Europäische Afrikapolitik

Lesedauer: 6 Minuten

Die Europäische Afrikapolitik
Von der EU-Afrika-Strategie und externer Demokratieförderung
28. November 2007
mit Dr. Sven Grimm und Dr. Gero Erdmann

Moderation: Katja Schröder

Warum interessiert uns Afrika? Welche Veränderungen vollziehen sich sowohl in Afrika als auch in Europa? Was sind Themen einer Partnerschaft zwischen Europa und Afrika?
Sven Grimm beginnt seinen Vortrag damit verschiedene Aspekte der Beziehungen zwischen Europa und Afrika hinsichtlich ihrer Bedeutung und Form abzuklopfen. Handelt es sich bei der Rede von europäischen Interessen um Eigeninteressen? Hat Europa ein humanitäres Anliegen an Afrika? Ist der Zugang zum afrikanischen Markt überhaupt relevant für Europa? Existiert eine diesbezügliche Rivalität mit anderen Mächten wie den USA oder China? Haben Afrikas natürliche Ressourcen (Öl, andere Rohstoffe) eine große Bedeutung für Europa? All jene Aspekte scheinen einen, allerdings mehr oder minder relativen, Einfluss auf europäische Politikgestaltung gegenüber dem afrikanischen Kontinent zu haben. Die Kernidee europäischer Afrikapolitik sei vielmehr ein effektiver Multilateralismus.
Zum Wandel in Afrika:
Von einer niedrigen Ausgangsbasis betrachtet, könne man von positiven politischen Entwicklungen in Afrika sprechen, so Sven Grimm. Es würden heute deutlich mehr Demokratien (und stärkere Zivilgesellschaften) in Afrika existieren, auch wenn diese „mit Adjektiven“ und Rückschlägen versehen wären. Neben diesen positiven Entwicklungen zeige sich aber auch das Phänomen fragiler und gescheiterter Staaten. Abgesehen von den europäischen Geberländern und den USA machen zunehmend auch andere Akteure wie China und Indien ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent deutlich. Durch enorme Investitionen und Infrastrukturprojekte sichern sich diese Länder ihren Zugang zum afrikanischen Markt und zu wichtigen Rohstoffen. Als „negativ“ und problematisch erwähnt Sven Grimm die Tatsache, dass die Realisierung der Millenium Development Goals (MDGs) bis 2015 in kaum einem afrikanischen Land gelingen werde. Mit der Afrikanische Union (AU), NEPAD (New Partnership for Africa’s Development) und dem freiwilligen Instrument zur Evaluierung von Governance-Strukturen (APRM – African Peer Review Mechanism) zeige sich eine fortschreitende positive Entwicklung auf überregionaler Ebene.
ECOWAS und SADC seien Ausdruck der regionalen Wirtschaftsintegration im westlichen sowie südlichen und südöstlichen Afrika.

Zum Wandel in Europa / in der europäischen Akteurskonstellation:
Afrika bleibe durch die geographische Nähe des Kontinents (nach wie vor) zentral für Europas Außenbeziehungen. Die individuellen Mitgliedsstaaten der EU schwächen ihren Fokus auf ehemalige Kolonien. Gleichzeitig lasse sich eine Zunahme am Thema der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in Europa erkennen. Das Cotonou Abkommen (als Folgeabkommen der Lomé-Verträge) beinhaltet die Weiterführung der Sonderbeziehungen zum afrikanischen Kontinent bis 2020 mit Betonung des Partnerschaftselements und einer Stärkung politischer Elemente. Die EU wäre als Friedensprojekt für Europa gegründet worden, also mit einer deutlichen Binnenperspektive, betont Sven Grimm. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik begann 1993, und gestaltet sich seit 1999 sehr dynamisch. Offen sei, ob ein diesbezüglich neuer Schwung durch den Vertrag von Lissabon zu erwarten sei.

Neuere, Afrika betreffende oder fokussierende, Entwicklungen der europäischen Politikformulierung und -gestaltung umfassen:

  • die Europäische Sicherheitsstrategie (2003) (EUFOR / African Peace Facility)

  • den Europäischen Konsens zur Entwicklungspolitik (2005)

  • die EU-Afrika-Strategie (2005) (Finanzierung kontinentaler Strukturen und Governance Initiativen)

  • die gemeinsame EU-Afrika-Strategie (2007) (diese umfasst Frieden und Sicherheit, Governance und Menschenrechte, Handel und Regionalintegration sowie weitere zentrale Entwicklungsthemen)

Sven Grimm hält die Entwicklungen in Afrika für insgesamt ermutigend. Es stelle sich jedoch die Frage nach ihrer Nachhaltigkeit. Werden sie sich als ausreichend erweisen, um Armut reduzieren zu können? Schwierig sei es ein Patentrezept für ganz Afrika zu finden bzw. zu entwickeln, zumal vor dem Hintergrund einer zunehmenden Komplexität der Phänomene und Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent. Hinsichtlich des zunehmende Betonung findenden Partnerschaftsgedankens in den europäisch-afrikanischen Beziehungen stelle sich dennoch die Frage, ob eine Kooperation auf Augenhöhe überhaupt möglich sei.

