Heute bin ich glücklich, aber unzufrieden

Lesedauer: 16 Minuten

Ulrich Patzer, geb. 1937, Dipl. Geophysiker, 3 erwachsene Kinder, verheiratet

 

Ulrich Patzer war Gast bei einer öffentlichen Veranstaltung von Weiterdenken am 3. Juni 2009 im UT Connewitz in Leipzig unter dem Titel:

Umwelt und Widerstand

Umweltbewegungen in Leipzig und die Wende 1989

Das Interview führte die Journalistin Claudia Hempel (http://www.claudia-hempel.com/)

Das komplette Interview kann hier nachgelesen werden (pdf-Datei, 66 kB).

 

Auszüge aus dem Interview:

Wo waren Sie am 9. November 1989, am Tag der Maueröffnung?

Da war ich gerade krank. Ich hatte eine Grippe und habe das Ganze am Fernseher verfolgt. Das war Irrsinn. Da habe ich gedacht, da musst du sofort hin. Da musst du mit dem Fahrrad rüber. Ich wollte das einfach mal sehen.

Durften Sie vorher schon in den Westen reisen?

Ja, zum 80.Geburtstag meiner Mutter, das war 1989. Da durften meine Frau und ich rüber fahren und wir sind dann dort ein bisschen rumgetourt. Wir waren auch im Rheinland und haben ein bisschen geschnuppert. Aber wir konnten uns beide nicht vorstellen, dort zu bleiben.

 

Ulrich Patzer, Leipzig im Interview

 

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Sie sind in den Anfangsjahren der DDR zur Schule gegangen. Wie war das für Sie?

Ich bin noch im 3. Reich – im heutigen Polen – eingeschult wurden. Das ging aber gar nicht richtig los, denn da kam auch schon die Umbruchzeit. Da kam der große Treck. Wir sind auch umgesiedelt und sind in die Heimat meines Vaters nach Thüringen gegangen.

Und die Schulzeit in Thüringen?

Die zweite Klasse habe ich gar nicht mitgemacht, sondern ich bin gleich dort in die 3.Klasse gekommen. Das war eine richtige Dorfschule, das war ein Gemeinschaftsunterricht für mehrere Jahrgänge. Ich hatte es schwer, weil ich eben kein Arbeiterkind war. Das war schon deutlich zu spüren. Ich musste mir später erst mit einer Eingabe an den Staatspräsidenten Wilhelm Pieck den Besuch der Oberschule erkämpfen, weil ich auch ein bisschen renitent war. Ich war nicht in der Pionierorganisation. Doch ich wollte unbedingt Abitur machen und studieren.

Es scheint, als haben Sie viele Menschen gekannt, die in den Westen gegangen sind.

Ja, allerdings die meisten, bevor die Mauer gebaut wurde. Das waren 3 Millionen, die die DDR verlassen haben. Jeder 6. ist da weg. Das war ja, wie auf einem Artilleriegelände, wo die Einschläge kommen. Ständig hat man gehört, der und der – ach den kennst du ja auch – der ist jetzt in den Westen gegangen. Und plötzlich passierte es in der näheren Verwandtschaft. So wurden die Einschläge immer dichter und da haben wir uns gedacht, so kann das ja nicht weiter gehen. Da muss irgendwas passieren. Irgendwann, als ich gerade im Urlaub war, da hörte ich, dass „der antifaschistische Schutzwall“ gebaut worden sei. Das hat mich ganz schön stark getroffen.

Haben Sie damals daran gedacht, die DDR zu verlassen?

Es waren sehr pragmatische Gründe, die mich in der DDR gehalten haben. In den 50er Jahren habe ich gerade studiert. Da habe ich mir gesagt, jetzt machst du erst einmal das Studium fertig, denn wenn du jetzt rüber gehst, musst du Studiengebühren bezahlen, woher willst du die nehmen? Hier hatte ich mein Stipendium und mein Auskommen. Und deswegen bin ich hier geblieben. Tja und nach dem Mauerbau bin ich nicht mehr gefragt wurden, ob ich abhauen will oder nicht. Das heißt, später wollte ich auch nicht mehr weg. In den Vorwendezeiten bin ich auch erst auf den Nikolaikirchhof gegangen, als die Rufe kamen: Wir bleiben hier. – Und nicht die Rufe: Wir wollen raus.

Das Friedensgebet und alles drum herum, das ist ja auch von denen, die abhauen wollten, instrumentalisiert wurden. Das wird ihnen ja von manchen kirchlichen Kreisen heute noch ein bisschen übel genommen – und wie ich finde, zu Recht – dass sie das benutzt haben, um auf sich aufmerksam zu machen, damit sie möglichst bald rauskommen. Ich habe mir gesagt, wenn dem Staat die Jugend wegrennt, dann hat er sowieso keine Chance mehr. Da muss sich etwas ändern und wir bleiben hier.

Hat der Sozialismus für Sie versagt?

Teilweise schon. Aber bis in die 70er Jahre hat man irgendwie noch gedacht, wir sind die bessere Gesellschaftsordnung und wir müssen einfach durch eine Talsohle durch, aber dann geht es uns besser, als im Kapitalismus, wo die Menschen ja ausgebeutet werden. Doch leider verknöcherte das System immer mehr. Heute sage ich: Ich bin DDR-geschädigt.

Was meinen Sie damit?

Nun ohne Anpassung ging es eben nicht. Ich bin zum Beispiel in die FDJ gegangen, obwohl ich nicht dahinter stand. Und ich bin auch in der DSF gewesen und in der Gewerkschaft. Nun ja, das war ja etwas Normales, obwohl auch die Gewerkschaft sehr politisch ausgerichtet gewesen ist. Das ist meine Form der Anpassung gewesen, damit ich hier einen ordentlichen Beruf ergreifen konnte. Sonst hätte ich diese Möglichkeiten nicht gehabt. Ich habe nicht schlecht gelebt in der DDR und es gab auch interessante und spannende Sachen, gerade durch meine Arbeit, die ich gehabt habe, aber es gab immer wieder Situationen, wo man sich verbiegen musste. Die meisten haben sich da nichts daraus gemacht. Mich aber hat das schon immer sehr gekränkt.

War es schwer, einen Studienplatz zu bekommen?

Als ich studieren wollte, hatte ich genau dasselbe Problem, wie in der Schule schon. Ich hatte den Makel, kein Arbeiterkind zu sein. Das fiel gerade in die Zeit, wo die Armee Soldaten brauchte und das hatten sie uns schon in der Schule klar gemacht. Wer nicht zur Armee geht, kriegt keinen Studienplatz. Ich habe mich dann für einen zweijährigen Dienst entschieden. Zunächst war das noch die kasernierte Volkspolizei und während dieser zwei Jahre wurde das zur nationalen Volksarmee. Die zwei Jahre habe ich ganz vernünftig rumgebracht. Ich habe dort viel Musik gemacht. Wir haben dort ein kleines Orchester aufgebaut, einen Chor gegründet und ich habe mich da kulturell heftig betätigt. Ich war erst ein halbes Jahr auf einer Unteroffiziersschule und als ich dann Unteroffizier war, habe ich mich im kulturellen Bereich betätigt und brauchte deshalb den normalen Soldatendienst nur sehr eingeschränkt machen. Aber auch das war wieder ein Tribut an diesen Staat DDR.

Was waren die Momente, die Sie in der DDR politisiert haben?

Die größte Desillusion kam natürlich mit dem Einmarsch der Truppen in die Tschechoslowakei. Das hat uns natürlich einen unheimlichen Dämpfer gegeben. Allgemein. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass man sich gesagt hat, dieses System hat keine Chance mehr. Es ist in dieser Art nicht zukunftsfähig. Ich habe ja in der Forschung gearbeitet und als der Einmarsch stattfand war ich gerade auf einer internationalen Tagung in Budapest und da gab es ein Festessen und da standen die Fähnchen aller RGW-Länder und jeder, der an unserem Tisch vorbei kam, der hat uns ganz grimmig angeguckt, denn für diese Leute dort waren wir die Inkarnation der Besatzer, die dort einmarschiert waren. Diese Blicke, diese Stimmung dort, die werde ich nie vergessen. Natürlich waren wir nun als Forscher nicht schuldig daran, aber es war auch verständlich, dass die Wut hatten. Es waren ja keine Feinde, die dort einmarschiert sind, sondern es waren die Bruderländer. Mein Glaube an die Reformierbarkeit des Systems ging schon eher baden, aber die Niederschlagung des Prager Frühlings war schon eine echte Zäsur.

Wie war die Stimmung innerhalb Ihres Betriebs?

Ich bin eigentlich immer ein bisschen renitent gewesen und habe mich nie mit den Parolen abgefunden, sondern habe immer versucht nachzustoßen: Warum ist das so? Und warum ist das nicht so? Es wurde ja immer von der sozialistischen Demokratie gesprochen. Und mir ging es darum, die Möglichkeiten der sozialistischen Demokratie auszureizen. Zum Beispiel gab es in unserem Betrieb Gewerkschaftswahlen. Die liefen nach amerikanischem Muster. Es wurden Wahlmänner gewählt. Und das verhielt sich umgekehrt proportional zur Anzahl der Genossen in den verschiedenen Bereichen. In den Bereichen, wo viele Genossen waren, gab es wenige Wahlmänner und den Bereichen, wo eher traditionelle Arbeiter ohne Parteibindung waren, da gab es plötzlich 20-30 Wahlmänner oder Frauen. Dagegen habe ich opponiert. Das war nicht einfach, aber immerhin habe ich erreicht, dass eine Wahl annulliert werden musste. Ja, die anderen haben da einfach mitgemacht und haben sich nicht weiter darum gekümmert. Mir gefiel das nicht. Das widerspricht meinem Gerechtigkeitssinn.

Gab es andere Dinge, die Sie unzufrieden gemacht haben?

Was mich persönlich sehr bewegt hat, war dieser Raubbau an der Natur, der betrieben wurde, damit das Ganze überhaupt noch existiert hat. Alles, was über Jahrtausende gewachsen ist, wurde systematisch zerstört. Unsere Flüsse waren ja bloß noch Abwasserkanäle. Auch die Luft war verseucht. Wenn man ans Fenster ging, lag da immer eine dicke Staubschicht. Wir haben ja auch keinen weißen Schnee mehr kennen gelernt. Wenn es hier in Leipzig geschneit hat, dann war der Schnee in kurzer Zeit grau oder schwarz. In den 70er Jahren wurde die Umwelt mehr und mehr öffentliches Thema. In den Gesprächen im Kollegen- und Bekanntenkreis wurde klar, dass wir auf Verschleiß fahren. Und für mich war es schon immer wichtig, daran zu denken, dass es nicht nur mir gut geht, sondern auch meinen Kindern und Enkelkindern. Das war sozusagen eine Triebfeder, dass ich gesehen habe, so geht es nicht weiter. Ich muss etwas tun.

Und Sie wollten aktiv etwas dagegen tun?

Ja, unbedingt. Deshalb war ich auch Mitglied in der ersten Umweltgruppe, die es in Leipzig überhaupt gab.

Wie kam Ihr Kontakt zur Umweltgruppe zustande?

Ich bin eigentlich von meiner Zahnärztin angesprochen wurden. Wir kannten uns persönlich, weil ein Sohn von ihr bei meiner Frau Cello-Unterricht gehabt hat. Ich saß da auf dem Zahnarztstuhl und sie hat gebohrt und plötzlich sagte sie zu mir: Wir sind gerade dabei eine Umweltgruppe zu gründen. Willst du da nicht mitmachen?

Was haben Sie in der Umweltgruppe gemacht?

