Care-Revolution und Grundeinkommen: Warum das eine nicht ohne das andere zu haben ist

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Gesellschaft nur aufgrund fürsorglicher Gemeinschaften funktionieren kann. Antje Schrupp schreibt über die Bedeutung von Care und die Chance, die sie im bedingungslosen Grundeinkommen sieht.

pink lila Hintergrund, zwei blaue Kreise, verbunden durch ein gelbes Dreieck

Die Corona-Pandemie hat erneut gezeigt, wie dringend wir die Parameter unseres Nachdenkens über Wirtschaft, über Wert, über das, was wichtig und was nicht so wichtig ist, verändern müssen. Erneut wurde deutlich, dass Arbeit nicht als synonym für „bezahlte Arbeit“ gedacht werden kann. Auch unbezahlte Arbeit ist Arbeit und wer zum Beispiel Kinder betreut, kann nicht nebenher noch im Homeoffice arbeiten (oder andersherum). Gleichzeitig wurde wieder einmal offensichtlich, dass ein Wirtschaftssystem, das nur funktioniert, wenn es ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) aufweisen kann, falsche Prioritäten setzt: Statt darüber nachzudenken, was eine Gesellschaft wirklich braucht und worauf auch für eine Weile einmal verzichtet werden kann – zum Beispiel, um eine Pandemie zu bekämpfen – werden widersinnige Entscheidungen getroffen. Eine Gesellschaft, die für ihr Funktionieren davon abhängig ist, dass es genügend bezahlte „Arbeitsplätze“ gibt, ist nicht in der Lage, auf schwierige Herausforderungen flexibel zu reagieren. Denn diese Abhängigkeit führt dazu, dass statt dem Notwendigen und Vernünftigen lediglich dasjenige im Fokus steht, was „Arbeitsplätze sichert“.

So schien es wichtiger zu sein, Gastronomie und Kulturleben wieder in Gang zu bringen, als Menschen in ihrer letzten Lebensphase vor dem Tod gut zu versorgen: Ich schreibe diesen Text Ende Juli 2020 und während das „Wirtschaftsleben“ in Deutschland längst wieder läuft, die Restaurants voll sind, die Menschen in Urlaub fahren und Partys feiern, begrenzen viele Krankenhäuser oder Pflegeheime immer noch den Zugang von Angehörigen sogar zu sterbenden Menschen, was wirklich der Gipfel der Inhumanität ist. Auch die Schulversorgung der Kinder hat eine viel zu geringe Priorität beim Pandemie-Management angesichts der großen Belastung, die das für Familien (und für allem für Mütter) bedeutet und der großen Gefahr, die Schere der sozialen Ungerechtigkeit gerade im Bildungsbereich noch weiter zu öffnen.

Bei der Bevorzugung von „BIP-relevanten“ Branchen vor vermeintlich privaten oder „nur“ sozialen im staatlichen Pandemie-Management handelt es sich nicht um eine reale Notwendigkeit, wie zum Beispiel die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Dingen sicherzustellen. Sondern das Ziel ist, die von Arbeitsplätzen abhängigen Einkommensketten intakt zu halten. Das Problem ist ja nicht, dass Menschen in Krisensituationen nicht einmal ein paar Monate ohne Restaurants, Urlaub oder Theater auskommen könnten. Sondern dass die Menschen, die in diesen Branchen arbeiten, dann eben auch ohne Einkommen sind. In der Pflegebranche hingegen gehen keine Arbeitsplätze verloren, wenn Besuche verunmöglicht oder reduziert werden. Also wird kein Problem darin gesehen – obwohl Begegnungen mit Angehörigen am Lebensende oder bei schweren Krankheiten für ein gutes Leben unverzichtbar sind und tausendmal wichtiger als ein Restaurantbesuch.

