Netzfeminismus - Interview mit Katrin Rönicke

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Katrin Rönicke ist Journalistin, Bloggerin, Podcasterin und eine der drei Frauen der feministischen Initiative Frau Lila. Sie ist seit 2009 Stipendiatin, seit 2010 Mitglied des Frauenrats und seit 2011 Mitglied der Mitgliederversammlung der Heinrich- Böll-Stiftung. In der diesjährigen Weiterdenken-Sommerschule «Work in Progress - Geschlechterdemokratie 2013» bietet/bot sie einen Workshop zum Thema Feminismus im Web 2.0 an. Ihre Perspektiven auf Netz-Feminismus, maskulistische Trolle, erfolgreiche feministische Plattformen und vieles mehr, beschreibt sie hier.

Interview Kathrin Bastet

Beschreibe doch zuerst, wie Du im Netz feministisch aktiv geworden bist und über welche Kanäle du dir eine Stimme verschafft hast.

Im Jahr 2005 fing ich in der Community von neon.de an zu bloggen. Ich schrieb vor allem über gesellschaftspolitische Debatten. Ab ca. 2007 beschäftigte ich mich zunehmend mit Geschlechterpolitik und meine Texte dazu wurden heiß diskutiert. Als im April 2008 das Buch «Wir Alphamädchen» in den Medien debattiert wurde, entdeckte ich die Mädchenmannschaft. Sofort fühlte ich mich hingezogen und bewarb mich als Autorin. Wir passten gut zusammen und ab da war ich Teil des Teams. Durch die Berichterstattung über «Wir Alphamädchen» wurde das Blog schnell bekannt. Von hieraus startete eine breite Vernetzung feministischer Akteure im Netz. Ausgehend von der re:publica 2009 entstanden viele Bündnisse, etwa die Girl on Web Society, eine Gruppe von über 700 bloggenden Frauen. Es entstand die Idee eines feministischen Bar-Camps, das Gendercamp und es gibt inzwischen zahlreiche Bloggerinnen mit klar feministischer Haltung.

Was zeichnet deiner Ansicht nach Netz- Feminismus aus? Inwiefern unterscheidet er sich vom ‚analogen‘ Feminismus?

Der Feminismus im Netz unterscheidet sich gar nicht so sehr vom ‚analogen‘ Feminismus. Denn Feminismus ist immer eine Haltung, und eine Haltung wird vor allem durch Menschen geprägt. Man kann nicht DEN Feminismus beschreiben, man kann immer nur eine Feministin ansehen. Somit gibt es auch im Netz sehr viele verschiedene, individuelle Feminismen, wie es sie immer auch schon offline gegeben hat. Neu ist, dass sich im Netz Menschen treffen können, die in ihrem ‚analogen‘ Leben einander vielleicht nie begegnet wären. Keine muss mehr mit ihrer feministischen Haltung alleine bleiben - egal, wo sie lebt. Im Netz kann jede Gleichgesinnte finden, sich austauschen, debattieren. Man muss in keiner großen Stadt mehr wohnen, es genügt ein Anschluss an das Internet. Auch lassen sich weltweite Bewegungen jetzt denken – der Slutwalk hat es 2011 vorgemacht. Zum ersten Mal gingen weltweit Menschen für ein gemeinsames feministisches Anliegen auf die Straße. Ohne das Netz wäre so etwas nur schwer vorstellbar.

Was sind deiner Meinung nach die strukturellen Hindernisse für FeministInnen im Internet? Was rätst du denen, die selbst aktiv werden wollen, zum Beispiel im Umgang mit verbalen Attacken?

Das Netz ist ein Raum, der zuallererst von Männern geprägt wurde. Sie sind in den meisten Ecken des Netzes als erste da gewesen, sie haben schon viele Plätze belegt und Netzwerke geschaffen. Es ist für Neue immer schwer, sich in so einer Welt, in der alle einander schon kennen, zu behaupten. Das machte es anfangs auch für die Feministinnen im Netz schwer, Gehör zu finden. Geholfen hat hier vor allem die systematische Vernetzung untereinander und mit den Early Adopters. Es half, auf Konferenzen wie der re:publica, der Sigint oder der Open- Mind aufzutreten und Vorträge zu halten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Es sind Bündnisse entstanden und viele gute Initiativen. Wie alle emanzipatorischen Bewegungen, wird auch der Feminismus im Netz «getrollt». Und auch die Gegner des Feminismus, die Maskulisten und Antifeministen, können die Vorteile des Netzes zur Mobilisierung nutzen. Das tun sie auch. Viele Feministinnen bekommen auf twitter, Facebook, in ihren Blogs oder per Mail Hass zu spüren. Es ist nicht leicht, zu lernen diese Attacken schnell zu löschen, nicht darauf einzugehen und sie abzuschütteln. Sexismus ist etwas anderes, als harmloses Trollen. Einschüchterungsversuche sind nicht immer leicht zu ignorieren. Auch hier helfen gute Bündnisse, Freundinnen, denen man sich anvertrauen kann – und am wichtigsten ist eine Art Psychohygiene, die zuallererst auch einmal den Rechner ausschaltet.

