Weiterdenken hat dieses Jahr seinen 30. Geburtstag gefeiert. Kathrin Krahl und Hannah Eitel haben sich mit Pino Olbrich über ein Stück Geschichte unterhalten. Pino Olbrich ist Teil des ehrenamtlichen Vorstands von Weiterdenken. Das war sie schon einmal von 1996 bis Ende 1998.
Hannah und Kathrin: Vor ein paar Jahren ist uns im Archiv diese Broschüre „Übungen im politischen Denken: Erinnern – Begreifen – Ankommen (?)“ in die Hände gefallen. Sie entstand aus einer gemeinsamen Tagung mit dem *sowieso*, die du damals organisiert hast. Wie war denn die Veranstaltung?
Pino: Da waren 30 Leute. Christina Thürmer-Rohr und ihre Partnerin Laura Gallati saßen beide an ihren Flügeln und haben uns eingestimmt. Und dann haben wir erst angefangen zu reden. Das war nicht fein getrennt, „erst die Arbeit, dann das Vergnüngen“.
Und du warst ganz verzaubert.
Ja, aber schon vorher. Thürmer-Rohr hat für mich erst klar gemacht, was alles Feminismus ist, welche Strömungen es gibt, und dass Feminismus als Herrschaftskritik, den Thürmer-Rohr vertreten hat, mir am nächsten liegt.
Bei der Tagung hat sie sich auf Hannah Arendt bezogen. Das machen wir heute noch oft bei Weiterdenken, wie bei der Tagung „Politisch Handeln im autoritären Sog“.
Der Politikbegriff von Hannah Arendt, besonders die Idee der Freiheit und der Wunsch zu verstehen, ist mir auch sehr nah. Diese Absage an Denkverbote und dagegen diese Offenheit, „Denken ohne Geländer“.
Das spannende an Arendt ist ja die Offenheit, aber dabei nicht beliebig zu werden. Es geht nicht um Raunen und Schwafeln, wenn sie von Offenheit spricht, sondern sich konflikthaft mit der Welt und den anderen auseinanderzusetzen. War das auch bei der Tagung so? Es ging doch darum, dass Ost- und Westfrauen zusammentreffen?
Das war nicht der erste Punkt, sondern über uns nachzudenken. Was ist hier eigentlich los? Wir mussten uns erstmal Geschichte erzählen. Wir haben vor autobiografischem Hintergrund auf das geblickt, wovor wir stehen. Der zweite Punkt war dann erst, es nicht nur für uns zu machen, sondern die Ost-West-Perspektive dazuzunehmen.
Oft heißt es ja, dass damals in den 1990ern nicht genug zugehört wurde. Ihr habt euch aber nicht ungehört gefühlt, ihr habt eine Bestandsaufnahme gemacht und analysiert.
Ich glaube am meisten haben sich die ungehört gefühlt, die die meisten Illusionen hatten. Die gesagt haben, „der Westen ist zuständig, das wird alles prima“. Aber die, die schon die ganze Zeit am Prozess beteiligt waren, die nicht einfach dachten, „super, jetzt sind andere für uns zuständig“ – die selbst zuständig sein wollten, die haben sich eher gehört gefühlt. Manchmal denke ich, es hat auch viel mit der Treuhand zu tun, das sich nicht-gesehen-Fühlen.
In deinem Beitrag geht es ganz stark um Ökonomie, etwa darum, wie Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden sollten.
Das hat mich wahnsinnig gemacht. Die herrschende Politik hat den Sozialstaat abgebaut, besonders hat das Frauen betroffen.
Mir ging es aber vor allem darum, wie wir politisch damit umgehen: Es gab ein Gefühl von Einsamkeit in der Politik, auf verlorenem Posten zu stehen. Denn viele befanden sich aus der DDR-Erfahrung heraus in einer Abstinenz gegenüber politischen Instrumenten und besonders Parteien. Ich würde diese Zeit so beschreiben: "Wir gründen sehr, sehr viele – wichtige und tolle – Initiativen und Einrichtungen. Aber wir wollen mit der politischen Ebene nichts zu tun haben." Ich denke, das hatte etwas mit der DDR zu tun. Für mich beginnt das schon, wenn von "der Politik" die Rede ist. "Die Politik", das ist etwas monolithisches, das machen "die da oben" und die machen entweder alles richtig oder alles falsch.
Du hast geschrieben: "Wenn wir Politik nur aus der Optik unserer DDR-geprägten Denkens als homogene Betrugsveranstaltung wahrnehmen",
dann spielt das der Politik der Sparpakete unmittelbar in die Händen. Skepsis und das Fernbleiben von Politik in Parteien und Parlamenten hat den Konservativen in die Hände gespielt. Deswegen habe ich fürs Ankommen plädiert, nicht im Sinne von Einrichten sondern von Einmischen.
Das schöne an den vielen Neu-Gründungen ist: Man sieht ja an den ganzen Geburtstagen gerade, dass in den 1990ern viel gestiftet wurde. Wer gegründet hat, hat sich wohl nicht ungehört gefühlt. Wie sah Weiterdenken denn damals aus?
Es gab ein winziges Kabüffchen im Umweltzentrum, da saß Jens Hommel und hatte einen Vorstand. Und wenn ich Lust auf ein Projekt hatte, bin ich dort vorbeigegangen und wir haben geschaut, wie es gehen kann. Das war noch nicht so aufwendig; wir haben damals noch alles selbst gemacht und viel im Ehrenamt.
Schön, dass du bis heute noch dabei bist, und vielen Dank!