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Veränderung durch Kultur

Lesedauer: 4 Minuten

Am 15. Februar 2018 richteten die Kiewer Gespräche gemeinsam mit dem EuropaMaidanLeipzig e.V. und in Partnerschaft mit der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Ukraine: Kultur trotz Krieg“ in den Räumen des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig aus.

Fast 100 Gäste waren gekommen und wurden zunächst durch Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin des Europäischen Austauschs, sowie Uwe Schwabe vom EuropaMaidanLeipzig e.V. begrüßt.

Auf dem Podium diskutierten Viktoria Amelina, Jurko Prochasko und Stanislav Fedorchuk - drei preisgekrönte ukrainische Literaten, die allesamt extra aus der Ukraine angereist waren. Zu Beginn wurde die aktuelle politische Situation in der Ukraine besprochen und dabei dem Publikum ein differenziertes Bild der kulturellen Landschaft geboten. Alle drei formulierten ausführlich und differenziert für das Publikum, das ausgesprochen aufmerksam zuhörte. Somit wurde gleich zu Beginn der Diskussion die kritische Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Prozessen in der Ukraine deutlich. Vor allem standen die Veränderungen nach der Euromaidan-Revolution, der russischen Okkupation der Ostukraine und der Annexion der Krim im Vordergrund.

Nach dieser Einführung stand die Frage nach konkreten kulturellen Projekten im Raum. Viktoria Amelina berichtete von ihren landesübergreifenden Lesungen und einem Projekt mit Kindern aus dem Kriegsgebiet, mit denen gemeinsam sie Weihnachtslieder aus allen Regionen der Ukraine einstudiert und an verschiedenen Orten des Landes aufgeführt hat.
Jurko Prochasko verwies auf das deutsch-ukrainische Literaturfestival „Eine Brücke aus Papier“, das in der Ukraine in verschiedenen Orten stattfand. In diesem Jahr wird die Stadt Mariupol im Mittelpunkt dieses Festivals stehen.
Stanislav Fedorchuk informierte über sein Projekt: die Anthologie „Poroda“ mit über 60 ukrainischen SchriftstellerInnen, die sich alle in einem Bezug zu den besetzten Gebieten im Osten der Ukraine äußern. Fedorchuk hob hervor, dass – im Gegensatz zu russischer Propaganda – der Osten der Ukraine authentisch zur Ukraine gehört.
Die Antworten verdeutlichten die Bedeutung der Kultur für die Menschen in der Ukraine. Themen wie Menschenrechte, Korruption, politische Verfolgung, Verlust und Zerstörung, Identität und Zukunftsperspektiven wurden in der Diskussion mehrmals aufgegriffen. Auf die Frage des Moderators, Reinhard Bohse, nach staatlicher Unterstützung wurde hervorgehoben, dass der Staat mittlerweile die Bedeutung kultureller Initiativen erkannt habe und mehrere Initiativen mit Unterstützung von Stiftungen und NGOs arbeiten ins Leben gerufen wurden. Beispielsweise befindet sich aktuell ein ukrainisches Institut nach dem Vorbild des deutschen Goethe-Instituts in Planung.

Die abschließende Frage bezog sich auf kulturelle Orte und/oder Initiativen in der Ukraine, die für Interessierte aus Deutschland sehenswert sein könnten. Wer die Ukraine nicht kennt, so die Redner, der solle vielleicht mit Lviv und Chernivtsi in der Westukraine beginnen. Aber auch Kyiv sei immer eine Reise wert. Die Kriegsgebiete solle man doch eher vermeiden.

Auf eine Publikumsfrage zur möglichen Benachteiligung des Russischen in der Ukraine betonte Viktoria Amelina, sie sei selbst russischsprachig groß geworden. Im gleichen Sinne antworteten Jurko Prochasko und Stanislav Fedorchuk. Stanislav Fedorchuk merkte an, dass in der Tat das Ukrainische über Jahrhunderte von verschiedenen Imperien unterdrückt wurde und dass es folglich heute umso wichtiger sei, das Ukrainische auch als Kulturgut zu pflegen. Stefanie Schiffer ergänzte, es sei falsch zu behaupten, Russisch sei verboten. Sie verwies darauf, dass in den verschiedenen Regionen des Landes Russisch als zweite Amtssprache offiziell fungiere, geschätzt etwa in der Hälfte der Ukraine.

Als nächstes folgte eine Frage aus dem Publikum nach der Rolle des Christentums in der Ukraine. Hier lautete kurzgefasst die Antwort, dass das Christentum in der Ukraine vielfältig ist: orthodox, katholisch, lutherisch. Generell bildet das Christentum eine wichtige Basis für das kulturelle Leben in der Ukraine.

Auf Nachfrage äußerte sich Jurko Prochasko nachdenklich zum Veranstaltungstitel „Kultur trotz Krieg“: Es sei tatsächlich so, dass auch dort wo Krieg herrsche, wie in den Grenzgebieten der russisch besetzen Ostukraine, auch Kultur vorhanden sei.

Zum Abschluss des Diskussion wurde nochmals die Frage nach dem deutsch-ukrainischen Dialog in die Runde gestellt. Dabei äußerten die Redner den Wunsch nach einer besseren Verständigung und dem Abbau von Vorurteilen. Dabei wären Reisen in die Ukraine sicherlich hilfreich.

Die Podiumsgäste hinterließen beim Publikum einen bleibenden Eindruck und zeigten authentisch, mit welcher Energie und Dynamik sich aktuell Veränderungen in der Ukraine vollziehen.

Autor: Reinhard Bohse/Kiewer Gespräche