Du warst und bist in verschiedenen Blogs aktiv, zum Beispiel in der mädchenmannschaft und aktuell in der featurette, einem Bloggerinnen-Magazin. Was zeichnet für dich erfolgreiche feministische Stimmen im Internet aus und wie beurteilst du ihre Wirkmächtigkeit?

Erfolgreiche feministische Stimmen schaffen, was Hannah Arendt einen «Erscheinungsraum » nennt. Durch die Möglichkeit, selbst ein Sender zu sein, schaffen es Bloggerinnen, Frauen auf twitter oder Facebook, Themen zu behandeln, die ansonsten untergingen. Das Wichtige ist, dass diese neuen Sender auch Gehör finden. Dass es Menschen gibt, die ihre Ansichten wertvoll, bereichernd und notwendig finden und sie deswegen weiterverbreiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn im Internet gibt es unendlich viele Stimmen und im Chor dieser Vielen geht eine einzelne Stimme schnell unter. Bündnisse und Vernetzung, auch mit den traditionellen Medien, sind daher sehr wichtig. Die Mädchenmannschaft bestand zu ihrer Gründung aus drei Journalistinnen, die auch ein Buch veröffentlichten. Auch die featurette wird von drei Journalistinnen betrieben – und das kann uns helfen, für diese Projekte Sichtbarkeit zu erzeugen. Es gibt also häufig ein Nebeneinander von alten und neuen Medien, ein Hand-in-Hand-gehen. Das zeichnet in meinen Augen auch die Wirkmächtigkeit jeder sozialen oder gesellschaftspolitischen Bewegung im Netz aus: Wie und ob sie es schafft, in der Gesellschaft jenseits der Netzgemeinde Gehör zu finden. Viele Blogs haben dies erreicht – traditionell sind das Blogs von Männern. Zunehmend auch die von Frauen. Neben der Mädchenmannschaft oder der featurette fallen mir da das Blog von Maike von Wegen, Julia Probst oder auch Kathrin Weßling ein.

Wie bewertest Du in dieser Hinsicht die Twitter-Aktion #aufschrei?

#Aufschrei ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für den gelungen Übergang eines Funken im Netz auf die gesamte Gesellschaft. Zwar haben viele Menschen und Redaktionen vermutlich bis heute nicht verstanden, dass es im Kern nicht um Brüderle ging, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich eine sehr breite Basis von Menschen fand, die offen war für ein zentrales feministisches Anliegen: Eine Debatte über den alltäglichen Sexismus in Deutschland. Anne Wizorek hatte mitten in der Nacht den Hashtag #Aufschrei vorgeschlagen, als eine twitter-Freundin von ihr, Nicole von Horst, mehrere persönliche Erlebnisse in kurzen tweets mit ihren Followern teilte. Anne hatte die Idee, solche Geschichten unter dem Hashtag #Aufschrei zu sammeln und bereits am nächsten Morgen, als sie wieder aufwachte, war die Sache ein Selbstläufer. Mehrere Zehntausend solcher Geschichten wurden seit diesem Tag im Januar 2013 von Frauen (und auch ein paar Männern) getwittert und sie haben eine irrsinnige normative Kraft entfaltet. Viele Männer bekundeten, dass ihnen vor #Aufschrei nicht klar gewesen sei, welches Ausmaß der alltägliche Sexismus in Deutschland habe. Viele Frauen machten zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, dass sie nicht alleine dastanden mit ihrer Scham, dass es nicht ihre Schuld war. Und aus diesem Feedback, dieser Erkenntnis zogen sie eine neue, nie gekannte Kraft. Das Teilen der Geschichten war eine Befreiung für viele und auch wenn diese kollektive Erfahrung weitestgehend auf das soziale Web-Medium twitter beschränkt blieb, mehrere Hunderttausend Menschen teilten es miteinander.

Zuletzt noch ein Ausblick auf die Sommerschule: Was ist Dir bei der Gestaltung Deiner Workshops wichtig und was können die Teilnehmer_innen vom Workshop im September erwarten?

Mir ist es wichtig kein reines Frontalprogramm zu gestalten, sondern miteinander ins Gespräch zu kommen. Deswegen möchte ich nach einem kleinen Input, der einen Überblick über das, was war bietet, eine Debatte über das «Wo wollen wir jetzt hin» anregen. Der Feminismus im Netz hat sich vielen Widrigkeiten zum Trotz als eine starke und nicht mehr wegzudenkende Playerin erwiesen. Angela McRobbie sprach von einem ‚feministischen Frühling‘. Mich interessiert, wie die Teilnehmerinnen diese Diagnose sehen. Kommt von den feministischen Aktivitäten im Netz bei ihnen überhaupt etwas an? Sehen sie Hürden, sich selbst dort zu beteiligen? Haben sie Wünsche und Ideen für die Zukunft?



Eine  aktuelle Studie zu feministischer Netzpolitik hat das feministische Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung herausgebracht:

http://www.gwi-boell.de/sites/default/files/downloads/GANZ_feministische_Netzpolitik_Web.pdf