Dr. Wolfgang Ullmann zum 10. Todestag

Wolfgang Ullmann

Demokrat in der DDR – Sachse in Europa

Zum 10. Todestag von Wolfgang Ullmann.

 

„Ein Stückchen Holz zum Scheiterhaufen für die Macht der Arbeiterklasse“. Das Verdikt der DDR-Zensur aus dem Jahr 1980 über einen Text von Wolfgang Ullmann war ebenso hart wie eindeutig. Dem SED-Regime galt der Theologe und Kirchenhistoriker als gefährlicher Gegner, lange bevor Ullmann als Bürgerrechtler in der DDR, als herausragender Akteur in der Friedlichen Revolution und als moralische Autorität im deutsch-deutschen Einigungsprozess in einer größeren Öffentlichkeit in Ost und West bekannt und geschätzt wurde.

Geboren 1929 in Bad Gottleuba und aufgewachsen in Dresden blieb Wolfgang Ullmann seiner Heimat Zeit seines Lebens eng verbunden. Noch im Alter vertrat er seinen sächsischen Wahlkreis im Europäischen Parlament. Er verband dabei stets das Bekenntnis zu seiner Herkunft mit der Öffnung zur Welt. Das Erlebnis der Luftangriffe auf Dresden, die unmittelbare Erfahrung des Massensterbens und der Verlust der geliebten Kulturmetropole verfestigten sich bei Ullmann nicht etwa zu neuen Feindbildern, sondern brachten ihn zum lebenslangen Engagement gegen den Einsatz von Kriegswaffen gegen die Zivilbevölkerung.

Von der Kindheit im Dresden des Nationalsozialismus bis zum Abgeordneten des Parlaments von Europa im Zeitalter von Maastricht und Schengen ist Ullmanns Lebensweg gleichzeitig ein faszinierender Spiegel deutscher Zeitgeschichte. Wie kaum eine andere Vita integriert seine Entwicklung die Geschichte von Ost und West.  Auf das Abitur in Dresden folgt das Theologiestudium in Westberlin in der aufgeheizten Atmosphäre der sowjetischen Blockade und später in Göttingen zur Zeit der erbitterten politischen Auseinandersetzungen um die Westintegration der Bundesrepublik und der Möglichkeit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten.  Zurück in Sachsen erlebt Ullmanns als Pfarrer in Colmnitz die Kollektivierung der Landwirtschaft und schließlich den Mauerbau als brutale Machtausübung des Parteiregimes. Ab 1963 ist er Dozent für Kirchengeschichte an kirchlichen Hochschulen in Naumburg und Berlin und in dieser Funktion seinen Studenten nicht nur ein anspruchsvoller Lehrer, sondern auch gefragter Diskussionspartner und Ratgeber bei politischen Themen, der nach 1975 von seinen Reisen in die Bundesrepublik und ins Ausland politische und wissenschaftliche Impulse mitbringt. Ab 1987 in der entstehenden Bürgerbewegung der DDR aktiv wird Ullmann zum Mitgründer von „Demokratie jetzt“ und in der Friedlichen Revolution eine der bekanntesten Persönlichkeiten, ja geradezu das „Gesicht“ des Runden Tisches.  Im Vorfeld der staatlichen Einigung plädiert er für eine Fusion von gleichen Partnern und setzt sich dabei für eine Reform des Grundgesetzes ein.  Im ersten gesamtdeutschen Bundestag fordert er eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der SED-Diktatur, vertritt selbstbewusst rechtliche und soziale Belange der Ostdeutschen und setzt sich vielfach anerkannt für das Zusammenwachsen von Ost und West ein.

Als Abgeordneter im Bundestag und später im Europäischen Parlament steht er für den Brückenschlag von der Bürgerbewegung der DDR über das vereinigte Deutschland in das Europa der Gegenwart. Wolfgang Ullmann verstand die evolutionäre Weiterentwicklung des politischen Systems und die Stärkung von Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik und in Europa als Erbe und Auftrag der Friedlichen Revolution. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Diskussionen über die Vertrauenskrise der parlamentarischen Demokratie, über die Bürgerrechte in Europa und über die Erosion individueller Selbstbestimmungsrechte in der digitalen Gesellschaft  scheinen Ullmanns politische Prioritäten neue Aktualität zu gewinnen.

Wolfgang Ullmann starb am 30. Juli 2004.  

Peter Skyba

Der Historiker Dr. Peter Skyba verfasst gegenwärtig ein Biographie Wolfgang Ullmanns, die 2015 im Ch. Links Verlag erscheint.

 

Am 11. und 12. September organisieren Weiterdenken und die Heinrich-Böll-Stiftung (Bund) in Kooperation mit der Robert-Havemann-Gesellschaft, diese unterstützt durch den Berliner Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die Tagung „Aufbrüche der Zivilgesellschaft“, auch um an das politische Denken und Handeln Ullmanns zu erinnern.

In historischer Perspektive fokussiert die Konferenz auf den Weg der Bürgerbewegung aus der SED-Diktatur bis ins vereinte Deutschland und ins Europa von Maastricht. Sie geht am Beispiel der später zu Bündnis 90 fusionierten Gruppierungen dem Wandel von Zielen, Positionen, Politikkonzepten und Politikstilen nach und setzt diesen in Beziehung zu dem im Zeitablauf veränderten Handlungsumfeld der Bürgerbewegungen; der Tagungstermin am 25. Jahrestag des Erscheinens des Gründungsaufrufs der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ unterstreicht diesen Bezug. Die Tagung spannt den Bogen bis in die jüngere Vergangenheit und beleuchtet auch, mit welchen Profilen sich Teile der Bürgerbewegung innerhalb und außerhalb des Parteienspektrums der Bundesrepublik positioniert haben und auf welche Schwierigkeiten sie trafen beim Versuch, eigene politische Projekte und eigene Vorstellungen von politischer Kultur in der bundesdeutschen Parteiendemokratie zur Geltung zu bringen. Ganz besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die zivilgesellschaftlichen Implikationen der Projekte. Inwieweit war beispielsweise der Kampf um eine systemunabhängige Öffentlichkeit in der DDR, die Einrichtung Runder Tische oder das Eintreten für eine Volksabstimmung über eine gesamtdeutsche Verfassung situativ bedingt und inwieweit lassen sie sich als Kristallisationskerne zivilgesellschaftlicher Prozesse interpretieren?

Vor dieser Folie der historischen Entwicklung steht anschließend der Versuch, ausgewählte zivilgesellschaftliche Konzepte aus der Bürgerbewegung im Licht gegenwärtiger Problemlagen zu aktualisieren.