Was ist da los bei Euch?

Für Weiterdenken sind die montäglichen Kundgebungen einer Gruppe die sich PEGIDA nennt, ihre Gefolgschaft, ihr Umfeld, ihre Facebookseiten mit ihren Fans und Kommentator_innen ein ernstes Thema. Wie viele Menschen in der Stadt kommen wir täglich und zu vielen Gelegenheiten darauf zu sprechen, diskutieren und sind als Bürgerinnen und Bürger wie auch als Bildungsprofis involviert. Wir wollen einen Beitrag leisten, diese neuen Phänomene zu analysieren und angemessene Reaktionen zu finden. Wir verweisen auf Beiträge Dritter sofern wir sie für produktiv halten und veröffentlichen Beiträge, um die wir Dritte gebeten haben. Wir bitten um Kommentare, Ergänzungen, Vertiefungen und produktiven Widerspruch.

Die aktuelle Bewegung bestätigt uns einerseits in unserer Einschätzung zur Vervielfältigung und Verstärkung neurechter Bewegungen mit rassistischer und chauvinistischer Grundierung. Die Fachkommission des Verbundes der Heinrich-Böll-Stiftungen schreibt „ […]ist zu beobachten, dass Ideologien der Ungleichwertigkeit nach wie vor mehrheitsfähig in der deutschen Gesellschaft sind. Einstellungsstudien zeigen, dass rassistische, antisemitische, heterosexistische und andere Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft stabil verankert sind. […] Rassistische und heterosexistische Positionen wurden in den letzten Jahren wieder zunehmend salonfähig.[1] 
Die Entwicklungen der letzten Monate bestärken uns auch in unseren Einschätzungen und Fragen zum Zustand der demokratischen Kultur in Sachsen speziell, die wir in den letzten Jahren mit unseren Demokratie-Tagungen und den daraus entwickelten Publikationen zu Sachsens Demokratie, zu "Mügeln" oder zu Evangelikalen in Sachsen entwickelt haben.

Es stellen sich für uns aber auch neue Fragen insbesondere zur Wirksamkeit und Methodik politischer Bildung und wir sehen zusätzliche Aufgaben in der Unterstützung der Weiterentwicklung insbesondere grüner Programmatik in Bezug auf Flucht-, Asyl- und Migrationspolitik.

Deshalb veröffentlichen wir hier ganz ausdrücklich unsere Haltung  – wobei ich allerdings den Eigennamen des Organisationsvereins im Folgenden als ernstzunehmende Bezeichnung ablehne- es gibt keine „Islamisierung“, das „Abendland“ ist ein mittelalterlicher, kolonialistischer Begriff und diese „Patrioten“ beziehen sich auf eine Nation und können – im politischen Sinne – keine „Europäer“ sein.

Die Abers - Kern und Oberfläche

Auch wenn sich die Anhänger_innen der Montagsumzüge unter dem Banner der Abwehr einer vermeintlichen Islamisierung versammeln, sind ihre Themen doch divers. Ausgehend von der Ablehnung von Waffenlieferungen für die von der Ausrottung durch islamistische Terrorgruppen bedrohte kurdische Gruppen in Syrien über die Ablehnung von angeblichen Glaubenskriegen in Deutschland, der oft zitierten vorgeblichen Islamisierung Europas und eben den nützlichkeitsorientierten Einschränkungen von Asyl finden sich Anklagen zu allen möglichen Themen: Die Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Hass auf die „Lügenpresse“, Kritik an der Vormachtstellung der USA in der Welt, Sympathiebekundungen für die russische Politik unter Putin u.a.m. Schauen wir auf die Inhalte - das sogenannte 19-Punkte-Papier der Pegidingsda [2]  oder das des nach rechts offenen völkisch-nationalistischen Leipziger Pendants, schauen wir auf die wenigen Transparente , die Fahnenzusammenstellung oder die Redebeiträge während  der Kundgebungen und nicht zuletzt das offene Zugehen auf die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag: Der Kern der Beiträge ist immer ein chauvinistischer, autoritärer und rassistischer. Insofern ist die ganze Bewegung tatsächlich – wie das Kulturbüro Sachsen analysiert – ein Resonanzboden für Rassismus.