Gero Erdmann thematisiert in seinem Vortrag die Frage nach Demokratiealternativen und Demokratieförderung in Afrika.
Es gebe kaum konkrete afrikanische Modellalternativen, so Gero Erdmann zu Beginn, vielmehr vollziehe sich eine zunehmende Ausbreitung liberaler Demokratien.
Zu gesellschaftlichen und politischen Alternativen:

  • Existieren neue gesellschaftliche Ordnungen jenseits des Staates? (Gewaltmärkte /(legitime) Gewaltoligopole (warlords, clans)

  • Existieren politische Alternativen? Vorkoloniale afrikanische Traditionen hätten sich längst aufgelöst; es gebe keine einheitliche afrikanische Tradition.

Der afrikanische Sozialismus (J. Nyerere), die afrikanische Charta der Menschenrechte und die afrikanische soziale Demokratie (Claude Ake) könnten ebenfalls kaum als mögliche (zukunftsfähige) Alternativen betrachtet werden.
Zu Demokratieförderung:
Es fände eine Orientierung am liberalen demokratischen Leitbild statt (wiederum großteils am angelsächsischen Modell ausgerichtet). Unterschiede in Bezug auf Demokratieförderung würden sich bspw. zwischen Europa und den USA oder zwischen politischen Stiftungen und staatlicher EZ zeigen, so Gero Erdmann. Die Nachfrage aus Afrika orientiere sich ebenfalls am liberalen demokratischen Leitbild. Gero Erdmann fragt nach der Wirksamkeit von Demokratieförderung. Es würden kaum empirisch fundierte Erkenntnisse über ihre Effekte existieren. Die Wirksamkeit der externen Demokratieförderung werde vermutlich weit überschätzt.
Zum Demokratiemodell:

  • Es handelt sich nicht um den Export spezifischer Demokratiemodelle (parlamentarisch, semi-präsidentiell, präsidentiell, föderal, zentralistisch).

  • Entscheidend ist eine Orientierung am liberalen Grundmodell (gewählte Regierungsvertreter / freie und faire Wahlen / allgemeines aktives Wahlrecht / allgemeines passives Wahlrecht / Meinungs- / Informations- / Vereinigungsfreiheit / Rechtsstaatlichkeit).

Zur Demokratieentwicklung in Afrika:

  • Die Zahl der Demokratien ist ansteigend, vor allem hat die Zahl der autoritären Regime deutlich abgenommen.

  • Eine Zustimmung zur Demokratie überwiegt noch immer – die Ablehnung nicht demokratischer Regierungsformen ist deutlich.

  • Demokratische Mehrparteiensysteme sind selten hoch fragmentiert und haben keine destabilisierende Wirkung.

  • Wahlen werden zu immer regelmäßigeren Institutionen (qualitative Verbesserung - frei und fair; der Wettbewerbscharakter nimmt zu; Wahlbeteiligungen sind trotz Armut, schlechter Bildung und mangelnder Infrastruktur relativ hoch; irreguläre gewaltsame Machtwechsel nehmen deutlich ab).

Gero Erdmann schlussfolgert, dass eine Institutionalisierung konstitutioneller, formaler Politikprozesse deutlich zunimmt.
Zu „Reisenden“ Modellen und Institutionen:
Gero Erdmann hinterfragt die Problematisierung bezüglich der Exporte oder Importe von Modellen.
Ein Modell wird angepasst und verändert. Bei einem Modell handele es sich um eine Abstraktion mit wenigen allgemeinen Grundelementen. Schließlich stelle sich die Geschichte als eine von „Modellexporten“ und „-importen“ und „-adaptionen“ dar, so Gero Erdmann.

In der Diskussion wird nochmals die Problematik der mangelnden oder gänzlich ausbleibenden Reflexion der Wirkungsweisen von Entwicklungszusammenarbeit aufgegriffen. Der Fokus scheine nach wie vor auf der Frage „wer gibt was wohin“ und NICHT „was bewirken wir damit“ zu liegen. Plausibilitätserkundungen sowie die Kontrolle der eigenen Programme erscheinen dringend notwendig, diese gelte es zu stärken und enorme Defizite im Hinblick auf Wirkungsanalysen zu überwinden.

 

ReferentInnen

Sven Grimm arbeitet am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn, Abteilung I Bi- und Multilaterale Entwicklungszsammenarbeit.
Dr. Gero Erdmann arbeitet am GIGA Institut für Afrika-Studien in Hamburg, Leiter des GIGA Büros in Berlin.

 

Autorin

Autorin dieser Dokumentation ist Lisa Schlegel. Sie hat Afrikanistik an der Universität Leipzig und der Politikwissenschaft an der Universität Leipzig und Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg studiert und arbeitet als Freie Mitarbeiterin für Weiterdenken und betreut dabei die Veranstaltungsreihe zu europapolitischen Fragen. Seit Dezember 2008 ist Lisa Schlegel wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig.