Vorwort: Sachsens Braunkohle

 

Das 2016 in Kraft getretene Pariser Klimaabkommen schreibt in Artikel 2 völkerrechtlich verbindlich vor, die globale Erwärmung verglichen mit dem vorindustriellen Niveau auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad. Legt man die Berechnungen des Weltklimarates, des IPCC, zugrunde, würde das eine vollständige globale Dekarbonisierung in 10 bis 20 Jahren bedeuten. Und zwar in allen Sektoren, also auch bei Wärme, Treibstoff und Dünger. Das bedeutet, auch wenn das in Sachsen die meisten nicht wahr­haben wollen: Auch die Nutzung der Kohle muss zeitnah enden. Und zwar sogar besonders früh. Denn der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist leichter als beispielsweise die Dekarbonisierung von Verkehr und Landwirtschaft.

Kohle ist für ein gutes Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen in der Welt verantwortlich und führt außerdem dazu, dass Menschen vertrieben werden, Wasser verunreinigt wird und die Atemluft von Millionen von Menschen überall auf der Welt mit Feinstaub und Quecksilber verschmutzt ist. Neben den Klimakosten verursacht die Kohlenutzung also auch Gesundheitskosten in großer Höhe.

Damit wir eine realistische Chance haben, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, muss der Kohleausstieg auf der Liste der dringendsten Klimaschutzmaßnahmen ganz oben stehen. Denn die Kohlenutzung ist nicht nur besonders klimaschädlich, der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist viel leichter als beispielsweise die Umstellung von Verkehr und Landwirtschaft auf Klimaneutralität. Die Alternativen sind technisch längst realisiert und ökonomisch konkurrenzfähig. Industrieländer – und gerade Deutschland als größter Braunkohleförderer der Welt – müssen hier vorangehen.

Sowohl diesen Umstand als auch die damit verbundenen drastischen Folgen für das vorherrschende Wirtschaftsmodell diskutiert bislang jedoch fast niemand. Zwar passen Klimaschutz und Wachstum zusammen, solange man allein auf technische Optionen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz vertraut, um die fossilen Brennstoffe bei Strom, Wärme, Treibstoff oder Dünger zu ersetzen. Denn neue Technik kann man verkaufen und damit Wachstum erzielen. Aber allein mit Technik erreicht man die genannten Ziele kaum. Die Herausforderung ist schlicht zu groß.

Dazu kommt: Wir werden im Laufe der Jahrzehnte zwar technisch immer besser, aber gesamtgesellschaftlich gesehen auch immer wohlhabender, womit auch eine immer größere Energienachfrage und ergo keine sinkenden Energieverbräuche entstehen. Zudem fehlen wirkungsvolle technische Lösungen für einige Emissionsbereiche, etwa in der Landwirtschaft. Bisherige Statistiken und Prognosen beruhen zudem auf massiven Schönrechnungen. Industriestaaten wie Deutschland reduzieren angeblich Emissionen, in Wirklichkeit steigen die Emissionen unseres Lebensstils jedoch. Wir – auch wir in Sachsen – verlagern sie nur schlicht in die Schwellenländer, denn von dort kommen zunehmend unsere Konsumgüter.

Neben der klimapolitischen Dimension drängen sich andere Umweltprobleme wie die Degradation von Böden und Ökosystemen, die den Menschen ebenfalls auf Dauer existenziell gefährden und gleichzeitig angegangen werden müssen. Die Lösung liegt auf der Hand: der Natur mehr Raum geben. Doch Technik alleine reicht dafür noch weniger aus als im Klimaschutz. Das darf beim Reden über Kohle und Klima nicht beiseite bleiben. Denn die globale Erwärmung und auch die Schadstoffe der Kohleverbrennung sind eine wesentliche Quelle der Beeinträchtigung der anderen Umweltgüter.

Damit sind gewaltige Schritte erforderlich. Die bisherige Klima- und Kohlepolitik trägt wenig zur Lösung bei. Das Pariser Abkommen liefert hierfür erstmals einen ambitionierten und verbindlichen Rechts­rahmen und bildet somit die Basis für eine effektive Klimapolitik neben dem politisch verwässerten EU-Emissionshandelssystem: Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung gibt weitgehende CO2-Neutralität bis zum Jahr 2050 vor. Er definiert auch konkrete 
Zwischenziele. So soll etwa die Energiewirtschaft bereits bis zum Jahr 2030 ihre Treibhausgas­emission gegenüber 2014 etwa halbieren – von 358 auf 175 bis 183 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die Braunkohleverstromung allein schlägt heute noch mit etwa 160 Millionen Tonnen CO2 zu Buche.