Daher sind ihre Selbstbeschreibungen – wir sind keine Nazis, wir sind keine Rechten, wir sind keine Rassisten – bloße Farce, denn hinter jedem Halbsatz steht ein Aber: Aber Asyl kann es nur für die geben, die sich integrieren wollen; Aber wir wollen nur Migranten, die uns was nützen; Aber nicht in unserem Stadtgebiet; Aber nicht die allein kommenden Männer; Aber nicht, wenn wir uns einschränken müssen; Aber sie müssen sich unserer Kultur unterordnen; Aber das Abendland muss so bleiben, wie wir es kennen (wollen).
Andrea Hübler schreibt in ihrem Beitrag Pegida – ein Aufstand von Rechts ausführlich über Beteiligte und Inhalte.

Viel ist in der Berichterstattung und Interpretation von den Ängsten und den sogenannten Sorgen der Montags Demonstrierenden die Rede, die man wahrnehmen und ernst nehmen sollte. Und tatsächlich suggerieren einige Themen Anschlussfähigkeit an eine kritische Betrachtung der deutschen Gesellschaft.
Aber in Dresden begegnet uns derzeit nicht der einzelne Mensch mit Ängsten, Fragen und Bedenken. Wir haben es mit einer wachsenden, aggressiven, organisierten Gruppe zu tun, die ihre Schlussfolgerungen schon gezogen, ihre Antworten schon gefunden hat und diese Woche für Woche wiederholt. Der Kern ihrer Antworten, ihre grundlegende Haltung ist nationalistisch, völkisch, rassistisch, chauvinistisch und schürt Angst. Die angemessene Reaktion ist deshalb nicht Verständnis und ein offenes Ohr sondern Abgrenzung und ein widersprechender Mund.

Das egomanische Jammern der Privilegierten

Auch wenn die Befragung von Prof. Hans Vorländer nicht die letzte Überzeugungskraft hat, weil sich mehr der Befragung verweigerten als teilnehmen wollten und angenommen werden kann, dass die eher besser Gebildeten zur Antwort geneigt haben, vermitteln die Ergebnisse doch eine klare Tendenz. Es sind mehrheitlich nicht die Unterprivilegierten, die Abgehängten, die ärmeren Schichten oder jene mit geringeren formalen Bildungsabschlüssen – es sind Menschen aus verschiedenen Schichten mit ganz unterschiedlichen Problemen. Eine zweite Befragung des Göttinger Instituts zur Demokraieforschung verstärkt die Ergebnisse noch [Männlich, mittleren Altern, nicht sozial ausgegrenzt]Was sie eint ist nicht die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit besonderen Problemen oder Benachteiligungen, sie eint die Ablehnung der Veränderungen, die mit einer globalisierten, multikulturellen, offenen Gesellschaft verbunden und ihr Adressat sind die vermeintlich oder wirklich Schwächeren in der Gesellschaft.

Bei Widerspruch schreien sie Verbot

Gern berufen sich die Montagswandler_innen auf demokratische Grundrechte – vor allem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Bisher haben ihnen die staatlichen und kommunalen Behörden jeden gewünschten Ort gewährleistet, ernsthafte Einschränkungen haben sie nicht erlebt. Bei Widerspruch, also bei Worten und Taten, die sich ihren öffentlichen Meinungsbekundungen entgegenstellen, schreien sie auf, verunglimpfen ihre politischen Gegner_innen und werfen Kritiker_innen  Denkverbote und Demonstrationsverbote vor.

Auch hierbei haben sie eben nur den kleineren Teil demokratischer Grundregeln verstanden und akzeptiert. Kundgebungen im öffentlichen Raum dienen dazu, eine politische Meinung öffentlich kund zu tun, DAMIT sich die Öffentlichkeit damit auseinandersetzen kann, eine Reaktion ist zwingend für den demokratischen Prozess und die Reaktion ist häufig Widerspruch – so ist das in der Demokratie. Die Anhängerschaft von Pegidingsda kann und will keinen Widerspruch aushalten, verzerrt die Auseinandersetzung im öffentlichen Raum (Transparente, Gegenkundgebungen, Sprechchöre etc.) als „Verbot“ und inszeniert sich als Opfer von Unterdrückung wo doch lediglich demokratische Prozesse stattfinden.

Volk und Bürger

„Wir sind das Volk“ ist bei den Kundgebungen der Abers regelrecht zum Kampfruf geworden. Die Rufer_innen machen damit einerseits deutlich, dass sie sich für eine verkannte Mehrheit halten. Wir lesen aus der Verwendung dieses Rufes natürlich auch den Bezug zu 1989 - einer Situation, in der die Herrschenden in der DDR ihre Legitimität und die Unterstützung der Mehrheit der Bürger_innen verloren hatte. Gemeint ist aber vor allem, dass die Ruferinnen und Rufer sich als die Gruppe definieren, von der die Macht ausgeht (oder ausgehen soll). Basis ist eine verrohte Demokratieauffassung, die davon ausgeht, die Minderheit müsse sich einer Mehrheit immer unterordnen und anpassen, eigene Rechte stünden ihr nicht zu. Der Ruf soll sie als Erben legitimer Kritik an Machtverhältnissen adeln, wo sie doch nur rücksichtslos Macht ausüben wollen.

Pegidingsda wird gern als „Bürgerbewegung“ beschrieben. Das funktioniert nur, wenn man ein sehr schlichtes Bild von Bürgerbewegungen hat und den Begriff schon bemüht wenn sich - nun ja - Bürger bewegen. Wir beschreiben Bürgerbewegung als Bewegung einer Bürgerschaft, also von Bürgerinnen und Bürgern, die sich jenseits individueller Eigeninteressen für Fragen des Gemeinwohls einsetzen, Fragen zur Verfasstheit der Gesellschaft haben (und die die Universalität von Menschenrechten vertreten. Universell heißt eben nicht, dass diese Rechte nur für eine selbstdefinierte und abgegrenzte Eigengruppe gelten. Wir können es auch als eine Verkürzung des Begriffs der Bürgerrechtsbewegung, also einer Bewegung für die Wahrung oder Erweiterung von grundlegenden Rechten von Bürger_innen interpretieren. Eine Bewegung die Rechte nach Übereinstimmung mit den eigenen Lebensauffassungen oder Nützlichkeit und Effizienz abgestuft, ist das Gegenteil einer Bürgerbewegung. Nicht zuletzt distanziert sich eine Gruppe von Bürgerrechtler_innen der 89er Bewegung kritisch in ihrem „Weihnachtsgruß von Neunundachtzigern“.

Scheinriesen und Brandstifter

Wir wollen die Abers nicht überschätzen – in Dresden bringen sie eine überraschend große Anzahl von Menschen überraschend oft auf die Straße, davon sind inzwischen aber Tausende von außerhalb Dresdens, aus den Kleinstädten Ostsachsens, des Erzgebirges und des Vogtlandes und zunehmend aus umliegenden Bundesländern. In keiner anderen Stadt konnten sie ähnliche Auftritte etablieren.
Sie haben nicht wirklich Anhänger_innen durch Argumente gewinnen können, sie locken nur Vertreter_innen  nationalistischer, völkischer, rassistischer und chauvinistischer Haltungen montäglich auf die Straße. Sie sind erfolgreich, solange sie ihre Forderungen im Ungefähren lassen können und so Ressentiments aller Couleur vereinigen.

Wir wollen das Phänomen aber auch nicht unterschätzen. Nachdem die NPD bei den Landtagswahlen 2014 immer noch fast 5% der Wähler_innen gewinnen konnte obwohl die AfD fast 10% aus dem Stand binden konnten, aktiviert Pegidingsda neben diesen Gruppen auch etliche Nichtwähler_innen und Wähler_innen anderer Parteien, vorwiegend der CDU. Vereint stiften sich die Kundgebungsteilnehmer_innen wöchentlich Legitimation, Schranken zu gewaltbereiten Neonazis, Neurechten und NPD fallen oder sinken. Hemmungen, Dinge auszusprechen, fallen und bestärken sich im öffentlichen Auftritt, das Abern wird professionalisiert und findet in Bürger_innenversammlungen und Ortsbeiratssitzungen zigfaches Echo. Die Stimmung ermutigt die Gewalttäter_innen, die „Volksfremden“ zu jagen, Brandsätze werden wieder zusammengeschraubt. Konservative Politik verschiebt ihre politische Agenda. Und so begegnen uns die Abers wieder: Bei den nächsten Wahlen, bei den nächsten Asyl- oder Migrationsdebatten, bei den nächsten Diskussionen über innere Sicherheit, bei den nächsten Auseinandersetzungen über die Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Insofern müssen wir die Phänomene ernst nehmen und Konsequenzen ziehen, ohne unsere Energie an den Scheinriesen zu verschwenden.

Warum Dresden?

Wer sich produktiv mit dem Phänomen auseinandersetzen will, muss sich klarmachen, dass hier Ressentiments und Gesellschaftsvorstellungen ans Licht kommen, die überall in der Gesellschaft vorhanden sind – in allen Regionen Deutschlands und in allen Schichten. Gleichzeitig muss uns klar sein, dass wir es hier auch mit einem spezifischen Problem zu tun haben: Mit alten Ost-West-Animositäten und wirklichen und gefühlten Deprivationen des Ostens, mit einer fortgesetzten Autoritätsorientierung von der DDR bis in die CDU-geführten Regierungen Sachsens in den letzten 25 Jahren, mit einer provinziellen Selbstzufriedenheit und Modernisierungsablehnung in Dresden.

Wir haben Michael Lühmann um einen Beitrag gebeten, der dies ausführlich beschreibt.
Dr. Dietrich Herrmann, Mitglied und viele Jahre auch Vorstand von Weiterdenken hat einige Gesichtspunkte in seinem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung verdeutlicht.
Auch der Gastkommentar des grünen Dresdner Stadtrates  Johannes Lichdi im Tagesspiegel  vom 13. Januar zeigt Aspekte dazu auf.

Offensichtlich sind in Dresden spezifische Antworten zu suchen, die etwas mit der Art des Regierens, der Art des öffentlichen Sprechens und Debattierens, mit der Besetzung von Stellen in Institutionen von Bildung, mit den Aufgabenprofilen von Lehrenden und der Besetzung von Lehrstühlen zu tun haben. Wer hier etwas ändern will, muss dicke Bretter bohren, aber endlich damit anfangen.

Der Mob

Alle als Mob zu bezeichnen, die montags den Kundgebungsaufrufen der Pegidingsda folgen oder deren Facebookseite liken ist eine pauschale Diffamierung. Zum Mob werden sie, wenn sie ohne jede Scheu auf den Internetseiten von sozialen Netzwerken und Nachrichtendiensten menschenverachtende Kommentare, Gewaltaufrufe, rassistische Pöbeleien, sexistische Anfeindungen hinterlassen. Zum Mob werden Teile der Mitlaufenden nach den Kundgebungen, wenn sie aus der Stimmung des Montags heraus für sich das Recht ableiten, Menschen zu verfolgen, zu schlagen und zu treten, die dem Anschein nach nicht zur selbstdefinierten Wir-Gruppe gehören. Insofern ist Pegidingsda nicht der Mob sondern der Humus des Mobs. Das macht es nicht besser.

Dialog

Trefflich wird nun Dialog eingefordert oder anempfohlen und dafür gute Argumente angeführt. Die meisten sind im Konkreten nicht stichhaltig oder vorgeschoben. Politische Akteurinnen und Akteure würden wohl auch die Anhänger von Pegidingsda als Wähler_innen gewinnen und an sich binden. Andere, denen der politische Diskurs in Deutschland schon länger „zu weit nach links gerückt ist“ schieben Dialogangebote und wissenschaftliche Einschätzungen vor, um der eigenen Haltung folgend konservative Positionen in der Gesellschaft zu stärken.
Etliche Ratgebende haben keine Ahnung und reden ohne Anschauung und Kenntnis des Kontextes. Und nicht zuletzt macht sich eine pastorale Hilflosigkeit breit, die Jede und Jeden Alles reden lässt und dies als – irgendwie - menschliches Miteinander beschönigt.