Um solche Schieflagen in der Prioritätensetzung geht es unter anderem, wenn Feministinnen schon seit den 1970er Jahren politische, philosophische und ökonomische Alternativen unter der Überschrift „Care“ entwickeln und diskutieren. Sie stellen damit das Leben und die Erhaltung des Lebens in den Mittelpunkt ihrer Analyse von Wirtschaft, nicht Kennziffern wie Arbeitsplätze, BIP oder ähnliches. Sie kritisieren, dass in den meisten Wirtschaftstheorien die Mehrzahl der Arbeiten, die für das Wohlergehen der Menschen unverzichtbar sind, nicht berücksichtigt werden, obwohl ihr Anteil mehr als fünfzig Prozent der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ausmacht: unbezahlte häusliche Pflegearbeit, Kinderbetreuung, Fürsorge aller Art.

Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass eine Care-Revolution, also eine grundlegende Neuausrichtung, die die Sorge umeinander, füreinander und für die Welt in den Mittelpunkt stellt, kaum möglich sein wird, ohne die enge Verbindung zwischen materiellem Auskommen und Erwerbsarbeitsplatzbesitz zu lösen – also ein Bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Die unbedingte Garantie eines ökonomischen Mindestauskommens würde Menschen davon befreien, um jeden Preis ihre Erwerbsarbeit verteidigen zu müssen – zum Beispiel auch dann, wenn dadurch andere Menschen in gesundheitliche Gefahren gebracht werden – und es würde es uns erlauben, sowohl als Gesellschaft als auch als Einzelne, sachbezogen über Prioritäten und über Notwendigkeiten nachzudenken. Nicht nur in guten Zeiten, sondern gerade auch in Krisen.

Die meisten feministischen Ökonom*innen stimmen darin überein, dass die Neubewertung und Neuorganisation von Care-Tätigkeiten im Zentrum jedes ernstzunehmenden Ansatzes zum ökonomischen Umdenken stehen muss. Wenn man BGE und Care zusammendenkt, gilt dieser Zusammenhang aber genauso andersherum: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht sinnvoll denkbar, ohne dass dabei gleichzeitig „Care“ ins Zentrum gestellt wird. BGE-Modelle, bei denen die Frage von „Care“ lediglich ein Kapitel unter vielen darstellt, taugen nichts, unter Umständen können sie sogar kontraproduktiv sein. Der ganze Ansatz eines Grundeinkommens muss sich rund um den Aspekt von „Care“ als Kriterium ausrichten.1

Was genau ist aber „Care“?

Heute steht „Care“ stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit und auch politischer Aktivitäten als noch vor einigen Jahren. Allerdings wird dabei oft in einem sehr konkreten Sinne bestimmter Aktivitäten wie Putzen, Stillen, Kindererziehung, Kochen und so weiter über Care gesprochen. Sicher ist es richtig, dass solche Sorgetätigkeiten – Pflege, Sozialarbeit, Putzen und Waschen, Essenszubereitung und so weiter – wichtig sind. Aber der Fokus darauf ist nicht ausreichend. Es geht auch um einen tiefgehenden kulturellen Wandel, um eine Veränderung der symbolischen Ordnung. Dieser Aspekt kommt in der tagesaktuellen Care-Debatte oft zu kurz.

Im „ABC des guten Lebens“, einem kleine Büchlein, das ich zusammen mit anderen feministischen Ethikerinnen im Jahr 2012 veröffentlicht habe2, wählen wir deshalb eine umfassendere Beschreibung: „Care ist Handeln, das für das Bestehen, Bewahren und die Erneuerungen der Welt sorgt, und für das eigene In-der-Welt-Sein Verantwortung übernimmt. Zu Care-Aktivitäten zählen auch Tätigkeiten wie die Bestellung von Land, die Pflege von Hecken, das Versorgen von Tieren und Pflanzen, und ebenso politischer Aktivismus, Informations-, Forschungs- und Entwicklungsarbeit.“ Einerseits steht Care zwar als Begriff für die konkreten Aktivitäten der Pflege, des Sorgens für jemanden oder für etwas. Gleichzeitig bedeutet „to care“ aber auch, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Abhängigkeit, Bedürftigkeit und Bezogenheit grundlegende menschliche Bedingungen sind. „Care“ ist gleichzeitig ein Tun und eine Haltung.

