Kristina Kasek, geboren 1952, promovierte Pharmazeutin, 2 Kinder, verheiratet
Kristina Kasek sprach im Rahmen unserer Projekte im Juli 2009 mit der Journalistin Claudia Hempel (http://www.claudia-hempel.com/) zur Rolle der Umweltbewegung in der Oppositionsbewegung und Wende in der DDR.
Das komplette Interview kann hier nachgelesen werden (pdf-Datei, 87 kB).
Auszüge aus dem Interview:
Wo waren Sie am 9. November 1989, am Tag der Maueröffnung?
So ganz genau erinnere ich mich nicht, ich bilde mir ein – wie hieß der, dem der Zettel reingereicht wurde?
Schabowski.
Ach ja, Schabowski. Ich bilde mir ein, dass ich zu Hause im Wohnzimmer vor dem Fernseher gesessen habe und genauso dumm in den Fernseher hereingeguckt habe, wie Herr Schabowski auf seinen Zettel.. So nach dem Motto: Was ist das denn jetzt? Doch, ich glaube, so war es, denn kurz danach zeigten sie ja die Bilder von Berlin, wie die Leute losstürzten und zur Mauer rannten und mein Mann und ich, wir haben uns angeguckt und uns gefragt: Wie bekloppt sind denn die Leute?
Das klingt nicht sehr nach Begeisterung.
Richtig. Weder Jubelschreie oder Euphorie, noch Hoffnung auf komplette Änderung im Sinne von Verbesserung. Soviel Realismus hatte ich auch am 9.November 1989, also Illusionen habe ich mir nicht gemacht. Ich bin zwar mein Leben lang politisch aktiv gewesen, aber letzten Endes bin ich manchmal eher zurückhaltend realistisch bis sehr konservativ und nicht immer begeistert von etwas, von dem man gar nicht weiß, was da überhaupt kommt.
Hatten Sie mit der Maueröffnung gerechnet?
Nein. Das kam völlig überraschend, weil ich es so auch nicht gewollt hätte. Das entsprach nicht meinem inneren Wunsch.
Woher kommt diese große Skepsis?
Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich keinerlei Familie im Westen hatte. Ich habe weder durch die Mauer noch durch die Grenze familiäre Einschränkungen erlebt. Und ich bin bis zum heutigen Tag nicht so reisewild und –freudig, dass ich jetzt rückblickend sagen müsste, es hätte mir etwas gefehlt. Und alle die, die immer so tun, als hätten sie nicht reisen können, die waren vielleicht noch in Polen und Tschechien, aber wenn ich frage: und dort und dort und dort? - da kommt als Antwort, waren wir nicht, waren wir nicht, waren wir nicht. Seltsam, da konnte man doch hin. Es ist ja jetzt nicht so, dass man überhaupt nirgends hin konnte, wenn es auch eher östlich orientiert war.
Kristina Kasek, Leipzig, im Interview
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Wie sind Sie in der DDR aufgewachsen?
Ich bin gebürtige Dessauerin, aber letztlich bin ich im Randberliner Raum groß geworden, mit stetig wechselnden Adressen. Mein Vater war auch Apotheker und er hat zu DDR-Zeiten immer eine Apotheke übernommen, diese aufgebaut, sie für die gesetzlichen Anforderungen fit gemacht und wenn er damit fertig war, zog die Familie um in die nächste Stadt, dort baute er die nächste Apotheke auf. Das hat ihm Spaß gemacht und wir mussten mit. Meine Schwester und meine Mutter auch, sie war Apothekenassistentin. Durch dieses Leben war ich aber immer auch mit dem konfrontiert, was draußen passiert ist. Apotheken sind meist im Stadtzentrum und ich erinnere mich sehr genau, wie ich als Kind die Panzerkolonnen aus dem Fenster beobachtet habe und die russischen Soldaten, die den Verkehr auf der Kreuzung regulierten.
Spielte Politik in ihrer Familie eine Rolle?