Es ist in den letzten Wochen mehrfach ausgeführt worden, wie wenig sachliche Substanz die Argumente der Abers haben, wie wenig Bereitschaft zum Hinterfragen, Zuhören - eben zu Dialog - ist, wie hermetisch die Weltbilder sind. Den Montags-Abers geht es nicht um Dialog, sondern um gegenseitige Bestätigung in der Gruppe, um die Verschiebung der Stimmung, um eine Anerkennung ihrer Menschen- und Gesellschaftsbilder ohne Kritik und Zweifel. Auch alle Forderungen nach mehr Aufklärung, mehr Informationen und Fakten müssen an diesen Haltungen scheitern.

Eine reichlich naive Annahme ist auch, ausbleibender Dialog würde Gräben vertiefen. Die städtische Gesellschaft wird nicht gespalten, nur wird nun deutlich wie sehr sie es die ganze Zeit offensichtlich gewesen ist.

Vereinzelt war im Rahmen solcher Dialogempfehlungen auch zu lesen, dass die wohl zu Recht Unmut an den politischen Verhältnissen spüren würden, aber den richtigen Gegner noch nicht gefunden hätten. Die Energie müsste doch in eine Kritik an kapitalistischen, kolonialen oder monopolistischen Strukturen umzudeuten und umzulenken sein. Auch solche Konzepte der Umdeutung und Umlenkung müssen scheitern, die Montags-Abers haben sich entschieden: Ihr Lösung für ihre Ressentiments und Meinungen sind nicht neue Ideen, sondern das jede modernisierende Gesellschaft ablehnende Festhalten am Bekannten innerhalb ihres Horizonts.

Tatsächlich müssen wir uns Gedanken machen, warum die sächsische/ Dresdner Gesellschaft so gespalten ist, warum grundhafte Voraussetzungen demokratischer Gesellschaften nicht angenommen wurden, warum die basale politische Bildung - also die positive Etablierung von Menschenrechten, von Empathie und Solidarität mit Benachteiligten, von Interessensausgleich und gewaltfreiem Streit – einen erheblichen Teil der Bevölkerung nicht erreicht, warum also Institutionen vom Kindergarten über Schule, Hochschule bis hin zu Vereinen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und Parteien ihrer Aufgabe also nicht ausreichend gerecht werden. Hier ist viel weiterzudenken und zu handeln – ein unmittelbarer Dialog mit Pegidingsda und ihrer unmittelbaren Montagsgefolgschaft wertet diese auf und bringt keine Veränderung im demokratischen Klima und Alltag. Es gibt dafür keine Basis. Pegidingsda führt – in der Mehrheit - einen aggressiven Monolog auf, für den es zunächst keine andere angemessen Reaktion als Analyse und Abgrenzung gibt.

Es wird natürlich in den kommenden Wochen und Monaten öffentliche Diskussionen geben, die auf die Phänomene regieren. Natürlich steht vor uns die Aufgabe wieder und wieder ganz basale Grundlagen einer demokratischen Kultur zu verdeutlichen und auch zu verteidigen. Hoffentlich werden sie mehr und andere Menschen erreichen, als wir in den letzten Jahren ganz offensichtlich erreicht haben. Dafür gibt es allerdings einen Rahmen. Öffentliche Dialoge können keine Plattform für menschenverachtende, Grundrechte negierende, rassistische, chauvinistische und völkische Propaganda sein. Wenn Dialoge zu mehr Demokratie führen sollen, ist genau dann Widerspruch notwendig.

Was also ist zu tun?

