Viele Orte wurden in Sachsen für den Braunkohleabbau zerstört. Bis heute leben Menschen in Tagebauregionen in Ungewissheit, ob sie bleiben können.
Die Geschichte des Braunkohletagebaus ist eine Geschichte der verschwundenen Orte: Seit 1945 wurden allein in Sachsen 260 Ortschaften für Tagebaue abgebaggert. Zuletzt fiel das Dorf Heuersdorf im Landkreis Leipzig den Braunkohle-Baggern der MIBRAG zum Opfer.
Sie ist aber auch eine Geschichte des Widerstands: Tagebauplanungen trafen vielerorts auf massive Gegenwehr. Bewohner*innen der bedrohten Orte organisierten Proteste und wehrten sich vor Gericht – in einigen Fällen mit Erfolg. Dennoch mussten bis heute im mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohle-Revier über 80.000 Menschen für Braunkohle-Tagebaue ihr Zuhause verlassen.
Seit der Industrialisierung prägt die Braunkohle-Industrie das mitteldeutsche Revier und die Lausitz. Nun steht fest, dass spätestens 2038 Schluss mit der Braunkohle sein soll. Auch wenn absehbar ist, dass die bereits genehmigten Tagebaue reichen, um die Kraftwerke in den beiden Revieren bis dahin zu versorgen, hat das Kohlegesetz für tagebaubedrohte Ortschaften in Sachsen keine abschließende Klarheit geschaffen. Noch immer gibt es keine Sicherheit für die Orte Mühlrose, Pödelwitz und Obertitz (ANMERKUNG DER REDAKTION: Seit Januar 2021 steht fest, dass sowohl Pödelwitz, als auch Obertitz erhalten bleiben).
Braunkohle-Tagebaue werden in vielen Schritten genehmigt – die Verfahren ziehen sich über Jahre, oft sogar über Jahrzehnte. Wenn also Orte für den Braunkohleabbau abgebaggert werden sollen, müssen sich die betroffenen Gemeinden bislang nicht nur gegen das Bergbauunternehmen und die Bergämter, sondern oft auch gegen die Landesregierung wehren. Die langjährige Auseinandersetzung um das Dorf Heuersdorf im Südraum Leipzig steht hier stellvertretend. In diesem Fall schuf die sächsische Staatskanzlei sogar ein eigenes Gesetz, um der MIBRAG, dem bergbautreibenden Unternehmen, den Zugriff auf die Braunkohle unter dem Ort zu ermöglichen. Die Gemeinde Heuersdorf im Landkreis Leipzig lehnte es seinerzeit ab, für den Braunkohle-Tagebau Vereinigtes Schleenhain umzusiedeln. 1999 brachte die sächsische Staatzkanzlei deshalb das sogenannte „Heuersdorf-Gesetz“ auf den Weg: Der Ort sollte in die Gemeinde Regis-Breitingen eingegliedert und so zur Abbaggerung freigegeben werden. Die Gemeinde ist gegen dieses Gesetz bis vor das sächsische Verfassungsgericht gezogen. Nach einem juristischen Zwischenerfolg verlor die Gemeinde im Jahr 2005 das Verfahren. Ein Jahr später begannen die Abrissarbeiten – 2009 verließen die letzten Bewohner*innen Heuersdorf.
Doch die Zeiten ändern sich. Zehn Jahre nach dem Ende von Heuersdorf sprach sich nun die sächsische Landesregierung im Koalitionsvertrag für den Erhalt des Dorfes Pödelwitz aus (ANMERKUNG DER REDAKTION: Hier haben uns die aktuellen Geschehnisse überholt: Seit Januar 2021 steht fest: Pödelwitz bleibt). Die MIBRAG wollte den Tagebau Vereinigtes Schleenhain um das Abbaufeld Pödelwitz erweitern und den Ort abbaggern. Seit 2012 kauft das Unternehmen Grundstücke im Dorf auf. Die verbliebenen Familien gründeten eine Bürgerinitiative und leisten bis heute Widerstand. Mit der Unterstützung von Verbänden und Aktiven der Anti-KohleBewegung machten sie mit verschiedenen Veranstaltungen und Pressearbeit auf ihre Situation aufmerksam. Hunderte Klimaschützer*innen kamen zu Klimacamps ins Dorf. Der Widerstand führte dazu, dass sich die neu gebildete sächsische Regierung zum Erhalt des Ortes bekannte. Doch damit die verbliebenen Bewohner*innen endlich aufatmen können, müssen jetzt auch die rechtlichen Grundlagen für den Erhalt geschaffen werden.
