energetische Nutzung bis Z wie Zuflüsse: Mit Prof. Karsten Rinke, Leiter des Departments Seenforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg, sprachen wir über Gewässer in der Klimakrise.
Steigende Temperaturen, ausbleibende oder extreme Niederschläge in Folge der fortschreitenden Klimakrise führen in unseren Seen, Teichen und Talsperren zu sichtbaren Veränderungen. Sie kommen zu den Belastungen etwa durch Dünger, Pestizide und Schadstoffe sowie menschliche Nutzung noch hinzu.
Im Gespräch kommen Probleme und Lösungsansätze zur Sprache. Und so viel sei vorweg genommen: Es gibt auch Positives zu berichten!
Grit Ebert: Währenddessen wir noch um eine Begrenzung der globalen Erderwärmung um 1,5 Grad ringen, haben viele Seen in Deutschland die Zwei-Grad-Marke zumindest an der Oberfläche bereits geknackt. Wie kommt das?
Karsten Rinke: Das Ziel des Paris-Agreements, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bezieht sich ja auf die globale mittlere Temperatur. Nun ist die Erwärmung über den Landflächen stärker als über Ozeanen. Und da die Nordhalbkugel so überproportional viel Land enthält, ist dort die Erwärmung besonders stark.
Und dann kommt die Besonderheit in der Physik des Sees hinzu, dass das Gewässer im Sommer geschichtet ist. Oben ist es warm, unten bleibt es kalt aufgrund der temperaturabhängigen Dichteunterschiede. Deswegen erwärmt sich die Oberfläche besonders stark. Übrigens nicht nur wegen der steigenden Lufttemperatur, sondern auch, weil wir zunehmend im Sommer diese typischen Hochwetterlagen haben, wo hohe Lufttemperatur mit hoher Sonneneinstrahlung und vor allen Dingen langer Sonneneinstrahlung zusammenfällt.
Die Sonne bringt, wenn sie richtig scheint, im Hochsommer fast 1.000 Watt pro Quadratmeter: Das ist also wirklich eine sehr, sehr starke Heizung! Deswegen erwärmt sich die Oberfläche besonders stark.
Grit Ebert: Und wie stecken die Seen diese Erwärmung weg?
Karsten Rinke: Wir beobachten neben der Erwärmung - das ist ja erstmal eine rein physikalische Größe - starke Veränderungen im Stoffhaushalt. Hier merkt man bereits eine Erwärmung von nur ein, zwei oder drei Grad schon sehr deutlich!
Es geht hierbei nicht nur um die maximalen Temperaturen: Ob es 25 oder 26 Grad sind, das ist nicht so relevant. Es ist auch früher im Sommer ab und an mal für ein paar Tage sehr heiß geworden. Es sind eher die saisonalen Abläufe, die sich verschieben. Die Eisbedeckung verschwindet, die Seen gehen früher in die sommerliche Schichtungsperiode. Diese dauert auch viel länger an: aktuell vielleicht zwei oder drei Wochen länger als früher.
Dadurch haben die Algen mehr Zeit zum Wachsen und wir haben stärkeres Algenwachstum, also Eutrophierung.
Auch im Sauerstoffhaushalt gibt es Probleme. Der Sauerstoff nimmt viel stärker ab, weil das Gewässer länger in diesem geschichteten Zustand ist, wo die atmosphärische Wiederbelüftung schlecht abläuft und die tiefen Gewässerschichten nicht erreicht.
Und in einigen Seen beobachten wir durch die Erwärmung auch eine stärkere Rücklösung von Nährstoffen. Die Temperatur bewirkt eine schnellere Mineralisierung. Biomasse baut sich schneller ab, wenn es warm ist, so dass, wie generell in allen Ökosystemen, eine Erwärmung einfach auch zu einer Beschleunigung führt. Und das betrifft eben auch die Nährstoffversorgung durch den nun schnelleren Abbau der Biomasse. Das Nährstoffrecycling im Ökosystem verstärkt sich also.
