Europas Themen näher bringen – der Europa-Salon als neues Veranstaltungsformat Im Frühjahr 2013 starteten wir in Chemnitz eine neue Veranstaltungsreihe namens Europa-Salon. Drei bis vier Mal im Jahr soll dieses Diskussionsforum interessierte Menschen und Expert_innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen und einen Ort schaffen, an dem auf Augenhöhe über europapolitische Themen informiert und debattiert werden kann. Für 2014 sind weitere Themenabende in Chemnitz, Leipzig und Dresden geplant. Der Salon im Juli 2013 beschäftigte sich mit Bürger_innenbeteiligung in Europa am Beispiel der Europäischen Bürgerinititative (EBI) right2water, welche die EU -Wasserpolitik kritisiert und sich für den Schutz dieser Ressource vor den Gesetzen des freien Marktes einsetzt. Clivia Conrad, Bundesfachgruppenleiterin für Wasserwirtschaft bei ver.di und Mitorganisatorin bei right2water, und Christa Hecht, Geschäftsführerin der Allianz für öffentliche Wasserwirtschaft, standen uns zu den Themen Bürger_innenbeteiligung und Wasserpolitik Rede und Antwort.
Interview Anne Winkel
Wie weit kann und darf Bürger_innenbeteiligung gehen?
Christa Hecht: Bei öffentlichen Betrieben und Unternehmen sind zunächst die Kommunen und die Kommunalparlamente gefragt, über ihre Beschlüsse und Vorgaben mehr zu informieren. Das heißt aber auch, dass die Bürgerinnen und Bürger sich für die Aufgaben der Daseinsvorsorge mehr interessieren sollten. Denkbar ist, in die Aufsichtsgremien auch Vertreter_innen von Gebührenzahlern/Kunden zu entsenden, die dann an den strategischen Entscheidungen beteiligt sind. Auch mit einer größeren BürgerInnen-Beteiligung muss die Qualität gewährleistet sein und der Gewässer- und Umweltschutz gesichert sein. Bei Public- Private-Partnership (PPP) und privatisierten Unternehmen der Wasserversorgung ist es zunächst wichtig, dass die Verträge zwischen den Kommunen und den Privaten offen gelegt werden. Wir sind gegen Privatisierung und PPP, wenn eine Kommune aber diesen Weg gehen will, dann sollte dies nur durch einen Bürgerentscheid überhaupt möglich sein. Denn die Gebührenzahler und Kunden haben die Infrastruktur ja über ihre Gebühren und Entgelte finanziert. Clivia Conrad: Das neue Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) bietet erstmals einen direkten Zugang der Bürger_ innen zur EU-Kommission. Besser als über Dritte können die Initiator_innen ihre Auffassungen und Forderungen vortragen, wenn sie die formalen Voraussetzungen erfüllen. Das setzt allerdings europaweite Strukturen voraus, die die meisten Initiator_ innen der derzeit laufenden EBI nicht haben. Erfolgreiche Initiativen können tatsächlich die EU-Politik im Sinne der Bürger_innen beeinflussen, wie die Herausnahme des Wassersektors aus der Konzessions-Richtlinie als Folge unserer EBI für das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung zeigt. Bis heute haben wir über 1,7 Millionen Unterschriften EU-weit gesammelt, allein in Deutschland 1,3 Millionen, in 12 Ländern ist das Mindestquorum überschritten.
Wie bewerten Sie die EBI als Instrument für mehr Bürger_innenbeteiligung?
Clivia Conrad: Welche Wirkung eine EBI entfaltet, hängt von vielen Faktoren ab. Nicht zuletzt davon, wie die Kommission dann mit den erfolgreichen Initiativen umgeht. Das werden wir erst noch erfahren. Solange die formalen Hürden allerdings so hoch sind, werden nur wenige EBI überhaupt bis zur Kommission vordringen. Die EBI right2water hat auch mit den vielen Diskussionen beim Sammeln der Unterschriften sehr viel erreicht. Viele Bürger_innen interessieren sich seither dafür, wie ihre Wasserversorgung organsiert ist und bringen sich auch vor Ort dazu ein. Das ist gut für unsere Demokratie.
Welche Chancen räumen Sie der Beachtung der Forderungen von Right2Water seitens der Kommission ein?
Christa Hecht: Auf jeden Fall werden sich das Europäische Parlament und die EU-Kommission damit auseinandersetzen. Die Maßnahmen, die daraus folgen, sind nicht abzusehen. Die Initiatoren und Unterstützerorganisationen sind schon dabei, die Forderungen weiter zu konkretisieren. Nun droht die Liberalisierung aber schon wieder durch die Hintertür über das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, das derzeit verhandelt wird. Die Kommunen und die Wasserwirtschaft sind davon auch massiv betroffen. Unsere Umwelt- und Sozialstandards stehen dabei auf dem Spiel, denn nach der Absichtserklärung der Verhandlungspartner sollen alle Handelsbarrieren abgebaut werden. Bei den in den USA in der Bush-Ära massiv abgebauten Umweltgesetzen.
