Mutter! Leib?

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Illustration des Workshops von Henrike Terheyden

In einem Workshop auf der Netzwerktagung Geschlechterdemokratie 2019 gab das FAMILIA*FUTURA-Team Einblicke in Lebensrealitäten von Leihmutterschaft, Adoption, Co-Elternschaft, Inter-Elternsein. Es ging etwa um Fragen, wie Leiblichkeit und Mutterschaft zusammenhängen und was Leiblichkeit mit Zugehörigkeit zu tun hat. Im folgenden Interview mit Miriam Welk und Stephanie Krah von Familia*Futura fassen sie die Diskussion noch einmal zusammen.

 

Frage: Was hat - bezogen auf Mutterschaft - Leiblichkeit mit Zugehörigkeit zu tun?

Antwort: Elternschaft hat immer etwas mit Leiblichkeit zu tun. Wir verstehen "leiblich" in Abgrenzung zu "körperlich + biologisch" nämlich als Praxis der Zugehörigkeit. Im Sinne eines wechselseitigen Bindungsprozesses ist die leibliche Erfahrung ein Miteinander. Beispiel: Das Elternteil schreibt sich mit seiner Art zu laufen oder durch Geruch ein bei dem Kind, das Kind andersrum auch, z.B. durch Geruch, Stimme/Schreien/Lachen, aber auch durch Schuckelmuskeln und Rückenschmerzen. Mutterschaft hat also auch immer etwas mit Leiblichkeit zu tun. Allerdings hat Mutterschaft nicht unbedingt etwas mit biologischer Abstammung zu tun. Beispiel: Co-Mütter* - egal ob sie in einer romantischen Beziehung zur*m biologischen Mutter* oder Vater* stehen oder nicht - haben eine leibliche Beziehung zum Kind, jedoch keine biologische. Der alltägliche Umgang miteinander, also die leiblichen Prozesse, erzeugen ZUGEHÖRIGKEIT.



Frage: Leiblichkeit wird als Voraussetzung von Mutterschaft gedacht - nicht nur allgemein in der Gesellschaft, sondern auch unter jungen Feminist*innen. Warum ist das so?



Antwort: Diese These verstehen wir so: Leiblichkeit im Sinne von biologischer Abstammung wird oft als ein Versprechen auf emotionale Erfüllung suggeriert. Durch dieses Versprechen wird die biologische Mutterschaft durch den Kapitalismus funktionalisiert, denn die "Mutterliebe" funktioniert als Wegbereiterin für (unbezahlte) oft nicht wertgeschätzte Care-Arbeit der Mütter*. In naturalistisch-biologistischen Feminismen vermuten wir die Annahme, dass eine biologische Mutter* eine Art Mutterinstinkt besitzt und deshalb als Elternteil eine stärkere Beziehung zu dem Kind hat als ein nicht-biologisches Elternteil oder der biologische Vater*. Dies finden wir problematisch. Für "DIE Feministin*nen" möchten wir nicht sprechen, da wir keine Pauschalwertungen machen wollen.





Frage: Stillen gilt als obligatorisch für Mutterschaft. Eine Mutter, die stillt, gilt als gute Mutter. Könnt ihr sagen, warum das so ist? Woher kommt dieser Stillmythos?

Antwort: Auch in diesem Mythos sehen wir einen Ursprung in der kapitalistischen Verwertungslogik. In einem konservativen Wohlfahrtsstaat soll unbezahlte Care-Arbeit weiterhin existieren - tradierte Geschlechterrollen werden so aufrecht erhalten. Denn das Stillen sichert die Arbeitsteilung, die dem Staat Geld spart - Frauen* bleiben zuhause, Männer* gehen arbeiten. Durch Gesetze wie z.B. das Ehegattenplitting werden diese Rollenzuschreibungen auch noch unterstützt. Und da es keine gesetzliche Regelung bzgl. des Gender Pay Gaps gibt, gehen Frauen* tendenziell öfter in Elternzeit. Dies führt dazu, dass die Frauen "eh zuhause sind" und dann "ja auch stillen können". Der Satz "Stillen ist das Beste für dein Kind" hält viele Eltern davon ab, sich gegen das Stillen zu entscheiden und der Mythos wird auf diese Weise am Leben gehalten.





Frage: Es findet in dem Zusammenhang mit Stillen wenig Solidarität zwischen Müttern, sondern eher übergriffiges Verhalten statt. Wie kann dem begegnet werden? Was braucht es, damit jede Mutter ihr Kind so ernähren kann, wie es für sie am besten ist - ohne sich rechtfertigen zu müssen?

Antwort: Wir glauben nicht, dass mangelnde Solidarität ein Problem zwischen Müttern* ist  - so lange unsere Gesellschaft und Politik keinen Rahmen bietet, um intersektional und solidarisch miteinander zu leben, wird es auch unsolidarisches Verhalten zwischen verschiedenen Müttern* geben.  Wir brauchen mehr Veränderung in gesellschaftspolitischen Strukturen, um die Durchführung und Reflexion von Reproduktionsarbeit zu ändern: z.B. Elterngeld zusammenlegen, Gesetze gegen den Gender Pay Gap und mehr (Bildungs-)Projekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu Themen wie Familien-Vielfalt, Geschlechter-Vielfalt und Geschlechter-Solidarität.