Auch die Nutzungen des Menschen sind in Gefahr, weil sich die Wasserqualität vermindert, aber auch, weil viel mehr Wasser verdunstet. Wir haben ja auch bezüglich der Wassermenge Begrenzungen, auf die wir in Zukunft achten müssen.
Und klar: Ich gehe auch lieber in warmes als in kaltes Wasser. Aber wir haben zum Beispiel in Süddeutschland, wo es noch ein bisschen wärmer ist als hier oben bei uns, zunehmend Probleme im Sommer mit neuen Krankheiten wie etwa Badedermatitis. Badedermatitis ist etwas, was von Parasiten auf Enten übertragen wird und eigentlich nur den Menschen so richtig befällt, wenn die Parasiten massiv auftreten. Dafür muss es sehr warm werden, aber am Bodensee ist es schon ein paar Mal vorgekommen. Mit solchen Sachen werden wir deutschlandweit viel häufiger Bekanntschaft machen.
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Open external content on original siteGrit Ebert: Vom Großen zum Kleinen: Welche Folge hat denn der auch noch so kleine verschwindende Dorfteich oder kleine Tümpel für die Artenvielfalt? Und warum ist das Trockenfallen klimarelevant?
Karsten Rinke: Die kleinen Gewässer werden - das möchte ich vorneweg schicken - von der Forschung nicht gut erfasst. Die Umweltforschung fokussiert schon eher auf die größeren Seen. Ein Hotspot ist der Bodensee. Auch unsere großen Talsperren werden relativ gut beobachtet, der kleine Dorfteich viel weniger.
Auch uns ist aufgefallen, dass diese kleinen Gewässer massiv verschwinden oder verschwunden sind - gerade in den Dürrejahren -, was einfach dadurch kommt, dass sie von Grundwasser gespeist sind. Wenn der Grundwasserspiegel um einen Meter sinkt, das war so ungefähr die Größenordnung, dann sind Gewässer, die eigentlich einen Meter tief sind, trocken. Das ist vielleicht gar nicht so ein großer Verlust an Wasserfläche, den wir damit deutschlandweit erleiden, aber eben ein sehr, sehr großer Biodiversitätsverlust, weil dieser semiaquatische Lebensraum sehr artenreich ist.
Es gibt viele Arten, die auf das Wasser in der Vermehrung angewiesen sind: Amphibien, aber auch sehr viele Insekten, die aquatische Fauna und Flora - also Muscheln, Krebse usw.. All diese Organismen sterben, wenn das Gewässer einmal austrocknet. Deswegen ist es für die Biodiversität in der Landschaft ein sehr großer Einschnitt, wenn so ein Austrocknen passiert. Und es geht sofort mit dem Verschwinden vieler Arten einher, die auch bei einer Wiedervernässung nicht gleich wieder da sind. Es gibt aber auch Arten, die dagegen resistent sind, z.B durch Dauerstadien. Wir verändern jetzt sozusagen unsere Arteninventare hin zu Organismen, die mit Austrocknen besser zurechtkommen. Aber viele der wichtigen und sehr wertvollen Arten sterben in diesen Gewässern aus.
Und ja, das Trockenfallen ist klimarelevant - aber in zwei Richtungen. Dabei kommt es sehr auf das Gewässer an:
Alle Seen und Teiche verlanden mit der Zeit und nehmen am Ende einen moorähnlichen Zustand ein. Das ist ein Zustand, der sehr viel Kohlenstoff binden kann.
Bei uns läuft das aber anders ab, weil unsere Gewässer nicht nur austrocknen, sondern auch sehr stark nährstoffbelastet sind. Während der Torf im Moor akkumuliert und nicht abgebaut wird, fault der nährstoffbelastete Teich hingegen eher und entlässt nicht nur CO2 sondern auch sehr viel Methan. Und gerade diese Emission von Methan ist hochgradig klimarelevant.
Wenn wir all unsere Gewässer in einem guten ökologischen Zustand hätten, dann würden sie eine sehr große Kohlenstoffsenke sein können.
