Abflug des Regenbogens aus der grauen Stadt ...

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Klaus Hopf, geboren 1961 in Plauen, verheiratet, Künstler und Informatiker. Er stellte in den frühen 1980er Jahren eine Entwicklungshilfegruppe auf die Beine, gehörte zu den Beobachtern der Kommunalwahl 1989 und gründete das Neue Forum in Plauen mit. 1990 verließ er Plauen Richtung Westen und arbeitet heute bei der Bundesagentur für Arbeit in der Informationstechnologie.

 

Das Porträt schrieb der Journalist Pit Fiedler auf der Grundlage von Oral-History Interviews.

Das komplette Porträt ist in dem Buch „Bürgermut macht Politik. 1989/90 – Neues Forum Plauen. Bürgerforum Cheb“ (Eckhard Bodner Verlag) nachzulesen.

 

Ich bin Jahrgang 1961 und komme aus einem, hart formuliert, verarmten großbürgerlichen Elternhaus. Mit auf den Weg bekommen habe ich dort sehr traditionelle Werte wie zum  Beispiel Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Treue oder Zuverlässigkeit. Sie erwiesen sich natürlich auch immer wieder als hinderlich.

Mein Weg zum Bruch mit dem DDR-System war begleitet von einer Unzahl kleiner Ungerechtigkeiten. Es ging in der Schule los. Ich setzte mich für meine Mitschüler ein und sollte strafversetzt werden. Ich bekam in der Folge schlechtere Noten. 1980 ging ich mit dem Gedanken, den Frieden zu verteidigen, als Offiziersanwärter mit der Verpflichtung als Jagdflieger zur Armee und geriet in eine große ideologische Auseinandersetzung. Ich sah nicht ein, im Fall des Falles als erster angreifen zu müssen. Der Konflikt eskalierte bis zur symbolischen Befehlsverweigerung. Danach putzte ich in der Uniform eines Offiziersanwärters die Toiletten der Soldaten und musste sehr ermüdende und erniedrigende Gespräche über mich ergehen lassen. Am Ende kam die Versetzung in den Grundwehrdienst mit der klaren Ansage: „Sie studieren nicht Kunst. Sie studieren kein Lehramt. Sie studieren erst einmal drei Jahre überhaupt nicht.“. Aus Sicherheitsgründen erhielt ich als gelernter Nachrichtentechniker Berufsverbot und arbeitete als Kartograph. Ich dachte: „Wenn unsere Führungskräfte mit kritisch denkenden Menschen nicht umgehen können, dann ist dieses System nicht tragbar.“

Oppositionsgruppen im eigentlichen Sinn des Wortes gab es damals in Plauen nicht, aber es gab Gruppen, die sich bemühten, etwas außerhalb des Systems zu machen, verbotene Literatur zu lesen, sich mit Theater und Kunst zu beschäftigen und Begriffe wie Demokratie und Medienfreiheit zu diskutieren. Ab 1983 organisierte ich eine Gruppe, die eine ganz bescheidene Entwicklungshilfe für Ghana auf die Beine stellen wollte. Sie lief immer wieder auseinander.

1985 gelang es Steffen Kollwitz und mir, angebunden an die Markuskirche, eine stabile Gruppe aufzubauen: den Arbeitskreis Ghana. Man konnte sich auf die Arbeit der Leute verlassen. Jeder übernahm Verantwortung. Jeder versuchte, neue Leute für uns zu gewinnen. Langsam wurde aus einer Hilfsgruppe für Ghana eine Selbsthilfegruppe für Plauen: „Umdenken durch Nachdenken“. Pfarrer Henke, der Nachfolger von Pfarrer Pötzsch, machte bei uns mit. Wir waren am Anfang fünf aktive Leute, die andauernd neue Ideen zu unseren wöchentlichen Treffen mitbrachten. Wir verstanden uns nicht als Konsumenten. Wir waren Produzenten.

Dann ist der Punkt eingetreten, wo wir sagten: Das reicht uns eigentlich nicht. Weil einige von uns mit der Einberufung konfrontiert waren, setzten wir uns mit dem Wehrdienst und seiner Verweigerung auseinander. Wir entwickelten den Ratgeber „Wie werde ich Bausoldat?“ und bereiteten Informationen zu Tabuthemen wie Kindesmisshandlungen,   Alkoholismus und Umweltfragen auf. Es ist viel passiert in dieser Zeit. Wir waren beteiligt als ein historisches Abrissviertel künstlerisch zum Tod geschmückt wurde. Wir machten mit Kindern Straßenfeste, organisierten Theateraufführungen im Rahmen der Friedensfeste. Später las ich in meinen Stasi-Akten, dass es für den Staat nicht so recht greifbar war, was wir da machten, und sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten. Aber einsperren stand schon mal fest.

Vor der Kommunalwahl 1989 überlegten wir uns, ob wir diese Wahl nicht boykottieren könnten. Dann setzten wir uns mit dem Wahlgesetz auseinander. Es war extrem schwierig, eine Ausgabe zu bekommen. Wir zeigten den Leuten in mehreren Veranstaltungen, wie sie eine gültige „Nein“-Stimme abgeben könnten. Jeder einzelne Name musste ganz sauber durchgestrichen werden. Wir trauten den offiziellen Wahlhelfern nicht und kündigten deshalb an, die Wahl zu überwachen. Innerhalb kürzester Zeit ist unsere Gruppe auf über 50 Leute angewachsen.

