Die Erneuerbare Kommune - auf dem Weg zu 100% Ökologische, ökonomische und soziale Effekte Chancen und Herausforderungen in Sachsen

Lesedauer: 6 Minuten

Energieautarke Kommunen in Sachsen

Die Weltgemeinschaft steht derzeit vor einer Ihrer größten Herausforderungen. Für einen wirksamen Klimaschutz müssen die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden. Da dies den Ausstieg aus fossiler Energieerzeugung erforderlich macht, muss Deutschland so schnell wie möglich auf dem Pfad der erneuerbaren Energien vorankommen. Eine tragende Rolle spielen dabei die Kommunen und Landkreise, denn Energie wird dort nicht nur verbraucht, sondern kann auch maßgeblich erzeugt werden. Zahlreiche Studien gehen davon aus, dass der Energiebedarf vieler Regionen bereits in naher Zukunft bilanziell durch regenerative Energieerzeugung gedeckt werden kann.

Der Weg zu einer solchen 100-Prozent-Kommune bietet nicht nur ökologische Vorteile: Zusätzlich werden die regionale Wertschöpfung gestärkt, Arbeitsplätze geschaffen und bei Eigenerzeugung sogar Gewinne erwirtschaftet.

Weiterdenken veranstaltete in Kooperation mit der Sächsischen Energieagentur eine Exkursion nach Colditz/Zschadraß, wo bereits seit dem Jahr 2000 dieser vielschichtige Ansatz verfolgt wird und bis 2050 der Energiebedarf vollständig durch Erneuerbare abgedeckt werden soll.

Über 70 Menschen aus ganz Sachsen, darunter SchülerInnen, StudentInnen, Fachangestellte, Bürgermeister, UnternehmerInnen und WissenschaftlerInnen nutzten die Gelegenheit, um sich vor Ort über Ziele, Maßnahmen und Problemstellungen zu informieren.

 

 
 
Bild entfernt.

Einführung

Nach dem einführenden Film „Neue Energie in Bürgerhand“ stellte Bürgermeister Matthias Schmiedel die bisherigen Erfolge dar: Bereits jetzt werden bilanziell über 100% des Strombedarfs und 35% des gesamten Energiebedarfs im Gemeindegebiet aus erneuerbaren Energien gewonnen. Ein wichtiges Instrument für die Finanzierung von Vorhaben ist die 2004 mit Unterstützung von Werner Nold gegründete Ökologisch-Soziale Stiftung Zschadraß. Durch die Mittel der Stiftung konnten auf den meisten öffentlichen Gebäuden – Schulen, Kindergärten, Feuerwehren und Verwaltungsgebäuden – Photovoltaikanlagen errichtet werden. Bei einer Gesamtleistung von 130 kWp gewinnt die Gemeinde jährlich knapp 100.000 kWh Sonnenstrom. Die daraus resultierenden Gewinne, immerhin 17.000 Euro, fließen wiederum vornehmlich in soziale Projekte. So werden z.B. das Schulessen für Kinder aus einkommensschwachen Familien, ein Ferienlager im Sommer und der Gemeindefahrdienst für Ältere und Vereine – selbstverständlich mit drei Bussen auf Pflanzenölbasis – finanziert. In Zukunft sollen auch die KiTa-Plätze für alle Gemeindebürger kostenlos sein – wiederum finanziert durch die Nutzung Erneuerbarer Energien. 

 
 
Bild entfernt.

Rundfahrt

Die erste Station der Führung durch Tino Stenzel, Geschäftsführer des Vereins Ländliches Leben e.V., war die Turnhalle im Orsteil Hausdorf. Da durch die Jahrhundertflut 2002 eine Turnhalle zerstört worden war und der Gemeindeverwaltung Mittel für eine Ersatzbaumaßnahme bewilligt wurden, beschloss man die einmalige Chance zu nutzen und baute die erste CO2-neutrale Turnhalle in Sachsen. Gegenüber den üblichen Baustandards benötigt sie rund zwei Drittel weniger Energie für Beleuchtung und Heizung. Die Kombination aus innovativer Gebäudeform, lichtdurchlässigen Baustoffen und Wärmerückgewinnung erleichtert es, mittels Röhrenkollektoren das Brauchwasser zu erwärmen und die Heizung zu unterstützen. 

 
 
Bild entfernt.