Die Wirtschaft aus einer Care-Perspektive zu betrachten, widerspricht offensichtlich den üblichen Kategorien wie der Aufteilung von bezahlter und unbezahlter oder formeller und informeller Arbeit. Care-Arbeit ist oft, aber nicht immer unbezahlte Arbeit. Und vielleicht ist „Care“ manchmal auch überhaupt keine Arbeit. Jedenfalls sind Kennzahlen wie das Bruttoinlandsprodukt nutzlos, wenn man etwas über den tatsächlichen Wohlstand eines Landes oder das Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger aussagen möchte. Diese Zahlen schließen einen sehr großen Teil der Wirtschaft, nämlich die unbezahlte Arbeit, von der Betrachtung aus. Es ergibt ja zum Beispiel überhaupt keinen Sinn, warum Kinderbetreuung oder Krankenpflege in volkswirtschaftliche Berechnungen nur dann einbezogen werden, wenn sie von bezahlten Kräften in öffentlichen Einrichtungen oder Unternehmen erfolgt, nicht jedoch in Familien oder ehrenamtlichen Initiativen. Gleichzeitig sind im BIP Aktivitäten mit eingerechnet, die zum realen Wohlstand der Gesellschaft überhaupt nichts beitragen oder ihm sogar schaden wie unproduktive Finanzdienstleistungen oder umweltschädliche Produktionsweisen.

Es gibt eine philosophische und historische Erklärung dafür, warum Care weder von Mainstream-Ökonom*innen noch von den meisten Politiker*innen, aber auch nicht von vielen linken Bewegungen, sofern sie von Männern dominiert werden, berücksichtigt wird: Die meisten dieser mit „Care“ verbundenen Tätigkeiten befinden sich am unteren Ende der patriarchalen symbolischen Ordnung. Sie wurden und werden in den Bereich des „Privaten“ verbannt, unsichtbar gemacht oder in Form von schlecht bezahlten Arbeitsplätzen an vermeintlich „schwächere“ Personen mit einem niedrigeren sozialen Status delegiert. Dem zugrunde liegt eine lange Tradition philosophischer Denkmuster, die von falschen Dualismen und problematischen Hierarchien geprägt ist: zwischen Kultur und Natur, frei und abhängig, männlich und weiblich.

In der Neuzeit teilte ein „Geschlechtervertrag“ – den Begriff prägte 1988 die Politikwissenschaftlerin Carol Pateman in Analogie zum Rousseau’schen „Gesellschaftsvertrag“3 – die Welt der Ökonomie in getrennte Bereiche auf: einen öffentlichen und einen privaten, den Markt und den Haushalt, den bezahlten und den unbezahlten, den sichtbaren und den unsichtbaren, den männlichen und den weiblichen. Die Hierarchie dieser Sphären bestand nicht nur darin, dass die „männliche“ für wichtiger gehalten wurde als die „weibliche“, sondern auch darin, dass das ganze System darauf beruhte, dass der sichtbare Markt stetig, aber unsichtbar von der anderen Sphäre, der Sphäre der Care-Arbeit, gestützt und erneuert wird. Alles, was wir über die sichtbare Seite der Ökonomie wissen und zu wissen glauben – zum Beispiel „Marktgesetze“ oder Vorstellungen von einem unabhängig und rational agierenden homo oeconomicus – gilt nur so lange wie die unsichtbare Seite quasi den notwendigen Nachschub liefert, ohne aber einkalkuliert zu werden.

Es ist daher nicht einfach nur Unaufmerksamkeit oder Frauenfeindlichkeit, warum Volkswirtschaftler oder Vertreter der politischen Ökonomie des 18., 19. und teilweise auch noch des 20. Jahrhunderts davon ausgingen, Care-Arbeit werde quasi mysteriöserweise von Frauen geleistet, ohne dass sich die Politik oder die Wirtschaftswissenschaften damit beschäftigen müssten. Die Behauptung, es liege in der „Natur“ bestimmter Menschen, andere zu unterstützen, zu bereichern, zu nähren, ohne dabei auf ihre eigenen Bedürfnisse, Willen und Wünsche zu bestehen, war ein Grundpfeiler des ganzen Theoriegebäudes, ohne den die traditionelle Volkswirtschaftslehre in sich zusammengefallen wäre. Wobei diese Zuschreibungen nicht nur an Frauen, sondern auch an rassistisch zu „Anderen“ gemachte Menschen gerichtet wurden, zum Beispiel, um Sklaverei und Kolonialismus zu legitimieren.

