Trotz hoher Investitionen tun sich das Leipziger Neuseenland und das Lausitzer Seenland gegenüber den etablierten Urlaubszielen – Sächsische Schweiz, Erzgebirge und Vogtland – noch schwer.
Im Jahr 2016 haben in Sachsen fast 7,5 Millionen Menschen Urlaub gemacht und dafür beinahe 19 Millionen Übernachtungen gebucht. Geblieben sind die Gäste für durchschnittlich zweieinhalb Übernachtungen – Sachsen ist ein Kurzreiseurlaubsziel. Ganz in diesem Trend liegt auch, dass die meisten Gäste in die großen Städte Dresden und Leipzig fahren. Dorthin zog es 2016 mit 3,65 Millionen Menschen fast die Hälfte aller Gäste. 97.000 Erwerbstätige lebten 2015 in Sachsen vom Tourismus, darunter 60.000 in Hotellerie, Gastronomie und Einzelhandel.
Die Ferienregionen Erzgebirge und Vogtland verzeichneten 2016 fast 4,4 Millionen Übernachtungen. Top-Reisezeit hier ist der Winter. Doch der droht den Wintersportzielen verloren zu gehen, denn auch Sachsen ist von der weltweiten Klimaerwärmung betroffen und zugleich – durch die Braunkohlewirtschaft – ihr Mitverursacher. Die Temperaturen steigen flächendeckend, auch in den Mittelgebirgen. Gleichzeitig schwanken die Niederschlagsmengen immer stärker, und die Sonneneinstrahlung nimmt zu. Das wird dazu führen, dass es im Erzgebirge und im Vogtland weiterhin Winter mit guten Sportbedingungen geben wird. Aber sowohl die Schneemengen als auch die Dauer
der Schneebedeckung werden weniger planbar sein und wohl einen Rückgang im Wintertourismus hervorrufen.
Kann dieser potenzielle Rückgang durch einen neuen Tourismus in den Tagebau-Folgelandschaften Mitteldeutschlands und der Lausitz aufgefangen werden? Ist der Tourismus eine Chance für den Strukturwandel in den Regionen?
Intensiv werden die von der Braunkohle geprägten Landesteile Sachsens als Leipziger Neuseenland und Lausitzer Seenland vermarktet. Beide Gebiete, Teil der Tourismusregionen Leipziger Land und Oberlausitz/Niederschlesien, meldeten 2016 insgesamt 2,6 Millionen Übernachtungen, also 14 Prozent der sächsischen Gesamtzahl. Hierin sind Übernachtungen in Tourismusmagneten wie Görlitz (2016: 280.000 Übernachtungen) bereits enthalten.
Die öffentliche Hand investiert mit großem Aufwand in die touristische Infrastruktur, insbesondere in den Wassersport- und Fahrradtourismus. Allein die staatseigene Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), für den Umgang mit den Folgen der Braunkohlewirtschaft zuständig, entwickelt 105 Tourismusprojekte auf 790 Hektar Fläche in Sachsen und Brandenburg –
vom Aussichtpunkt bis zum Zeltplatz. Für den Wassertourismus werden Strandbäder angelegt, Anlegestellen für Boote geschaffen und die Tagebaurestseen miteinander verbunden.
Hierzu sind bis heute acht Verbindungskanäle, sogenannte Überleiter, zwischen den Seen gebaut worden. Vier weitere sind geplant. Der Überleiter 12 zwischen dem Senftenberger und Geierswalder See sollte laut einem Gutachten von 2004 6,5 Millionen Euro kosten. Am Ende wurden es 51 Millionen Euro, wie der Landesrechnungshof Brandenburg 2013 rügte. Der Überleiter 11 zwischen Großräschener und Sedlitzer See, 2014 fertiggestellt und voraussichtlich nutzbar ab 2017/18, sollte acht Millionen Euro kosten. Bis 2014 lagen die Kosten schon bei 32 Millionen Euro.