Das Kulturbüro Sachsen hat in seiner Analyse zurecht darauf hingewiesen, dass zunächst Raum für die Perspektiven derjenigen zu schaffen ist, denen die neurechte Bewegung um Pegidingsda grundsätzliche Rechte abspricht und menschliche Solidarität verweigert. Es ist eine gute Nebenwirkung der Auseinandersetzungen der letzten Wochen, dass erste Geschichten Geflüchteter in den Tageszeitungen etc. in Sachsen erscheinen. Wir brauchen mehr Geschichten über den Alltag in den Herkunftsländern Geflüchteter, ihre Wünsche und Fluchtgründe, ihre Wege und Verluste, ihre Ängste und Hoffnungen in deutschen Städten und Gemeinden. Solche Geschichten können sich auch und vielleicht eindrücklicher in direkter Begegnung in Schulen, Kindereinrichtungen, kulturellen und soziokulturellen Institutionen vermitteln. Das bedeutet Begegnung im Stadtteil, im Café, im Stadtteilhaus in der Schule. Neben dem besseren Verständnis über Motive und Situation ließe sich auch genauer erkunden wer welche Hilfe wann braucht und die konkreten Unterstützungs- und Teilhabeangebote (Textilien, Spielzeug, Deutschkurse, medizinische Hilfe, Beratung bei Behördengängen und Formularen, Sportangebote, Schulangebote, Wohnungsausstattung, berufliche Praktika  etc.) könnten genauer und erfolgreicher sein und so die tatsächliche Situation der Asylsuchenden konkret verbessern. Wir brauchen mehr kritische Berichterstattung und Auseinandersetzung mit den schlechten Lebensbedingungen Geflüchteter in Deutschland.

Die Antwort auf die nationalistische Bewegung, die Asyl nicht als Recht versteht sonders als Nützlichkeitsfolie, kann nur sein, Asyl als individuelles Grundrecht zu stärken und nicht permanent zu durchlöchern und zu schwächen. Dazu gehören konkrete Maßnahmen aber auch ein bedachtes und positives öffentliches Sprechen über Flucht, Asyl und Migration. Wer jahrelang über „Asylmissbrauch“, „ Scheinasylanten“ und „Asylflut“ redet, wer europäische Arbeitsmigrant_innen pauschal als kriminell diffamiert, Integration zur Pflicht macht oder Sonderkommissionen gegen nicht vorhandene Probleme einrichtet, wird auch in Zukunft Pegidingsda ernten.

Auch in den Medien wird die neurechte Montagsgesellschaft unüberlegt und eben irreführend u.a. als „asylkritische“ Bewegung oder gar eine „islamkritische“ Bewegung beschrieben. Auch hier ist mehr Genauigkeit und Reflexion angebracht, auch bei uns – bei Bildungseinrichtungen aber auch bei Grünen.
Es geht auch anders. Roland Kaiser (Ja, Roland Kaiser) sagte am 10. Januar bei der Kundgebung an der Dresdner Frauenkirche:  „Wir sollten und dürfen stolz darauf sein, dass wir Männern, Frauen und Kindern aus Krisengebieten in unserem demokratischen Land ein Leben und eine Zukunft in Sicherheit und Freiheit ermöglichen können.“

Pegidingsda haben den öffentlichen städtischen Raum für ihre Meinungsäußerung gesucht. Hier muss ihnen widersprochen werden. Natürlich gehören Gegenkundgebungen und Platzbesetzungen dazu, der öffentliche Raum darf ihnen nie allein gehören, es soll keine Berichterstattung ohne die Gegenwehr geben können. Aber ein Massenwettbewerb (wer hat die meisten Leute auf der Straße) ist auf Dauer nicht attraktiv. Danke den Initiativen in Dresden die Montag für Montag eine Anlaufstelle für alle bieten, die die Kraft haben wöchentlich gegen Pegidingsda zu demonstrieren. Danke für die Kundgebungen in anderen Städten, die deutlich machen, dass die deutsche Öffentlichkeit nicht überall so plump rassistisch und chauvinistisch daher kommt wie in Dresden derzeit. Danke für die schnelle und klare Haltung, die die Dresdner Kultureinrichtungen bezogen und veröffentlicht haben und die vielen kreativen Ideen von den Fahnen und Transparenten über Lichtinstallationen und Beleuchtungsverweigerung bis zu musikalischen und anderen künstlerischen Beiträgen, Filmen und Internetangeboten. Danke für die Argumente und Fakten, die in Zeitungen und Fernsehbeiträgen zusammengestellt wurden. All dies stärkt und bekräftigt die demokratisch orientierte Bürgerschaft in Dresden und darüber hinaus und das brauchen wir gerade.

