„Infrastrukturlos, nahezu“

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Schild mit dem Titel: Solidarity City
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Solidarity City

Die folgenden Passagen stammen aus einem Interview mit RomaRespekt in Dresden, einer Initiative, die Teil der BettelLobby Dresden ist. Sie setzen sich für ein Recht auf Wohnen ein und kämpfen gegen Rassismus. Das Interview handelt von Ausschlüssen aus dem Wohnungsmarkt, von den politischen Forderungen der Initiative, ihren politischen Strategien, vom Verhältnis zur Stadtverwaltung und zu Vonovia SE. Ebenso behandelt es die Phase zu Beginn der Corona-Pandemie, als die bestehende und ohnehin schon fragile Infrastruktur für Obdachlose wegbrach. Das Interview wurde im November 2022 mit zwei Mitgliedern der Initiative geführt und redaktionell überarbeitet.

Wer seid Ihr und was zeichnet Euch als Initiative aus?

Wir sind ein Team, in dem Rom*nja und Nicht- Rom*nja gemeinsam zu historisch-politischer Bildung und Self-Empowerment arbeiten. Und als RomaRespekt sind wir Teil der BettelLobby. Neben der Vernetzung mit anderen politischen Initiativen in der Stadt betreiben wir ein Obdachlosen-Café für mehrheitlich EU-Bürgerinnen, was einmal die Woche stattfindet. Und wir haben gerade mit der Bettellobby eine Ausstellung in der Evangelischen Hochschule gemacht. Diese nimmt das Dresdener Housing First-Projekt als thematischen Ausgangspunkt - ein Modellprojekt, an dem wir sehr starke Kritik üben - und vermittelt die Perspektive verschiedener Europäer*innen, die hier leben, auf die Frage, wie sie eigentlich wohnen wollen. Denn der Selbsttext ist ja immer der Wichtigste. Wieso sollte irgendjemand darüber nachdenken, wie Leute gern wohnen wollen, wenn man sie einfach fragen könnte? Das haben wir gemacht und daraus ist die Ausstellung geworden.

Wie gelangt das Thema Bezahlbarkeit und/oder Verfügbarkeit von angemessenem Wohnraum zu Euch, wie wird es von Euch verhandelt?

Das muss man zunächst auf einer Meta-Ebene besprechen. Es hieß jahrelang Ostdeutschland ist billig. Und Dresden auch. Obwohl es schon immer eine der teuersten Städte war. Das heißt, wir haben schon immer Veranstaltungen gemacht, die sich mit dem Thema Wohnen befassen. Zu uns ist das Thema dann später auch über das RomaRespekt Projekt und die Bettellobby gekommen, die sich aufgrund eines rassistischen Diskurses gegründet haben. Denn die meisten der bettelnden Menschen sind letztendlich obdachlos.

Rom*nja und Sint*ezze begegnet in allen Bereichen der sozialen Frage sehr viel Rassismus. Zum einen wurde immer von bettelnden Clans geredet. Also organisiertes Betteln, mit Kindern und so weiter. Und um dem zu begegnen haben wir zunächst beim Thema Recht auf Bildung angesetzt: Wir haben gesagt, Betteln ohne Kinder heißt ja nur, dass man die Kinder nicht sieht. Das ist keine Lösung. So blöd es ist, wenn Kinder mit betteln müssen, aber sie sind auch mit ihren Eltern. Also haben wir uns stark gemacht für ein Schulrecht für Kinder, die hier nicht gemeldet sind. Als EU-Bürger*innen ist es nahezu unmöglich eine Meldeadresse zu kriegen, weil du ja nicht in den Notunterkünften untergebracht werden kannst. Normalerweise würde ich sagen, hast du einen deutschen Pass, kannst zu einer Notunterkunft gehen und wirst da untergebracht und hast dann auch eine Meldeadresse. Bist du EU-Bürger*in hast du nicht die Chance, eine Meldeadresse zu bekommen, das heißt auch, dass dein Kind nicht beschult werden kann. Und somit waren die Eltern damit konfrontiert, mit ihren Kindern betteln zu müssen. Das wurde skandalisiert und jetzt ist es klar, auch in Sachsen, dass jedes Kind – egal ob die Eltern illegal hier sind, oder als EU-Bürger*innen ohne Obdach – an Schulen angemeldet werden darf. Wir haben versucht, das Recht auf Bildung in den Vordergrund zu ziehen und damit der rassistischen Vorstellung von Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, etwas entgegenzusetzen. Weil es hier rechtlich eben gar nicht anders möglich war, als mit ihren Kindern zu betteln.

Dann war klar, ok, wer bettelt hat in der Regel keine Unterkunft. Durch das Café haben wir Leute kennengelernt und sind mit wohnungslosen Leuten in Kontakt gekommen. […] Und dann war es so, dass wir rund um die Bettellobby eigentlich recht bald Gemeinwesenarbeit betrieben haben. Anscheinend ist die Stadt nicht in der Lage, ihre sozialen Träger an den Tisch zu holen, und die zu unterstützen, die wahnsinnig gute Arbeit leisten. Es gibt viele tolle Sozialpädagogen beispielsweise. Die sind dann alle bei uns gelandet - obwohl wir eine ganz kleine Lobby sind. Und auf einmal war es so, dass alle Expertise wollten, und alle bei uns gelandet sind und nicht bei der Stadt. Anscheinend gibt es wenige Stammtische, wo die sich unterhalten. Es gab auch keinen Reflexionsraum für Sozialarbeiter*innen oder ähnliche Akteure. Das haben wir dann rund um die Bettellobby gemacht. So entstand ein großes Netzwerk zu diesem Thema und wenn was ist, versuchen wir dann, darüber darauf aufmerksam zu machen – z.B. auch über die Obdachlosenzeitschrift Drobs. Die haben u.a. ein ganzes Heft zu Rom*nja und der Geschichte der Rom*nja gemacht.

So hat sich ein Netzwerk entsponnen. Und dann mussten wir ziemlich klar skalieren, was unsere Aufgabe darin ist, weil wir keine Expert*innen sind. Wir sind ein Ehrenamtskontext, mehr oder weniger, der gar nicht aus der sozialen Arbeit kommt. Und trotzdem werden wir immer zu nach Meinungen gefragt. Uns war es wichtig, auf dem politischen Tableau zu bleiben, machen Bildung und stoßen Debatten und haben neben dem Obdachlosencafé z.B. auch Stadtführungen zu Obdachlosigkeit angeboten, mit fünf, sechs Stationen rund um Obdachlosigkeit. Es gibt auch eine Konzeption für Obdachlose, mit Obdachlosen, die ist toll!

Wie ist aktuell die Lage von EU-Bürger*innen? Wie hat sie sich entwickelt?

Durch die EU-Osterweiterung hat die Arbeitsmigration zugenommen. Und wir beobachten, dass auf dem Arbeitsmarkt kaum Gruppen stärker ausgebeutet werden als Rom*nja. Es gibt das Stereotyp gegenüber Rom*nja, dass sie nicht arbeiten, aber eigentlich arbeitet hier auf den Baustellen, in den Schlachthöfen, auf den Spargelfeldern niemand mehr und prekärer und schlechter bezahlt als Rom*nja. Viele der Rom*nja sind genau in diesen prekären Jobs angestellt und haben mit sehr prekären Wohnrealitäten zu kämpfen, etwa bei der Spargelernte. Aber die EU-Bürger*innen sind erst augenscheinlicher geworden, als sie das Betteln anfingen. Obwohl sie hier eigentlich in allen Bereichen arbeiten und einen großen Anteil im Dienstleistungsbereich stemmen, waren sie für alle unsichtbar.

