(UN)SICHTBAR #5 Koloniale Spuren im Stadtbild

Joshua Kwesi Aikins macht in seinem Input Orte mit kolonialen Bezügen sichtbar, sensibilisiert für die „Entblätterung“ der Verwobenheit deutscher Kolonialgeschichte mit anderen Schichten deutscher Geschichte.  Am Beispiel der noch bis vor Kurzem so benannte Kleingartenanlage „Dauerkolonie Togo“ macht Aikins deutlich, dass an manchen Stellen im Stadtbild verschiedene Ereignisse und historische Epochen miteinander verwoben sind. Ihren Namen bekam die Anlage 1939 im Zuge der Kolonialpropaganda des Dritten Reiches in Vorbereitung auf den deutschen Kriegseintritt. Dass deutsche Geschichte gar nicht ohne ein Wissen über die Kolonialgeschichte verstanden werden kann, erläutert Aikins anhand des Deutschen Reichtags und der Ereignisse vor dem 1. Weltkrieg. Nachdem der Reichstag 1906 nach Uneinigkeiten über die Gewährung weiterer Kriegskredite für den Krieg und Völkermord im heutigen Namibia aufgelöst wurde, gewannen konservative Parteien nach einer Kampagne, die nationalistische und rassistische Ressentiments schürte, viele Sitze dazu. Die SPD, die gegen die Kriegskredite votiert hatte, verlor empfindlich. Diese Niederlage war eine der wesentlichen Motivationen der SPD, beim nächsten Mal für Kriegskredite zu stimmen - es waren dies die Kredite für den 1. Weltkrieg. Aktuell umkämpft im postkolonialen stadtpolitischen Diskurs ist das Humboldtforum in Berlin. Aus dieser Perspektive erscheint es absurd eine dreistellige Millionensumme für das Wiedererrichten des Stadtschlosses, als „Beuteschrein“ für die Zurschaustellung der ethnologischen Sammlungen zu errichten. Das „Kuriositäten-Kabinett“ im Stadtschloss zur Zeit der Hohenzollern, die an der Kolonialaggression und dem Versklavungshandel beteiligt waren, würde fortgesetzt, ohne Gelder für die Erforschung des rechtmäßigen Besitzes über die Objekte selbst frei zu machen. Im einleitenden Zitat des Afrikaforschers Richard Kant aus einem Brief aus der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrikas an den Leiter der afrikanischen Abteilung des Berliner Museums für Völkerkunde im Jahr 1897 wird die Notwendigkeit dafür deutlich: „Überhaupt ist es sehr schwer einen Gegenstand zu erhalten, ohne zumindest etwas Gewalt anzuwenden. Ich glaube, dass die Hälfte ihres Museums gestohlen ist.“. Joshua Kwesi Aikins problematisiert aber nicht nur die Rechtmäßigkeit des Besitzes, sondern generell die Fortsetzung des kolonialen Blicks in ethnologischen Museen. Am Schluss verweist er auf das Dossier „Stadt neu lesen“ in der die koloniale Kontinuität vieler Orte in Berlin beschrieben ist, unter anderem 70 Straßennamen mit Kolonialbezug. An Hand der Umbenennung des Gröben-Ufers in May-Ayim-Ufer erzählt er über ein gelungenes Beispiel einer Verankerung eines postkolonialen Perspektivwechsels im öffentlichen Raum, der die geteilte Gewaltgeschichte aus der Perspektive derer erinnern soll, die Widerstand leisteten. Für die Verankerung dieses Perspektivwechsels im Stadtbild setzen sich die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland sowie Berlin Postkolonial ein. Auch für Leipzig konstatiert er die Schwierigkeit, dass an manchen Stellen die kolonialen Bezüge erst einmal aufgedeckt werden müssen. Doch darin liegt, wie er in seinem schönen Schlusssatz sagt, ein Schatz an Perspektiven, den es in Leipzig und in Deutschland größtenteils noch zu entdecken gibt.