Ich bin definitiv unpolitisch aufgewachsen. Gutbürgerliches Elternhaus mit adligem Ursprung. Mit Interesse für gutes Benehmen und vorbildliche Erziehung, aber nicht mit Interesse an irgendwelchen Staatsfragen.
Waren Sie Mitglied der SED?
Ja. Und stellen Sie sich vor, ich musste regelrecht darum kämpfen. Ich wollte von mir aus in die Partei eintreten und da wurde mir gesagt: Nix ist. Du bist Intelligenzkind.
Und das war ein Ausschlussgrund?
Damals offensichtlich schon. Das war in der 12.Klasse, als ich gerade 18 wurde. Mein Antrag lag dann ein paar Jahre unbearbeitet rum und als die Weltfestspiele 1973 heranrückten, änderte sich plötzlich die Politik dahingehend, dass auch Intelligenzler in die Partei aufgenommen wurden. Und seitdem war ich drin.
Warum wollten Sie unbedingt in die Partei?
Ich war schon immer politisch sehr engagiert. Das bin ich bis heute. Meine Grundüberzeugung ist: Es geht nicht, dass jeder nur sein Ego pflegt und arbeiten geht, um Geld zu verdienen, so nach dem Motto, der Rest ist mir egal. Aber wehe, es klappt etwas nicht, dann fangen alle mit dem Finger an zu zeigen, die haben etwas falsch gemacht, die sind dran schuld. Ich glaube daran, dass man bestimmt Dinge ändern kann. Und diesen Glauben habe ich auch nie verloren, trotz mancher Enttäuschungen, die ich hatte.
Und damals dachte ich, verändern kann ich nur als Parteimitglied etwas.
Wie ist Ihr politisches Umweltbewusstsein in der DDR erwacht?
Umwelt hat bei mir angefangen, indem ich Mutter geworden bin. Ganz klar. Das lag auch daran, dass ich meine Kindheit und Jugend natürlich nie in umweltverseuchten Gegenden verbracht habe. Erst mitten im Fläming, landschaftlich eine schöne Ecke und dann Greifswald. Saubere Ostsee, Strände wie im Bilderbuch, Poel, Usedom, Hiddensee, Rügen.
Und Leipzig war dann der Umweltschock?
Nicht unmittelbar. Als ich 1978 aus Greifswald wegging und nach Leipzig kam, war mir noch nicht so bewusst, wie dreckig eigentlich Leipzig war, aber als mein erster Sohn geboren wurde, da erwachte plötzlich mein Gefühl für die Umwelt. Ich erinnere mich noch, wie ich, noch im Mutterschaftsurlaub, mit dem Kinderwagen durch die Stadt gelaufen bin, weil ich irgendwoher einen Sack Zement besorgen wollte, da kam ich in Gegenden, wo ich noch nie war. Und dort sah ich plötzlich den Dreck, sah mein Kind im Kinderwagen, die verkehrsreiche Strasse und da machte es irgendwie klick.
Und dann sind Sie sehr schnell Leiterin einer Umweltgruppe geworden?
Ja, aber das war eher passiv. Nicht aktiv. Wir haben damals am Liebigplatz gewohnt und mein Mann hatte vorher angefangen, im Klub der Intelligenz zu arbeiten, ich weiß gar nicht mehr, was er dort genau gemacht hat, er ist ja Soziologe, wahrscheinlich hatten die dort Gesprächsabende oder was weiß ich. Jedenfalls kam die Kulturbundleitung auf ihn zu und sagte: Wir haben im Stadtbezirk Mitte eine Umweltgruppe, wollen Sie die nicht übernehmen. Da hat mein Mann gesagt, das wird mir zu viel, aber ich kann ja mal meine Frau fragen. Und so kam er nach Hause und fragte mich: Willst du das machen?
Und da haben Sie sofort ja gesagt?
Ja. So bin ich zu der Umweltgruppe gekommen. Ich war damals Anfang 30 und alle anderen waren wesentlich jünger. Da gab es auch vorher schon einen Leiter, der war Mitte 50, kam aber von der SED-Bezirksleitung und war dieser Gruppe mehr oder weniger vorgesetzt wurden. Da gab es Spannungen. Und er hat dann die Gruppe verlassen, ob freiwillig oder nicht, das weiß ich nicht. Jedenfalls war ich sein Nachfolger.
