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Wettrennen in die falsche Richtung

Kommentar

Drei Multimilliardäre liefern sich ein Wettrennen in den Weltraum. Bringt es uns eine neue Etappe des technologischen Fortschritts der Menschheit? Jörg Haas argumentiert,  dass solche Technologien der Expansion ein Schritt in die falsche Richtung sind: ein Rück-Schritt. Echter Fortschritt muss unsere Gesellschaft zurück in die ökologischen Grenzen führen.

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Jeff Bezos, Gründer von Blue Origin, vor der Raketenstartanlage in West Texas

Nun hat also Richard Branson das Rennen gemacht: In einem Überraschungscoup ist der schillernde Chef der Virgin-Gruppe am 11. Juli an seinen Rivalen - Amazon-Gründer Jeff Bezos und Tesla-Chef Elon Musk - vorbeigezogen und selbst in den Weltraum geflogen. Alle drei sind Multi-Milliardäre mit Weltraum-Ambitionen, die dafür jeweils eigene Firmen gründeten.

Auf seinem Twitter-Account hat Branson ein Video angeheftet, das ihn mit seinen Mitreisenden zeigt, die ausgelassen im Raumschiff die Schwerelosigkeit genießen. Er erzählt, wie er als Kind zu den Sternen aufgeblickt habe, und wie er nun als Erwachsener auf den schönen Planeten Erde herabblicken könne.

Ein teures Hobby auf Kosten der Weltgesellschaft

Ein Meilenstein der Raumfahrt. Wer das nötige „Kleingeld“ mitbringt, wird nun also auch in den Weltraum fliegen können. Schon am 20. Juli folgt nun Jeff Bezos mit drei weiteren Gästen in seinem Raumschiff New Shephard. Der Gewinner einer Auktion, der seinen Sitzplatz für 28 Millionen Dollar ersteigert hat, soll an einem späteren Flug teilnehmen. Bransons Virgin Galactic will den regulären Betrieb 2022 aufnehmen.

Damit rückt für eine betuchte Schicht der Ausflug in die Weite des Alls in Reichweite, so wie vor einhundert Jahren der Flugverkehr zuerst einer kleinen, zahlungskräftigen Schicht offenstand. Doch der kleine Schritt für Branson ist ein großer Schritt in die falsche Richtung – ein Rück-Schritt in Richtung des ökologischen Abgrunds, der sich immer tiefer vor uns auftut.

Weltraumtourismus steht exemplarisch für eine ganze Reihe von Technologien, die aktuell auf der Tagesordnung stehen. Flugtaxis werden von einigen Firmen entwickelt, und haben es sogar ins Wahlprogramm der CDU geschafft. Sie versprechen grenzenlose Freiheit von verstopften Straßen. Der kommerzielle Überschallflug steht vor einem Comeback, nachdem ihn das Concorde-Unglück zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Garaus gemacht hatte: United Airlines hat 15 Concorde-Nachfolger des Herstellers Boom Supersonic bestellt, und sich Optionen auf weitere 35 gesichert.

Sie alle ermöglichen und befördern das Wachstum der Bedürfnisse: schneller, höher, weiter. Das Motto mag für die Olympischen Spiele taugen. Doch als Leitstern für einen Planeten mit bald acht Milliarden Menschen ist es denkbar ungeeignet. Statt neue Luxusbedürfnisse für wenige zu wecken und einer zahlungskräftigen Kundschaft zu erfüllen, muss es heute darum gehen, das gute Leben für alle mit einem minimalen ökologischen Fußabdruck zu befriedigen. Denn die planetaren Grenzen werden schon vielfach überschritten.

Beim Reisen führt das „Schneller, Höher, Weiter“ führt zu einem fatalen Effekt: Statt vorhandene Reisebedürfnisse besser und effizienter zu befriedigen, werden neue geschaffen. Forschungen haben nachgewiesen, dass der Zeitaufwand, den wir Menschen für Mobilität betreiben, über verschiedene Epochen und Kulturen hinweg konstant bei durchschnittlich einer Stunde pro Tag liegt. Immer schnellere Verkehrsmittel führen somit zu immer weiterem Reisen. Und verbrauchen dafür immer mehr Energie. Dank Billigflügen gehört so die Shopping-Tour über das Wochenende nach London oder gar New York für manche schon zum Standard.

