Etelka Laňková, ursprünglich Lehrerin im Kindergarten, später bildende Künstlerin, war eine wichtige exekutive Mitarbeiterin des Bürgerforums. Nach Cheb kam sie im Jahre 1980 und lebt hier bis heute. In den 90er Jahren arbeitete sie in der Kulturabteilung des Bezirksnationalausschusses. Heute ist sie im Ruhestand.
Das Porträt schrieb der Journalist Pit Fiedler auf der Grundlage von Oral-History Interviews.
Das Interview führten Barbora Čermáková und Zbyněk Černý.
Das komplette Porträt ist in dem Buch „Bürgermut macht Politik. 1989/90 – Neues Forum Plauen. Bürgerforum Cheb“ (Eckhard Bodner Verlag) nachzulesen.
Dürfen wir Sie nach Ihrer Kindheit fragen? Wo sind Sie aufgewachsen?
Ich bin mit vier Jahren mit meinen Eltern aus Ungarn in die Tschechoslowakei gekommen. Geboren wurde ich in Dyosgyöru, das nicht weit von Miskolc entfernt liegt. Als ich vier Jahre alt war, mussten wir mit der gesamten Familie, inklusive zweier Laster, nach Böhmen umsiedeln. Mein Vater war Ruthener und konnte deshalb ein wenig Slowakisch sprechen. Meine Mutter war Ungarin. Vater wurde ein kleines Haus in Přísečnice (Pressnitz), das fast an der Grenze gelegen ist, zugewiesen und wir sollten das Anwesen bewirtschaften. Wir hatten so etwas im Leben noch nie getan, so dass wir es dort nicht aushielten und nach Prunéřov weiterzogen, wo mein Vater Arbeit bekam. Er reparierte landwirtschaftliche Maschinen.
Wissen sie, welche politische Einstellung Ihre Eltern hatten?
Vater trat in die kommunistische Partei ein, weil sie ihm das Blaue vom Himmel versprachen. Wir lebten in einer feuchten Wohnung und sie versprachen ihm, dass er eine größere und trockene Wohnung bekäme, wenn er in die Partei eintreten würde. Diese Wohnung wurde zum Schluss irgendeinem Funktionär zugeteilt. Ich weiß, dass mein Vater damals das Parteibuch zerrissen und vor ihnen auf den Tisch geschmissen hat. Er war Arbeiter. Wohin konnten sie ihn da schon noch rausschmeißen? Wir blieben in der alten Wohnung. Und meine Mutter war Christin bis zu ihrem Tod. Und politisch? Absolut nicht engagiert.
Wann kamen Sie nach Cheb?
Da war ich schon verheiratet und hatte zwei Töchter. In Kadaň (Kaaden) absolvierte ich das Gymnasium. Danach studierte ich an der Pädagogischen Schule in Cheb. Die Luft in Kaaden war so fürchterlich, dass meine jüngere Tochter wegen ihrer Bronchien ständig im Krankenhaus war. Wir beschlossen deshalb, dass mein Mann eine Stelle bei der Eska in Cheb annimmt. Die Stadt begeisterte mich. Mit gefiel Cheb unheimlich gut. Dann starb mein Mann und ich heiratete zum zweiten Mal.
Wann fing für Sie der Umbruch an?
Als ich vor dem Theater stand: Der Theaterklub „Déčko“ war geschlossen, Studenten oben, das Theater voll, unten voll. Ich stand vor der Tür, um mich herum sechs Kommunisten, die an die Tür pochten: „Wir müssen rein, ihr müsst uns reinlassen.“ Und sie sagten: „Wir müssen niemanden reinlassen.“ So stand ich an der Tür, bin nicht reingekommen und raus konnte ich auch nicht. Oben wurden Lautsprecher verkabelt. Erst da wurde mir bewusst, dass etwas begonnen hatte. Meine Rolle dabei kannte ich zu der Zeit noch nicht, aber ich wusste, dass ich voll mitmachen würde. Deshalb gingen wir, mein Mann und ich, vom ersten Moment an zu den Versammlungen ins Theater. Viele Informationen hatten wir nicht. Wir versuchten, sie überall zu sammeln, wo es nur ging. Damals wurde auch noch mein erster Enkel geboren.
Führte Sie jemand in das Bürgerforum ein oder schlossen Sie sich dem Bürgerforum allein an?
Meine Bekannte Eva Nesvedová geriet ins Grüner-Haus, in das allererste Büro des Bürgerforums. Ich besuchte sie dort täglich und fragte: „Brauchst Du Hilfe? Ich könnte nach der Arbeit herkommen und helfen.“ Also ging ich zuerst nur hin, um zu helfen, und dann blieb ich. Später zog das Büro einen Stock höher und nach einiger Zeit stieß Aleš Kučera zu uns. Ich unterstützte ihn beim Aufbau eines Sekretariats. Ich wollte mich sehr gerne nützlich machen. Wir haben zusammen mit meinem Mann Plakate geklebt und die üblichen Büroarbeiten erledigt.Wir arbeiteten wie kleine fleißige Ameischen. … Ich führte bei den Sitzungen des Bürgerforums immer Protokoll.
