von Prof. Dr. Timm Beichelt
Das Verhältnis von Demokratie und Europa wird derzeit vor allem so diskutiert: Wurde oder wird die – im Nationalstaat organisierte – Demokratie durch die europäische Integration ausgehöhlt? Viele Feuilletonisten, aber auch die Linkspartei und Teile der CSU behaupten das, wie nicht zuletzt die Verfassungsklagen gegen den Lissabon-Vertrag beweisen. Aber auch jenseits der verhärteten EU-Kritiker macht sich ein zunehmendes Unbehagen gegen Brüssel breit. Ablesen lässt sich dies an den Umfragen des Eurobarometer, die längst nicht mehr überwiegend wohlwollend gegenüber der EU ausfallen.
Befürworter der Europäisierung von Politik halten der wachsenden EU-Kritik eine Reihe von Argumenten entgegen. Erstens habe das europäische Projekt Frieden und Wohlstand nach Europa gebracht. Früher trafen sich die Europäer auf dem Schlachtfeld, heute im Terminal von EasyJet. Zweitens folge die europäische Integration wenigstens in Deutschland den demokratischen Präferenzen, denn jahrzehntelang haben die Parteien mit europafreundlichen Programmen geworben und sind (auch) dafür gewählt worden. Drittens erfordere die Auseinandersetzung von Problemen, die nicht an den Grenzen der Nationalstaaten haltmachen, ganz prinzipiell eine transnationale Dimension von Politik. Gerade aus der Umweltpolitik ließe sich eine Reihe alter grüner Forderungen aufzählen, die erst auf der europäischen Ebene zum Durchbruch kamen. Viertens sei eine europäische Gesellschaft im Entstehen begriffen, siehe Studierende und das Erasmus-Programm. Mithin werde sich mittelfristig auch eine stärker europäisch ausgerichtete Demokratie entwickeln.
All diesen Argumenten ist letztlich zuzustimmen, und doch bleibt ein schaler Beigeschmack. Die wachsende Distanz zwischen BürgerInnen und Eliten kann vielleicht erklärt werden, wenn europäische Politik gewissermaßen aus sich selbst heraus auf bürokratischen Praktiken beruht. Befriedigend ist es allerdings nicht, denn Demokratien sind nicht besonders entwicklungsfähig, wenn sich ihre Politik überwiegend auf Verwaltungsapparate stützen muss. Die EU-Institutionen – die Kommission und das Europäische Parlament – geben sich zwar offen und laden zur Kontaktaufnahme ein. Letztendlich bedeutet europäische Demokratie aber heute, dass in Europa nur diejenigen mitwirken und gehört werden kann, wer gut organisiert und am besten mehrsprachig dazu in der Lage ist.
Aber definiert sich Demokratie ausschließlich über politische Mitwirkung, z.B. in Verbänden oder Parteien? Eine andere Begriffsbestimmung läuft darauf hinaus, dass in der Demokratie politische Ergebnisse im Übereinklang mit den Wünschen der BürgerInnen erzielt werden. Hier ist die EU viel stärker als in Sachen Partizipation. Ohne die EU hätte es kein Verbot Energie verschwendender Glühbirnen gegeben! Wer also bereit ist, politische Ziele z.B. in Nichtregierungsorganisationen zu verfolgen, findet in Europa Mitwirkungsmöglichkeiten jenseits der Parteien. Dies bedeutet eine Änderung des Charakters von Demokratie, aber nicht unbedingt einen Demokratieverlust.