Was wir aus der Geschichte lernen können

Lesedauer: 3 Minuten

von Elisabeth Schroedter

Bürgerschaftliches Engagement ist ein unerlässlicher Bestandteil lebendiger Demokratie.

Mit den folgenden Zitaten, die aus einem historischen Text stammen, möchte ich daran erinnern, was bürgerschaftliches Engagement bewirken kann.

„In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Belege dafür sind die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische oder zur massenhaften Auswanderung. (…) Die gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft stört die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft und behindert die Lösung der anstehenden lokalen und globalen Aufgaben. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch wichtigeres zu tun für unsere Leben, unser Land und die Menschheit. (…) Es kommt darauf an, dass in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung

  • eine größere Anzahl von Menschen an gesellschaftlichen Reformprozess mitwirkt,

  • die vielfältigen Einzel- und Gruppenaktivitäten zu einem Gesamthandeln zusammenfinden.

Wir bilden deshalb gemeinsam eine politische Plattform (…), die es Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen, Parteien und Gruppen möglich macht, sich an der Diskussion und Bearbeitung lebenswichtiger Gesellschaftsprobleme in diesem Land zu beteiligen. Für eine solche übergreifende Initiative wählen wir den Namen NEUES FORUM.“[1]

Dieser Aufruf hat zusammen mit anderen Initiativen wie dem Aufruf von DEMOKRATIE JETZT „Aufruf zur Einmischung in eigener Sache“ die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR eingeleitet. Es gibt für mich kein anschaulicheres Beispiel dafür, wozu bürgerschaftliches Engagement in der Lage ist. Das System der DDR konnte sich solange halten, weil bürgerschaftliches Engagement und die kritische Auseinandersetzung mit der bestehenden Situation im Keim erstickt wurden. Im Umkehrschluss möchte ich die These aufstellen: Findet kein bürgerschaftliches Engagement mehr statt, gibt es keine den Menschen dienende gesellschaftliche Entwicklung. Dann fehlt das wichtige Korrektiv zu Verwaltungsentscheidungen bzw. zu Politik. Dann fehlt der Dialog und das Ringen um die beste Lösung zum Wohle und Nutzen von allen Mitgliedern in der Gesellschaft und Verwaltungen verselbstständigen sich. Das lässt, wie es die DDR gezeigt hat, Demokratie sterben und gefährdet Menschenrechte und bürgerliche Grundfreiheiten. Während damals Eigeninitiative unterbunden wurde, weil gesellschaftliche Veränderung nicht gewollt war, breitet sich heute vielerorts Passivität gegenüber den ungelösten Problemen aus, vertrauen viele nicht mehr der Bewegungskraft. Doch nur dort, wo sich Bürger und Bürgerinnen in eigener Sache friedlich einmischen, findet gesellschaftliche Entwicklung statt. Meckern oder der „Hinweis“ auf „die da oben“, die „werden es schon richten“, reicht eben nicht aus, um aus einer gesellschaftlichen Krisensituation herauszukommen. Unzufriedenheit muss im „Einmischen in eigener Sache“, also im bürgerschaftlichen Engagement münden. Dann können enorme Kräfte entwickelt werden. Dann können Missstände behoben werden.

Im Rückblick auf das, was wir in den Bürgerbewegungen im Herbst 89 erreicht haben, ist es mir ein großes Anliegen, diese Erfahrung der Veränderungskraft des bürgerschaftlichen Engagements an die nächste Generation weiter zu geben.

 

[1] Aufbruch 89 – Neues Forum: Auszug aus dem Gründungsaufruf des Neuen Forum vom 10. September 1989.

 

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Elisabeth Schroedter ist Pädagogin, Umweltberaterin und Mutter von drei Söhnen. Die 1959 geborene Dresdnerin wohnt jetzt in der Nähe von Potsdam im Land Brandenburg.

1989 engagierte sich Elisabeth Schroedter im Neuen Forum, eine der Bürgerrechtsbewegungen der DDR. Anfang 1990 wurde sie Mitglied der Grünen Partei in der DDR, die im Dezember 1990 mit den Grünen (West) fusionierte. Als 1994 erstmalig Ostdeutsche ins Europäische Parlament gewählt wurden, gehörte Elisabeth Schroedter dazu.