Campustour 2010 - Studentisches Engagement in der Bologna-Hochschule

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Die Hochschulen und die Studienbedingungen haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Alles scheint im Umbruch und Studierende müssen sich nicht selten durch ein Reformdickicht von modularisierten Studiengängen, überfrachteten Stundenplänen und unausgegorenen Prüfungsordnungen schlagen. Die Beschäftigungsfähigkeit der AbsolventInnen, die so genannte »Employability«, ist in der deutschen Bologna-Debatte zu mit zu einem Kernziel der Studienreform stilisiert worden, obgleich es in den offiziellen Dokumenten auf EU- und Länderebene eher beiläufig erwähnt wird. Mit diesem Ziel wird die Ausbildungsdimension des Studiums gestärkt, es soll berufsrelevantes und praxisnahes Wissen vermitteln. Mehr als zuvor wird allseits gefordert, dass Studierende Praktika absolvieren und Schlüsselkompetenzen erwerben: Fremdsprachen, interkulturelle Kompetenzen, Teamfähigkeit, konstruktives Konfliktverhalten und Fähigkeit zur Weiterbildung, eben alles, was sie in der modernen Arbeitswelt brauchen.

Dazu passt, dass Hochschulen und Fachbereichsleitungen verstärkt Gelegenheits- und Anerkennungsstrukturen für das soziale und politische Engagement von Studierenden bereitstellen. Denn allgemein wird angenommen, dass im freiwilligen Engagement Schlüssel- und auch Fachkompetenzen erworben und vertieft werden. Insofern sehen auch viele zukünftige ArbeitgeberInnen darin »Pluspunkte«, wodurch engagierte Studierende aus der Masse der BewerberInnen heraus stechen.

Nicht wenige Studierende würden sich in der Tat auch gerne sozial engagieren, d.h. sich beispielsweise (hochschul)politisch einbringen, an kulturellen Projekten mitarbeiten oder im engsten Sinne gemeinnützig tätig werden.

Die Gründe für das individuelle Engagement sind vielfältig. Es zählen sowohl utilitaristische Gründe, um eventuell besser in die Einstellungsraster zu passen oder aus Altruismus, um etwas zu bewegen und andere mit den eigenen Fähigkeiten zu unterstützen. In der Studie »Studium- und darüber hinaus?« geben 51% der befragten Studierenden an, sie sähen für sich durch soziales Engagement bessere Chancen im Berufsleben, 53% halten soziales Engagement für einen guten Weg zur Weiterqualifizierung und 43% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass bestimmte Themen so wichtig seien, dass sie sich einfach engagieren müssen. (Lars Fischer (2006): »Studium- und darüber hinaus? Gesellschaftliches Engagement«, HISBUS Kurzinformation Nr. 15)

Dennoch ist das soziale Engagement rückläufig und es gibt Anzeichen dafür, dass diese mit der Studienstrukturreform zu tun haben könnten. Denn das »neue Studieren« stellt hohe Anforderungen an das Zeitmanagement der Studierenden und sie müssen sich an enge, strenge Studien- und Prüfungsordnungen halten. Die angestiegene Zahl der Prüfungsleistungen und die erhöhte Zahl der Semesterwochenstunden mit Präsenzpflicht führen häufig zu einer »Vollzeit«-Arbeitsbelastung. Nach neusten Erhebungen müssen aber 66% aller Bacholor-Studierenden zusätzlich für ihren Lebensunterhalt jobben gehen. Die Kritik vieler Studierenden richtet sich gegen die unausgewogene Berechnung des sogenannten »Workloads«, in dem weder die notwendige Erwerbstätigkeit noch bspw. familiäre Verpflichtungen von Studierenden berücksichtigt worden seien. Für soziales Engagement scheint es also in dem zunehmend verschulten System tatsächlich kaum zeitliche Kapazitäten zu geben.

Nicht nur das Wegbrechen von Engagement außerhalb der Hochschulen ist problematisch, auch in den studentischen Selbstvertretungsorganisationen wie die StudentInnenräte oder Fachschaften mangelt es an Nachwuchs. Ämter bleiben unbesetzt, die wenigen Engagierten werden schnell vom Arbeitspensum überfordert. Unterbesetzte Gremien schmälern aber massiv die Einflussmöglichkeiten der Studierendenschaft an den Hochschulen.

