Ein z.Zt. äußerst beliebtes Thema bei antifaschistisch engagierten Menschen ist die Kritik des Extremismus-Begriffs. Die Problematik dieses Begriffs liegt sicherlich darin, dass das Schema einer demokratischen „Mitte“, die durch „Ränder“ bedroht wird, zur Beschreibung der gesellschaftlichen Realität wenig geeignet ist. Gesellschaftliche Erscheinungen wie Rassismus oder Homophobie sind keine „Randphänomene“ und sie werden auch nicht beseitigt werden können, wenn sie als solche wahrgenommen werden.
So weit, so richtig. Etwas anstrengend wird es aber, wenn sich eine Begriffspolizei bildet, die uns am liebsten hundertmal an die Tafel schreiben ließe: „Ich darf nicht Rechtsextremismus sagen!“ Zuständig für dieses Anliegen ist die „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“ (Inex).
In ihrem „Offenen Brief“ aus dem Jahr 2008 formuliert Inex (um welche Person bzw. Personen es sich handelt, ist unklar): „Dabei ist es doch klar, dass der Extremismusbegriff das Naziproblem nicht erklären kann.“ Das ist schon deshalb eine Binsenweisheit, weil Begriffe allein nie etwas „erklären“ können, also ist diese Feststellung noch kein Argument gegen den Extremismusbegriff. Bezeichnend ist aber die niedliche Formulierung „Naziproblem“. Sie ist der Beweis dafür, dass Inex einen Begriff beseitigen möchte, ohne ihn ersetzen zu können.
Dieses Defizit wird auch durch die Behauptung des Gegenteils nicht beseitigt: „Als Ausflucht erweist sich (…) die angeblich noch laufende Suche nach treffenden Alternativbegriffen. Diese stehen mit einem viel treffenderen Beschreibungs- und Erklärungspotential seit Jahren bereit.“ Das behauptet Inex in ihrem Aufruf von 2010 „Gemeinsam gegen jeden Extremismus? Nicht mit uns!“, ohne diese Begriffe zu nennen. Und so ganz kommen ja auch manche UnterzeichnerInnen noch nicht ohne den Begriff „Rechtsextremismus“ aus (ein Beispiel: http://www.rothe-beinlich.de/aktuell/rechtsextremismus/index.html).
Der Extremismusbegriff bzw. die dahinterstehende „Ideologie“ (ein großes Wort!) wird insbesondere von antifaschistisch aktiven Menschen kritisiert, die sich selbst dem Vorwurf des „Linksextremismus“ ausgesetzt sehen. Das ist verständlich. Die Behauptung aber, dass die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs „Rechtsextremismus“ in allen Fällen bedeutet, dass damit die Diffamierung von Linken als „Linksextremisten“ impliziert wird, ist atemberaubend. Schließlich haben ja auch manche gestandene Linke schon klug über das, was sie „Rechtsextremismus“ nannten, geschrieben. Wollte man das Wort aus deren Beiträgen herauskorrigieren, kämen gewaltige Säuberungsaufgaben auf uns zu…
2008 schrieb Inex: „Es ist heute dringend notwendig, eine radikale Gesellschaftskritik zu formulieren und damit auch Naziideologien in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und Nazistrukturen zu bekämpfen.“ Das ist freilich eine ziemlich alte Vorstellung der linksradikalen Antifa, und man fragt sich, warum diese Weisheit jetzt unbedingt durch Inex wiedergekäut werden muss. Das aufkleberkompatible Horkheimer-Zitat „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ gehört schließlich schon seit Jahrzehnten zum gut sortierten Katalog mehr oder weniger „linker“ Phrasen.