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Der Beitrag der AG Postkolonial von Sophie Yume und Marcus Stoever gibt einen Einblick in die Arbeit und Philosophie der Gruppe und eine postkoloniale rassismuskritische Vision für Leipzig. Mit dem Mittel der postkolonialen Perspektive geht es der AG darum, koloniale Ereignisse in Leipzig zu suchen und zu dokumentieren und ihr Fortwirken sichtbar zu machen. Anhand der Karte „Leipzig postkolonial“ stellt Sophie Yume Orte in Leipzig vor und erklärt deren Verwobenheit in historische Ereignisse und Strukturen. Die Stationen sind unterteilt in verschiedene Bereiche, wie „koloniale Wissenschaft“ unter die das Grassi-Museum für Völkerkunde durch dessen Funktion des Koordinierens von Forschungstätigkeiten in den ehemaligen deutschen Kolonien fällt. Dabei erfährt man auch, dass es im Leipziger Zoo von 1876 bis 1931 rund 40 Völkerschauen gab, von denen auf der Website des Zoos noch immer nichts zu lesen ist. Auch die kolonial-revisionistische Beschriftung des Kolonialsteins am Völkerschlachtdenkmal durch die Nationalsozialisten »Deutsche, Gedenkt Eurer Kolonien« wird genannt. Unter der Rubrik „Widerstand“ findet sich beispielsweise die Lumumba-Straße, mit der der kongolesische Freiheitskämpfer zu DDR-Zeiten geehrt wurde. Marcus Stoever erläutert anschließend noch einmal genauer, wie die Initiative den Begriff des Postkolonialismus versteht und verwendet. Koloniales Denken und Wissen wurde auch in der Alltagskultur vermittelt – und natürlich auch im Stadtraum. Dies war nötig, um das koloniale Unternehmen überhaupt denkbar zu machen, zu legitimieren und dafür zu werben. Es wirkt bis heute nach. Am Beispiel der Fassadengestaltung des Grassi Museums für Völkerkunde und Kunstgewerbe von 1895, der Fassade der heutigen Stadtbibliothek analysiert Stoever wie sich diese aus postkolonialer Perspektive lesen und deuten lässt. Die Gestaltung der Fassade verweise damit auch auf reale Machtverhältnisse und ein reales Ungleichgewicht. In der städtischen Erinnerungskultur Leipzigs findet Kolonialismus bislang keine nennenswerte Erwähnung. Trotz des Bewusstseins einer vorhandenen historischen Leerstelle der Geschichtsschreibung, täten sich offizielle Stellen mit einer kritischen Aufarbeitung schwer. Dies zeigten die Ereignisse um die Feierlichkeiten und Medienkampagne zum 1000 jährigen Jubiläum Leipzig, wo die AG Postkolonial das Thema Kolonialismus nicht nur am Rande auf einer alternativen Website, sondern in der offiziellen Agenda verhandelt wissen wollte. Es bleibt abzuwarten, ob die Kritik dazu geführt hat, dass der Kolonialismus im vierbändigen Band zur Leipziger Geschichte einen Platz findet. Mit einem Plädoyer für eine selbstverständliche rassismuskritische postkoloniale Erinnerungskultur schließt Sophie Yume den Input. Dies sei nur durch persönliche Selbstreflexion der eigenen Verortung in Rassismus und Kolonialismus möglich. Mit verschiedenen Fragen macht sie deutlich, was so eine Auseinandersetzung beinhalten kann. Eine postkoloniale Selbstreflexion vermisst sie dementsprechend in der Internetpräsenz des Leipziger Zoos oder der Leipziger Mission und begrüßt sie bei dieser Veranstaltungsreihe des Grassi-Museums, oder bei sowohl weißen Leipziger_innen als auch People of Colour oder Geflüchteten Menschen, die in Leipzig rassismuskritisch und dekolonisierend kämpfen.

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In der anschließenden Diskussion wird deutlich, dass in der postkolonialen erinnerungspolitischen Arbeit häufig ein langer Atem notwendig ist, wie das Wiedererrichten der Büste von Lumumba in Leipzig nach zehnjährigen Engagement der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft zeigt. Ebenso müssen die Ansätze so vielfältig wie die kolonialen Spuren sein, es empfiehlt sich Entscheidungsträger gezielt zu kontaktieren und auch die Kontroversen sind nach der Erfahrung Joshua Kwesi Aikins wichtig. Die lange weitergehende Geschichte um die Anerkennung des Genozids an den Ovaherero und Nama wird angesprochen und warum Entwicklungszusammenarbeitsleistungen kein Ersatz für Reparationen sind. Wie in den postkolonialen Stadtrundgängen aktuelle globale Ungleichheitsverhältnisse thematisiert werden können, wofür und wie man sich in Leipzig weiter einsetzten kann wird weiter diskutiert. Hier kann nachgehört werden, wie die Diskussion zwischen der städtischen Initiative zur 1000-Jahr-Feier Leipzigs und der AG Postkolonialismus verlief und warum es nicht um das Entfernen von kolonialen Spuren geht, wie am Beispiel der Fassade der Stadtbücherei gefragt wird, sondern um die Aufladung und Sichtbarmachung von kolonialen Bezügen in unserem Alltag, von denen dieser häufig nur unsichtbar durchdrungen ist.

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Weiterführende Links und Literatur:

Website der AG Postkolonial Leipzig
Postkolonialer Stadtplan Leipzigs in 4 Sprachen
Einleitung der Berliner Broschüre „Stadt neu lesen“ von Joshua Kwesi Aikins zu Straßenumbennenungen

Ein Video zum Vortrag von Joshua Kwesi Aikins am 6.7.2016 in Hamburg: „Die Dekolonisierung des Stadtbildes: Straßennamen zwischen Kolonialnostalgie und Perspektivumkehr

Weitere Publikationen von Aikins.