Flüchtlingskrise in Bosnien: Politikversagen, Gewalt und Hass

Das Land, aus dem im Krieg  1992 - 1995 Hunderttausende Menschen flohen und Aufnahme in westeuropäischen Ländern fanden, geht immer inhumaner gegen Flüchtlinge vor. Sie sind mit Ignoranz und Schikanen konfrontiert. Schuld  an den alarmierenden Zuständen ist die EU mit ihrer rigorosen Abschottungspolitik.

Die Szenen sind seit Monaten dieselben: An Straßenkreuzungen versuchen Menschen aus Irak, Syrien oder Pakistan ein paar „Feninge“ zu erwirtschaften, in Fußgängerzonen von Bihac bis Sarajevo halten sie Passanten verzweifelt kleine Packungen mit Taschentüchern entgegen, um wenigstens ein paar Einnahmen für den Tag zu generieren. Es ist Anfang Oktober, in den bosnischen Bergen ist schon der erste Schnee gefallen. Nun wird es nachts auch in den niedriger gelegenen Regionen empfindlich kalt – und die Lage der Flüchtlinge wird immer verzweifelter.

Im Laufe des Jahres kamen neuerlich rund 10.000 Flüchtlinge auf der sogenannten Balkanroute nach Bosnien und Herzegowina. Seit drei Jahren hält der Zuzug an, doch die Situation für die Betroffenen hier, in einem der ärmsten Länder Europas, gleicht einer Sackgasse. Es waren vor allem lokale Initiativen, die bereit waren, die Flüchtenden anzunehmen und zu versorgen. Die Mehrheit der bosnischen Politiker hat die Bedürfnisse der Menschen auf der Flucht jedoch bislang weitestgehend ignoriert und es versäumt, ein adäquates Auffangmanagement zu organisieren.

Statt politische und vor allem humane Lösungen anzubieten, wird die Flüchtlingsproblematik von den Parteien in Bosnien politisch ausgeschlachtet, mit den Flüchtlingen lässt sich trefflich vom eigenen Versagen ablenken.

Der radikal-nationalistische serbische Präsident des Landes, Milorad Dodik, lässt Flüchtlinge gar aus der Republika Srpska in den anderen Landesteil verbringen, in die Föderation der Kroaten und Bosniaken, um die eigene Entität „flüchtlingsfrei“ zu halten. Schikanen sind jedoch auch hier  an der Tagesordnung.

IOM: „Traurig und inhuman“

Während Europa über die Aufnahme der Flüchtlinge aus dem griechischen Moria diskutiert, bleibt die desolate Lage der Flüchtlinge in Bosnien in den Debatten ohne Widerhall. Während die bosnische Bevölkerung anfangs noch hilfsbereit auf die Neuankömmlinge reagierte, ist das Klima zunehmend aggressiv, nun schlägt den Flüchtlingen eine Mischung aus Verachtung und Hass entgegen. Die ungeklärte Unterbringung der Migranten, die auf sich alleine gestellt durchs Land meandern und  versuchen, irgendwie zu überleben, empfinden viele, angestachelt von Medien und Politikern, als Bedrohung.

In Bihac lösten die Behörden Anfang Oktober ein Flüchtlingscamp grundlos auf und setzten Hunderte Flüchtlinge auf die Straße, mit dramatischen Folgen: Es kam zu schweren Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flüchtlings-Gruppen. Zwei Migranten wurden getötet, etliche verletzt. Das Chaos wurde bewusst herbei geführt, so scheint es, um den Migrantenn zu demonstrieren: Ihr seid in Bosnien nicht erwünscht. „Traurig, inhuman und unnötig“, kommentierte der IOM-Vertreter in Bosnien, Peter van Der Auweraert das Vorgehen der Behörden. So sehe der Beginn eine humanitären Krise aus. [1]

In den Wäldern Velika Kladusas hausen Hunderte Flüchtlinge in selbst gebauten Notbehelfen aus Plastikplanen, es mangelt ihnen an Essen, an Decken, an allem. Ob sie hier den Winter überleben werden ist nicht gesichert. Ihre desolate Lage ist kein Thema.

Dagegen werden in der Öffentlichkeit Gewalt – und Diebstahlsdelikte aufgebauscht, ganz so, als stellten in der brutalisierten Gesellschaft Bosniens einzig die Migranten ein Sicherheitsrisiko dar. Die einseitigen Presseberichte tragen zweifelsfrei dazu bei, dass die Ablehnung gegenüber den Fremden immer größer wird.

Dass die überforderte Politikerkaste mit ihrem Nichtstun und ihrer Ignoranz die prekäre Situation mit verursacht hat, davon hört man freilich nichts im öffentlichen Diskurs. Menschenrechte sind in Bosniens Politikalltag ohnehin systematisch unter Beschuss – sie gelten schon gar nicht für Flüchtlinge.