Grit Ebert: Neben den Teichen verschwinden ganze Seen: Das wohl prominenteste Beispiel ist in Brandenburg der Fresdorfer See. Der BUND Brandenburg beschreibt in seinem im Mai 2024 veröffentlichten ersten Brandenburger Seenreport teils erheblich sinkende Wasserstände. Welche Gründe gibt es für das Absinken des Wassers? Und was macht Seen im Klimawandel so besonders verletzlich?
Karsten Rinke: Auch die Probleme vom Fresdorfer und des benachbarten Seddiner Sees sind eine direkte Konsequenz der Dürre, die wir seit 2018 hatten. Mehrere Jahre mit hohen Niederschlagsdefiziten haben die Landschaft austrocknen und den Seespiegel sinken lassen, weil der Grundwasserspiegel sinkt.
Es gab immer mal trockene Zeiten, aber in der Intensität hatten wir das so nicht erwartet. Für den mediterranen Raum ist das schon lange prognostiziert. Jetzt haben wir gelernt, dass uns das auch treffen kann! Deshalb haben wir uns die Grundwasserdynamik mal etwas genauer angeguckt. Das ist für Seenforscher nicht unbedingt auf der Hand liegend, haben wir aber gemacht für Sachsen-Anhalt und Brandenburg, wo wir auch gesehen haben, dass Absenkungen in einer Größenordnung von einem Meter in vielen Regionen auftauchen.
Was mich jetzt allerdings auch wieder beeindruckt hat seit 2023:
Die Stände können sich auch schnell wieder erholen!
Ich habe immer gedacht, diese drei trockenen Jahre kann man nicht in einem Jahr wieder auffüllen. Aber in Sachsen-Anhalt war 2023 und der Winter 2024 so überdurchschnittlich nass, dass wir unsere Grundwasserdefizite wieder aufgefüllt haben.
Das ist in Brandenburg auch der Fall, wenn auch nicht überall.
Insofern habe ich die Dramatik doch etwas überschätzt und gelernt, dass die Landschaft auch ein gewisses Anpassungspotential hat.
Wenn es also sehr lange sehr trocken ist, dann vermindert sich auch der Wasserverlust aus der Landschaft, weil die Wasserstände in den Fließgewässern sehr stark absinken und die Vegetation einfach vertrocknet, abstirbt und nichts mehr verdunstet. Dadurch wird der Wasserverlust begrenzt.
Und wenn es dann gut regnet, dann kann es auch wieder schneller aufgefüllt werden. Also, es gibt eine gewisse Adaptivität der Landschaft, wie wir das nennen.
Nichtsdestotrotz habe ich aber auch verstanden, dass wir gerade diese Eigenschaften der Landschaft, die die Adaptivität vermitteln, stärken müssen! Der Wasserverlust, der durch Drainagen, Trockenlegung, Entwässerungsgräben stark vorangetrieben wurde, ist heute kontraproduktiv. Wir müssen die Landschaft anders bewirtschaften! Das ist die Aufgabe, die uns bevorsteht.
Grit Ebert: Welche Rolle beim Verlust des Grundwassers spielt denn die menschliche Nutzung bzw. Übernutzung?
Karsten Rinke: Lokal traten Probleme mit dem Grundwasser bezüglich Übernutzung auf, insbesondere wo größere urbane Räume versorgt werden müssen. Das ist im Berliner Raum eklatant. Der Niederschlag, der über der Berliner Fläche fällt, würde gar nicht reichen, dieses Trinkwasser bereitzustellen.
Aber es gibt auch Lösungen, wie z.B. bei der Wasserversorgung von Frankfurt am Main aus dem Hessischen Ried, wo man Grundwasser nutzt und bewusst wieder artifiziell anreichert, damit es eben nicht übernutzt wird. Ähnliche Strategien werden hier in Magdeburg gerade vorangetrieben, da das geplante Intel-Werk ja auch einen sehr hohen Wasserbedarf hat. Hier wird Elbewasser zur Grundwasseranreicherung genutzt.