Inex meint (in dieser Tradition stehend), dass das „gesellschaftliche Zustimmungspotential für Naziideologie und -politik (…) durch das formalistische Schema des Extremismusansatzes wegdefiniert“ werde. Man kann dieser Ansicht sein. Die Frage ist, ob das auch die Voraussetzung für Engagement gegen extrem rechte Bewegungen bzw. gegen menschenfeindliche Einstellungen sein muss. Es soll ja Leute geben, die dieses Engagement wollen, ohne dezidiert radikal linken Ansichten anzuhängen. Ja, es gibt sogar radikal linke AntifaschistInnen, die wissen, dass es Bündnisse, die über das linksradikale Spektrum hinausgehen, braucht, um einigermaßen massenwirksam zu werden…
Die Frage ist also, ob man dezidiert nicht radikal-linke BündnispartnerInnen akzeptiert oder nicht. Arbeitet man mit „Bürgerlichen“, die gegen Nazis aktiv sind, zusammen? Oder leugnet man schlicht die Möglichkeit nicht-radikal-linker antifaschistischer Positionen, da doch „Bürgerliche“ für eben jene Mehrheitsgesellschaft stehen, der vorgeworfen wird, Teil eines Kontinuums zu sein, zu dem nationalsozialistische Positionen eben auch gehören. Leider wird man den Eindruck nicht los, dass ein Teil der Extremismus-Begriff-KritikerInnen letztere Ansicht vertritt. Wenn radikal-linke Gesellschaftskritik aber zur Voraussetzung dafür gemacht wird, überhaupt gegen Nazis sein zu können, muss leider festgestellt werden, dass die Linke auch schon mal weiter war. Dass es nicht damit getan sein kann, den „Faschismus“ als eine „Form bürgerlicher Herrschaft“ neben dem Liberalismus zu identifizieren, dass die Dimitrow-Formel keine ausreichende Erklärung sein kann, das haben auch radikale Linke zwischendurch schon mal begriffen…
2010 barmt Inex: „Die Möglichkeit radikaler Gesellschaftskritik, beispielsweise an staatlicher Herrschaft und kapitalistischer Konkurrenz wird unter das Damoklesschwert des Extremismusverdachts gestellt.“ Da mögen manche RezipientInnen merken, dass sie alt werden – nämlich wenn sie noch radikale Linke erlebt haben, die locker damit leben konnten, von bürgerlichen Kräften als „Extremisten“ tituliert zu werden. Das tat ja nicht weh und war selbstverständlicher Teil der Auseinandersetzung. Heute ist dergleichen aber offenbar gleich ein „Damoklesschwert“. Schlimmer noch: Nicht nur die Gesellschaftskritik selbst ist bedroht, sondern sogar schon deren Möglichkeit! An anderer Stelle wird die diffuse Befürchtung geäußert, dass es „keinen Platz“ für linke Gesellschaftskritik gebe.
Wie weicheierig, bitteschön, ist das denn? Extremismustheoretiker wie Jesse und Backes nehmen der radikalen Linken den Platz weg wie jugendliche Rotzlöffel der alten Dame den Sitzplatz in der Straßenbahn? Inex befürchtet „schlechtere Bedingungen für linke Gesellschaftskritik“. Was aber wären denn „gute“ Bedingungen? Und wer soll die schaffen? Etwa der Staat oder die so heftig gescholtene „demokratische Mitte“? Natürlich geht von der seit Jahrzehnten geübten Diskriminierung der vermeintlichen „Ränder“ durch die selbsternannte „Mitte“ (bzw. ihrer Intellektuellen wie Jesse) keine größere Bedrohung für radikale Linke aus als sonst auch!
Ein aktuelles Problem – und vielleicht des Pudels Kern – ist aber die drohende Reduzierung von öffentlichen Mitteln für Projekte gegen das, was Inex das „Naziproblem“ nennt, bzw. das, was früher mal „Rechtsextremismus“ geheißen hat, infolge der Auflage von Programmen gegen Islamismus und – Achtung! – „Linksextremismus“. Auf dieses Problem geht Inex auch in ihrem Aufruf von 2010 ein, bleibt aber hinsichtlich der darüber hinaus reichenden Folgen reichlich diffus:
„Gewinnt diese Sichtweise – durch staatliche Pädagogik, mediale Kampagnen und durch das Ausbleiben öffentlicher Kritik – Raum, werden sich dadurch die Bedingungen effektiver antifaschistischer Arbeit enorm verschlechtern. Nichtstaatliche Initiativen und Projekte verlieren ihre Legitimation und damit ihre Handlungsspielräume. Dies werden vor allem unabhängige Antifa-Gruppen zu spüren bekommen.“
Das ist doch eher unbestimmtes Geraune. Wenn Inex aber andeuten will, dass radikale linke Gruppen Probleme mit dem Staat und seinen Organen bekommen könnten, muss man fragen, was denn so wahnsinnig neu daran ist.
„Aber auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die am finanziellen Tropf des Staates hängen, müssen mit weiteren Einschnitten in ihre inhaltliche Autonomie rechnen.“Das ist schon eher ein neues Problem! Als Ergebnis der Entwicklung ist laut Inex „die Verkleinerung einer antifaschistischen Infrastruktur und der eine oder andere individuelle Jobverlust“ zu erwarten.
