Mitteldeutsches Revier: Noch kein Aufatmen in der alten Industrielandschaft

In der Region um Leipzig und Halle bestimmt die MIBRAG das Geschehen in Tagebauen und Kraftwerken – als gäbe es keine nationale Klimaschutzdebatte. Doch gegen die Tochter des tschechischen Energiekonzerns EPH regt sich der Widerstand. 

Das Mitteldeutsche Revier ist neben dem Lausitzer Revier die zweite bedeutende Braunkohleregion in Ostdeutschland. Etwa 80.000 Beschäftigte in der Lausitz und 60.000 im mitteldeutschen Revier bauten im Fördermaximum der 1980iger Jahre rund 300 Millionen Tonnen jährlich ab. Die Spitze im mitteldeutschen Revier wurde schon 1963 mit rund 145 Millionen Tonnen erreicht. Jedoch betrug auch 1985 die jährliche Förderung noch immer 115 Millionen Tonnen. 

Die mitteldeutsche Braunkohle hat mit 9 bis 11,3 Megajoule pro Kilogramm höhere Heizwerte als die Lausitzer Braunkohle, allerdings auch im Durchschnitt höhere Schwefelgehalte. Besonders kritisch für die Emissionen der zwei großen Braunkohlekraftwerke des mitteldeutschen Reviers, Lippendorf in Sachsen und Schkopau in Sachsen-Anhalt, sind die höheren und schwankenden Quecksilbergehalte der Kohlevorkommen, die zum Teil acht- bis zehnfach über denen in der Lausitz liegen.

Die gesamte, in der Geschichte des mitteldeutschen Reviers in Anspruch genommene Abbaufläche beträgt etwa 400 Quadratkilometer. Die Tagebaue zerstörten 126 Orte und Ortsteile, was zur Umsiedlung von insgesamt etwa 51.000 Einwohnern führte. Davon waren auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen etwa 23.000 Einwohner in 72 Orten betroffen, in Sachsen-Anhalt 26.000 Einwohner in 40 Orten und in Thüringen 2000 Einwohner in vier Orten. Zuletzt verschwand zwischen 2006 und 2010 der sächsische Ort Heuersdorf, der 1990 noch 340 Einwohner hatte.

Die beiden Großtagebaue des Reviers heißen Vereinigtes Schleenhain in Sachsen mit einer Jahresförderung von rund zehn Millionen Tonnen Rohbraunkohle und Profen mit acht bis neun Millionen. Beide Tagebaue werden durch die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (MIBRAG) betrieben, die 1994 nach der Übernahme der Treuhandbetriebe durch ein Firmenkonsortium entstand. Seit 2009 gehört die MIBRAG zur tschechischen Industrieholding EPH, seit 2016 mit einem Finanzpartner auch Besitzer der Lausitzer Tagebaue und dreier Kraftwerke. Hinzu kommt ein Block des Kraftwerks Lippendorf; der zweite gehört dem Energieversorger EnBW. Das Kraftwerk Schkopau gehört zu 41,9 Prozent der MIBRAG-Muttergesellschaft EPH, der Rest dem Energieversorger Uniper. 

In viel kleinerem Maßstab fördert der Betreiber Romonta im Tagebau Amsdorf, der in Sachsen-Anhalt liegt, rund 300.000 Tonnen pro Jahr. Aus der Braunkohle entsteht Montanwachs, ein Industriestoff, der etwa für Schuhcremes und Polituren verwendet wird . Insgesamt beschäftigt die Braunkohlewirtschaft in Mitteldeutschland etwa 2.400 Personen, davon nicht einmal 800 in Sachsen.
Im Unterschied zum Lausitzer Revier betrieb hier die DDR nicht nur Braunkohleverstromung und Brikettproduktion, sondern auch im großen Maßstab Kohlechemie auf Braunkohlebasis. Deshalb war der Bruch nach 1990, der innerhalb weniger Jahre praktisch die gesamte Braunkohlewirtschaft erfasste, besonders tief und betraf etwa 95 Prozent aller Braunkohle-Arbeitsplätze in der Region um Leipzig und Halle. In Sachsen fiel 1994 nach der Wiedereröffnung des Tagebaus Schleenhain südlich von Leipzig die Entscheidung, ein großes Braunkohlekraftwerk am Standort Lippendorf zu errichten. 

Dessen Versorgung für eine geplante Laufzeit bis 2040 wäre durch kombinierte Auskohlung von Abbaufeldern in den Tagebauen Schleenhain und Profen möglich gewesen, ohne dass weitere Ortschaften hätten verschwinden müssen. Dennoch fiel die politische Entscheidung für eine andere Variante, die der Betreiber aus wirtschaftlichen Gründen bevorzugte: die Versorgung des Kraftwerk über die gesamte Laufzeit ausschließlich aus Schleenhain. Dafür sollte ein neues Abbaufeld erschlossen werden, auf dem sich die Ortschaft Heuersdorf befand.

Der Braunkohlenplan von 1994 schrieb deshalb die Gemarkung von Heuersdorf als Abbaugebiet fest – gegen den Widerstand der Gemeinde. Um das Gemeindegebiet aufzuheben, war deshalb gemäß Artikel 88 der Sächsischen Verfassung ein Landesgesetz erforderlich, das sogenannte Heuersdorfgesetz. Zur Begründung hieß es, dass durch die Inanspruchnahme der Kohle unter Heuersdorf die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf bis 2040 abgesichert sei. Nach einer zehnjährigen Auseinandersetzung verlor die Gemeinde 2005 in letzter Instanz vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof. 2006 begann der Abriss, bis 2010 wurde das Dorf vollständig abgeräumt. Die MIBRAG begann jedoch nach 2012 in großem Umfang mit dem Export von Rohbraunkohle. Mindestens 1,4 Millionen Tonnen gelangten aus dem Revier in tschechische Kraftwerke. Nach Protesten stellte der Betreiber die Ausfuhr Ende 2015 wieder ein.

Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain besteht aus den drei Teilfeldern Peres, Groitzscher Dreieck und Schleenhain. Obwohl die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf mit Braunkohle bis zum Ende der Laufzeit gesichert ist, strebt der Betreiber eine Erweiterung an, vor allem um den Abbau effizienter zu machen. Der Realisierung würden der Ort Pödelwitz am Abbaufeld Peres sowie der Ort Obertitz am Abbaufeld Groitzscher Dreieck zum Opfer fallen. Die MIBRAG hat bereits ein Umsiedlungsprogramm für Pödelwitz gestartet, obwohl bislang keinerlei raumordnerische Voraussetzungen oder Genehmigungen für das Erweiterungsvorhaben vorliegen. Seit 2016 betreibt die MIBRAG in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Oberbergamt eine Umweltverträglichkeitsprüfung, Voraussetzung für den notwendigen Rahmenbetriebsplan. Gegen das Vorhaben regt sich bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch in Verbänden, Kommunen und in der Landespolitik zunehmender Widerstand.

 

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