Es bleibt darüber hinaus eine dauerhafte und herausfordernde Aufgabe, von Kindheit an und in unserem ganzen öffentlichen Leben immer und immer wieder, Empathie für Mitmenschen anzuregen, zu fördern und zu stärken und Abwertung und Diskriminierung entgegenzutreten, Solidarität wieder zu einem positiv besetzten Gut zu machen. Das ist KEINE Spezialaufgabe von Demokratiefördervereinen und –beauftragten. Wenn wir das nicht zu einer Aufgabe der Gesellschaft machen, werden wir scheitern.
Wir können hier nicht alle Aspekte listen, aber um einen Bogen zu spannen: Ohne entsprechende Erfahrungen und Reflexionen in den Bildungseinrichtungen von den Kindereinrichtungen über die Schule bis zur beruflichen und Hochschulbildung und ohne eine aktive Rolle der Lehrenden und Ausbildenden geht es nicht. Wir brauchen endlich Fortbildungen und klare interne Regeln in Behörden und bei Polizei und Justiz. Wir brauchen aber auch einen menschenrechtsorientierte Bildungsarbeit die von aktiven Sozialpädagog_innen und Sozialarbeiter_innen geleistet wird. Die Stadtteil- und Sozialarbeit ist in Deutschland und eben auch in Sachsen entpolitisiert. In Bezug auf Menschenrechte und die Abwehr von Rassismus und anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit  kann es aber keine Neutralität geben. Hier sei noch einmal auf das Politikpapier der Fachkommission der Heinrich-Böll-Stiftungen verwiesen, das die Herausforderungen und Potenziale dieser Communityarbeit beschreibt und entsprechende Empfehlungen gibt.

Der Autor Navid Kermani hat am 14.1. auf der Trauerkundgebung für die Opfer des Pariser Anschlags in Köln gesagt: „Lasst uns, egal, ob gläubig oder nicht, schwarz oder weiß, heimisch oder fremd, lasst uns jederzeit wieder auf die Barrikaden gehen, um unsre Freiheit, unsre Gleichheit und eben auch unsere Brüderlichkeit zu demonstrieren. Die siebzehn Menschen, die in Paris als Journalisten, als Polizisten, als Juden ermordet wurden, sind in unserem Gedächtnis und unseren Gebeten als Menschen lebendig. Sie sind Zeugen dafür, dass der Kampf weitergeht, der 1789 in Paris seinen Ausgang nahm: Alle Menschen werden Brüder.“ Oder Schwestern.

Ergänzung:
Ende März schreibt Gerd Schwerhoff nach den vielen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit *GIDingsdas über Sprache, Tabus und die Rolle von Wissenschaftlern.

 
[1] Gemeinwesenarbeit und Demokratie - Mobile Beratung und Gemeinwesenarbeit als sozialräumliche Praxis einer menschenrechtsorientierten Demokratieentwicklung, Friedemann Bringt/Bianca Klose/Michael Trube/ Fachkommission „Ideologien der Ungleichwertigkeit und Neonazismus in Deutschland“, Berlin, Oktober 2014 
[2]  Aufgrund einiger kritischer Kommentare und Nachfragen zur Titulierung "Pegidingsda", hier ein kurze Erläuterung: Die stete Reproduktion einer sich im Eigennamen der besprochenen Organisation befindlichen angeblichen „Islamisierung“ wollen wir uns nicht anschließen. Auch der Begriff des „Abendlandes“ manifestiert die Dichotomie des Morgen- und Abendlandes und verstärkt Ressentiments und die Konstruktion des „Anderen und Fremden“. Unser Beitrag macht diese Konstruktion - wir das Volk, und dort die Morgenländler - nicht mit.  Victor Klemperer kommt in seinem Werk LTI zum Ergebnis, dass die Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus die Menschen weniger durch einzelne Reden, Flugblätter oder Ähnliches beeinflusst habe als durch die stereotype Wiederholung der immer wieder gleichen mit nationalsozialistischen Vorstellungen besetzten Begriffe. Das ist für uns eine Orientierung und deshalb machen wir das Risiko der Normalisierung problematischer Projektionen durch unsere Titulierung kenntlich und wollen nicht Til davon sein.