08 – Kameraden aus Kaltland
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Die extreme Rechte hat Ideen von Zusammenhalt und Gemeinschaft: Nation, Rasse oder Volksgemeinschaft. Diese Gemeinschaft schließt aus. Wer dazugehört, ist klar vorgegeben von völkischen Kategorien: vermeintliche Abstammung, vermeintliche Herkunft und vermeintliche Kultur – gemeint ist eine starre und monotone Kultur. Gleichzeitig schließt die Gemeinschaft der extremen Rechten ein und zwar zwanghaft und in rigiden Rollen: Queer darf man darin nicht leben. Wer nur verträumt ist oder Punk, wer eine andere politische Haltung hat, sei zu disziplinieren oder ebenfalls auszuschließen. Gewalt gehört hierhin, sie ist kein Ausrutscher.
Gewalt und Kameradschaft halten diese Gemeinschaft zusammen. Kameradschaft ist repressiv. Sie kennt keine Freiheit, Verschiedenheit und Einzigartigkeit, sie versteht das als Verrat und Verschwörung.
Wer ihre Forderungen, Ideologien und Sprache aufgreift, hilft der extremen Rechten. Wer anderen Würde und Rechte abspricht, geht ein Gedankenbündnis mit ihr ein. Die extreme Rechte organisiert sich und will Bündnisse mit anderen politischen Milieus. Dann entstehen
„Rechte Bedrohungsallianzen“. So nennt es eine Gruppe von Forscher*innen.
Die Nachwendejahre waren in ganz Deutschland von rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt gekennzeichnet. Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen stehen synonym für weitere Attacken, Brandanschläge und Morde. Kaltland wurde das genannt oder Baseballschläger-Jahre. Diese Worte lösen etwas aus, sie bedeuten Bedrohung, Angst und Gewalt für Viele: Linke, Asylsuchende und Migrant*innen, für Roma und Sinti, Punks, People of Color, Queers und Obdachlose, Behinderte und Juden und Jüdinnen. Die Verantwortlichen in Politik und Behörden ließen die Neonazis viel zu oft gewähren, Verurteilungen waren milde. Die Politik schränkte in den 90ern mit dem Grundrecht auf Asyl ausgerechnet das Recht vieler Angegriffener ein. Viele verstehen das bis heute als klare Botschaft: ein Nachgeben gegenüber dem rechten Mob und eine Absage an den Solidaritätsgedanken.
Diese Gewalt wurde vielfach übersehen oder galt als randständig oder als Ost-Problem. Noch heute wird ein Nazi-Problem nur im Osten gesucht, anstatt den rechten Strukturen vor der eigenen Haustür zu entgegenzutreten. Antisemitismus und Rassismus waren zu keiner Zeit und an keinem Ort einfach „weg“; sie wurden nicht öffentlich ernstgenommen.
Doch auch der Widerstand gegen Neonazis und rechte Gewalt hat Geschichte. So brutal und prekär die Zeiten, immer gab es Versuche, Freiräume zu erkämpfen und zu verteidigen: Es sind Antifa-Gruppen entstanden, migrantische Selbstorganisierungen, Infoläden, Bands, antirassistische Initiativen, Hausbesetzungen, Beratungsstellen. Migrantisches Leben konnte nicht aus Deutschland verdrängt werden. Selbsthilfe hat sich organisiert, politische und subkulturelle Freiräume wurden erkämpft, aufgebaut und verteidigt. Gemeinsamer migrantischer und nicht-migrantischer Widerstand ist damals jedoch kaum gelungen.
Die Baseballschläger-Jahre sind vergangen, aber sind sie auch vorüber?
Sie wirken nach: Gesetze wurden verschärft. Neonazis haben gelernt von milden Strafen und gesellschaftlichem Beifall und weiter Gewalt ausgeübt. Rechte haben Selbstvertrauen gewonnen, Strukturen aufgebaut und Ideologie weitergegeben.
Aber auch andere haben gelernt: Heute sehen Medien hin und berichten über rechte Vorfälle, solidarische Strukturen und Räume wurden aufgebaut, manches wurde professionalisiert; Angegriffene erheben die Stimme und verbünden sich. Die Migrationsgesellschaft ist jetzt unumkehrbare Realität.