Lieber kleine Arbeit als keine Arbeit? Frauen in Minijobs und anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen

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„Wer nicht frei erwerben darf, ist Sklave, schrieb Luise Otto bereits 1866 in ihrem Buch: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Ihr ging es nicht um irgendeine Arbeit, sondern die Arbeit sollte die Selbständigkeit ermöglichen: „Selbstständig kann schon dem Sprachgebrauch nach nur sein, wer selbst zu stehen vermag, das heißt, wer sich selbst auf seinen eigenen Füßen und ohne fremde Beihülfe halten kann“.[1] Unter diese Definition fällt keine Arbeit, die mit Niedrig- und Niedrigstlohn abgegolten wird, kein Mini-oder 1 €-Job, keine Leiharbeit, keine „Freiwilligenarbeit“, die mit einem Taschengeld vergolten wird. Das aber sind die Arbeiten, die viele Frauen heute angeboten bekommen.

Eine neue Arbeitsorganisation?

Ein großer Teil bisheriger Vollzeit-Erwerbsarbeit wird umorganisiert – weg vom tariflich abgesicherten Normalarbeitsverhältnis hin zu Beschäftigungsformen, die das Arbeitsrecht nicht schützt und die vor allem Frauendomänen sind. Das moderate Ansteigen der Frauenerwerbsquote in Westdeutschland – im Osten hat sie abgenommen – führt immer wieder dazu, Frauen als „Gewinnerinnen der Arbeitsmarktpolitik“ zu bezeichnen. Insgesamt ist das bezahlt geleistete Arbeitsvolumen der Frauen kontinuierlich gesunken. Dabei geht es nicht nur um Verluste an Arbeitszeit und an zur Existenzsicherung notwendigem Geld, sondern auch um die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, um dequalifizierte Anforderungen und neue, schwerwiegende psychische und physische Belastungen, durch Gängelung und Überwachung. Die Angst vor Erwerbslosigkeit und Armut im Alter schürt Zukunftsängste, macht die Beschäftigten erpressbar und verschärft die Konkurrenz unter verschiedenen Beschäftigtengruppen: Frauen gegen Männer; Junge gegen Alte; Einheimische gegen Migrant_innen.

Unsere Arbeitsgesellschaft ist im Wesentlichen immer noch so strukturiert, dass von einem „Normalarbeitsverhältnis“ nach dem Vorbild der bürgerlichen Kleinfamilie ausgegangen wird, mit Männern, die in der Erwerbsarbeit und Frauen, die in der Familie und im sozialen Ehrenamt arbeiten, (evtl.) ergänzt durch einen weiblichen Zuverdienst. Das modernisierte Vollbeschäftigungsmodell, nach der Regel, ER arbeitet voll, SIE arbeitet teilzeitig oder stundenweise, um gleichzeitig Kinder und Alte zu versorgen ist ebenso wenig wünschenswert – auch nicht im Rollentausch - denn in den seltensten Fällen kann SIE (getauscht: ER) vom Lohn der Arbeit selbst auf eigenen Füßen stehen. Wenn wir uns mit prekärer Arbeit befassen, wird ein Blick auf die „ganze Arbeit“ notwendig. Das heißt, Arbeit ist nicht nur eine Beschäftigung, für die man Geld bekommt, sondern Arbeit sind auch jene Tätigkeiten, die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft und des menschlichen Lebens notwendig sind. Dass es unserer Gesellschaft nicht an Arbeit mangelt, wie oft behauptet wird, sondern an menschenwürdiger, existenzsichernder, bezahlter Arbeit, wird besonders deutlich, wenn wir uns die Bereiche der Pflege- und Gesundheitsarbeit ansehen, dort herrscht akuter Personalmangel und dort findet die meiste prekäre Arbeit statt.

Was ist prekäre Beschäftigung?

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind „ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse, die im Unterschied zu den tariflich und im Betriebskollektiv abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse der sogenannten ‚Stammarbeiter_innen’ – als „rechtlich, materiell und sozial ausgehöhlte, zerrüttete, sich auflösende Verhältnisse zu bezeichnen sind … Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung, ‚freie’ Mitarbeit, Werkvertragsverhältnisse, … Formen von Teilzeitarbeit, Heimarbeit und Schwarzarbeit.“ Carola Möller entlarvte die prekäre Beschäftigung 1982 in einer Studie als „eine der wichtigsten Kapitalstrategien,“ die geeignet sei, die Arbeit von der gutbezahlten über die schlechtbezahlte zur unbezahlten Arbeit“ hin umzuverteilen. Und sie stellte schon damals fest, dass diese Strategie weder neu, noch eine kurzfristige Erscheinung im Rahmen einer ‚Krise’ sei, „sondern eine konsequente und notwendige Weiterentwicklung der Kapitalverwertungsform.“[2] Weiter schrieb sie: „Auch wenn Männer jetzt (1982!) mehr und mehr ebenfalls in ungeschützte Arbeitsverhältnisse kommen, so hebt das die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung nicht auf,“ sondern – das zeigten ihre Fallstudien – „Frauen erhalten in den schlechten Arbeitsverhältnissen weiterhin die schlechteren Plätze.“          

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse weichen zumindest in einem zentralen Element vom „typischen Normalarbeitsverhältnis“ ab. In den meisten Fällen fehlen die Sozialversicherung und die Vertragsdauer. Aber auch die Regelung der Arbeitszeit, die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder die Sonderleistungen können fehlen oder abweichen. Je mehr Abweichungen vom „Normalarbeitsverhältnis“ vorhanden sind, desto prekärer ist das Beschäftigungsverhältnis. Prekäre Arbeit nimmt weltweit, europaweit und auch in der BRD zu. Knapp ein Drittel der Arbeitnehmer_innen in Europa ist in prekären Jobs beschäftigt. Deutschland ist Vorreiter bei den Auswüchsen des Niedriglohnsektors. Fast jede_r vierte Beschäftigte ist Niedrigverdiener_in. 22 Prozent der Beschäftigten, 6,5 Millionen Menschen arbeiteten 2011 zu Niedriglöhnen, 2,2 Millionen Menschen bekommen pro Stunde weniger als sechs €, 1,3 Mio. Beschäftigte beantragen zusätzlich Hartz IV.[3]

In Westdeutschland waren im Jahr 2010 fast die Hälfte, in Ostdeutschland mehr als ein Viertel der abhängig beschäftigten Frauen in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Teilzeitarbeitsverhältnisse sind nicht per se prekäre Arbeitsverhältnisse. Dort, wo man vom Ertrag leben könnte, wird allerdings nur ganz selten geteilt. In den Ländern des früheren Bundesgebietes ist der Hauptgrund für Frauen die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen beziehungsweise sonstige familiäre oder persönliche Verpflichtungen (56 %). 19 % arbeiteten aber auch verkürzt, weil sie keinen ganztägigen Arbeitsplatz finden konnten.[4] Im Gegensatz dazu nennen 49 % Frauen in den neuen Bundesländern als Hauptgrund für ihre Teilzeittätigkeit, dass eine Vollzeitstelle nicht gefunden werden konnte, sie also „unfreiwillig“ in Teilzeit arbeiten.

Männer (Ost und West) üben zu einem wesentlich geringeren Anteil (8 %) Teilzeittätigkeiten aus als Frauen. Dabei unterscheiden sich auch die Gründe. 40 % der Männer arbeiten „unfreiwillig“ auf einer Teilzeitstelle, weitere 23 % verkürzen ihre Arbeitszeit, weil sie sich in Aus- oder Weiterbildungen befinden. Familiäre oder persönliche Gründe (8 %) spielen bei Männern eine untergeordnete Rolle.

Teilzeitbeschäftigte Frauen möchten häufig mehr Stunden arbeiten, als ihr aktueller Arbeitsplatz zulässt, das bestätigen zahlreiche Studien. Die meisten Teilzeitarbeiterinnen arbeiten im Dienstleistungssektor und dort vor allem in Bereichen mit hohem Leistungsdruck und ohnehin wenig Einkommen. Das bedeutet meist den Verlust der eigenständigen Existenzsicherung und zunehmend Armut im Alter. Fast ein Drittel der Rentnerinnen sind schon heute von Armut bedroht.

Leiharbeit und Zeitarbeit sind in der BRD (noch) überwiegend Männerarbeit vor allem im Bauhauptgewerbe, aber auch in der Metallindustrie. Im März 2011 arbeiteten rund 900.000 Beschäftigte als Leiharbeiter_innen. Mehr und mehr sind es auch Frauen, die vor allem in der Altenpflege und im Einzelhandel in Leiharbeitsverhältnissen arbeiten. Unternehmen gründen eigene Leiharbeitsfirmen, um bisher direkt Angestellte dann als billigere Arbeitskräfte am selben Platz einsetzen zu können. Auch Kirchen und Wohfahrtsverbände betreiben eigene Leiharbeitsfirmen. Leiharbeiter_innen verdienen bis zu 40 % weniger als „normal“ Arbeitende.[5] In der BRD bekommen bereits 2,8 % der LeiharbeiterInnen zusätzlich das Arbeitslosengeld II, werden also vom Staat „bezuschusst“. Noch im Jahre 1988 war für den DGB-Landesbezirk NRW Leiharbeit „Beschäftigung ganz unten“, daher forderte er „Verbot der Leiharbeit ohne Alternative.“ Das wurde u.a. auch juristisch begründet.[6]

Durch die Anhebung der Versicherungsfreigrenze auf 400 € seit 1. April 2003 (ab 1. Januar 2013 auf 450 € erhöht) mit der Einführung der Mini-Jobs in der BRD wurde eine weitere Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“ gesetzlich abgesegnet. Von der ab 2003 anvisierten Rentenversicherungspflicht können sich Arbeitgeber_innen befreien lassen. Seit der Einführung ist die Zahl der Mini-Jobs von 1,6 Millionen auf 7,5 Millionen gestiegen, das sind fast 20 % aller Arbeitnehmer_innen in Deutschland. Rund zwei Drittel der Mini-Jobber_innen sind Frauen, 14 % sind Migrantinnen. Bei den geringfügig Beschäftigten im Dienstleistungssektor liegt der Frauenanteil bei 93 %. Nur für ein Drittel der Minijober_innen ist der Minijob ein Nebenjob, alle anderen sind alleine auf ihn (oder mehrere) angewiesen. Altersarmut ist auch hier vorprogrammiert.

Erwerbslose konnten bislang weder durch Teilzeitarbeit noch durch Minijobs profitieren. Mit der Ausweitung der Minijobs verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit einen Rückgang der sozialversicherten Beschäftigungsverhältsnisse zwischen 1993 und 2010 von 25,5 Millionen auf 22,3 Millionen.[7] Expert_innen beobachten Umwandlungsprozesse von Vollzeit- und Teilzeitstellen in Mini-Jobs vor allem in Branchen, in denen vergleichsweise niedrige Löhne bezahlt werden, wie zum Beispiel im Einzelhandel, mit einem Frauenanteil von ca. 75 %. Die wenigsten Mini-Jobberinnen sind über einen Ehemann versichert. Den Gewerkschaftsfrauen, die fordern „Mini-Jobs abschaffen! Sozialversicherungspflichtige sinnvolle Beschäftigungsverhältnisse schaffen!“, ist unbedingt beizupflichten.

Von den sind vor allem Frauen aus anderen Ländern betroffen. Da der Ausbau der öffentlichen Care-Infrastruktur ausbleibt und Männer die gleichberechtigte Teilnahme an der unbezahlten Reproduktionsarbeit nicht attraktiv finden, breiten sich in besser verdienende Familien besonders prekäre Mini-Jobs in Privathaushalten aus. Meist beschäftigen weiße deutsche Frauen illegalisiert lebende Frauen oder Frauen, die aus den armen Ländern der Welt kommen. Das ist eine schlechte Lösung des Problems, weil es nicht nur zur Beibehaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, sondern auch zu neuen Unterschichtungen (auch) unter Frauen führt. Was Lily Braun bereits um die Jahrhundertwende schrieb, gilt auch heute noch: „Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person“.[8]