Im Juli 2020 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, welches ein Enddatum für die Verstromung von Kohle in Deutschland vorsieht. Sachsen soll demnach den ersten Block eines Braunkohlekraftwerks im Jahr 2029 abschalten. Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk in Sachsen vom Netz gehen. In der Folge wird auch weniger Braunkohle, als bisher angenommen, verstromt. Das bedeutet, dass bereits genehmigte Tagebauflächen ausreichen, um die sächsischen Kraftwerke bis maximal 2038 mit Braunkohle zu versorgen. Damit steht auch fest, dass kein weiteres Dorf weichen müsste. Trotzdem müssen Menschen in Sachsen weiter um ihren Ort bangen. In der sächsischen Lausitz will der Energiekonzern LEAG den Tagebau Nochten trotzdem um das Abbaufeld „Sonderfeld Mühlrose“ erweitern. Unter dem sorbischen Dorf Mühlrose sollen rund 150 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut werden. In vielerlei Hinsicht stellt das Schicksal von Mühlrose ein Beispiel dar, wieso der Braunkohle-Abbau nicht sozialverträglich abläuft. Seit Jahren leben die Menschen in Mühlrose unmittelbar am Rande des Tagebaus Nochten mit dem Lärm und Schmutz des Tagebaubetriebs und der Unsicherheit, ihre Heimat verlieren zu können. Mittlerweile befindet sich der Ort in einer Insellage: Von drei Seiten wird das Dorf vom Tagebau Nochten umschlossen. Bis vor wenigen Jahren wurde die Braunkohle unweit vom Ort von den Förderbändern auf Kohlezüge verladen. Deshalb ist der Ort gespalten: Die einen Familien möchten wegziehen, die anderen möchten im Ort bleiben. Im März 2019 wurde der Umsiedlungsvertrag für die rund 200 Bewohner*innen aus Mühlrose unterzeichnet. Darin haben sich LEAG und die Gemeinden Trebendorf und Schleife, zu der Mühlrose gehört, über die Einzelheiten der Umsiedlung des Ortes verständigt. Auf Grundlage dieses Vertrages können Menschen in Mühlrose mit der LEAG Entschädigungen aushandeln und an einen neuen Standort für das Dorf, wenige Kilometer entfernt, umsiedeln. Als 2016 der tschechische Investor EPH vom schwedischen Konzern Vattenfall dessen Lausitzer Braunkohletagebaue und -kraftwerke kaufte, war das für viele Menschen vor Ort ein Schock. Denn Vattenfall hatte bereits Verhandlungen für die Umsiedlung des Ortes geführt, der der geplanten Tagebauerweiterung „Nochten II“ weichen sollte. Diese wurden daraufhin eingestellt. Der Umsiedlungsvertrag gibt aber kein grünes Licht für den Abbau von Braunkohle oder den Abriss des Ortes. Wer in Mühlrose leben möchte, kann vorerst dort bleiben. Sollte, wie von der LEAG geplant, die Umsiedlung von Mühlrose 2024 abgeschlossen sein, könnte hier das übliche Planungsverfahren auf den Kopf gestellt sein. Denn absehbar wird es zu diesem Zeitpunkt noch keine rechtliche Grundlage für die Abbaggerung des Ortes geben. Derzeit werden erst der Planentwurf und die Umweltprüfung vorbereitet: die ersten Verfahrensschritte. Bis die Bergbaubehörde grünes Licht für den Abbau der Kohle geben könnte, werden noch Jahre vergehen. Davor muss im sogenannten Braunkohlenplan nachgewiesen werden, ob die Abbaggerung von Mühlrose energiepolitisch notwendig ist. Es ist also möglich, dass der Betrieb nicht mehr genehmigt werden kann oder Verfahrensschritte vor Gericht gekippt werden können. Denn verschiedenen Szenarien zufolge wird die Kohle unter Mühlrose bis 2038 gar nicht mehr gebraucht. Die Kohlevorräte in bereits genehmigten Tagebauen – rund 700 Millionen Tonnen Braunkohle – reichen aus, um die Kraftwerke in der Lausitz zu versorgen. Noch vor Verabschiedung des Kohlegesetzes hat sich die sächsische Landesregierung eigentlich dazu bekannt keine Flächen abzusiedeln, „die für den Betrieb der Kraftwerke im Rahmen des Kohlekompromisses nicht benötigt werden“. Ob Heuersdorf das letzte Dorf ist, was für Braunkohle zerstört wurde, zeigt sich in den nächsten Jahren.