Es ist kein neuer Chefkoch-Blog, der zu Übergewicht und Ernährungstrends berät. Der Ernährungsrat stellt ein Gremium auf kommunaler Ebene dar, das die Gestaltung des regionalen Ernährungssystems fokussiert. Und obwohl Nahrung mindestens genauso essenziell ist wie Wohnen, gibt es bisher noch keine koordinierte Ernährungspolitik, die das ganze Ernährungssystem von Erzeugung bis Entsorgung im Blick hat. Die Grundlagen unseres Ernährungssystems in großen Städten sind ressourcengierig und schädigen damit die Umwelt, beschleunigen den Klimawandel und führen weiterhin zu mehr Missständen weltweit. Das globale Ernährungssystem insbesondere in Städten ist besonders abhängig von Transport, Wirtschaftsabkommen und bedauerlicherweise auch von Nahrungsmittelspekulationen. Können wir uns da noch „Guten Appetit“ wünschen? Und wie lange haben wir überhaupt noch etwas auf dem Teller?
Die Aufgabe von Ernährungsräten ist es also, Zielsetzungen für lokale Ernährungspolitik zu diskutieren, darauf Handlungsprogramme zu erarbeiten und in die Umsetzung zu bringen. Das bedeutet neue Lösungen und lokale Handlungsansätze zusammen zu denken. Dazu braucht es das Wissen vieler Akteur/innen, den Kleingärtner/innen, Großgärtner/innen, Gemeinschaftsgärtner/innen und Menschen, die zwar nicht gärtnern wollen, aber frisches Gemüse schätzen und sogar das Flächenvergabebüro der Stadt. Sie zusammen vernetzt, ergeben die kreative und organisatorische Grundlage eines Ernährungsrates. In Deutschland gibt es schon Ernährungsräte in Berlin, Köln, Frankfurt. Weitere sind in Gründung.
Aber wie kam es eigentlich dazu, dass sich so viele Engagierte auf den Weg gemacht haben, um unterschiedlichste Lebensmittel- und Ernährungsfragen gemeinsam zu diskutieren und einen Weg der Veränderung gehen wollen?
Zum 8. Umundu-Festival für nachhaltige Entwicklung 2016 unter dem Motto „Our urban future“ gab es einen ersten Workshop „Food Futures – Ernährungsstrategien für die Stadt“ mit Philipp Stierand, dem Autor des Grundlagenbuches „Speiseräume“. Ein weiteres Zusammenfinden von Interessierten fand bei der Regionalkonferenz Dresden vom Forum „Sachsen nachhaltig entwickeln!“ statt. Valentin Thun, ein Filmemacher aus Köln (Film: „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“), präsentierte die Idee der Ernährungsräte, die – aus den USA kommend – bereits in mehreren deutschen Städten übernommen wurde. Schließlich gab es auch noch eine Mitgliederversammlung der Verbrauchergemeinschaft Dresden, wo noch einmal Valentin Thun für die Idee, wie durch die Zusammenarbeit von Erzeuger/innen, Konsument/innen, Politik und Verwaltung die Ernährungspolitik wieder auf die kommunale Ebene geholt werden kann, warb. Aus diesen öffentlichen Veranstaltungen ergab sich der E-Mail-Verteiler mit über 60 für Ernährungspolitik interessierten bis schon engagierten Menschen. Ein Initiator/innenkreis aus acht passionierten Menschen bereitete innerhalb eines Jahres in elf Treffen die Gründung vor. Dieser Kreis zeigte schon von Anfang an die vielfältige Mischung lokaler Ernährungsakteure: Mit dabei waren die VG Dresden, NAHhaft e.V., das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen, das Gartennetzwerk Dresden, die Lokale Agenda 21 für Dresden, Marktschwärmer Dresden, Saat.Gut und die Solidarische Landwirtschaft Dein Hof sowie einige Privatpersonen, die für das Thema brennen. Dazu gehörte unter anderem eine Umfrage im Verteiler über Schwerpunkte der Interessenslagen. Diese ergaben eine AG Struktur, die nun in der Gründung manifestiert wurde.