Und wurden Sie sofort von der Gruppe akzeptiert?
Nein, es war nicht einfach. Monatelang kam von den Gruppenmitgliedern immer wieder die Frage: Wer schickt dich? Ich habe kein Hehl daraus gemacht, dass ich in der Partei bin und das hat sie misstrauisch gemacht.
Ich habe damals an der Uni gearbeitet, war promoviert und in der Partei. Das waren sicherlich auch gute Voraussetzungen, um Dinge zu machen, die andere vielleicht so nicht durchgesetzt bekommen hätten. Meine Parteimitgliedschaft war auch ein wirksamer Schutz für die Gruppe. Doch das haben die eben so nicht gesehen. Ich war eben so ein bisschen der Feind. Und als das Misstrauen nicht nachließ, hat mich das auch furchtbar gegrämt. Warum wollten die mir nicht glauben, dass ich von niemandem geschickt wurde, dass ich da war, weil mich die Themen interessierten, dass ich das alles freiwillig gemacht habe. Ich war nicht in der Stasi und ich wollte niemanden aushorchen.
Was haben Sie in der Umweltgruppe gemacht?
Die zentralen Fragen der Umweltgruppe wurden anfangs ganz wesentlich von dem Bericht des Club of Rome bestimmt. Dort wurde die Umweltfrage ganz klar formuliert und die Gruppe hat sich bemüht, diese weltpolitischen Fragestellungen auf Leipzig herunter zu brechen. So nach dem Motto: Reicht die Filterkraft der Bäume in Leipzig, um die Luft für 500.000 Menschen rein zu halten? Hat der Auenwald, wenn er durch eine Strasse zerschnitten wird oder durch den Kohleabbau, noch eine ökologische Funktion? Das waren die Fragen, mit denen sich die Leute in der Umweltgruppe beschäftigt haben, als ich dazu kam.
Wie viele Chancen hatte denn eine Umweltgruppe in der DDR Gehör zu finden?
Nun, das war ein sehr kleinteiliger und mühsamer Prozess. Es hieß immer: Ja, Genossin; du hast ja Recht, aber Umweltschutz kostet Geld. Das haben wir momentan nicht, deshalb kümmern wir uns darum später. Ich kann mich nicht an ein einziges Mal erinnern, wo jemand aus der Bezirksparteileitung das Problem an sich nicht gesehen hätte. Wo jemand gesagt hätte, du lügst oder du hast Unrecht, es ist nicht so schlimm wie du es siehst, wir müssen nichts machen. Das kam nie. Es kam immer das Argument: Wir haben kein Geld für Umweltschutz. Und wenn wir es rückblickend betrachten, dann kann ich nur sagen – es stimmte ja. Vielleicht hängt das auch mit den Kreisen zusammen, in denen ich verkehrt bin, das waren Wissenschaftler an der Uni, die haben das realistisch gesehen. Vielleicht war es woanders anders. Ich kann nur sagen. So habe ich es erlebt.
Welche Aktionen gingen von der Umweltgruppe aus?
Wir haben in der Umweltschutzgruppe öffentlichkeitswirksame Sachen gemacht. Rosenthalfest, wenn Ihnen das was sagt. Das war das Stadtbezirksfest des Stadtbezirkes Mitte. Dort war der Kulturbund regelmäßig dabei und auch unsere Umweltgruppe. Wir haben dort unsere Informationen verteilt. Auf Flugblättern. Ohne Computer. Ich hatte das Glück eine Erika-Schreibmaschine zu haben. Gott sei Dank eine große, wo man A4-Blätter auch quer einspannen konnte. Ich habe da nachts gesessen und Texte getippt mit dem Einfingersuchsystem und mit fünf Durchschlägen. Kohlepapier noch und nöcher dahinter, bis man es kaum noch lesen konnte und auch notfalls sechsmal denselben Text getippt, man konnte ja auch nicht kopieren. Und dann haben wir beim Rosenthalfest die Zettel verteilt. Das waren zum Beispiel Informationen für den Kleingärtner, wie man ohne unsinnige Chemikalien, die ja letztlich das Wasser verseuchen, den Garten bewirtschaften kann. Es war immerhin der Versuch den Leuten klar zu machen. Es nützt nichts auf den Schornstein in Espenhain zu schimpfen, der sicherlich das größere Übel war, keine Frage, aber im persönlichen Bereich nicht zu reagieren.