Ach das waren viele Aktionen. Wir haben eine Schuttkippe aus dem Zweiten WK, den sogenannten Fockeberg, neu bepflanzt. Die sah ganz wüst aus und wir haben uns Bäume und Sträucher besorgt und haben diese Kippe bepflanzt. Mit dem Wohlwollen der staatlichen Stellen. Das haben sie gern gesehen, dass man etwas macht, was vergleichsweise unpolitisch war. Das war auch gar nicht so einfach, in diese Steinwüste die Löcher zu machen und überhaupt Erde zu finden, damit das anwachsen kann. Jetzt ist das inzwischen eine grüne Oase geworden.

Mittlerweile sind Sie zum Experten für Radverkehr geworden.

Ich hatte mich schon früh intensiv mit dem Radverkehr beschäftigt und bin so immer mehr in das Thema reingeschlittert. Als 1987 das erste Zusammentreffen der Leipziger Umweltgruppen war, das waren inzwischen ungefähr ein Dutzend geworden, da wurde überlegt, welches Thema können wir denn gemeinsam auf unsere Agenda setzen. Wir haben erst einmal nicht ein eindeutig politisches Thema gewählt, wie Atompolitik oder Umweltverschmutzung, wir haben uns dann für den Radverkehr entschieden. Und da die Gruppe Leipzig Süd schon einmal in dieser Hinsicht etwas gemacht hatte, waren wir die Verantwortlichen.

Mit welchem Ergebnis?

Wir haben zur Situation des Radverkehrs eine dicke Broschüre von 375 Seiten verfasst. Da ist das Thema komplett behandelt wurden. Radverkehr in der DDR. Da ist auch die aktuelle Fachliteratur ausgewertet wurden. Dazu bin ich in die Deutsche Bücherei gegangen, denn nur dort konnte man die westliche Fachliteratur einsehen. Daraus ist eine Zustandsanalyse entstanden. Diese AG ist dann zur Sektion Radlerfreunde im Ökolöwen geworden. Der Ökolöwe war sehr flott, der hat sich ja als lokale Umweltorganisation sehr schnell gegründet und da war ich auch bei der Gründungsveranstaltung mit dabei.

Wir haben auch sehr schnell Kontakt zum Bundesverband gekriegt und der Bundesvorsitzende ist zu uns gekommen und hat uns einiges gezeigt. Er ist aber nicht als Besserwessi aufgetreten, sondern hat sehr vernünftig mit uns diskutiert, welche Ressourcen man bündeln kann und wie es ist, wenn man deutschlandweit vernetzt agiert. Im Mai 1990 haben wir den ADFC Leipzig gegründet, allerdings gab es noch eine lange Zeit, ich glaube zwei Jahre, Doppelmitgliedschaften bei den Ökolöwen und im ADFC-Kreisverband. Jetzt sind wir ADFC-Leipzig e.V.

Fühlten Sie sich von der Schnelligkeit der Ereignisse überrollt?

Nun ja, kurz nach der Wahl war ja erst einmal Ruhe. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Was wir wollten war die Reform des Systems. Wir wollten einen anderen Sozialismus aufbauen. Oder eine andere DDR. Ein Land, welches nicht kapitalistisch geprägt ist. Deswegen war ich auch entsetzt, als die Rufe: „Wir sind das Volk!“ in „Wir sind ein Volk!“ wechselten. Und als dann die Menschen mit Transparenten ankamen, wo draufstand „Deutschland einig Vaterland“ – da war ich entsetzt. Das wollten wir gar nicht. Das war aber leider die zwangsläufige Entwicklung. Die Menschen wollten die Kohle und deswegen haben sie Kohl gewählt.

Wäre die reformierte DDR, rückblickend gesehen, die große Chance gewesen?

