Was ist wichtig, um im Rahmen bürgerschaftlichen Engagements Erfolg zu haben? Wir sprachen mit Jens Hausner, einem der Gründer der Bürgerinitiative "Pro Pödelwitz", über Vernetzung, Medienarbeit und Politik konkret an dessen Arbeit in den vergangenen 12 Jahren.
In den vergangenen 12 Jahren kämpfte die Bürgerinitiative „Pro Pödelwitz“ für den Erhalt ihres Ortes und gegen die immer näher kommenden Bagger des Kohletagebaus Vereinigtes Schleenhain am Rande Leipzigs. Mit Jens Hausner blicken wir zurück. Welche Schritte ist die Bürgerinitiative gegangen und warum? Wie haben sie diese breite öffentliche Aufmerksamkeit herstellen können? Wie wurden wichtige Wegbegleiter*innen und Unterstützer*innen gefunden?
Eure Anstrengungen begannen damit, den Umsiedlungsvertrag zu verhindern. Das gelang nicht. Wie stellt sich dieser Rückschlag aus heutiger Sicht dar?
Wir haben zuerst gegen den Umsiedlungsvertrag gekämpft und sind gescheitert. Noch im Januar 2012 hätte der Stadtrat dagegen gestimmt, doch der Punkt wurde von der Tagesordnung genommen. Der Umsiedlungsvertrag wurde dann erst wieder zur Abstimmung gestellt, als klar war, dass es eine Zustimmung im Stadtrat geben wird. Im November 2012 war es dann soweit: Der Stadtrat stimmte damals komplett dafür.
Den Menschen in Deutschland wurde nach der Unterzeichnung in einer großen PR-Welle erklärt, dass jetzt alle Messen für den Erhalt von Pödelwitz gelesen seien – genauso wie jetzt 2020/21 in Mühlrose. Das stimmte aber so nicht: Sie hatten noch nicht einmal eine bergrechtliche Genehmigung. Alle großen Medien berichteten darüber, wie toll es sei, dass das Bergbau-Unternehmen im gegenseitigen Einvernehmen mit den Menschen vor Ort eine Lösung gefunden hätte.
Wir waren zuerst wie vor den Kopf gestoßen. Und dann haben wir überlegt, was wir jetzt machen. Wir hatten Kontakt zu einem freien Journalisten aus Brandenburg. Mit ihm erarbeiteten wir eine Präsentation, die wir an 90 Zeitungskontakte versendeten.
Darin rückten wir das Bild gerade, das in den Medien gezeichnet worden war. Die darauf folgende Resonanz war überwältigend.
Es ging schon vor dem Umsiedlungsvertrag ein Riss durch den Ort. Es gab diejenigen, die auf den Deal hofften und Menschen, die wie wir den Ort erhalten wollten. Im Nachhinein bin ich froh, dass wir den Umsiedlungsvertrag nicht verhindern konnten, weil wir diesen Riss durch den Ort zeitlebens nie wieder hätten kitten können. Wir hätten ja zeitlebens Krieg im Dorf gehabt, weil wir den Umzugswilligen den Entschädigungsdeal verhindert hätten.
So konnten sie umziehen und wir haben erst einmal zähneknirschend zugucken müssen, aber jetzt, im Endeffekt, war es die beste Entwicklung, die der Ort nehmen konnte.
Es gibt nur noch eine Interessensgruppe im Ort. Wir sind zwar nur noch 25 Menschen, aber das ist eine eingeschworene Truppe. So eine intakte Dorfgemeinschaft findet man wohl nirgends!
Nun gibt es unter denjenigen, die aus Pödelwitz weggezogen sind, aber auch jene, die sich das Wegbaggern ihres alten Hauses wünschen. Sie wollen nicht, dass in „ihr“ Haus neue Menschen einziehen. Diese Entwicklung gibt es auch in Mühlrose und im Rheinland.
Ich denke, das ist eine mentale Zerrissenheit: Solange das Haus steht, müssen sie sich halt immer den Vorwurf machen, dass sie vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen haben. Es zerbrechen Menschen an der Entscheidung zu gehen. Für die wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wenn das Dorf verschwunden wäre.
Wie habt Ihr Eure Arbeit organisiert? Auf welche Tätigkeiten habt Ihr Euch zu Beginn konzentriert?
Die Medienarbeit war für mich die wichtigste Arbeit bis zur Vernetzung mit den Umweltverbänden. Unsere Anwältin hatten wir uns schon 2013, damals noch als private Mandanten, gesucht. 2016 sind dann der BUND Sachsen und Greenpeace Deutschland in das Klagebündnis eingestiegen.
