Das Projekt Demokratie und Partizipation integriert eine Biographie des Bürgerrechtlers und sächsischen Europäers, Wolfgang Ullmann, sowie eine Tagung zu Geschichte und Aktualität der DDR-Bürgerbewegung und verfolgt dabei eine doppelte Zielsetzung: Es würdigt ein Vierteljahrhundert nach der Friedlichen Revolution die Leistungen der Bürgerbewegung der DDR bei der Überwindung der SED-Diktatur und beim demokratischen Neuanfang und rückt dabei in historischer Perspektive ihre politischen und insbesondere ihre zivilgesellschaftlichen Kernpositionen ins Zentrum. Und es aktualisiert zugleich diese Positionen mit der Frage, inwieweit sie eine Orientierung im Umgang mit gesellschaftlichen und politischen Konflikten der Gegenwart bieten können. Das Vorhaben wird gemeinsam von Weiterdenken und der Heinrich Böll Stiftung getragen; wir freuen uns besonders über die großzügige Förderung des Projekts durch die Bundesstiftung Aufarbeitung und über die Kooperation der Robert-Havemann-Gesellschaft bei der Konferenz. Wolfgang Ullmann wurde bundesweit bekannt als Bürgerrechtler der DDR und als prägende Gestalt der Friedlichen Revolution, ja geradezu als «Gesicht» des Runden Tisches 1989/90. Viele heute politisch Aktive erinnern sich an den nachhaltigen Eindruck von persönlichen Begegnungen mit Ullmann, der vor 10 Jahren starb. Als Dozent an kirchlichen Hochschulen in der DDR, als Mitglied der Bürgerbewegung und als Politiker prägte er zahlreiche junge Menschen, die heute in Politik und politischer Bildung der Bundesrepublik aktiv sind. In der Biographie, die 2015 im Ch. Links Verlag erscheinen wird, zeichnet der Historiker Peter Skyba den ganzen Lebensweg des Theologen und Kirchenhistorikers nach und stellt dabei den Bürgerrechtler, Politiker und politischen Vordenker Ullmann in den Mittelpunkt. Auf der Basis ausführlicher Archivrecherchen und zahlreicher Interviews rekonstruiert er Ullmanns faszinierendes gesellschaftliches und politisches Engagement in Diktatur, Revolution und Demokratie. Der Werdegang vom Pfarrer, der in der sächsischen Provinz der 1950er Jahre in erste Konflikte mit der Staatsmacht der DDR geriet, bis zum Abgeordneten des Straßburger Parlaments, der sich für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger stark machte, trägt über weite Strecken Züge einer vita activa im Sinne Hannah Arendts. Wolfgang Ullmann verstand die Weiterentwicklung des politischen Systems hin zur Erweiterung von Partizipationschancen und die Stärkung von Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik und in Europa als Erbe und Auftrag der Friedlichen Revolution. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Diskussionen über die Vertrauenskrise der parlamentarischen Demokratie, über die Bürgerrechte in Europa und über die Erosion individueller Selbstbestimmungsrechte in der digitalen Gesellschaft scheinen Ullmanns politische Prioritäten neue Aktualität zu gewinnen.
Die Tagung «Aufbrüche der Zivilgesellschaft. Wege, Positionen und Wirkungen der DDR-Bürgerbewegungen. Historische Entwicklungen und aktuelle Implikationen am 11./12. September 2014» im Stadtmuseum Dresden ist inspiriert vom politischen Denken und Handeln Wolfgang Ullmanns. Wir freuen uns sehr, dass zahlreiche Akteure aus der Bürgerbewegung, die die Friedliche Revolution mit gestalteten und in der Bundesrepublik unterschiedliche Wege innerhalb und außerhalb der Politik gingen, unserer Einladung ebenso gefolgt sind wie einschlägige ExpertInnen aus Politik und Wissenschaft. Genau 25 Jahre nach dem Erscheinen des Gründungsaufrufs der von Ullmann mit initiierten Bewegung «Demokratie Jetzt» stehen die zivilgesellschaftlichen Aspekte der Bürgerbewegung im Mittelpunkt der Konferenz. Der Titel «Aufbrüche» steht dabei für eine zweifache Perspektive: Auf der einen Seite für den zivilgesellschaftlichen Aufbruch im Widerstand gegen die SED-Diktatur in der späten DDR, in den rasanten Umwälzungen 1989/90 und in den Anläufen zur politischen Neugestaltung in den folgenden Jahren. Und auf der anderen Seite für Entwicklungen, die – wie z.B. die Datensammelwut von Behörden und Unternehmen – die Gefahr bergen, in der Gegenwart die Grundlagen der Zivilgesellschaft aufzubrechen. Die Konferenz verortet die Bürgerbewegung nicht allein in der Opposition gegen das Parteiregime der DDR und als Träger der Friedlichen Revolution, sondern auch als Exponenten politischer Praxis und zivilgesellschaftlicher Konzepte, die über 1989/90 hinausweisen. Die Frage nach der Vitalität von Forderungen der Bürgerbewegung etwa nach Partizipation und Transparenz im Licht aktueller Problemlagen gehört zu den spannenden Themen der Konferenz.