„8 Sekunden“ lautet die Zeitangabe im Protokoll für die Hinrichtung von Elfriede Scholz (*25. 3.1903). Am 16. Dezember 1943 um 13.04 Uhr hatte die NS-Justiz die jüngste Schwester des Schriftstellers Erich Maria Remarque wegen „Wehrkraftzersetzung“ in der Vollzugsanstalt Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil töten lassen. Das Todesurteil, das der Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des fanatischen NS-Richters Roland Freisler gegen sie aussprach, richtete sich auch gegen ihren im Exil lebenden Bruder, dem die Nationalsozialisten nicht mehr habhaft werden konnten. „Ihr Bruder ist uns leider entwischt, Sie aber werden uns nicht entwischen“ brachte es Freisler während der Verhandlung auf den Punkt.
Elfriede Scholz war eine von etwa 17.600 Frauen und Männern, die zwischen 1933 und 1945 von der NS-Justiz zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. In mehr als 60 Prozent der Fälle waren die Gesinnung der Angeklagten oder ihre politischen Aktivitäten der Grund für den justiziellen Mord und nicht selten waren es Denunziationen aus dem eigenen Umfeld, die die Ermittlungen der NS-Behörden in Gang setzten. Auch die Damenschneidermeisterin Elfriede Scholz, die kein Geheimnis aus ihrer Einstellung gegenüber den Nazis machte, wurde von einer Kundin und vermeintlichen Freundin denunziert: Ingeborg Rietzel. Die junge Frau – eine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus und Ehefrau eines Wehrmachts-Offiziers – war offenbar verärgert darüber, dass ein Kleid nicht rechtzeitig zum Fronturlaub ihres Mannes fertig geworden war. Sie brachte ihren Mann dazu, Meldung über die defätistischen Äußerungen der Schneidermeisterin bei seiner vorgesetzten Dienststelle zu machen.
Knapp hundert Kundinnen von Frau Scholz wurden befragt, doch keine bestätigte, je zersetzende Äußerungen von der Schneiderin gehört zu haben. Der Volksgerichtshof gab jedoch den belastenden Aussagen von Ingeborg Rietzel und Antonie Wentzel, der Vermieterin von Frau Scholz, mehr Gewicht. Vor allem Ingeborg Rietzels Anschuldigungen finden sich in der Urteilsbegründung wieder. So hätte Elfriede Scholz ihr gegenüber den Wunsch geäußert „dem Führer gerne eine Kugel durch den Kopf“ zu jagen und wünschte „den kämpfenden Soldaten, daß ihre Frauen durch Bombenterror“ umkämen und „den sieggläubigen Frauen, daß ihre Männer draußen fallen“.
Ingeborg Rietzel musste sich der Tragweite ihres Handelns bewusst gewesen sein, denn als am 29. Oktober 1943 das Todesurteil verkündet wurde, äußerte sie sich gegenüber einem Angehörigen von Elfriede Scholz zufrieden mit dem Ausgang des Prozesses. Auch Antonie Wentzel hatte maßgeblich zu dem Urteil beigetragen und musste sich wegen Beihilfe zum justiziellen Mord 1950 in Dresden vor der Zweiten Kleinen Strafkammer verantworten. Sie wurde zu fünf Jahren Zuchthaus, den obligatorischen Sühnemaßnahmen auf die Dauer von zehn Jahren und den Einzug ihres Vermögens verurteilt. Ingeborg Rietzel konnte man nicht mehr für ihre Taten zur Verantwortung ziehen, sie kam während der alliierten Luftangriffe zusammen mit ihren beiden Söhnen Falk und Kai ums Leben.