Wir hatten ja Heuersdorf in der unmittelbaren Nachbarschaft. Hier hatte die Klage nicht funktioniert. Da wir wussten, dass sich Anwälte nicht gern ein zweites Mal die Finger an einem Thema verbrennen, haben wir nach einer anderen Vertretung gesucht. Ein Anwalt aus der Region kam für uns nicht in Frage. Über Umwege kamen wir dann zu Roda Verheyen.
Natürlich gab es gerade in der ersten Zeit Tage, an denen ich dachte, jetzt kannst Du eigentlich aufhören. Mein Nachbar hat mich dann immer bestärkt mit den Worten, doch erst einmal abzuwarten. Nach außen haben wir aber immer Kante gezeigt. Du musst immer sein wie die anderen, am besten noch eine Schippe on Top! Genau das haben wir gemacht.
Was bestärkte Euch zu klagen? Die benachbarte Gemeinde Heuersdorf war ja am Ende trotz großen Widerstands gescheitert.
Heuersdorf hatte sich über mehrere Instanzen hinweg gewehrt gegen das Abbaggern des Ortes. Um den Weg frei für die Bagger zu machen, brauchte es eine gesetzliche Grundlage: das so genannte Heuersdorf-Gesetz. In einem Gutachten der Uni Aachen, das als Begründung für das Abbaggern von Heuersdorf herangezogen wurde, wurden fünf Abbauvarianten für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain durchgerechnet. In allen fünf Varianten wurde Pödelwitz zum „Schutzgut“ erklärt, weil die Kohle unter dem Ort nicht gebraucht werde zum Betrieb des Kraftwerks Lippendorf, wohlgemerkt bis 2040!
Mit der Inanspruchnahme von Pödelwitz wäre eine juristische Flanke geöffnet worden. Wohlwissend darum wurde wohl deshalb auch nie ein Genehmigungsantrag gestellt. Aber sie haben enormen Druck auf die Menschen vor Ort gemacht. Und genau so läuft es jetzt in Mühlrose!
Ich gehe davon aus: Die wussten das genau. Sie hätten aber nie gedacht, dass sich in Pödelwitz Menschen querstellen und dem enormen Druck standhalten.
Seit Januar 2021 steht fest: Pödelwitz bleibt. Und jetzt?
Ich hatte auf dem Schlusspodium des Klimacamps 2019 gesagt, dass ich mich freuen würde, wenn viele junge Menschen, die auf dem Klimacamp waren, sich vorstellen könnten, sich hier niederzulassen und mit uns gemeinsam diesen Ort zu entwickeln. Und ich sehe diesen Zuspruch, gerade auch im Leipziger Raum. Viele junge Menschen können sich mit unserem Dorf und unseren Plänen identifizieren. Und sie sollen auch mit planen!
Unsere Dorfentwicklungsgruppe besteht zum Teil aus den jungen Menschen, aber auch der Verein „Pödelwitz hat Zukunft“, bei dem wir natürlich auch als Einwohner Mitglied sind.
So solidarisch wie die Dorfgemeinschaft untereinander später sein soll, so soll es natürlich auch schon in den Arbeitsgruppen sein, die an der Entwicklung des Dorfes arbeiten.
Ist Vernetzung und gegenseitiger Austausch der Joker, den Ihr in der Hand haltet?
Diese starke Vernetzung und der gegenseitige Austausch unter den Tagebaubetroffenen hat mir in den letzten zwölf Jahren viel gebracht und andersherum profitierten auch schon viele andere von unserer Arbeit.
Wir sind in dem deutschlandweiten Bündnis „Alle Dörfer bleiben“. Wir werden dort auch nach wie vor unterstützt, weil wir eine ganz wichtige Vorarbeit leisten für die acht noch vom Kohleabbau bedrohten Dörfer in Deutschland, die noch erhalten bleiben müssen. Diese werden dann genau die Entwicklung nehmen, die wir jetzt hier schon machen. Und alle Erfahrungen, die wir sammeln, können bei der Revitalisierung der zum Teil auch schon leer gezogenen Orte in Nordrhein-Westfalen oder in der Lausitz einfließen.
Die aus Austausch, gegenseitiger Unterstützung und Vernetzung gewonnene Stärke stellt auch einen wichtigen Gegenpol zu jenen dar, die Klimaschutz eben nicht wollen. Denken wir nur an den riesigen Protest am Hambacher Forst im Herbst 2018 mit 50.000 Menschen: Das war so eine geballte Kraft!
