von Dr. Gudrun Heinrich
Koalitionen sind die zentrale Form, in der sich Regierungen in der Bundesrepublik bilden. Koalitionsregierungen entsprechen der Struktur des bundesdeutschen Parteiensystems und tragen dem Wunsch nach gemäßigten Regierungen in der Bundesrepublik Rechnung. Gleichzeitig verlieren die ehemals dominanten Volksparteien deutlich ihre Bindungskraft, so dass die kleinen und mittleren Parteien zunehmend zur Option für Wählerinnen und Wähler werden. Die klassischen politischen Lager werden immer weniger in der Lage sein, alleine die notwendigen Mehrheiten in den Parlamenten zu organisieren. Daher wird die Debatte über neue und ungewöhnliche Koalitionskonstellationen –sei es „Jamaika“oder die bereits in Bremen erprobte „Ampelkoalition“keine Eintagsfliege bleiben.
Koalitionsregierungen erzeugen ein Spannungsfeld zwischen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt, in dem sich die Parteien einerseits –durch Kooperationen und Kompromisse - um konstruktive Regierungspolitik bemühen müssen und andererseits dazu verpflichtet sind, ihre Eigenständigkeit als Partei zu wahren. Koalitionen heben die prinzipielle Konkurrenzsituation zwischen den Parteien nicht auf. So sind Konflikte unumgängliche Bestandteile von Koalitionsbündnissen und für den Erhalt des eigenen Profils der Parteien notwendig. Deswegen kann die Bildung von Koalitionen zwischen Parteien mit dem Ziel der Mehrheits- und Regierungsbildung keine Aufgabe für Mathematiker sein.
Wenn es das Ziel von Koalitionsbildungen ist, über den Zeitraum einer Legislaturperiode eine stabile Regierung zu stellen und Entscheidungen zu fällen wie ihre Umsetzung zu gewährleisten, so ist dies nur auf der Grundlage eines möglichst breiten inhaltlichen Konsenses zwischen den beteiligten Parteien möglich. Die Koalitionsforschung hat gezeigt, dass ein Vergleich der programmatischen Aussagen alleine nicht ausreicht, um die Lebensfähigkeit einer Koalition vorherzusagen. Es hat sich vor allem aus Sicht des kleineren Koalitionspartners erwiesen, dass vorrangig die Themen zu Konflikten in den Koalitionen führen, die von den Partnern als identitätsstiftend angesehen werden und daher wenig oder keinen Spielraum für Kompromisse bieten.
Der Eintritt in eine Koalition verändert die Möglichkeiten der Parteien, sich zu profilieren und ihre jeweilige Wählerklientel durch Themensetzungen und programmatische Profilierungen zu bedienen. Vor einer Koalitionsbildung ist daher abzuwägen, wie die eigene Wählerklientel mit der jeweiligen Koalition umgeht, ob die inhaltlich notwendigen Kompromisse innerhalb der Wählerschaft als tragbar angesehen werden oder ob sich durch die Koalitionsbildung neue Klientel erschließen lassen.
Ein Bündnis zwischen mehreren kollektiven Akteuren wird vor allem dann stabilisiert, wenn die zentrale Persönlichkeiten der beteiligten Partner dieses Bündnis stützen und nach innen wie nach außen vertreten. Das bereits erwähnte Spannungsfeld zwischen Kooperation, Konkurrenz und Konflikt macht personale Säulen in allen beteiligten Parteien notwendig.
Für Entscheidungen für eine Koalition sind daher weder rein mathematische Argumentationen noch kurzfristige Machtkalküle gute Berater.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen hierbei zunehmend vor der Herausforderung, die „babylonische Gefangenschaft“ mit der Sozialdemokratie verlassen zu müssen. Das Schwächeln der SPD ist nicht kurzfristig zu überwinden und so ist es nachvollziehbar, dass die Grünen auf Partnersuche gehen. Die oben erwähnten strategischen Überlegungen sollen jedoch aufzeigen, welche Faktoren in die Überlegungen einbezogen werden müssen. Das langfristige Überleben der Partei und der Erhalt der eigenen Partei-Identität dürfen nicht dem Ziel der Regierungsbeteiligung geopfert werden.
So gilt es im Hinblick auf die diskutierten Modelle wie eine „Ampelkoalition“ oder rot-rot-grüne Überlegungen die zentralen Politikfelder danach abzuklopfen, wo Konflikte die identitätsstiftenden Themen der Partei berühren, wo durch die Einbindung in Koalitionsdisziplinen, eigene Wählerinnen und Wähler verloren, wo vielleicht andere hinzugewonnen werden können und ob das eigene Personal wie das Personal der potenziellen Koalitionspartner in der Lage sind, das jeweilige Koalitionsbündnis glaubhaft nach innen wie nach außen zu vertreten.
Es bleibt zu wünschen, dass in guter Bündnisgrüner Tradition ein offener parteiinterner Diskurs hierzu geführt werden kann, denn die Koalitionsfrage wird BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Ebene der Bundesländer wie des Bundes noch lange beschäftigen.
Dr. Gudrun Heinrich, 1965 in Frankfurt a. M. geboren, Studium der Politischen Wissenschaft, Geschichte und Erziehungswissenschaften in Heidelberg und Hamburg. 2001 Promotion, Thema der Dissertation: „Zwischen Konkurrenz und Kooperation. Fallstudien zur Rolle des kleinen Koalitionspartners in Regierungsbündnissen der Bundesländer“. Seit 2002 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock, seit 2008 Arbeitsstelle Politische Bildung/Didaktik. Dr. Gudrun Heinrich ist Vertrauensdozentin der Heinrich-Böll-Stiftung und Landesvorsitzende der Deutschen Vereinigung für politische Bildung (DVPB) in Mecklenburg-Vorpommern.