Inzwischen ist offensichtlich geworden, dass Frauen diesen Geschlechtervertrag gekündigt haben. Viele weigern sich, weiterhin unbezahlt und unbeachtet den Markt mit Arbeitskräften zu versorgen oder sich selbstlos um diejenigen zu kümmern, die in dieser Konkurrenz noch nicht oder nicht mehr mitmachen können. Andere bestehen darauf, dass diese Arbeit, wenn sie sie schon erledigen, wenigstens evaluiert, analysiert und einkalkuliert wird. Auch andere „Andere“ erheben ihre Stimme, indem sie postkoloniale Unterdrückungsstrukturen, internationale „Care-Ketten“ und andere Ungerechtigkeiten und Dysfunktionalitäten aufdecken und skandalisieren. Aber wir müssen erst noch herausfinden, was nun als nächstes kommt. Wie können Gesellschaften und Wirtschaften funktionieren, in denen die traditionelle Sphärentrennung aufgehoben ist? In der nicht mehr der weiße, bürgerliche, wohlhabende, gesunde und vermeintlich autonome Mann den Maßstab für Menschsein ausmacht, sondern reale Menschen in ihrer realen Vielfältigkeit?

Manches wurde schon konkret ausprobiert und es gibt auch zahlreiche Projekte und Experimente dazu, zum Beispiel Quotenregelungen oder ähnliche Versuche, mehr Diversität zu verwirklichen. Viele linke und feministische Projekte bemühen sich aktiv darum, über die eigene demografische Schicht hinaus Bündnisse zu schmieden. Aber weil kein symbolischer Paradigmenwechsel stattgefunden hat, funktioniert es nicht wirklich. Reiche Gesellschaften wie etwa Deutschland behelfen sich damit, Care-Arbeiten an Migranten und vor allem Migrantinnen aus ärmeren Ländern auszulagern, was eine Fülle negativer Aspekte und Auswirkungen hat und keinesfalls eine dauerhafte Lösung darstellt. Auch die Idee, das Problem einfach durch „Gleichverteilung“ dieser Arbeit zwischen den Geschlechtern zu lösen, funktioniert nur in der Theorie, aber nicht in der Praxis, wo es zu Doppelschichten und Stress führt, weil sich Care-Arbeiten nicht in derselben Logik organisieren lassen wie Industrieproduktion oder professionelle Dienstleistung. Immer deutlicher wird: Es gibt innerhalb des derzeitigen Systems keine Lösung für die Care-Frage, man kann „Care“ nicht einfach „in die Wirtschaft integrieren“.

Andersherum wird aber möglicherweise ein Schuh daraus: Wenn wir Care-Aktivitäten in den Mittelpunkt stellen und das übrige System um sie herum erneuern, bringt das eine maßgebliche Verschiebung an gewohnten Gewichtungen sowie die Aufgabe zahlreicher gängiger Annahmen und Konzepte mit sich. Erwerbsarbeit dürfte nicht mehr im Zentrum des Lebensentwurfs stehen, sondern müsste sich den Erfordernissen von familiären Beziehungen oder gemeinwohlorientiertem Engagement unterordnen. Ökonomische Bilanzen dürften sich nicht länger auf diejenigen Transaktionen beschränken, bei denen Geld fließt, die in Zahlen ausgedrückt werden können, sondern müssten die unbezahlte Arbeit und den von ihr geschaffenen Wohlstand ebenfalls abbilden. Neue Maßstäbe für Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft müssten entwickelt werden, die Qualität nicht länger mit ökonomischer Verwertbarkeit gleichsetzt. Überhaupt bräuchten wir eine echte Wertedebatte, um uns darüber zu verständigen, welche Art von Wohlstand und gutem Leben wir wollen und welche ökonomischen Aktivitäten dementsprechend wertschöpfend sind und welche nicht: Wie viel Geld damit verdient werden kann, ist kein sinnvoller Maßstab. Schon gar nicht in einer Gesellschaft, in der sich immer mehr Geld auf den Konten einzelner privilegierter Menschen ansammelt, während die Kaufkraft anderer stagniert oder sogar abnimmt.