Sie haben auch Artikel veröffentlicht und waren regelmäßiger Gast in einer Radiosendung.
Ja, ich habe eine ganze Menge von Beiträgen geschrieben für den Verlag für die Frau, ich weiß gar nicht mehr, für welche Zeitschrift das war, ich glaube, Die Sowjetfrau. Und die Radiosendung, das war eine Live-Sendung über Umweltschutz in der DDR! Das wollen viele nicht mehr wissen, wollen es nicht mehr glauben es ist aber so. Ich habe das mit Adelheid Scholz gemacht, die hat nach der Wende beim Personalrat des MDR gearbeitet. Sie hat die Sendung moderiert, vormittags um 11, zur besten Hausfrauenzeit. Adelheid hat immer gesagt, es gilt das gesprochene Wort, wenn sich hinterher die SED beschwert, dann sagen wir einfach das tut uns furchtbar leid, dass uns das rausgerutscht ist, das konnten wir leider nicht verhindern. Aber das ist nicht ein einziges Mal vorgekommen. Wir mussten uns nie vor irgendjemandem rechtfertigen. Dort haben wir als Sendungen über Wasser, über Verkehr, über Chemie, über Wald gemacht, also alles was Umweltschutz war. Die Vorbereitung lief so, dass die Adelheid sich irgendein Thema überlegte und sich dann die Fragen, die sie mir stellen wollte, notiert hat und mir so ungefähr gesagt hat, in welche Richtung es gehen wird, damit ich mich darauf vorbereiten konnte. Niemand hat mich jemals aufgefordert, leg mal vor, was du dort sagen willst, es war live.
Es war offensichtlich mehr möglich, als man dachte.
Ja, man musste es nur probieren. Wir hatten als Umweltgruppe in den 80er Jahren sogar ein Schaufenster zur Gestaltung. Auf der Käthe-Kollwitz-Strasse, wo heute die Medica-Klinik ist. Zwei drei Häuser weiter hatte „VEB Entstaubungstechnik Edgar André“ einen Lagerraum. Fragen Sie mich bitte nicht, was die da gelagert haben, das war mir völlig egal. Wir hatten die Firma im Visier, weil die Anlagen - für den Export selbstverständlich - hergestellt haben, um das Schwefeldioxid aus den Abgasen der Schornsteine zu holen. Die Dinger hätten wir ja in Leipzig gut gebrauchen können.
Zu dem Lagerraum gehörte ein Schaufenster und das hat uns interessiert. Wir haben so spaßeshalber zu denen gesagt: Wenn Ihr schon die Maschinen, die wir dringend hier bräuchten, exportiert, dann gebt uns doch wenigstens euer Schaufenster, damit wir Umweltaufklärung machen können. Die Käthe-Kollwitz-Strasse ist eine Hauptverkehrsstrasse und wir hatten dort Platz riesengroße Plakate aufzuhängen. Das war vielleicht auch so ein bisschen mein Ding. Für mich war Aufklärung, Bildung, Information das Essentielle. Der Meinung bin ich auch heute noch, ohne Bildung geht gar nichts. Ich fand das wichtig. Und auch hier muss ich sagen. Wir sind nie kontrolliert wurden. Da fahren zwei Straßenbahnlinien vorbei, jeder konnte es sehen. Wir haben dort unsere Veranstaltungen angekündigt und über andere Sachen aufgeklärt. Und wenn wir im Kulturbund eine Veranstaltung gemacht haben, dann kamen da im Schnitt 100 Leute.
Haben Sie sich darüber gewundert, dass so Vieles möglich war?
In dem Moment nicht. Eher im Nachhinein. Und besonders ärgert es mich, wenn die Leute heute behaupten, es war gar nichts möglich. Das stimmt einfach nicht. Einmal hat mir sogar das ZdJ, das Jugendforschungsinstitut, geholfen, also der Betrieb, wo mein Mann damals gearbeitet hat. Das war in Vorbereitung auf eine Informationsveranstaltung. Sie hatten ja Kopiermaschinen. Das waren so Maschinen mit einer Leier, wo man eine Walze einschmieren musste und die Druckerei, die haben meinen Text im ZdJ kopiert. Auf jedem Zettel stand aber ganz offiziell die Kopiernummer drauf. Das war ja überall so in der DDR, damit konnte man nachverfolgen, wer das kopiert hat, wo es kopiert wurde und daraufhin bin ich in die SED-Kreisleitung bestellt wurden. Sie haben mich nach den Hintergründen gefragt und ich habe es erklärt. Das war´s. Meinem Mann ist nichts passiert, für das ZdJ hatte es auch keine Konsequenzen. Für mich ist das aus heutiger Sicht schon eine Art Kontrolle, aber wenn man es erklärt hat, war alles okay. Ich habe es ja nicht im Westen drucken lassen und dann wieder über die Grenze geschmuggelt, insofern war das ja jetzt nichts Kriminelles, was ich gemacht hatte und so ist es mir auch nicht auf die Füße gefallen. Das war Mitte der 80er Jahre.
Haben Sie mit anderen Umweltgruppen zusammen gearbeitet?
Ja, auch das fing in der zweiten Hälfte der 80er Jahre an. Einerseits haben wir uns in Leipzig vernetzt, aber andererseits auch DDR-weit. Zum Beispiel mit der Umweltgruppe in Potsdam. Deren Vorsitzender war Matthias Platzeck, der heutige Ministerpräsident von Brandenburg. Matthias war ja in der Bezirkshygiene in Potsdam angestellt und wir haben gemeinsam überlegt, wie tauschen wir uns aus, dass die Informationen, die die Leute mühsam eruieren, allen zur Verfügung gestellt werden können. Auf die Art und Weise habe ich Matthias Platzeck kennengelernt. Und nach diesem Treffen hatte ich auch das erste Mal aktiven Stasikontakt. Da kam die Firma an die Uni in mein Labor. Das werde ich nie vergessen, die Welt ist klein – jedenfalls, derjenige, der da vor mir stand, das war der Vater einer Klassenkameradin meines ältesten Sohnes. Also ich kannte ihn von Elternabenden.
Das war Ihr erster Stasikontakt?
Ja. Ich war also etwas verblüfft, als der plötzlich vor mir stand und sich als Stasi vorgestellt hat. Er blieb auch so in dieser eher vertrauten Stimmung, wie man sie eher auf einem Elternabend hat und dann kam der Satz: Ich würde ja auch viel lieber du zu dir sagen. Da habe ich aber sofort geblockt – auf keinen Fall, wir bleiben lieber mal hübsch beim Sie. Was wollen Sie? Und da bin ich eben zu diesem Treffen in Potsdam befragt wurden und auch zu einer konkreten Frau, die Mitglied in unserer Gruppe war.
Haben Sie darüber Auskunft gegeben?
Ich weiß nicht, ob es an meinem kindlichen Gemüt lag oder einfach dem Fakt, dass ich noch nie schlimme Erfahrungen in der DDR gemacht habe, jedenfalls habe ich sehr übermütig auf diese Fragen geantwortet.
Ich habe gesagt: Mein lieber Herr, wenn ich irgendwie das Gefühl hätte, dass es meinem Land schlecht ginge oder ihm eine Gefahr drohe, dann wüsste ich schon, welche Schritte ich zu gehen hätte. Das war alles und dann ist er gegangen.