Bosniens Politiker: Blind für die Rechte von Flüchtlingen

Ganz offenbar mit der Situation überfordert erließ der Una-Sana-Kanton im Herbst weitreichende Einschränkungen: Danach dürfen Migranten sich nicht mehr frei bewegen, auch wurde es der Bevölkerung untersagt, ihnen Unterkünfte zur Verfügung zur stellen. Ein Land, aus dem im Bosnienkrieg Tausende Flüchtlinge nach Deutschland und in andere Länder flohen und dort Aufnahme fanden, verweigert nun humane Lösungen für Menschen aus anderen Krisengebieten. [2] Ja schlimmer noch, die Verantwortlichen in Bosnien scheinen das Leid der Flüchtlinge bewusst zu erhöhen.

Flüchtlingshelfer werden von den Behörden an ihrer Arbeit gehindert oder drangsaliert, viele Erhalten auch Drohungen aus der Bevölkerung. Helfer legen ihre Identitäten in sozialen Medien nicht mehr offen – aus Angst, Übergriffen ausgesetzt zu sein. Im Grenzgebiet zu Kroatien hat sich eine sogenannte Bürgerwehr gegründet, die offen zur Gegenwehr gegen die „Schwarzen“ aufruft, wie Flüchtlinge landesweit abfällig genannt werden - angeblich, um die Bevölkerung zu schützen. Es findet eine regelrechte „Menschenhetzte“ statt, sagt eine Flüchtlingshelferin aus Sarajevo, die mit einer Freundin an der bosnischen-kroatischen Grenze bemüht ist, medizinische Notversorgung zu organisieren.

Kroatiens brutales Grenzregime

Die Flüchtlingsproblematik wird dadurch verschärft, dass Kroatien auf der anderen Seite der Grenze die EU-Grenze mit zweifelhaften Methoden verteidigt und dabei seit Monaten zu illegalen Maßnahmen greift. Brutale, illegale Puschbacks[3] – systematische Rückführungen zurück nach Bosnien - sind zwar durch Amnesty International mehrfach dokumentiert worden – bislang jedoch ohne Konsequenzen.

Auch andere EU-Mitgliedstaaten spielen vor diesem Hintergrund eine eher unrühmliche Rolle, Deutschland mit eingeschlossen. Statt die Rechtsbrüche seitens Kroatiens offen zu thematisieren, erntet die Regierung in Zagreb Lob und Anerkennung. Bundesinnenminister Horst Seehofer beteuerte zwar eine Unterstützung der Balkanländer [4] , substantielle Hilfe aber, die den Flüchtenden zugute gekommen wäre, fand bislang nicht statt. Statt dessen schenkte der Deutsche bei einem Besuch der Kroatischen Grenzpolizei Wärmebildkameras und signalisierte damit, das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge zu unterstützen.

Das EU-Mitglied Kroatien bricht systematisch europäisches und internationales Recht“, konstatiert Sascha Schießl vom Niedersächsichen Flüchtlingsrat. Dass Kroatien den Flüchtenden systematisch die Antragstellung auf Asyl verweigert, scheint innerhalb der EU jedoch niemanden zu interessieren. Geordnete Asylverfahren sind auf der Balkanroute augenscheinlich nicht erwünscht.

Fragwürdige Abschottung

Und Brüssel? Schweigt zu den Vorkommnissen auf dem Balkan, die die Union durch ihre hermetische „starke-Grenzen-Politik“ selber hervorgerufen hat. Es ist offensichtlich, dass es an einer tragfähigen Strategie fehlt, wie die Probleme an den Außengrenzen gelöst werden sollen. 2018 stellte die Kommission Bosnien und Herzegowina mehr als 50 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung. Berücksichtigt man die Dyskunktionalität des bosnischen Staatswesens und die endemische Korruption in dem Nachkriegsland erscheint es nicht verwunderlich, dass die Gelder evidenter Weise keinesfalls, wie vorgesehen, für den Ausbau der Flüchtlingskapazitäten genutzt wurden.

Die komplexe politische Gemengelage in Bosnien mit seiner überbordenden bürokratischen Struktur, die politischen Machtspielchen hat man in Brüssel augenscheinlich unterschätzt. Und so fehlt es auf dem kaum wahrgenommenen Hotspot der Balkanroute an Unterbringungsmöglichkeiten, es fehlt an Organisation. Und es fehlt an politischem Willen, den Bedürfnisse der Migranten nachzukommen und ihre (Menschen-)Rechte zu wahren.

Offenbar hat die EU darauf gebaut, dass sich die Probleme der Flüchtlinge auf dem Balkan von alleine lösen. Das Gegenteil ist der Fall. Nun eskaliert die Lage, und das vor dem hereinbrechenden Winter. Die Leidtragenden sind Tausende Flüchtlinge, die nicht wissen, wie sie in Bosniens die nächsten Monate überleben sollen. Die EU steht vor den Trümmern ihrer Abschottungspolitik.