Polen: Pressefreiheit im freien Fall

Hintergrund

Die Richtung zeigt seit 2015 konstant nach unten. In internationalem Ranking zur Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ belegte Polen damals den 18. Platz, nun ist es auf den 62. abgerutscht. 44 Plätze in fünf Jahren. Die Veränderungen in der Medienlandschaft geschehen zwar subtiler als zum Beispiel in Ungarn. Doch die Einschränkungen für die Arbeit der Journalist*innen im Land werden immer spürbarer.

„Mir gehen langsam die Kommentare aus“, schreibt ein ehemaliger polnischer Korrespondent in Deutschland auf Twitter. Der öffentlich-rechtliche und früher vor allem unter Intellektuellen beliebte Sender Trójka entlässt weitere Journalisten. Diesmal trifft es die Musikredakteurin Anna Gacek. Nach 19 Jahren muss sie gehen. Warum, erklärt keiner. Daraufhin verlässt die Ikone des Musikjournalismus Wojciech Mann aus Protest die Redaktion. Vor einigen Wochen wurde Dariusz Rosiak gekündigt, der eine Kultsendung namens „Raport über den Zustand der Welt“ geleitet hat, vor ihm wurden andere gefeuert. Trójka, wie die anderen staatlichen Medien werden konsequent auf Kurs gebracht, der Austausch der Redakteur*innen in allen Bereichen – auch wenn es „nur“ Musik ist - gehört zu dieser Strategie. Die ehemaligen Redakteur*innen gründen nun einen privaten online Radiosender, finanziert über Crowdfunding.

Die freie Presse in Polen hat sich verändert, seitdem die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS an der Regierung ist. Die öffentlich-rechtlichen Medien wurden gleich zu Beginn der ersten Legislaturperiode nach mehreren Mediengesetzen de facto in sogenannte „nationale“ Staatsmedien umgewandelt. Die Vorstände der Medienhäuser wurden neu besetzt, der „Landesrat für Radio und Fernsehen“, ein unabhängiges Aufsichtsgremium, abgeschafft und durch einen „nationalen Medienrat“ ersetzt, der mehrheitlich von der PiS besetzt wurde. Dieses Organ hat sich nicht übermäßig als Kontrollgremium zur Aufrechterhaltung qualitativer Standards in der Berichterstattung erwiesen, sondern dient lediglich als Schauplatz von Fraktionskämpfen innerhalb des Regierungslagers. Auch daran ist es sichtbar, dass die Regierungspartei Medien als Transmissionsriemen, nicht aber als soziales Kontrollorgan begreift.

Etliche Journalist*innen verloren wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung ihre Arbeit. Die Rekrutierung des neuen als „treu“ geltenden Personals erfolgte teilweise aus rechtskonservativen Medien. Die hauptsächliche Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen, die eigentlich alle politischen Optionen widergeben sollten, besteht nunmehr in der starken Generierung von Unterstützung für die Regierung - und in der gezielten Abwertung der Aktivitäten regierungskritischer Parteien, Organisationen und Personen, die auch unter Missachtung ihrer Persönlichkeitsrechte direkt angegriffen werden. Wie es etwa mit dem Präsidenten der Stadt Danzig Paweł Adamowicz geschah, der getötet wurde oder dem polnischen Ombudsmann Adam Bodnar.  Das erste Programm des polnischen Fernsehens und andere öffentliche Medien seien zu einer Propagandatube der Regierung mutiert, bemerkt auch „Reporter ohne Grenzen“ in ihrem neuesten Ranking zur Pressefreiheit. Es sei einer der Gründe neben der Verleumdungsklagen gegen Journalist*innen für das schlechtere Abschneiden Polens als in dem Jahr zuvor. Der Report der Medienfreiheitsorganisation vergleicht Jahr für Jahr die Situation von Journalist*innen in 180 Staaten. Die Einordnung basiert auf Fragebögen für Expert*innen und Medienschaffende sowie auf Erhebungen zu Gewalttaten oder Haftstrafen gegen Journalist*innen. Aus den beiden Kategorien ergeben sich Punktwerte für jedes Land, die die abschließende Rangordnung bestimmen.

Der Raport rief wie jedes Jahr auch das polnische Zentrum für das Monitoring der Pressefreiheit auf den Plan. Es ist bei dem Polnischen Journalistenverband, dem PiS-nahe Medienschaffende angehören, angegliedert. Der Vorwurf lautet, die NGO, „Reporter ohne Grenzen“, sei parteiisch und ihre Macher politisiert. Sie hätten für ihre Analyse nur die Argumente berücksichtigt, welche die Eingangsthese von der schwindenden Pressefreiheit in Polen bestätigen würden. Alle anderen Fakten wurden außer Acht gelassen. Somit würden die Autor*innen des Raports klar eine Seite des politischen Disputs in Polen unterstützen und sich regierungskritisch zeigen.

Im Gegensatz etwa zu Ungarn gibt es in Polen immer noch eine vielfältige Medienlandschaft. Privatmedien funktionieren nach wie vor in voller Bandbreite. Zudem haben bisher „unpolitische“ Privatsender, vor allem Rundfunk, mittlerweile regierungskritische Informationen in ihr Programm aufgenommen. Es gibt eine Vielzahl von sog. Bürgermedien, die aus zivilgesellschaftlichem Engagement als eine Art Gegenöffentlichkeit entstanden. Sie sind vor allem im Onlinebereich vertreten als Reaktion auf die stark eingeschränkt kritische Berichterstattung der öffentlichen Anstalten. Unter ihren Machern sind viele der entlassenen Journalist*innen.