Haben Sie die ersten Montagsdemonstrationen in Leipzig aktiv miterlebt?
Als die allererste stattfand war ich gerade in Thüringen. Die habe ich komplett verpasst.
Und durch den Ausflug nach Thüringen haben Sie die erste Montagsdemonstration verpasst?
Genau. Doch dann war ich mehr oder weniger regelmäßig mit dabei. Und mein Mann auch. Wir haben unsere Kinder gefragt, ob sie mitkommen wollen. Sie waren damals 8 und 9, denn soviel Bewusstsein hatte ich damals schon, dass mir klar war, das sind jetzt historische Momente. Doch sie wollten nicht und das haben wir auch akzeptiert. Als dann die Sprüche aufkamen, dass wir eine einheitliche BRD haben wollen oder wie die das genannt haben, da muss ich sagen, diesen Satz habe ich nie mitgesagt. Ich stehe bis heute dazu: Ich wollte die DDR reformieren. Mehr nicht.
Standen Sie mit Ihren Zweifeln an der Wiedervereinigung allein da?
Ja. Natürlich nicht in meinem engsten Freundeskreis oder der Familie, aber im erweiterten Bekanntenkreis schon. Die waren viel euphorischer. Das konnte ich nicht teilen.
Ich habe ja die Wende mehr an der Uni erlebt und die Mitarbeiter dort, die haben mich eher erschüttert. Sie waren alle extrem apolitisch.
Und nach der Wende stilisierten sie sich alle als Opfer. Sie durften nicht lesen, was sie wollten, sie durften nicht reisen, wohin sie wollten, sie durften nicht sagen, was sie wollten. Furchtbar.
Sind Sie heute noch politisch aktiv?
Nein. Ich war nach der Wende noch einmal Abgeordnete für die GRÜNEN. Als Parteilose. Ich bin bis zum heutigen Tag nicht Mitglied der GRÜNEN. Meine drei Männer sind Mitglied der GRÜNEN. Ich nicht.
Würden Sie sich heute als politisch links bezeichnen?
Mittlerweile fast radikal links. Also grün bin ich fundamentalistisch eingestellt. Und politisch? Wobei, was ist links? Ich möchte nicht mit den LINKEN, also mit der Partei von heute verglichen werden. Meine Ideale sind so die der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ich möchte, dass jeder, das, was er kann, einbringen darf. Ich möchte es eher wieder gleicher haben, als das, was wir haben. Insofern hat sich auch für mich die Frage mit dem Verdienst revidiert. Zu DDR-Zeiten war ich sauer, dass ich so wenig verdient habe. Heute sage ich mir, dass diese kleinen Unterschiede mir wesentlich besser gefallen und ich möchte es lieber so.
Ich bin links nicht im politischen Sinne, sondern ich bin der Meinung ich konnte früher zu DDR-Zeiten mehr machen und erreichen und habe auch mehr erreicht. Ich kann heute die Bäume zu hunderten zählen, die wir gepflanzt haben. Wenn ich jetzt sehe, wenn mein Sohn als Parteichef der GRÜNEN eine Baumpflanzaktion macht, und sehe, wie er ringt, um die zu bepflanzenden Flächen und sich jeden einzelnen Baum genehmigen lassen muss, dann ist das schon ein Unterschied. Wir haben uns die Flächen einfach genommen.
Von heute aus betrachtet, welche Rolle spielt die Wiedervereinigung für Sie?
Ich möchte sagen, sie spielt gar keine Rolle. Ich bin groß geworden und sozialisiert zu DDR-Zeiten und ich denke, die Wiedervereinigung spielt für mich keine Rolle. Mein Mann sagt zwar immer wieder: Sei dankbar. Da hast einen guten Beruf, du verdienst gutes Geld. – Ja, klar, aber die Grundlagen dafür habe ich in der DDR bekommen. Dort hat man mir das alles ermöglicht. Ausbildung und alles Weitere. Klar, verdiene ich jetzt mehr Geld, aber es ist auch in diesem Land ein anderes Geldgefüge, insofern kann man das nicht vergleichen.