Mit einer Braunkohleverstromung auf annähernd heutigem Niveau gibt es rechnerisch kein Szenario, in dem das eher moderate deutsche 2030er-Klimaziel – oder gar ein Weg zu Nullemissionen im Sinne des Paris-Abkommens – erreichbar ist. Für die Braunkohle bleibt künftig weder Platz in einem stabilen Netz noch im CO2-Budget. Auch in Sachsen werden Braunkohlekraftwerksblöcke schon weit vor 2030 den Betrieb einstellen müssen. Ein Großteil selbst der zum Abbau genehmigten Braunkohle in den Tagebauen wird im Boden bleiben müssen.

Warum also gibt es trotz all der definierten Ziele und der rechnerischen Fakten so wenig konkrete Pläne zum Zurückfahren und Einstellen der Braunkohleförderung und -verbrennung in Sachsen?

Die Kohlenutzung hat in unserem Bundesland eine lange Tradition, die Diskussionen um die Kohle sind von überalterten Geschichten und Mythen durchzogen und gleichzeitig sind die Fragen über gute Perspektiven für die Energiewirtschaft in Sachsen aktuell und drängend. Im Zentrum der Verteidigung der weiteren Kohlenutzung steht meist die Vorstellung, dass Kohle Arbeitsplätze schafft und wirtschaftlich ist. Doch stimmt das angesichts gravierender Schäden an Landschaft, Klima und unser aller Gesundheit infolge von fossil basierten Luftschadstoffen? Ist es noch wahr, dass erneuerbare Energien zu teuer oder zu unsicher sind? Sind die Umweltschäden durch die Kohlenutzung ausgleichbar und wer bezahlt das? Welchen Beitrag können Städte leisten, um einen 
Wandel der Energieversorgung voranzutreiben? Sind die Kohlekonzerne in den sächsischen Abbauregionen langfristig noch in der Lage, der lokalen Bevölkerung eine wirtschaftliche Zukunft zu bieten und gleichzeitig die ökologischen Folgerisiken wirksam zu adressieren? Welche touristischen und landwirtschaftlichen Potenziale entfalten sich nach der Kohle wirklich?

Der „Kohleatlas Sachsen“ ist eine Ergänzung der Publikation „Kohleatlas – Daten und Fakten über einen globalen Brennstoff“, die der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Heinrich-Böll-Stiftung 2015 gemeinsam erarbeitet und herausgegeben haben. Wir wollen auf unsere regionale Situation eingehen, Fakten sammeln und Argumente sichten.

Unser Fazit ist: Der Abschied von der Kohle ist ein Schlüssel für den Übergang in eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe. Er ist machbar, wenn wir unsere Energieversorgung konsequent auf erneuerbare Energiequellen ausrichten. Und er ist notwendig, damit Deutschland seinen internationalen Klimaverpflichtungen nachkommen kann. Der Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem gefährdet nicht Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, sondern fördert sie. Mit dem Wandel der Energiewirtschaft in Sachsen schaffen wir einen Baustein, um der Vorstellung einer ökologischen und gerechten Gesellschaft ein Stück näher zu kommen – auch wenn dazu noch viele andere Schritte notwendig sind.

Wir danken allen Beteiligten herzlich und hoffen, dass wir einen guten Beitrag zum kritischen Nachdenken über die Perspektiven von Kohle und Energie in Sachsen leisten können – und damit auch über unsere Wirtschafts- und Konsumweise. Damit ist auch der „Kohleatlas Sachsen“ politische Bildung im besten Sinn. Wir hoffen, dass die Publikation vielfältige Verwendung finden wird – im Unterricht wie in den Medien, in Verbänden oder in der Politik.

Prof. Dr. Felix Ekardt
Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Sachsen

Dr. Gerd Lippold
Energie- und klimapolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag

Stefan Schönfelder
Geschäftsführer Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen

 

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