Grit Ebert: Die Klimakrise kommt ja auf die bereits seit Jahrzehnten bestehenden Belastungen unserer Gewässer noch oben drauf: Als Stichworte seien vielleicht Nitrat und Pestizideinträge, Plastik, aber auch die Nutzung von Seen für Badespaß, Wassersport sowie der Schiffsverkehr genannt.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit Möglichkeiten einer nachhaltigen und klimaangepassten Nutzung sensibler Ökosysteme. Was ist denn aus Ihrer Sicht zu tun für unsere Seen?
Karsten Rinke: Die Problematik, die Sie da ansprechen - das möchte ich vorneweg schicken - ist für uns aus wissenschaftlicher Sicht oft gar nicht so einfach zu greifen!
Die Wissenschaft ist darauf ausgerichtet, Wirkungen isoliert zu betrachten - so funktioniert Erkenntnisgewinn in der Forschung. Wenn aber viele Dinge gleichzeitig passieren, hat man oft große Probleme, die kombinierte Wirkung vorherzusagen!
Wir merken, dass der Klimawandel sehr ähnliche Symptome wie die Eutrophierung hat.
Die Eutrophierung ist die Steigerung der Produktivität unserer Ökosysteme durch Zuführen von Düngestoffen, also Stickstoff vor allen Dingen auf der Landfläche; im Gewässer ist es eher der Phosphor. Wir haben also schon von vornherein unsere Gewässer sehr stark mit Nährstoffen belastet und jetzt kommt ein Stressor hinzu, der Klimawandel, der im Grunde ähnlich wirkt und auch die Produktivität der Ökosysteme steigert.
Die ganzen Anstrengungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, um die Eutrophierung einzudämmen, verlieren nun ihre positive Wirkung. Wir haben z.B. Kläranlagen ausgebaut und holen mehr Stoffe aus dem Abwasser heraus als früher. Auch die Landwirtschaft hat entsprechende Auflagen. Damit waren die Gewässer auch in einen besseren Zustand gekommen. Das merkten wir auch: Die Nährstoffkonzentrationen nahmen ab. Aber in den letzten zehn Jahren nehmen die negativen Erscheinungen auf einmal wieder zu: Wir haben häufiger Blaualgenblüten. Wir haben Fischsterben. Wir haben typische Eutrophierungserscheinungen wie Sauerstoffarmut im Tiefenwasser.
Wir müssen also in Zukunft noch höhere Anforderungen an unser Wasser- und Nährstoffmanagement stellen! Und jetzt komme ich zu dem Punkt, was man machen müsste. Das sind momentan eher Utopien, weil ich genau weiß, dass wir dafür sehr große Investitionssummen bewegen müssen und über lange Zeiträume sprechen.
Ich bin der Meinung, dass wir langfristig den Kreislaufgedanken, den wir schon in anderen Stoffströmen haben, auch auf das Wasser anwenden müssen. Genauso wie wir das Papier wiederverwenden, statt Bäume abzuholzen, müssen wir uns daran gewöhnen, das Wasser, das wir konsumiert haben, in der Kläranlage wieder so sauber zu machen, dass wir es der Umwelt zurückgeben können. Es muss wieder so sauber sein wie das Wasser, das wir aus der Umwelt entnommen haben! Denn dann können wir es auch zurückführen und das Grundwasser anreichern. Wir können es in der Landwirtschaft zur Bewässerung nehmen.
Das gilt auch für die Stoffströme, d.h die Nährstoffe und Düngemittel: Für jedes Kilo Stickstoff müssen wir anderthalb bis zwei Kilo Öl investieren im Haber-Bosch-Verfahren. Wenn wir den Dünger dann auf den Acker bringen, verlieren wir dort eine sehr große Menge durch Auswaschung in die Gewässer. Die Nährstoffe in der Ernte gehen dann in die menschliche Nahrungskette. Und dort werden sie am Ende in den Kläranlagen einfach vernichtet. Aber Stickstoff und Phosphor müssen wieder zurück auf den Acker und zwar möglichst mit hoher Effizienz! Da sehe ich großen Bedarf, auch technischen Entwicklungsbedarf.
Es ist hier nicht so, dass wir genau wüssten, wie das zu lösen sei und es nur eine Frage des Geldes ist. Eine Fachdisziplin allein, wie ich sie jetzt vertrete, ist nicht in der Lage, eine Lösung bereitzustellen.