Zu den prekär Beschäftigten gehören auch viele Menschen, die sich nach der Philosophie „Hilf dir selbst, dann hilft dir Göttin“ eine selbständige Arbeit geschaffen haben, von der sie oft nicht selbständig leben können. Ganz zu schweigen von den 1-€-Jobber_innen und den Praktikant_innen. Auch viele Vollzeit arbeitende Frauen in „typischen Frauenberufen“, aber auch in im öffentlichen Dienst arbeiten im Niedriglohnsektor und können vom Ertrag ihrer Arbeit nicht leben.

Besonders prekäre Arbeit vor allem für Frauen ist Ehrenamtliche Arbeit. Viele soziale Projekte und Einrichtungen im Gesundheits-, Alten- und Jugendbereich, Schulen, Kindergärten, Migrant_innenprojekte u.a. bestünden nicht mehr, wenn Ehrenamtliche nicht für ihr Fortbestehen sorgen würden. Wer sich freiwillig und uneigennützig engagiert, verdient Anerkennung und Respekt. Ehrenamtliches Engagement darf jedoch nicht als kostenneutrale Antwort auf (fast) jedes gesellschaftliche Krisensymptom betrachtet werden.[9]

Durch den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der im April 2011 eingeführt wurde, soll ehrenamtliche Arbeit in verbindlichere Strukturen gebracht und auf personell unterversorgte Arbeitsbereiche gelenkt werden. Durch eine „freiwillige“ Verpflichtung für Männer und Frauen aller Altersklassen, versehen mit einem Taschengeld von maximal 336 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung ist ein neuer Niedrigstlohnsektor geschaffen worden.

Was ist das Richtige?

„Zeit das Richtige zu tun“ ist ein Slogan für den BFD. Was aber ist „das Richtige“? Notwendig wird die Forderung nach radikaler Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Bereich der Vollzeit Beschäftigten, damit die sinnvolle, gesellschaftlich nützliche, möglichst selbstbestimmte Erwerbsarbeit gleichmäßiger auf alle, die eine solche wollen, verteilt werden kann. Dann kann auch die unbezahlte Arbeit neu verteilt werden. Natürlich brauchen wir die notwendige Infrastruktur für Kinder und Pflegebedürftige. Schließlich geht es um die Beendigung der Deregulierung, die Beseitigung der prekären Arbeitsbedingungen, um gesetzlich festgelegte Mindestlöhne und eine Mindestabsicherung für Erwerbslose und Rentner_innen, die keinen diskriminierenden Charakter hat. Angesichts der Internationalisierung der Wirtschaft wird die Verständigung über weltweite Mindeststandards notwendig.

 
[1] Louise Otto-Peters: Das Recht der Frauen auf Erwerb. Wiederveröffentlichung der Erstausgabe aus dem Jahr 1866. Im Anhang: Wiederveröffentlichung der „Adresse eines Mädchens“ von Louise Otto. Hrsg. von Astrid Franzke, Johanna Ludwig u. Gisela Notz. Leipzig 1997.

[2] Carola Möller: Ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse – verstärkte Spaltung der abhängig Arbeitenden. Konsequenzen für die Frauenforschung und die Frauenbewegung, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, H. 9/10 1983, S. 7 – 15; hier: S. 11.

[5] Offener Brief der IG-Metall Betriebsräte an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages vom 18. März 2011.

[6] DGB Landesbezirk NRW: Beschäftigung ganz unten – Leiharbeit in NRW, Hefte zur Arbeitsmarktpolitik, Heft 1, Düsseldorf, Februar 1988, S. 25.

[8] Lily Braun: Die weiblichen Dienstboten. In: Gisela Brinker-Gabler: Frauenarbeit und Beruf, Frankfurt/Main 1979.

[9] Gisela Notz: „Freiwilligendienste“ für alle. Von der ehrenamtlichen Tätigkeit zur Prekarisierung der „freiwilligen“ Arbeit, Neu-Ulm 2012.