In der Lausitz sind für den Radtourismus die Seenland-Route und die Niederlausitzer Bergbautour entstanden. Durch das Leipziger Neuseenland ziehen sich die Neuseenland-Route und die Kohle-Dampf-Licht-Radroute. Um mehrere Bergbaufolgeseen herum wurden Radwege gebaut und ausgeschildert. Insgesamt sind so über 1.000 Radroutenkilometer entstanden.
Doch sowohl Wassersport- wie Radverkehrsinfrastruktur haben mit den Unbilden der Bergbau-Folgelandschaft zu kämpfen. So erfüllen naturgemäß einige der Überleiter bis heute nicht ihre Funktion, weil die zu verbindenden Seen noch nicht ihren endgültigen Flutungsstand erreicht haben oder Seen wegen eines zu niedrigen pH-Wertes bisher kaum nutzbar sind. Auch die Bodenbeschaffenheit spielt manchmal nicht mit. Der Überleiter 4 innerhalb des Bergener Sees mit 360 Meter Länge wurde 2008 fertiggestellt und 2010 sanierungsbedürftig, weil er durch einen hydraulischen Grundbruch im anliegenden ehemaligen Tagebau Spreetal teilweise zugeschwemmt wurde. Für die Lausitzer Radrouten wird darauf hingewiesen, dass die Bergbau-Folgelandschaft mancherorts sensibel sei und nicht betreten werden dürfe.
Alle Jahre wieder schafft es ein ostdeutscher Radfernweg im Ranking des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) auf Platz eins der beliebtesten touristischen Pedalisten-Strecken: der Elbe-Radweg. Unter den Top Ten findet sich weiter der Oder-Neiße-Radweg. Und doch fehlt Sachsen unter den beliebtesten Radregionen. Damit spielen die Lausitzer und die mitteldeutsche Bergbau-Folgelandschaft in der radtouristischen Wahrnehmung Deutschlands offenbar keine Rolle. Wenn, dann dienen sie eher der Naherholung.
Und der Bade-, Surf- und Segeltourismus? Die Übernachtungszahlen aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz sind seit 2005 um rund 20 Prozent gestiegen. Die durchschnittliche Bettenauslastung liegt jedoch nur bei 32,3 Prozent, sachsenweit aber bei 42,3 Prozent. Es ist bezeichnend, dass keine der beiden Braunkohlegebiete als eigene Ferienregion in statistischen Auswertungen auftaucht. Allerdings strebt der 2012 eigens gegründete Tourismusverband Lausitzer Seenland genau das an, um die Region besser zu vermarkten. Folgerichtig setzt das Neuseenland auf Tagestouristen und profitiert von der nahe gelegenen Metropolregion Leipzig-Halle. Die Lausitz hat es schon schwerer, profitiert aber auch von einem Tourismus, der gar nicht auf die Tagebau-Folgelandschaft, sondern auf andere Attraktionen ausgerichtet ist, etwa den Spreewald oder den Schlossgarten Muskau.
Tourismus ist ein zentrales Puzzleteil für den Strukturwandel in den beiden Tagebauregionen, bedarf aber weiter großer Investitionen, damit niemand mehr in einen sauren See springen oder auf dem Rad umdrehen muss, weil auf einem Radweg wieder einmal wegen Sanierung kein
Durchkommen ist. Doch das Beispiel von Elsterheide nordwestlich von Hoyerswerda zeigt, wie gut Tourismus hier funktionieren kann. Die obersorbische Gemeinde mitten im Seenland hat es geschafft, sich als Anlaufpunkt für Urlauberinnen und Urlauber zu etablieren. Im sächsischen Branchenreport Tourismus 2015 ist die Gemeinde sachsenweit immer vorne mit dabei: bei den Übernachtungszahlen pro Einwohner, der Auslastung der Gästebetten und bei der Aufenthaltsdauer.