Clivia Conrad: Die Wasserwirtschaft ist aus der Konzessionsrichtlinie ausgenommen. Das ist das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission, Parlament und Ministerrat. Dieser Erfolg ist nur ein Etappenziel. Denn die Kommission wird neue Versuche starten, die Wasserwirtschaft zu liberalisieren. Sie will in der Richtlinie eine Revisionsklausel einbauen. Dem wollen wir mit der Bürgerinitiative dauerhaft einen Riegel vorschieben. Und die weiteren Ziele der Initiative - die Realisierung des Menschenrechts auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung - sind noch gar nicht behandelt
Welche Schritte wird «right2water» verfolgen, um den konkreten Forderungen der Initiative Nachdruck und Einfluss bei der Kommission zu verleihen?
Clivia Conrad: Wir arbeiten darauf hin, bis zum Ende der Unterschriftensammlung am 9. September 2013 EU-weit 2 Millionen Unterstützer_ innen zu finden, um mit besonderem Nachdruck in die Anhörung vor der Kommission gehen zu können. Wir werden sehr konkrete Vorschläge für die EU-Gesetzgebung machen, die das Menschenrecht auf Wasser vom Papier in die Realität bringen sollen und das öffentliche Gut Wasser dauerhaft schützen soll. Und wir werden die Stellungnahme der Kommission, die bis zum 13. Februar 2014 erfolgen muss, öffentlich beantworten. Die neue Bundesregierung wie die Kandidat_innen zur Europawahl im Mai 2014 werden sich unseren Forderungen stellen müssen. Wenn das nötig ist, werden wir eine Folgekampagne durchziehen.
Die Allianz für öffentliche Wasserwirtschaft ist Unterstützerorganisation bei right2water, und setzt sich auch besonders für den Schutz von Wasser als öffentlichem Gut ein. Welche Meilensteine müsste der Bund berücksichtigen, um den von AöW geforderten Zielen einen Rahmen zu geben?
Christa Hecht: Der Bund sollte Wasser als Gemeingut und das Menschenrecht auf sauberes Wasser und hygienische Sanitärversorgung im Grundgesetz absichern. Das ginge zum Beispiel durch Ergänzungen zu §1 und 2 und §20 a GG. Auch das Wasserhaushaltsgesetz müsste dahingehend ergänzt werden. Da die Daseinsvorsorge kommunale Aufgabe ist, sollte in den Gemeindeordnungen der Bundesländer die Wasserversorgung als Aufgabe der öffentlichen Hand festgeschrieben werden, so wie dies jetzt Baden-Württemberg regeln will. Die interkommunale Zusammenarbeit muss gefördert werden und nicht durch die Erhebung von Mehrwertsteuer auf sogenannte Beistandsleistungen der Kommunen untereinander noch erschwert werden, wie das aktuell der Fall ist. Dem Gewässerschutz und der Sicherstellung der qualitativ guten Wasserversorgung wie wir sie in Deutschland haben, muss Priorität vor anderen Interessen (wirtschaftliche, Energie usw.) eingeräumt werden. Das mussten wir bisher immer wieder anmahnen, ob es um Fracking oder CCS ging. Der Bund muss sich im EU-Ministerrat dafür stark machen, dass die EU-Kommission die Wasserwirtschaft endlich von ihrer Liberalisierungsagenda nimmt.
Wasserpolitik in Krisenzeiten - Staaten wie Griechenland oder Spanien sollen nur Finanzhilfen bekommen, wenn sie Teilprivatisierungen großer staatlicher Unternehmen zustimmen - wie lautet Ihre Einschätzung zu möglichen Alternativen?
Christa Hecht: Nach den Europäischen Verträgen darf kein Privatisierungszwang ausgeübt werden. Das haben wir auch gegenüber der EU-Kommission herausgestellt. In Thessaloniki sind einige Bürger_innen und Bürgermeister der umliegenden Kommunen dabei, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und bieten für die zur Privatisierung ausgeschriebene Wasserversorgung als Genossenschaft mit.
Gibt es nach der EBI durch die europaweite Vernetzung mit anderen Gewerkschaften weitere gemeinsame Ideen oder Pläne?
Clivia Conrad: Die europaweite Vernetzung der Gewerkschaften hat eine lange Tradition. Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) und der Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD), Koordinator der EBI right2water, haben schon in vielen Fragen die EU-Kommission und das Europäische Parlament (EP) beraten und vor Fehlentscheidungen gewarnt. Das ist nicht leider immer erfolgreich gewesen. Für geeignete Themen werden wir deshalb auch künftig das Instrument der EBI nutzen. Aktuell macht uns das Freihandelsabkommen EU - USA (TTIP) große Sorgen. Die Geheimverhandlungen, für die die Kommission mit einem sehr weitgehenden Verhandlungsmandat ausgestattet ist, könnten Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards und z.B. unseren Erfolg für das öffentliche Wasser gefährden. Wir mischen uns auch hier ein und fordern Sicherung unserer Standards sowie Transparenz und Beteiligung.