Für uns ist klar, dass die prekärsten Menschen im Moment die EU-Bürger*innen sind. Die EU-Bürger*innen fallen schnell raus und sind stark mit Obdachlosigkeit konfrontiert. Natürlich gibt es auch ganz viel Jugendliche beispielsweise, die im Asyl sind, die Unbegleiteten, die haben oft auch keinen Bock in solchen Einrichtungen wohnen zu müssen. Daher gehen sie mitunter freiwillig in die Obdachlosigkeit. Aber sie haben zumindest ein Anrecht auf eine Unterkunft. Anders als EU-Bürger*innen. Wenn die um ihr Gehalt oder ihr Honorar geprellt werden, fliegen sie schnell raus aus dem Wohnungsmarkt und haben dann gar keinen Zugriff mehr auf Wohnen.

Wie fragil die Zugänglichkeit, wie verschlossen der Wohnungsmarkt mitunter ist, sehen wir aktuell in Gorbitz, einer alten sozialistischen Satellitenstadt. Dort sind eine Weile lang auch viele Rom*nja Rom*nja und Sint*ezze hingezogen. Wir bekamen manchmal Anfragen, beispielsweise von Leuten aus der Bibliothek von Gorbitz, die sagten: „Wir haben einen Zuzug von Rom*nja, was brauchen wir für Kinderbücher, welche Sprache sprechen die Leute?“. Das ist erstmal total schön. Doch dieser Opener ist schnell vorbei gewesen. Weil die Vonovia ab sofort, praktisch aufgrund der Namen den Leuten keine Wohnung mehr gibt. Anfang dieses Jahres konnte man eine Wohnung finden. Hauptsache man hatte Arbeit, oder bekam Geld vom Jobcenter. Aber mittlerweile hat sich die Karte umgedreht, und es reicht mittlerweile, wenn sie einen slowakischen Nachnamen hören. Dann bekommt man keine Wohnungen mehr.

Das deutet auf eine starke Verschlossenheit des Wohnungsmarktes für bestimmte Bevölkerungsgruppen hin. Nochmal zum Thema Housing First. Wie wurde das eingeführt? Was kritisiert Ihr daran?

Die haben das eingeführt zu Corona. Also, das ist jetzt über ein Jahr her. Da gab es dieses Modellprojekt und das hat fünf Plätze in Dresden. Erstens kritisieren wir daran, dass es super erprobt ist, man muss nicht wieder ein Modellprojekt machen. Man weiß ganz genau wie Housing First geht. Und dann ist es ein Riesenproblem, dass Vonovia der Träger ist. Wir stoßen konstant auf Leute, die – ich würde fast das Wort „traumatisiert“ nennen – bei Vonovia nämlich schon mal rausgeflogen sind. Die meisten, die hier Wohnungen verlieren, verlieren die ja bei Vonovia, weil das der größte Besitzer von Wohnungen in der Stadt ist und der ganze Soziale Wohnungsbau Vonovia gehört.

Alle Leute, die in Armutsstrukturen leben müssen, stoßen immer wieder auf Vonovia. Und in der Regel, wenn du obdachlos bist, hast du irgendwann mal in einer Vonovia-Wohnung gewohnt oder hast Freunde, die dort wohnen. Ich würde sagen, die Leute sind fix und fertig mit dieser Vonovia. Es ist so ein bisschen wie Kafka, hast du hier bei Vonovia einmal eine Wohnung verloren, kommst du hier nirgends mehr rein. Es ist ja sonst fast nichts da. Es ist halt ein großes kapitalistisches Unternehmen, das muss man jetzt dazu sagen. Das ist jetzt nicht irgendwie die städtische Wohnungsbaugesellschaft. Deswegen ist am Housing First Projekt unsere größte Kritik, dass man mit so einem Träger versucht, Soziales zu bestreiten. Daneben gibt es noch andere Kritikpunkte. EU-Bürger*innen dürfen nicht mitmachen. Man darf man keine Messi Tendenzen haben. Was heißt das? Das ist total subjektiv. Was ist denn Messi? Wir vermuten, dass es um soziale Erwünschtheit geht, weil man das beliebig drehen kann. Problematisch ist auch, dass das Programm nur für so wenig Leute ausgelegt ist. In Leipzig gibt es ein gutes – v.a. im Gegensatz zu Dresden – Housing First Projekt, an dem hätte man sich orientieren können. Eigentlich ist es auch kein Housing First, eigentlich geht es um tip-top organisierte Leute, die irgendwie in die Obdachlosigkeit gekommen sind und jetzt bei Housing First wieder eine Wohnung kriegen.