Grit Ebert: Wie stehen Sie zu Solaranlagen auf Seen: Gut fürs Klima und für den See?
Karsten Rinke: Das Thema kommt ziemlich massiv.
Wenn die Fläche auf dem See verhältnismäßig klein bleibt, dann ist es für den See keine große Veränderung: Also, ich sag mal, kleiner drei, vier Prozent der Seefläche - nicht schlimm.
Ich würde mich dem nicht verschließen, aber ich will auch nicht sagen, wir müssen das jetzt auf jedem See machen. In einem See, der zum Beispiel im urbanen Bereich ist, wo man Abnehmer für den Strom findet und wo das Gewässer sowieso total stark menschlich genutzt wird: Ja, warum nicht?
Auch die thermische Nutzung, also eine Wärmepumpe in See oder Fluss, um im Winter die Wärme zu gewinnen und Gebäude zu heizen, ist ein Beitrag, um energetisch von den fossilen Energieträgern etwas wegzukommen. Alles kleine Schritte, aber durchaus denkbar und machbar.
Grit Ebert: Vom See zur Talsperre: 39 % des Trinkwassers in Sachsen kommen aus Talsperren - ist also ein großes Thema bei uns hier in Sachsen, nicht nur in Sachsen, auch in Thüringen mit über 40 %. Wir sind damit bundesweit schon deutlich anders aufgestellt als viele andere Bundesländer, wo überwiegend Grundwasser für die Trinkwasserversorgung genutzt wird. Was sind denn die Chancen und Risiken von Talsperren?
Karsten Rinke: Es gibt Regionen, in denen die Grundwasserverhältnisse nicht für die Trinkwasserversorgung ausreichen: Sachsen, Thüringen, aber auch Bereiche in Nordrheinwestfalen. Auch hier im Harz-Umland wird viel Trinkwasser aus Talsperren gewonnen. Da geht es gar nicht um die Frage: `Baue ich jetzt eine Talsperre oder nutze ich Grundwasser?` So ist die Frage nicht!
Wir brauchen Trinkwasser für die Versorgung der Bevölkerung und in manchen Regionen reicht das Grundwasser eben nicht aus oder ist so mit Nitrat belastet, dass man es nicht nutzen kann. Das tritt in Norddeutschland auf. Deswegen fließt das Wasser aus der Talsperre des Westharzes auch bis nach Bremerhaven runter.
Grundsätzlich hat eine Talsperre gegenüber dem Grundwasser ein paar Herausforderungen: Sie ist nicht so ein großer Speicher. Das Grundwasser ist der größte Wasserspeicher, den wir überhaupt in der Landschaft haben. Ein trockenes Jahr ist für eine Talsperre etwas, was sie gerade noch so durchstehen kann. Dafür ist sie ausgelegt. Beim Grundwasser ist das kein Problem. Da muss es schon mehrere Jahre trocken sein, dass wirklich was passiert. Das ist jetzt eingetreten: Das muss man auch sagen!
Aber das Grundwasser ist unempfindlicher als die Talsperre. Deswegen ist das Management von Trinkwasserressourcen über Talsperren eine viel größere Herausforderung als beim Grundwasser.
Es gibt natürlich auch ein paar Vorteile. Eine Talsperre ist ein technisches Bauwerk. Da kann ich also steuern, wie viel Wasser ich rauslasse und wie viel ich aufhebe, aber auch aus welcher Tiefe ich es herauslasse. Wir haben in den letzten Jahren viel gelernt, u.a. dass man damit auch eine gewisse Klimaanpassung realisieren kann. Man kann die Erwärmung ein bisschen abpuffern oder Blaualgenblüten vermeiden bzw. abschwächen.