Für alle Lebensbereiche müssen neue Regeln entwickelt werden. Achtsamkeit, Verantwortung und Einfühlungsvermögen können nicht länger auf den privaten Umgang beschränkt sein, sondern müssen in ihrem politischen Gewicht erkannt werden. Die Öffentlichkeit muss (wieder) zu einem Ort werden, an dem Menschen in „Netzwerken der wechselseitigen Abhängigkeit, Fürsorge und Verantwortung” leben (so eine Formulierung der niederländischen Politologin Selma Sevenhuijsen), wo sie Neues miteinander ausprobieren und gemeinsam für ein gutes Leben aller sorgen können. „Caring Citizens“ nennt Sevenhuijsen diese auf einer Care-Perspektive aufbauende Vorstellung von Gesellschaft, in der auch ein neues Verständnis vom Staat entsteht.4

Care und das bedingungslose Grundeinkommen

Wie kommt nun das bedingungslose Grundeinkommen in die Szene? Könnte es bei einer Care-Revolution helfen und wenn ja, wie? Feministische Ökonom*innen und Aktivist*innen der Care-Revolution sind in dieser Angelegenheit gespalten. Einige von ihnen befürworten es (ich bin eine von ihnen), andere sind aber auch entschieden dagegen. Viele sind noch unentschlossen. Die Skepsis vieler Feminist*innen kommt daher, dass die meisten Grundeinkommens-Initiativen anfangs die Care-Thematik nicht wirklich berücksichtigten, was auch damit zusammenhing, dass Care als „Gender-Thema“ wahrgenommen wurde und in einer linken männlichen Tradition alles, was mit Geschlechterperspektiven zu tun hat, als „Nebenwiderspruch“ gilt.5 Es wird angenommen, dass solche Widersprüche quasi von selbst verschwinden würden, sobald sich die gesellschaftlichen Bedingungen geändert haben (wenn der primäre oder Hauptwiderspruch gelöst ist). Doch inzwischen sollte klar geworden sein, dass die Care-Krise nicht einfach durch die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens gelöst werden kann. Allerdings, und das ist meine These, kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen sehr dabei helfen, die aufgeworfenen Herausforderungen anzugehen.

So ist ein Aspekt des symbolischen Durcheinanders rund um Care, dass Beziehungen zwischen bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit unklar sind. Da in den meisten Fällen beide Seiten miteinander kooperieren, kommt es dadurch häufig zu Konflikten, etwa zwischen Eltern und Erzieherinnen oder zwischen Angehörigen und Pflegekräften. Statt an einem Strang zu ziehen oder die Gemeinsamkeiten in den Herausforderungen zu sehen – die ja in der Natur der Tätigkeit und den Bedürfnissen der Care-Nehmer*innen liegen und nicht in der Frage, ob dafür Geld bezahlt wird oder nicht – werden hier künstliche Differenzen erzeugt, wenn zum Beispiel in diesen Branchen gestreikt wird und die Last dann auf den Schultern der unbezahlten Angehörigen bleibt.

Aber auch in vielerlei anderer Hinsicht würde ein Grundeinkommen dazu beitragen, dass wieder der eigentliche „Wert“ einer Tätigkeit in den Blick genommen wird und nicht bloß der „Preis“, der dafür bezahlt wird.6 Mit einem BGE wäre nicht nur das Argument obsolet, dass „Arbeitsplätze“ um (praktisch) jeden Preis geschaffen beziehungsweise erhalten werden müssen, sondern auch die Vorstellung, dass Menschen Erwerbsarbeit leisten müssten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Eine selbstbestimmte Neuorientierung der Einzelnen in Bezug auf die Frage, wie sie zur Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Erhaltung des Lebens und der Lebensqualität beitragen möchten – und genau das ist die Aufgabe der Wirtschaft oder sollte es sein – würde wieder möglich werden, ohne an die strukturelle Frage gekoppelt zu sein, ob dies auf einem Erwerbsarbeitsplatz geschieht. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre also im Kontext des anstehenden Care-Paradigmenwechsels eine Maßnahme, die zur Entwicklung einer freiheitlichen, gerechten und nachhaltigen Gesellschaft beiträgt, indem sie gesellschaftliche und persönliche Freiräume schafft, sich der Care-Krise anzunehmen.7