In den vergangenen zwölf Jahren erlebte ich aber auch Situationen, wo die Klimabewegung drohte auseinander zu brechen. Ich habe das z.B. gemerkt nach den Beschlüssen der Kohlekommission, wo zu den bedrohten Dörfern keine Aussage getroffen wurde. Wir haben dann schnell am 2. Februar 2019 eine Großdemonstration in Leipzig gemacht, wo auch alle Umweltverbände mit dabei waren. Vielleicht war es politisch auch so gewollt, dass ein Riss durch die Umwelt- und Klimabewegung geht, um sie zu spalten und damit zu schwächen?!
Die Klimabewegung weiß mittlerweile, dass – egal welche Aktionsform – man immer solidarisch untereinander ist. Man hat ja ein gemeinsames Ziel und das ist wichtig! Da lässt man sich nicht spalten!
Und auch wir in Pödelwitz haben eigentlich immer versucht, selbst wenn es verschiedene Meinungen gab, das Ganze zusammenzuhalten und das ist uns, finde ich, ganz gut gelungen.
Du hast es bereits erwähnt: Medienarbeit war Euch ebenfalls sehr wichtig. Wie seid Ihr denn da gestartet und wie blickst Du heute auf sie zurück?
Ich sagte, wir müssen unbedingt Pressearbeit machen. Und mit einem freien Journalisten sind wir dann gestartet und haben gemeinsam eine zehnseitige Präsentation erstellt. Die haben wir an über 90 Zeitungskontakte in Deutschland zusammen mit einem Anschreiben geschickt. Dafür recherchierten wir selber alle Anschriften und Email-Kontakte der Wirtschaftsredaktionen. Mein Drucker hat drei Tage gedruckt. Dann wurde alles in Umschläge gesteckt und von mir auf die Post gebracht. So haben wir unsere Pressearbeit aufgebaut.
Der Journalist hatte uns vorbereitet: wenn wir fünf, sechs Feedbacks auf unser Anschreiben erhielten, sei das gut. Wir bekamen sieben, darunter war auch Spiegel Online. Dann hat sich das nach und nach aufgebaut. Man muss aber auch dazu sagen: Alle Anfragen – mit Ausnahme der Bild-Zeitung, die wir weder anschrieben noch bedienten -, haben wir angenommen. Wir wollten nichts absagen. Aber das war unheimlich viel Arbeit.
Natürlich gab es auch Berichte, die wir uns anders gewünscht hätten. Darauf waren wir frühzeitig vorbereitet worden mit den Worten: Ihr werdet auch Artikel lesen, die gegen Euer Interesse sein werden, aber trotzdem sind sie gut für Euch, denn das Thema bleibt so in der öffentlichen Diskussion. Das ist wichtig zu verinnerlichen. Schließlich gibt es ja auch viele Menschen, die einen einseitigen Artikel lesen, aber ihn richtig einordnen können.
Später kamen die Umweltverbände dazu und übernahmen Medienarbeit zu ihren Aktionen hier in Pödelwitz. Das war richtig toll. Mit Aktionen und Veranstaltungen des Bündnisses „Pödelwitz bleibt“ versuchten wir, unsere Themen beständig in den Medien zu halten. Auch die Klimacamps haben dazu geführt, dass wir medial noch einmal eine andere Ebene erreichten. Und die „Gegenseite“ hat damals auch alles dafür getan, dass wir die erwünschte, bundesweite Aufmerksamkeit bekamen – etwa mit der Polizeipräsenz beim ersten Klimacamp.
Was man nie vergessen sollte: Wir wurden von der „Gegenseite“ immer argwöhnisch beobachtet. Daher mussten wir immer schauen, dass wir uns im rechtssicheren Raum bewegen. Das heißt, wir mussten immer Aussagen treffen, die wir belegen konnten.
Man weiß nicht im Vorfeld, zu welchem Ergebnis man kommt. Aber wir wissen heute: Wir haben fast alles geschafft und richtig gemacht!
Du sprichst davon, „politisiert“ worden zu sein durch den drohenden Abriss von Pödelwitz. Was bedeutet das für Dich?
Wenn man mit einer Entwicklung nicht einverstanden ist, dann bringt es relativ wenig, das zu kritisieren oder darüber zu schimpfen. Man muss selber politisch aktiv werden. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Jeder hat die Möglichkeit, eine verkehrte Entwicklung zu kritisieren und Entwicklungen selbst mit in die Hände zu nehmen und zu ändern. Wir haben das in Pödelwitz in unsere eigenen Hände genommen, hatten natürlich viel Unterstützung und ich bin mir sicher, dass wir ohne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen nicht so schnell zu einem Ergebnis gekommen wären.
Wenn das Dorf in 200 Jahren noch steht, dann waren wir das!