Den Strom für Beleuchtung, Pumpen und Lüftung liefert eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 17,1 kWp. Durch eine günstige Standortwahl konnte man gleichzeitig mit dem Neubau die Heizung im Keller der angrenzenden Schule auf die Verbrennung von Holzhackschnitzeln umrüsten. Seitdem werden mittels eines Nähwärmeversorgungsnetzes nicht nur die Schule und die Turnhalle, sondern auch ein Kindergarten, ein Hort, die Gemeindeverwaltung, die Sportlergaststätte, die Bowlingbahn sowie das Vereinsheim durch Biomasse beheizt. Dabei begünstigen die unterschiedlichen Nutzungszeiten der verschiedenen Einrichtungen eine niedrige Kapazität der Heizung bei gleichzeitig hoher Auslastung. 

 
 
Bild entfernt.

Die Versorgung der Heizung wird durch Holzhackschnitzel aus der Region sichergestellt. Die zweite Station der Exkursion führte uns zum Biomassehof im Ortsteil Raschütz. Musste das Brennmaterial in den ersten Jahren noch von Unternehmen aus einem Umkreis von 30 Kilometern bezogen werden, bieten inzwischen verschiedene Einrichtungen, Firmen und Bürger abzuholzende Bäume an. Zusätzlich pflanzt der größte landwirtschaftliche Betrieb der Gemeinde auf einer Fläche von zehn Hektar schnell wachsende Gehölze an. Die feuchten Hackschnitzel werden innerhalb von fünf bis zehn Wochen mittels eines gemeinsam mit der TU Dresden entwickelten Verfahrens („Dombelüftung“) auf unter 30 Prozent Restfeuchte getrocknet. Die Gebäude des Betriebshofes, der angrenzenden Freiwilligen Feuerwehr sowie einer Landhandelseinrichtung werden durch einen weiteren Hackschnitzelofen mit 50kw Leistung beheizt.

 
 
Bild entfernt.

Die Anlage ist darüber hinaus für die Verbrennung von Miscanthus geeignet, der in Zukunft auf fünf Hektar angebaut werden soll. 

 
 
Bild entfernt.

In der Nähe des Biomassehofes, im Ortsteil Bockwitz, dreht sich seit Oktober 2009 eine Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von 138 m, die bis zu  2,2 MWh Strom ins Netz einspeist. Die 3,2 Millionen Euro teure Anlage wurde maßgeblich durch einen Bürger der Gemeinde finanziert, der bereits drei weitere Windräder in direkter Nachbarschaft betreibt. Die Gemeinde selbst ist indirekt über die Öko-Soziale Stiftung und den Verein Ländliches Leben e.V. mit 20% beteiligt. 

 
 

Die letzte Station der Exkursion führte die Teilnehmer in das Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie im Ortsteil Zschadraß. Auch hier steht mittlerweile eine Biomasse-Heizanlage inklusive Nahwärmenetz mit einer Leistung von 1 MW. 

 
 
Bild entfernt.

Diskussionsrunde

An der abschließenden Diskussionsrunde nahmen teil:

  • Matthias Schmiedel, Bürgermeister der Stadt Colditz
  • Denise Pielniok, Sächsische Energieagentur - SAENA GmbH
  • Dr. Bernd Wolters, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Referat Energiepolitik
  • Uwe Hergert, Energiebeauftragter Landratsamt Vogtlandkreis
  • Dietrich Papsch, Vorsitzender Energietisch Altenberg e.V.
  • Dr. Heiko Rüppel, deENet

Moderation: Stefan Schönfelder, Weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen e.V.

 

Im Zentrum der Diskussion stand die Überzeugung, dass für eine erfolgreiche Umsetzung von 100%-Strategien die Bürger einbezogen werden müssen. So sollte so früh wie möglich ein transparenter Fahrplan zur Diskussion gestellt werden, um Konfrontationen zu vermeiden und bereits vor der Umsetzung die Bürger zu überzeugen. Dabei endet die Beteiligung der Bürger nicht bei der Planung, sondern auch bei der Umsetzung sollte auf die Ressourcen der Menschen vor Ort zurückgegriffen werden. Nur wenn deutlich wird, dass alle gemeinsam durch die Nutzung der Erneuerbaren profitieren, würde auch eine allgemeine Akzeptanz für schwierige Entscheidungen möglich sein. Eine besondere Form der Beteiligung stellen dabei Bürgerfonds dar, da die Menschen hierbei eine nachhaltige sowie profitable Anlageform für ihr Geld wählen und gleichzeitig der Gemeinde helfen könnten.

Die Exkursionsteilnehmer und Referenten waren sich darin einig, dass die Gemeinde Zschadraß/Colditz auf vorbildliche Weise zeigt, wie ökologisch notwendige Schritte mit ökonomischer Rentabilität und sozialer Teilhabe verbunden werden können.