Das BGE ist also gerade kein Schlaraffenland-Springbrunnen, sondern ein Mittel, das den Blick von einer monetären auf eine reale Knappheit lenkt. Die Frage, die – wiederum Einzelne ebenso wie Gemeinschaften und die Gesellschaft als Ganzes – dadurch ins Zentrum rückt, ist nicht mehr: „Wie stellen wir sicher, dass alle genug Geld zum Leben heben“ (denn diese Frage ist mit dem BGE geklärt), sondern: „Wie stellen wir sicher, dass alles was gesellschaftlich notwendig ist, auch getan wird?“. Dass die traditionelle liberale Antwort „Das regelt der Markt“ nicht stimmt, dürfte heute klar sein. Kumulierte Marktentscheidungen Einzelner führen nur dann zu einem ausreichenden Angebot an Gütern und Dienstleistungen, wenn die relevanten Marktteilnehmer*innen über Kaufkraft verfügen, also Geld haben. Auch wenn man den Aspekt der wachsenden ökonomischen Ungleichheit einmal beiseitelässt, der hier schon längst zu Verzerrungen führt, so ist diese Argument für Care unbrauchbar. Denn Care benötigen in besonderem Maß ja gerade diejenigen, die auf dem Markt nicht konkurrenzfähig sind: Kinder, Kranke, Alte.

Wer macht diese Arbeiten in einer Care-zentrierten Ökonomie? Wie stellen wir sicher, dass Menschen versorgt werden, die sich nicht selbst helfen können, aber oft auch nicht das Geld haben, um für entsprechende Dienstleistungen zu bezahlen? Eine systemimmanente Antwort auf diese Frage wäre es, den Staat dafür bezahlen zu lassen. Rein theoretisch wäre das sogar möglich. Allerdings würden wir dann über sehr, sehr hohe Summen sprechen. Schon in Bezug auf die Finanzierung eines BGE haben wir es mit hohen Beiträgen zu tun. Und hier würde ein Großteil des Geldes ja über Steuern gleich wieder eingezogen werden können, da das BGE nur die Kaufkraft der Armen stärken soll, während sein Effekt für die Mittel- und Gutverdienenden hauptsächlich darin liegt, einen Anteil ihres Einkommens bedingungslos zu stellen. Außerdem könnte man alle nicht bedarfsbezogenen derzeitigen Sozialleistungen mit dem BGE verrechnen, sodass eine finanzierbare Größe dabei herauskommt.

Wollte man aber tatsächlich alle derzeit unbezahlten Care-Arbeiten in bezahlte Arbeitsplätze umwandeln, käme man in ganz andere Regionen des Finanzbedarfs. Man müsste mindestens die Höhe des derzeitigen BIP aufbringen. Und ein weiteres Problem kommt dann hinzu: Unter kapitalistischen Bedingungen wird der Löwenanteil des Geldes, das in das Pflegesystem gepumpt wird, von gewinnorientierten Unternehmen wieder abgezogen. Wir erleben zurzeit einen Boom in der Kommerzialisierung des Pflegesektors. Da ist zu befürchten, dass zusätzliches Geld, zumal wenn es vom Staat kommt, größtenteils nicht zur Verbesserung des Rahmens der Pflegearbeit verwendet wird, sondern dazu, die Renditeerwartungen der Investoren zu erfüllen. Staatliches Geld, das in diesen Sektor fließt, wird mit einer großen Wahrscheinlichkeit nicht unbedingt bei denen ankommen, die es benötigen, oder dazu beitragen, die Qualität der Arbeit zu verbessern.