Allerdings müsste Inex mal erklären, welches Problem sie damit hat, wenn sie selbst von „staatlich alimentierten ZivilgesellschafterInnen“ verlangt, zum Zwecke der Klarheit zur Not auf Förderung zu verzichten (siehe den Schluss des Aufrufes von 2010) Man müsste sich schon entscheiden, ob man die Alimentierung oder deren Gefährdung abgeschafft haben will! Das kriegt Inex aber offenbar nicht hin.
Nun wird von manchen zur Diskussion gestellt, Programme gegen „Rechtsextremismus“ am Ansatz der Antidiskriminierungsarbeit auszurichten, um dem Problem beizukommen, dass die Phänomene, die unter dem Begriff „Rechtsextremismus“ zusammengefasst werden, ausgeprägte Erscheinungen in der „Mitte“ sind. Das kann man tun und ist auch vom bürgerlich-demokratischen Standpunkt aus erlaubt, denn wir haben ein Grundgesetz, das die Norm vorgibt, mit der solches politisches Handeln begründet werden kann: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Ebenso ist es legitim, dass die Demokratie sich selbst am Leben erhält, indem sie antidemokratischen Einstellungen begegnet. Für Demokratie und Toleranz gilt gleichermaßen, dass sie am besten erhalten werden können, wenn sie (kitschiges Wort!) „gelebt“ werden – dies müsste bedeuten, dass sie zugelassen werden müssen, dass sie wachsen können müssen. Und daraus ergibt sich die Forderung an die VertreterInnen der „demokratischen Mitte“, demokratische Partizipation zuzulassen und institutionalisierte Diskriminierungen abzuschaffen. Müsste zur Not auch ohne Kapitalismuskritik gehen.
Was die Bezeichnung gewisser antidemokratischer und menschenfeindlicher Einstellungen betrifft, so sind verniedlichende Formulierungen wie „Naziproblem“ zu vermeiden. Es gibt extrem rechte Einstellungsmuster, die mit dem Begriff „Nazismus“ nicht richtig erfasst werden. Nazismus ist aber ein großer Teil des politischen Feldes, in dem autoritäre, hierarchieorientierte, antipluralistische, rassistische, antisemitische, sexistische, homophobe, völkische und nationalistische Positionen sich verbinden. Dieses Feld ist die extreme Rechte. „Extrem“ an ihr ist die grundsätzliche Negation der Prinzipien der Menschenwürde und der Demokratie. Damit könnte von ihr auch eine demokratische Rechte unterschieden werden, der man äußerst kritisch gegenüberstehen kann ohne sie diffamieren zu müssen (und gewisse „normale“ konservative Positionen, die überall außerhalb Deutschlands mit aller Selbstverständlichkeit als „rechts“ bezeichnet würden, könnte man auch hierzulande ganz entspannt so benennen).
Eine grundsätzliche Negation der Prinzipien der Menschenwürde und der Demokratie wird die radikale Linke sich nicht vorwerfen lassen, auch wenn sie bedenken sollte, dass „Linke“ diese Prinzipien oft sofort über Bord geworfen haben, wenn sie sich als hinderlich erwiesen. Der „extreme“ Rechte bekämpft Menschenwürde und der Demokratie aus Prinzip. Der „extreme“ Linke hält sie lediglich für verzichtbar – aber auch das kann im Wortsinne grausame Folgen haben (DemokratInnen müssen daher zumindest auch immer AntistalinistInnen sein).
Die grundsätzliche Negation der Prinzipien der Menschenwürde und der Demokratie als „Extremismus“ zu bezeichnen, ist sicherlich nicht sonderlich elegant. In Ermangelung einer Alternative muss es aber erlaubt sein, die Prinzipien der Menschenwürde und der Demokratie negierende Positionen unter dem Sammelbegriff „Rechtsextremismus“ zusammenfassen.
Es sei denn, jemandem fällt eine Alternative ein…
Achim Wesjohann war nach seinem Studium in Münster und Dresden (zunächst: Neuere Geschichte, Anglistik und Politikwissenschaft, später Mittlere Geschichte, Neuere Geschichte und Politikwissenschaft), wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dresdner Sonderforschungsbereich 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ (Teilprojekt C: Institutionelle Strukturen religiöser Orden im Mittelalter“) und ist seit März 2005 Parlamentarischer Berater der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag (Referent für Grundsatzfragen, Rechtsextremismus, Demografischer Wandel und Europapolitik).
Seit 2004 ist Achim Wesjohann Mitglied bei Weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen e.V. , 2004/05 auch Mitglied des Vorstandes.