In etwa der Hälfte der Wahllokale konnten wir mit unseren 50 Gleichgesinnten die Wahlergebnisse demonstrativ mit auszählen. Unser Ergebnis bewies den Wahlbetrug. Wir hatten in der Hälfte der Wahllokale schon mehr Gegenstimmen und Stimmenthaltungen gezählt, als insgesamt veröffentlicht wurden. Wir machten daraufhin eine Eingabe an das Kreissekretariat der SED und alle anderen Parteien. Weil die Sache brenzlig war, überlegten wir sehr genau, wer die fünf Unterzeichner sein sollten. Danach wurden die Wahlfälschungen in einer Reihe von Veranstaltungen publiziert und schließlich zusammen mit vielen landesweit gesammelten Betrugsfällen in der Berliner Zeitschrift „Die Wahlurne“ veröffentlicht. Es war eine spannende und aufregende Zeit.

Am 5. Oktober wollten wir das Thema in der Markuskirche noch einmal groß herausbringen. Als immer mehr Menschen zu dem Treffen kommen wollten – wir hätten uns über 300 schon gefreut, aber es kamen zehn Mal so viele Menschen – verwandelte es Superintendent Küttler wegen des bereits sichtbaren massiven Polizeiaufgebots im Umfeld in eine Friedensandacht. Man spürte schon, dass die Leute die DDR satt hatten.

Wir gründeten dann relativ zügig das Plauener NEUE FORUM. Nach meiner subjektiven Wahrnehmung hatten wir andere Zielsetzungen als die in Berlin. Wir wollten erst einmal freie Wahlen. Dieses Ziel verband ein weites Spektrum von tief rot, links radikal bis hin zu dunkel schwarz, rechts. Meine Rede war immer, dass das NEUE FORUM seinen Auftrag mit der Durchführung von freien Wahlen erledigt haben würde und nicht mehr zur Wahl antreten müsste. Fürs erste dachten wir nicht an eine Wiedervereinigung, sondern an die Verbesserung des gegebenen Systems, was mit der Bevölkerung jedoch nicht ging. Unsere wirtschaftspolitischen Veranstaltungen besuchten nicht mehr als zwanzig, dreißig Leute. Bei der Vorstellung des NEUEN FORUMs im Kino Capitol war der Saal jedoch überfüllt.

Da wir keine stadtbekannten Personen waren, suchten wir – mit der Stasi im Nacken – nach  Persönlichkeiten, die die neu eingerichteten Arbeitsgruppen leiten konnten und sich als Symbol- und Sympathieträger für das NEUE FORUM einsetzten. Frank Grünert, ein Orthopäde, war dabei der Mutigste und Engagierteste. Diese Leute fingen an, eigenständig zu arbeiten, und versuchten Programme zu entwickeln.

Ich zog mich im Februar 1990, also noch vor den ersten freien Wahlen, aus der Politik zurück. Es war mein Wille. Diese Menschenmassen mit ihren unterschiedlichen Meinungen hatten für mich zwar die politische Kraft, um freie Wahlen zu erreichen, aber keinen politisch gestaltenden Willen, der sagte: „Wir haben das richtige Wirtschaftsmodell, das optimale Bildungsmodell und ein bestimmtes Demokratieverständnis.“

Mein Gefühl und mein Verstand sagten mir jedenfalls, dass es nach meinem privaten   Kunststudium bei Rolf Andiel jetzt Zeit für mich ist zu malen. Ich suchte einen Platz für Malerei in einer freieren Gesellschaft und kehrte dazu schließlich auch Plauen den Rücken.

Die Zeit hier war unheimlich spannend. Ich arbeitete vor der Wende am Theater und machte sehr viele wilde Sachen. Es war immer so ein Spiel mit der Stadt und dem System. In der Nachwendezeit hatte ich zunehmend das Gefühl, dass die Ostdeutschen die besseren  Westdeutschen sein wollten. Sie suchten nicht nach der eigenen Identität. Stattdessen kopierten sie ein anderes Leben. Es wurde unangenehm langweilig. Es wurde mir in Plauen unerträglich; ich verließ die Stadt mit einem Zeitungsartikel. Er trug den Titel: „Abflug des Regenbogens aus der grauen Stadt“

Beruflich landete ich in der Bundesagentur für Arbeit und bin dort seit 2003 in der Informationstechnologie tätig. Ich engagiere mich dort, um alte Strukturen aufzubrechen, Prozesse zu definieren, in Gang zu setzen, und mit Leben zu erfüllen. Die Bundesagentur hat immerhin eines der größten Netzwerke mit der dazugehörigen Technik auf der Welt. Es ist für mich eine spannende Aufgabe, bei der Umsetzung von Arbeitsmarktmaßnahmen zur Stabilisierung der Demokratie mitzuwirken. Außerdem verdiene ich mit dieser Tätigkeit das Geld, das mich als Maler unabhängig macht.

Die Rückkehr in die Politik 1997 überlegte ich mir lange. Ich las mir die Programme durch, schwankte lange - zu links für die CDU, zu rechts für die SPD - zwischen den Grünen und der SPD. Am Ende hatte ich das Gefühl, zur SPD zu gehören. Denn ich orientiere mich eher an wirtschaftlich-sozialen als an umweltpolitischen Fragen. Pointiert gesagt: Man kann nicht gleichzeitig mit giftigen Ölfarben malen und die Umweltverschmutzung anprangern.