Ein anderer Aspekt ist, dass Care-Aktivitäten nicht allein in Geld gemessen werden können. Abgesehen von der Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, wird es immer andere Gründe geben, warum Menschen diese Arbeit machen – zum Beispiel, weil sie eine bestimmte persönliche Beziehung zu der Person haben, die Care benötigt. Und das ist der springende Punkt, das Dilemma, vor das uns die Care-Krise als Feminist*innen stellt: Einerseits ist es notwendig, dass wir die Bedeutung dieser Tätigkeiten für die Ökonomie herausstellen, ihre Wichtigkeit, ihre Würde. Andererseits besteht bei dieser Verschiebung aber auch die Gefahr, dass bestimmte Qualitäten verloren geben, etwa die Bedeutung von persönlichen Beziehungen, verbummelte Zeit, Freiwilligkeit und dergleichen – alles Aspekte, die mit der heutigen Organisation von Erwerbsarbeit kaum vereinbar sind.

Das Bedingungslose Grundeinkommen bietet von seiner Struktur her die Chance, Care-Perspektiven zu entwickeln, ohne ständig mit der unmittelbaren Notwendigkeit konfrontiert zu sein, Geld für den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Alle Menschen hätten dann die Möglichkeit, die heute nur Reiche haben: nämlich sich in ihrem Alltag für Dinge zu engagieren, die sie für wichtig und sinnvoll halten, ohne dabei ständig darauf achten zu müssen, dass sich das „rechnet“. Auf diese Weise könnten dann auch Care-Strukturen entstehen, die nicht nach einer betriebswirtschaftlichen Logik, sondern nach ihrer eigenen Sachlogik funktionieren, ohne die Gefahr, als Investitionsprojekt für die Profiterwartungen anderer zu enden.

Ein dritter Aspekt jedoch kommt noch hinzu und in Bezug auf ihn könnte das BGE durchaus Gefahren beinhalten: Care-Arbeit wird nicht von allen Menschen in gleichem Maße erwartet. Viele Frauen müssen sich zum Beispiel mit den Erwartungen von Familie und Gesellschaft auseinandersetzen, von ihnen wird erwartet, dass sie Care-Arbeit leisten, wenn keine andere Option verfügbar ist. Manche Feministinnen befürchten, dass dieser Druck mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch stärker wird, weil Frauen, von denen erwartet wird, dass sie private Pflegearbeit leisten, keine „Entschuldigung“ mehr darin haben, Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Deshalb muss es ein feministisches Mantra sein, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass das Bedingungslose Grundeinkommen für sich genommen kein Teil der Lösung für die ungelöste Care-Krise ist. Denn bedingungslos zu sein bedeutet ja eben, dass keine Bedingungen erfüllt werden müssen. Gar keine. Theoretisch müssen wir uns also mit der Möglichkeit befassen, dass sowohl Männer als auch Frauen, sobald es ein BGE gibt, das Geld nehmen und den ganzen Tag Netflix schauen, während die Kinder, die Alten und die Kranken unversorgt bleiben.

Sicher, wir wissen, dass das nicht passieren wird. Aber genau dieser Umstand, dass wir das wissen, ist der Grund, warum wir es nicht als Argument für ein BGE verwenden dürfen. Während wir uns für ein BGE einsetzen, müssen wir gleichzeitig versuchen, Lösungen für die Care-Fragen zu finden: Wer wird die Care-Arbeit erledigen, wenn niemand dazu gezwungen werden kann? Wer erledigt die Care-Arbeit für bedürftige Personen, die von diesen nicht selbst erledigt werden kann? Die aber auch nicht automatisiert werden kann und für die niemand die notwendigen Geldmittel hat, sie gut genug zu bezahlen? Ein erster Schritt dazu könnte sein, diejenigen Menschen zu befragen, die das jetzt schon tun. Warum sind so viele Mütter bereit, berufliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn kleine Kinder da sind? Warum werden trotz des geringen Verdienstes immer noch zahlreiche Menschen Kranken- oder Altenpfleger*innen? Welche Verbesserungsvorschläge haben sie für ihr Arbeitsumfeld, welche Vorschläge machen sie, die uns als Gesellschaft helfen können, diese Tätigkeiten attraktiver zu machen, sodass mehr Menschen bereit wären, sie zu übernehmen? Das Grundeinkommen bietet uns den Freiraum und die Möglichkeit, solche Fragen zu stellen. Von dieser Möglichkeit müssen wir aber auch Gebrauch machen.8