Es scheint notwendig, neue Formen und Anreize zu finden, um Engagement als wichtiges Element in der Studienzeit zu verankern. Nicht zuletzt, um die positiven Erfahrungen aus gemeinnützigem, künstlerischem oder eben auch politischem Engagement möglichst vielen Studierenden zu ermöglichen.

Engagement anerkennen – aber wie?



Soziales Engagement im Kontext von freiwilliger, ehrenamtlicher und gemeinnütziger Arbeit braucht Freiräume, um sich entwickeln und verstetigen zu können. Verschiedene Modelle werden debattiert, die versuchen »Credit-Kampf« und soziales Engagement miteinander vereinbar werden zu lassen. So gibt es für engagierte Studierende »Sabbatical«-Semester« oder »Gremiensemestern«, reguläre Credit-Points und »Social-Credits« als Zusatz im Abschlusszeugnis sowie Aufwandsentschädigungen und geringfügige Vergütungen.

Diese Formen der Anerkennung für studentisches Engagement werden von BeobachterInnen und engagierten Studierenden selber teilweise sehr kritisch gesehen. Einige sehen besonders den Charakter der Freiwilligkeit von Engagement in Gefahr, wenn es quasi institutionalisiert vorgeschrieben wird. Zudem wird darüber gestritten, welche Art von Engagement als »gemeinwohlorientiert« und »sozial« bzw. »politisch« von welcher Instanz anerkannt wird. Studentisches Engagement äußert sich oftmals auch in kritischer und widerstandsfähiger Praxis. Die Frage ist, ob Hochschul- und Fachbereichsleitungen diese Art von Engagement auch mit Credit Points oder ähnlichem würdigen oder eben nur das »brave« und konfliktarme Engagement.

Manche verbinden mit diesen Konzepten auch die fortschreitende Ökonomisierung der Hochschulen. Tatsächlich scheint es fast paradox, wenn es zukünftig heißen sollte: Engagement ja- aber nur gegen »Belohnung«. Andererseits finden diese Modelle der Anerkennung gerade in angelsächsisch geprägten Hochschulen schon lange Anwendung und dort hat sich ein breites, einfach zugängliches Spektrum an sozialen Aktivitäten im Studium etabliert.

Die Debatte, wie und ob freiwilliges Engagement honoriert und vergütet werden soll, ist eine Debatte, die schon seit einigen Jahren heftig geführt wird. Für den Bereich des studentischen Engagements gibt es (auch) hier nicht nur die eine richtige Lösung. Hochschul- und Fachbereichsleitungen sollten zusammen mit Studierenden in paritätisch besetzten Gremien überlegen und entscheiden, welches Engagement sie würdigen wollen und auch welche Art. Wichtig ist, dass man transparent darstellt, warum Engagement gefördert wird – und damit auch, welche programmatischen Konzepte von Hochschul(aus)bildung und Hochschule in der Gesellschaft überhaupt dahinter stecken.

Kathrin Bastet/ Stefanie Groll

 

 

Wie auch im letzten Jahr, beteiligt sich Weiterdenken wieder an der bundesweiten Campustour der Böll Stiftungen. Die Tour wendet sich mit ihren Veranstaltungen an Studierende und Lehrende, die Hochschulen nicht als reine Ausbildungsbetriebe betrachten, sondern auch als Arena der politischen Debatte, als Orte, an denen Gesellschaft über sich selbst und ihre Zukunft nachdenkt. 2010 stehen vor allem der so genannte Bologna-Prozess und seine Auswirkungen auf die deutsche Hochschullandschaft im Mittelpunkt. Das Mammut-Reformprojekt hat nun über ein Jahrzehnt gewirkt und zielte auf eine Internationalisierung der Hochschulen, die Förderung von Mobilität und bessere Vergleichbarkeit von Studium und Abschlüssen ab. Nicht zuletzt der vielfältige studentische Protest der letzten Jahre hat gezeigt: Die Umsetzung ist vielerorts missglückt und Studierende wollen und sollten mitsprechen, wenn es darum geht, Hochschulen neu zu gestalten.

Im Mai haben wir unter dem Titel »Studium statt Engagement? Studierenden zwischen Credit -Kampf und Ehrenamt« an der TU Dresden über Status quo und Zukunft des studentischen Engagements in Bologna- Zeiten diskutiert. Unsere Gäste waren Dr. Karl-Heinz Gerstenberg (MdL Sachsen, hochschulpolitischer Sprecher und Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Bündnis90/Die Grünen), Michael Moschke (Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften) und Prof. Dr. Gabriele Hanig (Studienfachberaterin Romanistik).

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