Die faktische Medienvielfalt wird von vielen Politikern der regierenden Partei und ihren Befürwortern als Argument genutzt, wenn aus dem Ausland Kritik geübt wird an der sukzessiv fortschreitenden Einschränkung der Pressfreiheit. Oft wird dabei vergessen, dass diese sich nicht allein an der Buntheit am Zeitungskiosk oder der Anzahl der Privatsender definiert. Die Reklamepolitik finanziell einflussreicher großer Staatsunternehmen wie zum Beispiel des Mineralölkonzerns Orlen führt zu einer Bevorzugung PiS-naher Titel. In regierungskritischen Blättern, wie etwa der Zeitung „Gazeta Wyborcza“  werden keine Anzeigen von der staatlichen Seite geschaltet, hinzu kommt, dass bei der staatseigenen Post oder auf den Tankstellen von Orlen, kritische Blätter ganz aus dem Sortiment verschwanden oder nur noch in sehr geringen Zahlen angeboten werden. Staatliche Einrichtungen wurden angehalten Abonnements dieser Zeitungen zu kündigen. Die regierungskritischen Medien geraten zunehmend unter enormen wirtschaftlichen Druck, was ihre Arbeit limitiert. Außerdem sucht die Regierung wiederholt nach Möglichkeiten zur Übernahme oder Beeinflussung von Privatmedien, um diese auf Linie zu bringen. Es gelang nicht bei einem großen Radiosender „Zet“, aber bei dem TV-Sender Polsat teilweise schon.

Immer wieder spricht die Regierung von der „Renationalisierung“, „Repolonisierung“ bzw. „Entmonopolisierung“ der polnischen Medienlandschaft, die seit 1989 durch einen recht großen Anteil ausländischen Kapitals gekennzeichnet ist. Die PiS setzt tendenziell die Tatsache ausländischer Kapitalbeteiligungen mit der Eventualität staatlicher oder geheimdienstlicher Einflussnahme auf die betreffenden Medien gleich, die dann dementsprechend „nicht-polnische“ Interessen vertreten und in innerpolnische Angelegenheit eingreifen würden. Im Raum standen stets vor allem Beteiligungen von deutscher (Polska Press, die ein Netzwerk von Regionalzeitungen zu etwa 80 Prozent kontrolliert) und US-amerikanischer (Tv-Sender TVN) Seite. Angesichts der harschen Reaktionen aus Washington und Brüssel ist es aber bisher nicht dazu gekommen. Allerdings wird jeder kritische Bericht aus dem Ausland dazu genutzt das Thema der „Renationalisierung“ der Medien wieder auf die Agenda zu bringen.

Zu der Entlassungswelle bei den staatlichen Medien, kommen Schikanen bei der täglichen Arbeit der Journalisten hinzu. Regierungskritische Medienschaffende bekommen keine Termine bei den Politikern der regierenden Partei, werden bei Nachfragen beschimpft und teilweise auch bedroht. Nachdem versuchte Einschränkungen des Zugangs von Medien zum Sejm im Dezember 2016 auf erheblichen Widerstand gestoßen waren, versuchen Regierungsvertreter und rechte Publizisten nun vorrangig mithilfe juristischer Mittel- kostspielige Verleumdungsklagen, aber auch eine erweiterte Auslegung des Strafrechts, siehe https://rsf.org/en/news/poland-journalist-investigated-coverage-gdansk-mayors-assassination - regierungskritische Journalisten einzuschüchtern. Obwohl die PiS mit ihrem Umbau des Justizwesens noch nicht so weit vorangeschritten ist, dass sie in der allgemeinen Gerichtsbarkeit beliebige Urteile in ihrem Sinne herbeiführen könnte, so hat diese Praxis doch bereits Spuren hinterlassen, weil unter wirtschaftlichem Druck stehende Verlage sich zunehmend scheuen, journalistische oder publizistische Risiken einzugehen.

Das Arbeitsumfeld der polnischen Medien und Journalist*innen ist in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. Physische Übergriffe bleiben glücklicherweise aus. Aber vor allem in rechtlicher Hinsicht sind Medienmacher zunehmendem Druck ausgesetzt. Zudem beeinträchtigt die – direkt mit den politischen und medialen Maßnahmen der PiS-Regierung verbundene – allgemeine Verrohung der politischen Diskurskultur journalistische Tätigkeit massiv, weil ihr von verschiedener Seite Professionalität abgesprochen und parteiisches Verhalten zugeschrieben wird. Die vermutlich von bezahlten Trollen getriebenen Hetz- und Hasskampagnen im Internet rufen außerdem ein erhöhtes Maß an Stress und Angst bei den Betroffenen hervor.

Trotzdem findet nach wie vor kritische Berichterstattung statt. Jüngstes Beispiel ist die anstehende Präsidentschaftswahl. Für den 10. Mai ist sie eingeplant. Die Regierung hält trotz der Corona-Pandemie fest daran. Die Wahlordination wird gerade geändert, der Gesetzesentwurf liegt bei dem Senat. Die Wahl soll zum ersten Mal ausschließlich als Briefwahl abgehalten werden. Eine Änderung, die laut Experten nicht verfassungskonform ist. Den Wahlkampf kann wegen der Einschränkungen des öffentliches Lebens de facto nur der Amtsinhaber Andrzej Duda in den staatlichen Medien führen. Die Oppositionskandidaten haben keinen Zugang dazu. Wahlbeobachter äußerten bereits ihre Bedenken, was die Durchführung der demokratischen Wahlen zurzeit angeht.