Es war klar geworden, dass ein eigenständiger Weg nicht möglich ist, dass man in dieser Hinsicht Utopist ist. Deshalb muss man sehen, was man mit dem, was möglich ist, anfängt und da war das eine Chance. Natürlich sind viele Chancen vertan wurden. Wobei ich mich heute frage: Welche Chancen wären denn real gewesen? Was mich beunruhigt ist, dass nach wie vor die Natur zerstört wird, es verschwinden täglich soundsoviele Tier- und Pflanzenarten von der Welt. Das Thema Klimawandel ist ja überhaupt noch nicht in den Köpfen angekommen. Das ist im Moment bei den Wissenschaftlern und das will keiner hören, weil da Verhaltensänderungen damit verbunden sind. Und wer die einfordert, der wird nicht wieder gewählt, das heißt, die Gesellschaft, so, wie sie jetzt ist, die ist auch dringend reformierungsbedürftig. Denn so, wie sie jetzt ist, ist sie meiner Meinung nach nicht überlebensfähig. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Die Schere zwischen Nord und Süd schließt sich nicht. Das sind doch alles Voraussetzungen, damit diese Gesellschaft auch in den nächsten Jahrhunderten auch noch eine Chance hat.

Also bleibt Desillusion?

Ach, eher das Machbare sehen. Das betrifft auch Fragen des Umweltschutzes. Da gibt es ja die Fundis und die Realos. Die Ideen der Fundis sind das, was eigentlich für die Nachhaltigkeit und für die Zukunft dieser Gesellschaft angemessen ist, aber das sind zum Großteil Dinge, die heutzutage nicht durchsetzbar sind, weil die Bewusstseinsbildung der Gesellschaft leider nicht so ausgereift ist. Und insofern bin ich ein Stink-Realo. Ich bescheide mich mit dem, was machbar ist und versuche das umzusetzen. Diese Fundi-Ideen, die sind wunderschön und die sind meistens auch sehr sauber in der Argumentation. Aber wenn die Menschen sagen, vom Gras werden die Menschen nicht satt, wir müssen uns um Arbeitsplätze kümmern, das ist ja immer so das schöne Totschlagargument – da kann ich nichts dagegen setzen, von daher bin ich Realo.

Würden sie sich heutzutage politisch als links bezeichnen?

Ja. Ich bin links. Ich habe auch schon 1990 auf der Liste des Stadtrats für DIE GRÜNEN kandidiert. Und habe jetzt auch bei der letzten Stadtratswahl auf der Liste der Grünen gestanden. Aber nicht als Mitglied. Das war nur eine pro Forma Geschichte. Ich habe mit dem Fahrradclub verdammt viel zu tun, da hat man keine Zeit mehr für ein politisches Amt, beides kann man nicht wahrnehmen. Deshalb habe ich mir die letzten beiden Male ausbedungen, einen Listenplatz zu kriegen, wo ich garantiert keine Chance auf einen Sitz im Stadtrat habe. Aber weil ich eben ein bisschen bekannt bin, war die Idee, dass ich ein paar grüne Stimmen einfange. Das ist mir auch gelungen. Ich war immer auf Listenplatz 8 oder 9, bei der Anzahl der Stimmen lag ich aber ungefähr an 4.Stelle. Das war mein Ansinnen.

Ich bin der Meinung auch die grüne Partei hat ihre Probleme, aber es sind die einzigen, die wirklich versuchen, nachhaltig zu denken. Die Linke ist ja auch noch relativ ökologisch orientiert, deutlich mehr, als alle anderen etablierten Parteien. Aber mit den Linken habe ich so meine Probleme. Ich arbeite mit denen in den Sachfragen gern zusammen, weil ich diese ökologischen Themen voran bringen will, aber da die doch die Nachfolge eines Systems sind, was mir nicht so gefallen hat, habe ich damit meine Probleme. Ich sage immer: Ich bin DDR-geschädigt, aber nur mäßig.

Und welches Gesellschaftsmodell wünschen Sie sich?

Das Schlimme ist ja, der Sozialismus hat gezeigt, dass er so nicht geht. Er hat sich zu sehr verselbstständigt. Und der Kapitalismus ist aus den genannten Gründen so nicht überlebensfähig. Die Demokratie ist eine hohe Errungenschaft, aber so wie sie ist, funktioniert sie auch nicht gut. Das Blöde ist bloß, ich kenne kein Modell, wo ich sagen könnte: So müssen wir es machen. Das ist besser.

Insofern bin ich schon glücklich mit dem, was passiert ist, aber trotzdem unzufrieden.