Und wir wollen auch nicht vergessen, dass die Talsperren noch andere Funktionen für die Menschen bereitstellen: allen voran Hochwasserschutz, aber auch - das haben wir in den Dürrejahren gemerkt - im Sommer die Fähigkeit, den Abfluss in den Fließgewässern zumindest auf einem gewissen Level zu stabilisieren. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, um die Organismen darin zu schützen und zu erhalten, sondern dafür gibt es auch menschlichen Bedarf! Denken Sie mal an die Industrien, die dann vielleicht unterhalb liegen und aus diesem Fließgewässer Kühlwasser entnehmen wollen oder Prozesswasser. Da muss einfach eine gewisse Abflussmenge da sein. Diese regulierende Funktion ist ohne die Talsperren in der Form nicht machbar.
Grit Ebert: Reichen denn Ihrer Meinung nach Trinkwasserschutzgebiete rings um die Talsperren aus, um unser Trinkwasser auch künftig zu schützen? Oder stellt sich die Frage in der Klimakrise neu?
Karsten Rinke: Die Deutschen Talsperrenbetreiber sind ja oft Unternehmen oder Verbände mit einer sehr hohen Fachkompetenz in ihrer Region. Sie haben schon viele Jahre sehr darauf geachtet, dass ihre Einzugsgebiete in einem guten Zustand sind, man hat mit den Landwirten Regelungen gefunden usw.. Es gibt natürlich auch hier und da noch mal ein Problem. Aber grundsätzlich sind wir gut aufgestellt.
Trotzdem hat uns ein Schlag von hinten getroffen!
In den Dürrejahren haben wir lernen müssen, dass teilweise der Wald einfach stirbt.
Wir haben viele Jahre unsere Talsperreneinzugsgebiete so gemanagt, dass wir möglichst viel Wald haben, denn das ist eine sehr naturnahe Gestaltung mit wenig Nährstoffexporten und einer sehr ausgleichenden Wirkung auf den Wasserhaushalt in der Landschaft. Im Einzugsgebiet der Rappbodetalsperre - das ist die größte Trinkwassertalsperre Deutschlands – haben wir 3/4 des Waldes verloren in den Dürrejahren! Und das ist etwas, was uns nicht klar war.
Durch das enorme Wissen, das wir bereits über den Klimawandel haben, können wir schon ziemlich gute Prognosen abgeben, wie sich meinetwegen eine Temperaturentwicklung vollzieht bei einem bestimmten Emissionsszenario. Und dann können wir zum Beispiel gucken, was macht das mit dem See, wenn es jetzt zwei oder drei Grad wärmer ist. Aber das alleine ist dann möglicherweise gar nicht ausreichend, weil sich auf einmal andere Randbedingungen ändern, die wir gar nicht auf dem Schirm hatten! So hätten wir nie gedacht, dass dort 3/4 des Waldes sterben. Und das verändert natürlich massiv den Wasser- und Nährstoffhaushalt: Die Konzentrationen zum Beispiel von Nitrat in Talsperrenzuläufen sind jetzt ganz andere, als das vorher im bewaldeten Zustand der Fall war.
Das ist etwas, was mir als Wissenschaftler Unbehagen hervorruft, weil ich möglicherweise Änderungen gar nicht auf dem Plan habe. Ich kann sie auch nicht vorhersagen und bin dann auf einmal mit neuen Wahrheiten konfrontiert, auf die ich gar nicht vorbereitet war. Das trifft natürlich jetzt einen Betreiber der Talsperre noch viel schlimmer als den Forscher an der Talsperre!
Grit Ebert: Wir sind ja jetzt schon immer mal abgebogen in Richtung Lösungen, Maßnahmen. Wenn Sie jetzt tatsächlich in der Lage wären, drei Maßnahmen politisch durchzusetzen mit dem Ziel, Seen und deren Einzugsgebiete nachhaltig zukunftsfest zu machen, welche wären das denn für Sie?
Karsten Rinke: Ich gebe Ihnen mal drei Stoßrichtungen, die ich für wichtig halte:
Das eine ist die langfristige Stabilisierung des Landschaftswasserhaushaltes. Hier geht es um die Wassermenge - eben Versiegelung zu stoppen, die Entwässerung der Landschaft durch Drainagen und Gräben zu begrenzen oder so steuerbar zu machen, dass ich sie an- und abschalten kann. Denn wir werden auch immer wieder sehr feuchte Phasen haben. Es macht keinen Sinn, dann immer in die Extreme zu verfallen und nur in die eine Richtung zu steuern. Es muss so steuerbar sein, so dass wir adaptiv reagieren können.