Und es geht weiter: Was wollen wir produzieren und wie wollen wir es produzieren? Wie können wir aus dem schädlichen Wachstumszwang herauskommen, unsere natürlichen Ressourcen und unsere Umwelt schützen und erhalten? Welche Aktivitäten sollten durch öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen gefördert und gesichert werden, weil sie für die Sicherung der Existenz und der sozialen Teilhabe aller Menschen von grundlegender Bedeutung sind? Der Maßstab für soziale Entwicklung ist, ob sie das gute Leben aller Menschen im Sinne von Freiheit und Solidarität, Selbstbestimmung und bedingungsloser sozialer Absicherung ihrer Grundbedürfnisse fördert. Dafür brauchen wir care-zentrierte wirtschaftliche und soziale Theorien und Bewegungen. Das bedingungslose Grundeinkommen kann ein Teil davon sein, aber es ist sicherlich nicht die Lösung selbst. Aber das BGE hat jede Chance, ein entscheidender Schritt in Richtung einer Gesellschaft von „fürsorglichen Gemeinschaften“ zu sein, die es den Menschen ermöglichen, für sich und einander zu sorgen.

 

1Vgl. Zum Thema Care als Kriterium auch Caroline Krüger: Care – ein Kriterium nicht nur in der Krise (in: bzw-weiterdenken, 26.6.2020, https://www.bzw-weiterdenken.de/2020/06/care-ein-kriterium-nicht-nur-in-der-krise/

2Ursula Knecht u.a.: ABC des guten Lebens, Christel Göttert Verlag 2012 (auch: www.abcdesgutenlebens.de, englische Version: www.abcofgoodlife.wordpress.com)

3Carol Patemen (1988) The Sexual Contract, Cambridge u.a.

4Selma Sevenhuijsen (1998) Citizenship and the ethics of Care, London.

5Ich habe deshalb einmal vorgeschlagen, die Diskurse zu „Care“ und „Gender“ zu trennen, vgl. Antje Schrupp: Care hat nichts mit Gender zu tun, in bzw.weiterdenken.de, 22.7.2016 - https://www.bzw-weiterdenken.de/2016/07/care-hat-nichts-mit-gender-zu-tun/

6Vgl. dazu Mariana Mazzucato: Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern, Campus 2019.

7Dazu gehört insbesondere die Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit. Genauer habe ich das in folgendem Beitrag ausgearbeitet: Antje Schrupp: Erkennen, was notwendig ist. In: Ronald Blaschke, Werner Rätz (Hg): Teil der Lösung. Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Rotpunktverlag 2013.

8Mit diesem Aspekt habe ich mich im Lauf der Jahre immer wieder beschäftigt, zuletzt mit dem Beitrag „Nur ein Baustein, nicht die Lösung: das Bedingungslose Grundeinkommen und die Care-Krise“ in: KAB Diözesanverband Köln (Hg): Zur Freiheit berufen. Christen für ein Grundeinkommen, Bonifatius Verlag 2019, Vgl. aber auch den Blogpost „Wer macht diese Arbeiten? Zum blinden Fleck des Grundeinkommens“ vom 2.9.2010, https://antjeschrupp.com/2010/09/02/wer-macht-die-unbeliebten-arbeiten-zum-blinden-fleck-des-grundeinkommens/, sowie meinen Beitrag „Grundeinkommen zwischen Selbstverwirklichung und traditioneller Hausarbeit“ in: Werner Rätz u.a. (Hg): Reichtum für alle? Das Buch zum Grundeinkommen, Paul Szolnay Verlag 2007.