In welchem Moment wussten Sie, dass das Bürgerforum sein eigentliche Ziel erreicht hatte?
Als die Regierung bzw. das Zentralkomitee stürzte. Wir standen alle auf und weinten. In diesem Moment wussten wir, dass es geklappt hat. Das war ein so wunderbares Gefühl … Im Theater erlebten wir noch viele ähnliche Momente. Wenn zum Beispiel bei den offenen Diskussionsforen interessante Leute sprachen. Das alles war herrlich.
Erinnern Sie sich an die ersten Kundgebungen auf dem Marktplatz?
Zuerst war der Generalstreik an der Reihe. Uns im Kultur- und Gesellschaftszentrum KAS war es selbstverständlich verboten worden, zur Demonstration zu gehen. Sie sagten: „Falls ihr geht, gibt’s ein Malheur.“ … Das Verbot war uns egal. Wir schauten den Leuten dabei aber noch über die Schulter.
War der Marktplatz voll?
Na ja, wissen Sie, damals war er noch nicht so voll wie später. Es versammelte sich schon eine Menge Leute. Einige schlossen sich uns danach auch an. Aber es waren auch viele Neugierige darunter, die sich abseits hielten.
Bei späteren Meetings platzte der Marktplatz aus allen Nähten. Damals, als ich zum ersten Mal vor dem Mikrofon auf dem Podium stand- Das kann ich ihnen sagen: Solche Momente wiederholen sich einfach nicht mehr. Sie haben den Marktplatz vor sich, die überfüllten Gehsteige, Leute so weit das Auge blicken kann. Das war etwas Herrliches. Aber das gab es erst später, als der Erfolg bereits sichtbar war.
Es war eine so verwirrende, herrliche Zeit. Voller Wendungen, voller Ereignisse. Ein Verrückter kam, packte mich an der Kehle, hielt eine Rasierklinge daran und sagte, er würde mir die Kehle durchschneiden, wenn ich ihm für seine Frau keine Wohnung gäbe. … Auch solche gefährlichen Momente habe ich erlebt. … Einigen haben wir geholfen. Vielleicht waren wir nützlich.
Das geschah hauptsächlich in der Zeit, als die Leute dachten, dass das Bürgerforum allmächtig ist, dass es Wohnungen zuteilt, dass es beim Streit mit einem unangenehmen Nachbarn hilft, dass es dafür sorgt, dass der Baum vor unserem Haus nicht gefällt wird ... Das waren die Sorgen des kleinen Manns von der Straße. Die Leute dachten sich, dass sie damit nicht ins Rathaus, sondern lieber zu uns gehen sollten. …
Bis wann engagierten Sie sich im Bürgerforum?
Bis sich die Bürgerlich-Demokratische Partei ODS vom Bürgerforum abspaltete. Ich wollte nicht in die ODS. Genau genommen, wollte ich in überhaupt keine Partei. Das Bürgerforum verstand ich als eine Plattform, die mich im Augenblick einfach brauchte und ich war bereit, für sie mein Maximum zu geben. Dennoch kandidierte ich dann bei der Wahl zum Rat der Stadt. Mir war die Bürgerlich-Demokratische Allianz ODA sympathisch. Die Ärzte aus dem Krankenhaus hatten mich gebeten zu kandidieren. Ich war die einzige Frau auf der Liste. Ich spielte eine Zeit lang mit. Dann war Schluss.
Was halten Sie für den größten Erfolg des Bürgerforums?
Das Forum bereitete den Boden für die weitere Entwicklung gut vor. Es führte Menschen zusammen, die vernünftig, klug und gebildet waren und sich politisch engagieren wollten. Auch wenn die meisten mit der Zeit in den Hintergrund traten, haben sie doch den Jüngeren die Tür in die Zukunft aufgestoßen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Vorher hatten die Leute keine Lust, sich irgendwo einzubringen. Aber als man damit begann, über öffentliche Angelegenheiten offen zu diskutieren, bekamen die Leute auf einmal Lust, sich zum Beispiel als Kandidat für die Kommunalwahlen aufstellen oder für eine Arbeit anwerben zu lassen, die sie wahrscheinlich vorher in ihrem Leben nie gemacht hätten. Die Leute fanden plötzlich den Mut, Funktionen zu übernehmen, in der Stadtverwaltung mitzumachen. Das Bürgerforum in Cheb hatte auf jeden Fall seinen Sinn.
Bedeutete die Arbeit im Bürgerforum auch in Ihrem persönlichen Leben eine Wende?
Im persönlichen Leben? Mein Mann und ich kannten damals nur noch das Bürgerforum. Wenn es notwendig war, wischte ich dort sogar den Boden. Wir lebten beinahe im Grüner-Haus. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, wie wir das mit dem Abendessen geregelt haben. Wir waren immer die Letzten, die das Grüner-Haus verließen, um zehn, elf Uhr nachts. Die Arbeit für das Bürgerforum stellte in meinem persönlichen Leben alles völlig auf den Kopf. Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit zurück und weine immer, wenn im Fernsehen ein Jahrestag gefeiert wird. Immer. Es war eine starke Zeit. Wer sie nicht intensiv miterlebte, der kann sich das überhaupt nicht vorstellen.