Wir wollen vor allen Dingen daran erinnern, dass es wirklich Wohnungen braucht. Denn wir beobachten, dass ein Verlernen stattgefunden hat. Es ist wichtig, sich einer komischen instrumentellen Herangehensweise zu entziehen, und einfach zu sagen: „Nein, Obdachlosigkeit bekämpft man durch Wohnungen. Und nicht durch alles Mögliche“. Die Leute machen es unheimlich gern kompliziert. Statt diesem ganzen Behördenschnickschnack sollte die soziale Frage ins Zentrum gestellt und gefragt werden: „Was ist jetzt eigentlich los?“. Und da würde ich sagen, zu erreichen, dass überhaupt das Wort „Armut“ in einer reichen Gesellschaft in den Mund genommen wird, ist schon viel. Und ich glaube, dass schaffen wir gut.

Viele Leute haben keine Lust auf diese Notunterkünfte, gleichzeitig ist ein Großteil der Obdachlosenarbeit im Ehrenamt organisiert. Zudem wissen viele der guten Sozialarbeiter*innen nicht, ob sie nächstes Jahr weiterarbeiten können. Es braucht Geld und Infrastruktur an Stellen, um Obdachlosen wirklich ins Wohnen zu helfen. Doch das, was immer im Zentrum unserer Forderungen steht, ist die Autonomie. Wir wollen kein Überverwalten von obdachlosen Leuten. Sondern, wir wollen Autonomie und dass die Leute gefragt werden, was sie wollen. Dass nicht über deren Köpfe hinweg entschieden wird. Die Mühe macht sich bisher niemand. Außerdem wollen wir die Vonovia enteignen. Dass Vonovia der größte Eigentümer hier ist, geht einfach nicht. Da kann man fast nichts erreichen.

Wie gestaltet sich das Verhältnis zum Sozialamt und zu den städtischen Behörden?

Ich komme jetzt gerade vom Sozialamt. Ich habe eine Familie mit vier Kindern begleitet. Die sind durch die Kündigung von der Arbeit in die Schulden reingeraten. Die konnten die Miete zunächst bezahlen, aber es hat gedauert beim Jobcenter – über zwei Monate – bis die Leistung wieder gelaufen ist. Und es ging jetzt darum, dass der Eindruck entstanden ist, die Familie habe nicht mitgearbeitet, mit dem Jobcenter. Alle zwei Wochen haben die verlangt: „Wir brauchen noch das oder das. Das oder das“. Doch auch wenn die Familie etwas hingebracht hat, hieß es: „Das haben wir nicht gekriegt“. Nicht jeder hat Zugang zum Internet, das wollen die nicht verstehen. Und dadurch gibt es jetzt ganz große Probleme mit einer Wohnung. Die Räumungsklage wird jetzt verschickt. Wo soll die Familie hin? Die zahlen die Mietschulden schon mit Raten ab. Der Wille ist da. Die verlangen aber viel, viel mehr. Und das kann ich nicht verstehen. Selbst Vonovia will keine Kompromisse finden mit Menschen, die ihre Arbeit verloren haben. Dass sie beispielsweise wenigstens mit kleinen Raten abbezahlen können, was sie an Schulden haben. Und vom Jobcenter würde die Miete ja übernommen werden. Wollen die trotzdem nicht.

