Fußballweltmeisterschaft in Südafrika - Was bleibt

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Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ist Geschichte.
Für einen winzigen Augenblick richtete sich der Blick wieder auf das Land am Kap, brachte dem ganzen Kontinent ein wenig Aufmerksamkeit, wenn auch nur oberflächlich und in Gestalt dieser unsäglichen on-Reporter(innen), die vorgaben, Wirklichkeit abzubilden.
Mein Freund Ivan sagte mir in jenen Tagen am Telefon: „Es ist verrückt. Und es ist schön, wieder dieses Gefühl zu haben, dass wir ein Volk sind, auch wenn es nicht über den Moment hinaus bleiben wird.“ Und, etwas später, als alles vorbei war: „Nun sind wir wieder im Alltag, ein Volk, das sich nur bei Großereignissen als eins empfindet.“
Ivan Vladislavic ist Schriftsteller, der literarisch bedeutsamste des Landes zudem, und doch ist er hierzulande nur einem kleinen Publikum bekannt. Die Medien berichteten, wenn sie neben ausführlichen Analysen und Kommentaren über die Fehlleistungen der Schiedsrichter, vuvuzela-Lärm oder die Wehwehchen der deutschen Kicker überhaupt die Zeit fanden, vornehmlich über Landschaft mit wilden Tieren und warfen ab und an einen kurzen Blick auf Armut und Überlebenskampf der unteren Schichten. Der übliche Blick, eurozentrisch, deutsch-national, von „inneren Reichsparteitagen“ geprägt – nicht, dass Dummheit in unserem Land geahndet würde.
In dem kleinen Bändchen mit dem Titel „Elf“, in dem Geschichten versammelt sind, die mehr oder weniger das Thema Fußball umkreisen, das ich im Juni im Rahmen einer Veranstaltung von „Weiterdenken“ einem ausgesucht kleinen Publikum vorstellen durfte, ist Ivan Vladislavic nicht vertreten. Das hat den Hintergrund, dass es vornehmlich darum ging, junge Autorinnen und Autoren vorzustellen, die die überaus lebendige südafrikanische Literatur bereichern. Sie kommen häufig aus dem Umfeld der Universitäten, in dem sich nicht nur ein Teil der englischsprachigen Literatur entwickelt, sondern seit dem demokratischen Wandel in Südafrika auch zunehmend die Literatur in Afrikaans und afrikanischen Sprachen wie isiXhosa, waPedi, seSotho oder isiZulu. Natürlich haben es diese Literaturen schwer. Zum einen sind rund 350 Jahre Unterdrückung nicht in eineinhalb Jahrzehnten aufzuarbeiten, zum anderen sind die Literaturverhältnisse des Landes historisch wie aktuell auf das Englische als Medium fixiert. In all diesen Sprachen sind spannende Entwicklungen zu beobachten: nach wie vor nimmt das gesprochene Wort eine dominante Stellung in der Literatur ein, doch hat es sich schon längst aus der Umklammerung der Tradition befreit. Performance-Dichter, spoken-word-poets, wohin man sieht, die zeitgenössische Formen aus Dub und Rap aufnehmen und so Neues schaffen – bis in die Textwelten von Kwaito, Rock und Pop hinein; eine Verbreiterung der Themen – Großstadt und das Leben in ihr, Frauen auf dem Weg zu Selbstbestimmtheit, Liebe und Sexualität, Themen, die zum Teil noch in der Apartheid tabuiert waren. Wichtig ist vor allem, dass die Dominanz des Politischen über das Ästhetische weggefallen ist – eine Befreiung auch der Literaturen. So vermag Literatur – und dafür steht zum Beispiel Ivan Vladislavic mit seinem Buch „Johannesburg. Insel aus Zufall“, was die oben angesprochenen Medien hierzulande nicht oder doch nur höchst selten vermögen: das hinter den Erscheinungen liegende Wesen der Dinge und Verhältnisse zu erfassen, die Oberfläche, das Äußere zu durchdringen. Insofern liefert Literatur immer ein mittelbares Abbild von Wirklichkeit, das der Leser erkennen und für sich zusammensetzen muss. Da es sich aber um ein höchst differenziertes und zudem sehr sinnliches Abbild handelt, sind die Erfahrungen aus der Literatur dann – ebenso vermittelt – eindringlicher und genauer als die aus den Schriften und Berichten von Journalisten oder Ethnologen.

Thomas Brückner, Leipzig, im Juli 2010

 

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Thomas Brückner, geb. 1957, studierte Afrikanistik, Kultur- und Literaturwissenschaft in Leipzig. Übersetzer, Privatdozent, Kulturvermittler und Rezitator. Gab die Antologie Habari gani, Afrika (1997) heraus und übersetzte die Kurzgeschichtesammlung Yizo Yizo. Er las am 2. Juni 2010 in der Schaubühne Lindenfels aus dem Buch "Elf", einerAnthologie junger südafrikanischer Autorinnen und Autoren.

 

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Dieser Abend war Teil einer kleinen Veranstaltungsreihe über Südafrika aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft der Männer. Neben dieser Lesung zeigten wir den Film »Fair Play« - eine Film-Dokumentation, die zeigt wie die globale Anti-Apartheid-Bewegung Sport als Plattform nutzen konnte, um zur internationalen Isolierung des Apartheidsregimes beizutragen und diskutierten mit der Ethnologin Rita Schäfer und dem Architekten Luyanda Mpahlwa.

Am 4., 5. und 6. Juni zeigte die Schaubühne Lindenfels die Produktion I SAID THE THINGS YOU TOLD ME NOT TO SAY von fringe ensemble. I SAID THE THINGS YOU TOLD ME NOT TO SAY präsentiert einzelne Lebensgeschichten von Menschen, die während des Apartheid- Regimes in Südafrika zu Opfern oder zu Tätern wurden. Dem Abend liegen dokumentarische Texte zugrunde, Aussagen von Tätern wie Opfern, die im Rahmen der Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission) von 1994 bis 1998 aufgezeichnet wurden.

Nach der Aufführung am 4. Juni diskutierten wir mit dem Regisseur Frank Heuel und Eva Range von der Initiative Südliches Afrika.