Die zweite Stoßrichtung geht mehr in Richtung Wasserqualität und zielt auf das Nährstoffmanagement, wo es vor allen Dingen darum geht, den Kreislaufgedanken voranzubringen. Nährstoffe, die wir in der Landwirtschaft ausbringen und über die menschliche Nahrungskette wieder zurückholen, müssen möglichst vollständig wieder recycelt werden, um diesen Kreislauf zu etablieren und auch das Energieinvestment in die Herstellung von künstlichem Dünger zu begrenzen.
Und die dritte Stoßrichtung ist etwas, mit dem ich mich selber als Forscher sehr wenig beschäftige. Ich nehme das aber trotzdem als sehr großes Problem wahr. Das ist die zunehmende Invasion fremder Arten in unsere Lebensräume, die man in vielen Beispielen nicht aufhalten kann - das muss man auch sagen.
Aber es gibt ein paar Dinge, die sind wirklich dumm: Nehmen wir den Aquarienhandel und dass man dort Garnelen oder Krebse kaufen kann, die hier leben können, deren Wachstumsbedingungen und Wachstumsanforderungen also so sind, dass sie sich etablieren können, wenn man sie freilässt. So etwas muss man unterbinden!
Neozoen und Neophyten sind sehr stark vertreten in unseren aquatischen Ökosystemen. Die großen Flüsse sind teilweise dominiert von neuen Arten - also die Biomasse der neuen Arten ist viel höher als die der einheimischen Arten. Aber es bringt ja nichts, wenn wir total viel Geld ausgeben für Habitaterhaltung, Biodiversitätsschutz usw. und gleichzeitig unsere Landschaft mit diesen ganzen fremden Arten überschwemmen!
Das Interview führte Grit Ebert im Mai 2024.
Karsten Rinke:
Karsten Rinke ist Gewässerbiologe und leitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg das Department Seenforschung. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Standgewässern im regionalen, nationalen und internationalen Kontext, hierbei steht vor allem das Ökosystem See im Fokus. Neben dem Gewässerzustand, der Wasserqualität und der aquatischen Organismen sind menschliche Nutzungen unserer Gewässer ebenfalls Gegenstand seiner Forschungen, z.B. hinsichtlich der Trinkwasserversorgung aus Talsperren oder der Eutrophierungsbekämpfung in Badegewässern. Aktuelle Forschungsthemen zielen auf die Auswirkungen des Klimawandels und die Identifikation von Klimaanpassungen für Seen und Talsperren sowie nachhaltiger Konzepte zum Gewässermanagement im Spannungsfeld zwischen ökologischer Funktion und menschlicher Nutzung.
Karsten Rinke studierte Biologie an der Uni Göttingen und der TU Dresden, wo er ebenfalls seine Doktorarbeit absolvierte. Anschließend arbeitete er am Limnologischen Institut der Uni Konstanz, wo er u.a. auch Mitglied des Zukunftskollegs der Universität war. Seit 2010 ist er Leiter des Departments Seenforschung am UFZ. Dort hat er u.a. das Talsperrenobservatorium Rappbode an Deutschlands größter Trinkwassertalsperre etabliert, welches mittlerweile gemeinsam von Wissenschaftlern und Talsperrenbetreibern unterhalten wird.
Im Mai dieses Jahrs wurde er zum Professor für „Management und Modellierung von Seen“ an der BTU Cottbus-Senftenberg berufen.
Karsten Rinke sucht gerne den Austausch mit der Öffentlichkeit sowie Experten und wurde 2021 mit dem Wissenstransferpreis des UFZ ausgezeichnet. 2023 erhielt er den UFZ Kommunikationspreis.
Weiterführende Links:
- Department Seenforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magedeburg
- Themenseite zu Seen in der Klimakrise
- Brandenburger Seenreport 2024 des BUND