Erneuerbare Energien brauchen wir für das unmittelbar Not-Wendende

Grundsätzlich wäre es denkbar, dass die Energie für Weltraum- und Überschallflüge, für Flugtaxis, aus erneuerbaren Energien stammt, mit grünem Wasserstoff und synthetischen Treibstoffen als Energieträger. Damit würde der direkte Klima-Effekt scheinbar minimiert, es lockt Genuss ohne Reue. Doch geht diese Rechnung in zweierlei Hinsicht nicht auf:

Erstens befinden wir uns aktuell in einem geradezu verzweifelten Wettrennen mit der Zeit. Binnen kürzest möglicher Zeit müssen wir alle unsere Energiebedarfe zu 100% aus Erneuerbaren Energien decken. Der Aufwuchs der Erneuerbaren Energien muss dazu maximal gesteigert werden, und gleichzeitig unser Energiebedarf im Zaum gehalten werden. Doch wenn wir ständig neue Energiebedarfe schaffen, nach dem „Schneller, Höher, Weiter“-Prinzip, dann rückt die Erreichung des Ziels einer CO2-freien Energieversorgung aus erneuerbaren Energien immer weiter in die Zukunft. Ein Hase und Igel Spiel.

Erneuerbare Energien aus Sonne und Wind sind grundsätzlich im Überfluss verfügbar: Weltweit hat fast jedes Land genug Potentiale, um sich selbst zu versorgen, und ein Bruchteil der Wüsten der Erde reichte aus, um alle denkbaren Bedarfe zu decken. Doch bis wir ins „Schlaraffenland der Erneuerbaren Energien“ kommen, dem Zeitpunkt an dem wir uns weltweit zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien versorgen, vergrößert jede zusätzliche Kilowattstunde Energiebedarf die fossil erzeugte Restmenge, und die bringt uns einen Schritt weiter in Richtung Klimakatastrophe.

Ein Zweites: Erneuerbare Energien, auch wenn Sie einen enormen Fortschritt darstellen und ihre Energiequelle unerschöpflich ist, sind nicht gänzlich frei von ökologischen Problemen. Windräder brauchen Stahl, Solarpaneele brauchen Silizium und Glas, dazu kommen Kupfer und seltene Erden, deren Gewinnung einen erheblichen ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Angesichts des prekären Zustands der Ökosysteme weltweit müssen wir daher den Ausbau Erneuerbarer Energien auf das unmittelbar Not-Wendende konzentrieren. 

Das testosterongetriebene Wachstum der Bedürfnisse geht auf Kosten der Schwächsten

Grüner Wasserstoff und E-Fuels sind der Stoff, aus dem die Blütenträume des „Schneller, Höher, Weiter“ sind. Ihre hohe Energiedichte und vielseitige Verwendbarkeit erlauben enorme Beschleunigung und große Reichweiten. Doch grüner Wasserstoff als „Champagner der Energiewende“ wird auf lange Zeit knapp bleiben und sollte nicht für Flugtaxis und Weltraumtourismus verschwendet werden. Er wird dringend benötigt, um essentielle industrielle Prozesse wie die Stahlherstellung oder den weltweiten Schifftransport so schnell wie möglich zu dekarbonisieren. 

Die Technologien des „Schneller, Höher, Weiter“ treiben ein Wachstum der Bedürfnisse. Ein Wachstum, das die falsche Richtung einschlägt. Als Gesellschaft müssen wir ihm angesichts überschrittener planetarer Grenzen Einhalt gebieten. Es wäre ganz einfach: Flugtaxis dürfen zum Beispiel keine Fluggenehmigung bekommen, Überschallflüge keine Überflugs- und Landerechte.

Der Umbau der fossilen, linearen Wirtschaft zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft auf der Basis von 100 Prozent Erneuerbaren Energien wird enorme Investitionen erfordern. Neue Infrastrukturen, Industrien, Energie- und Verkehrssysteme, gesündere Städte und lebendige Dörfer. Dieser Investitionsschub wird Wirtschaftswachstum und gute Arbeitsplätze schaffen. Das ist erfreulich, wenn dieser Wachstumsschub uns voranbringt auf dem Weg eines Lebens in ökologischen Grenzen. Ein Wachstum zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse eines guten Lebens für alle. Dieses Wachstum brauchen wir.

Das testosterongetriebene ständige Wachstum der Bedürfnisse – Schneller, Höher, Weiter - geht hingegen schon lange auf Kosten der Schwächsten der Weltgesellschaft, zukünftiger Generationen, und des nicht-menschlichen Lebens auf dem Planeten. Die Bilanz ist zunehmend negativ: Es ist kontraproduktives, kanzeröses Wachstum. Es ist kein Fortschritt – es ist Rückschritt.