Wir können nächstes Jahr, spätestens nächstes Jahr, sehen, wie viele Leute – Familien, nicht Einzelpersonen, sondern Familien – auf der Straße sind, obdachlos. Weil nirgendwo anders kommen die unter. Und das ist dann eine Katastrophe. Wir haben auch versucht Menschen mit Mietschulden in Genossenschaften zu bringen. Es gibt hier viele alte DDR-Genossenschaften. Das wollen die dann auch nicht, denn man muss ja schuldenfrei in einer Genossenschaft sein. Wenn man in der Schufa steht – keine Chance. Auch wenn man keine Mietschulden hat. Es ist fast alles Vonovia. Und was die mit den Leuten abziehen, ist das Allerletzte. Nebenkostenabrechnung: die reine Katastrophe, wer keine Ahnung hat, wird verarscht.

Gleichzeitig fühlen wir uns auch ausgenutzt von den Behörden. Wir werden immer total hofiert, wir werden immer eingeladen. Wir dürfen alles sagen, auch zu dritt Kritik vortragen. Aber es ändert sich nichts. Und das ist, glaube ich, das Problem zwischen Verwaltung und sozialer Bewegung. Die treffen sich immer mit uns, wie so eine Einhegungsstrategie, und dann wollen sie immer hören, was unsere Kritik ist. Aber eigentlich ist es auch total egal. Das war mit dem Betteln das Gleiche. Wir haben Podien gemacht, wir haben Veranstaltungen, Filmabende gemacht, um diesem Rassismus und diesem Sozialchauvinismus irgendwie etwas zu entgegnen. Auch wenn zunächst Verständnis da ist, am Schluss passiert nichts. Wir wollten einen Duschbus haben. Den gibt es bis heute nicht. Und eigentlich ist der durch im Stadtrat. Wir haben dann irgendwann aufgehört uns mit denen zu treffen, weil wir keinen Bock mehr hatten, weil die uns die Zeit stehlen. Und es überhaupt nicht produktiv ist. Null engagiert und überhaupt nicht mutig. Hier ist keiner mutig.

Was man jedoch auch sagen muss, es gibt Fortbildungen in der Stadtverwaltung in Dresden. […] Aber eben mit so einem Partner wie Vonovia können die noch so sehr was wollen, und nett sein, das ist halt schon ein Konzern, der so seine Ecken und Kanten hat. Und wir befürchten natürlich, das sich über die Nebenkosten die ganze Situation noch mal enorm verschärft. Es wird Orte brauchen, wo die Leute sicher wohnen können. Zwangsräumungen werden ansteigen, Obdachlosigkeit wird viel mehr Leute aller Herkünfte betreffen.

Wie war die Situation zu Beginn der Corona-Pandemie für Euch und für die Leute, mit denen Ihr in Kontakt seid?

Das war ein Alptraum. Fast alles, naja ich würde sagen alles, hatte zu. Es gab in der Bahnhofsmission, glaube ich, Getränke – Getränke! Aber die Duschen durften nicht benutzt werden. Es gab keine Duschen mehr in der Stadt. Das war total hart. Man hat es wirklich vergessen. Beim Putzen der Duschen, da war nicht klar, wer das arbeitsrechtlich machen darf. Es war ja nicht klar, was das für eine Krankheit ist. Die Cafés waren zu. Die Leute hatten keinen Platz mehr, gar keinen. Wir haben dann Gartenzäune eingerichtet, damit wenigstens die wenigen Sachen, ein paar Produkte, geteilt werden können.