Am 25. September wurde der „Ernährungsrat Dresden und Region“ mit über 100 Akteuren im Dresdner Rathaus gegründet. Frau Dr. Angelika Tietz vom Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft hielt das offizielle Grußwort. Es gab vier fachliche Inputreferate. Katrin Bohn, Architektin und Wissenschaftlerin in Brighton/UK, zeigte anhand von Urban Design, Aktionsformen und Planungsrechnungen beispielhaft auf, dass Stadtlandwirtschaft sehr viel mehr bedeutet, als reine Landwirtschaft in der Stadt. Kristin Reiß vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) erklärte, welche Schritte aus Sicht der Transition-Forschung notwendig sind, um einen systemischen Wandel im regionalen Ernährungssystem anzugehen. Alexander Schrode vom NAHhaft e.V. interessierte sich für Qualitätsstandards und Transparenzsiegel in der Versorgung und wie diese schließlich die Qualität besser machen können. Last but not least gab Thea Lautenschläger, Botanikerin an der TU Dresden, einen sensibilisierenden Einblick in den Stand der Ernährungsbildung anhand von Lehr- und Bildungsplänen. Leider hakt es noch bei der Umsetzung und auch daran, dass oft nicht die Qualität des Essens, sondern der Preis entscheidet. Übrigens gibt es flächendeckend in den Schulkantinen zu wenig Rohkost und Kartoffeln, um ausgewogen gesund zu sein. Antonia Mertsching vom Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen (ENS) stellte darauf aufbauend vier Thesen in den Raum:
Die Stadt begreift sich als Ort der Landwirtschaft, an dem Nahrungsmittel auch jenseits von Klein- und Gemeinschaftsgärten und in der Innenstadt produziert und vor Ort verzehrt werden.
Der Ernährungsrat für Dresden und die Region wird zum zentralen Organ, um mit Agrarproduzent/innen, bürgerschaftlichen Vertretungen und öffentlichen Einrichtungen eine Ernährungs- und Selbstversorgungsstrategie für Dresden und die Region zu entwickeln.
Produzent/innen, Händler/innen und Verarbeiter/innen erarbeiten bis 2020 einen Verhaltenskodex für regionale und internationale Liefernetzwerke, der kontinuierliche Verbesserungen der ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen vorsieht – ebenso wie Qualitätsstandards, Transparenz, Lebenszyklus-Kostenberechnungen.
Allen Bürger/innen soll Zugang zu praktischer Erfahrung mit Anbau und Verarbeitung von Lebensmitteln ermöglicht werden sowie der theoretischen Wissensvermittlung zur Besorgung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln nach gesundheitlichen, regionalen und abfallvermeidenden Kriterien.
Dazu konnte nun in Gruppen diskutiert werden. Wichtig waren hier das gegenseitige Kennenlernen der Akteur/innen und die neue Art der Vernetzung sowie eine erste Idee, in welche Richtung die neuen Arbeitsgruppen arbeiten wollen. Es fand sich auch für jede Arbeitsgruppe ein „Hutmensch“, der sich bereit erklärte das nächste Treffen zu koordinieren. Ganz ehrlich, das bekommt ein echtes WOW! Auch umwerfend war das regional-saisonale Catering.
Alle beteiligten Menschen gründeten am Ende mit einem feierlichen Foto den Ernährungsrat Dresden. Damit ist ein weiteres Stück Weg in eine resiliente und gesunde Stadtgesellschaft genommen und es bleibt zu hoffen, dass es in großen und wirksamen Schritten voran geht.
Wer Lust hat mitzuwirken, kann sich gerne hier melden – die Homepage befindet sich im Aufbau, lässt aber schon Kontaktaufnahme zu.
Dieser Artikel wurde uns vom "Gartennetzwerk Dresden" zur Verfügung gestellt.
Weitere Informationen unter: https://www.dresden-pflanzbar.de/neuigkeiten/