Und wir haben gefordert, dass die Hotels aufgemacht werden für die Obdachlosen. Die wurden ja jetzt nicht benutzt, gab ja keinen Tourismus. Hat natürlich nicht geklappt, aber das haben wir sehr stark gefordert und darüber hat auch die Presse berichtet. Wir hatten über Corona nur mit den Verwaltungen zu tun. Gleichzeitig wollten wir mit Obdachlosen gemeinsam Forderungen erarbeiten. Und so ist die Idee zur Ausstellung entstanden. Und die tourt jetzt und ist total gefragt.

Wir glauben, dass während Corona die Solidarität am allermeisten gelitten hat. Das miteinander und gegenseitig einstehen füreinander. Auch an den innerbetrieblichen Sozialstrukturen und unter den Leuten. Was eigentlich das Schlimmste ist.

Wir wollen mindestens einen Ort, wo Waschmaschinen stehen und wo Duschen möglich ist. Dort, wo wir das Café machen, da ist es klein und fein, aber eigentlich braucht es eine berollbare, inklusive Architektur, wo du hinkommen kannst – gute Musik, schönes Essen, die Möglichkeit, das Handy aufzuladen, die eigene Körperpflege, die Klamotten… Wo es Sachen gibt, wo es großräumig ist. Wenn das ermöglicht würde, das wäre toll.

Gibt es zum Schluss noch eine Anmerkung, die Ihr gerne machen würdet?

Ich glaube, ich würde einmal auf den Anfang zurückkommen. Ich würde sagen die Infrastrukturen sind nicht existent. Es gibt keine richtig gute Art, als Südosteuropäer*innen oder Mitteleuropäer*innen hier anzukommen. Eine gute Infrastruktur für die Arbeit, die hier zu leisten ist. Die Leute kommen ja zum arbeiten her und werden nicht darin begleitet, gut hier anzukommen, im Wohnen, in der Gesundheitsversorgung, Beratung und andernorts. Es ist infrastrukturlos, nahezu, würde ich sagen. Das ist das Problem. Die Gewerkschaften müssen hochziehen, die müssen im Arbeitsrecht schulen, in der Gesundheit muss ganz klar Unterstützung ran, im Wissen um die Rechte, die man hat. Und im Wohnen eben auch.

Zusätzliche Bemerkung:

Während der Wohnungsmarkt in ostdeutschen Städten bis zur Wende im Vergleich zu den westdeutschen Städten kaum segregiert war, zeichnet sich heute, nach Jahrzehnten einer besonders drastischen Kommodifizierung der Wohnungsbestände und Transformation der Eigentumsverhältnisse ein anderes Bild ab. Mittlerweile gibt es Hinweise auf einen vergleichsweise hohen Grad der Segregation. Bestimmte Marktsegmente bleiben für manche Bevölkerungsgruppen verschlossen. Dies illustrieren die Aussagen zu Vonovia im Interview. Wie Bernt und Volkmann (2023) beschreiben, erfahren (anders als beispielsweise Innenstädte oder der suburbane Raum) die Plattenbauviertel aus der DDR, die in den 2000er Jahren an Finanzinvestoren verkauft wurden, tendenziell eine Abwertungstendenz. Die Situation in Dresden in diesen Vierteln ist insofern besonders zugespitzt, als hier Vonovia SE bis zu 60% des Wohnungsbestandes in machen Stadtvierteln besitzt. Neben Vonovia stellen die Genossenschaften einen großen Anteil der Plattenbauwohnungen, die jedoch aufgrund ihrer Auswahlkriterien eine Exklusivität aufweisen. In dieser Konstellation ist es besonders schwer für manche Bevölkerungsgruppen guten und bezahlbaren Wohnraum innerhalb der Stadt zu finden.

Bernt, Matthias; Volkmann, Anne (2023): Segregation in Ostdeutschland. Transformationsprozesse, Wohnungsmärkte und Wohnbiographien in Halle (Saale). Bielefeld: transcript (Urban Studies).

Mehr Infos zum Forschungsprojekt: https://www.infrastruktur-gewaehrleisten.de/