Inklusion bei der RecyclingBörse

Keiner „behindert", aber viele Benachteiligte in Arbeit und Beschäftigung

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Los ging es im Arbeitslosenzentrum in Herford. Vor inzwischen fast 30 Jahren. Einige – wie heute gesagt wird – „Langzeitarbeitslose" saßen da beisammen und hatten eine Idee: Informationsverbreitung zur Mülltrennung, zur Müllvermeidung, zu Wiederverwendung und Re- Use. Und „Giftmüll" wie Batterien und Co. gehörte schon mal gar nicht mehr in die Haushaltsmülltonne.

Was damals revolutionär und von der Öffentlichkeit kritisch beäugt war, ist heute Standard: Getrenntsammlung von Papier und Glas, Batterie-Sammelboxen stehen in den meisten Discounter- Läden, im Gelben Sack werden Joghurtbecher und sonstiger Plastikdreck wegsortiert und eingespeist in ein Multi-Müllionen-Verwertungsgeschäft. An dem wir nicht Teil haben: Wohlversorgte Erben der von Arbeitslosen entwickelten Ideen und der praktischen Umsetzung sind wir nicht, als ideelle und praktische Gründermütter und -Väter schnell vergessen.

Gleichwohl: Aus einem Mauerblümchen, der „start-up-Idee", hat sich ein mittelständischer sozialwirtschaftlicher Betrieb entwickelt.

Die RecyclingBörse, das heißt: der Arbeitskreis Recycling e.V. in seinen Zweckbetrieben, beschäftigt aktuell rund 75 festangestellte Mitarbeiter/innen. Die eine Hälfte davon „frei" finanziert, die andere Hälfte mit jeweils ca. 25 Prozent Förderzuschüssen des Arbeitsamtes bzw. Jobcenters. Hinzu kommen, abhängig von einer stetig schwankenden, unkalkulierbaren sogenannten Arbeitsmarktpolitik bis zu 80 Stellen zum Beispiel im Rahmen sogenannter „Arbeitsgelegenheiten" AGH.

Mittel aus der Arbeitsmarktpolitik oder Integrationspolitik waren und sind hilfreich. Die strukturellen Bedingungen, die Richtlinien und Vorgaben mit ihren Ein- und Ausschlusskriterien in den maßgeblichen Sozialgesetzbüchern SGB 2 und 3 und den jeweiligen Ausführungsbestimmungen sind es nicht.

Vielmehr sind sie eine ständige Belastung, ein Hemmnis, ein Ärgernis. Ideen und Konzepte werden durch Förderdefinitionen (aus)gebremst, behindert, die Ergebnis theoretischer Erörterungen sind. Die an der Alltagspraxis aber völlig vorbei gehen. Und die dabei zu allem Überfluss einer jeweils „lokalen" Interpretation unterliegen.

Wir argumentieren oder kommentieren aus einem inzwischen 30jährigen Erfahrungsschatz – man könnte auch sagen: Leidwesen an der Arbeitsmarkt- und Inklusionspolitik – als Entwickler und Träger von sogenannten „Maßnahmen" der Arbeitsmarktförderung. Und damit zum Thema „Inklusion".

Die laufende Debatte darum, die auf Kindergärten und Schulen fokussiert, ist zu eng gefasst. Inklusion muss sich auch verstehen als sogenannte „Integration in den Arbeitsmarkt". Dabei meinen wir nicht Beschäftigungstherapie zur Schönung von Arbeitsmarktstatistiken. Und auch nicht die Arbeit der Integrationsämter mit ihrem erfolgreichen Engagement für Menschen mit Behinderungen.

Wir meinen Inklusion von „schwierigen" Mitarbeiter/innen, für die als Dauerlangzeitarbeitslose eine sinnvolle, eine Wert schöpfende oder Wert schaffende Arbeit und Beschäftigung geschaffen werden muss – und vor allem auch geschaffen werden kann.

Unsere Erfahrung: Es gibt über die Jahrzehnte bis heute einen Sockel von Dauerlangzeitarbeitslosen, die auch im sogenannten Jobwunder der zurück liegenden Jahre auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hatten. Und die, auch wenn das „Jobwunder" sich noch etwas fortsetzt, keine Chance haben werden. Die an einer wie auch immer definierten „Vollbeschäftigung" nicht werden partizipieren können.

Sie sind nicht im hergebrachten Sinn „Menschen mit Behinderungen", nicht ausgewiesen durch einen Schwerbehindertenausweis.

Gleichwohl ist für sie auf dem Arbeitsmarkt kein Platz. Denn sie haben ein sogenanntes „Vermittlungshemmnis". Oder auch mehrere. Ergo: Der „Arbeitsmarkt" will sie nicht. Sie hängen in der Dauerschleife des Arbeitsamtes, der Jobcenter, sie sind Dauergäste in der allmonatlichen Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Ihre Chance sind einfache Tätigkeiten in einem Betrieb wie der RecyclingBörse. Dabei arbeiten wir als Dienstleistungsbetrieb. „Der sozialen Zielsetzung fehlt es nicht an unternehmerischem Denken. Denn ohne unternehmerisches Denken lässt sich weder eine soziale Innovation umsetzen, noch wird man seiner Verantwortung als Arbeitgeber gerecht", wie es vor einiger Zeit auf einer Tagung zum Thema „Sozial, unternehmerisch, innovativ?" in der NRW-Landesvertretung in Brüssel hieß.

Unser Anliegen war es nie, Beschäftigungstherapie anzubieten. Sondern sinnvolle, marktorientierte und dementsprechend organisierte Arbeit und Beschäftigung zu schaffen. Um es mit Heinrich Böll zu sagen: Die einzige Drohung, die einem Deutschen Angst einjagt, ist die des sinkenden Umsatzes. 

  • Wir haben sieben Standorte aufgebaut: das sind vier „Kaufhäuser" mit 600 bis 800 Quadratmetern Fläche und „Vollsortiment" von Haushaltswaren bis Möbel, Fahrrad, Buch, Textilien, Elektrogeräte, sowie drei City-Läden zwischen 150 und 250 Quadratmetern. Hier haben wir pro Monat im Schnitt 20.000 Kund/innen 
  • wir wickeln täglich 20 bis 30 Abholungen von Sachspenden aus Haushalten ab  wir unterhalten und koordinieren einen Fuhrpark von 15 Transportfahrzeugen (LKWs, Transport-Bullis) 
  • wir erledigen im Kreis Herford pro Jahr 160 mobile Sammeltermine für Elektroaltgeräte 
  • wir sichten und prüfen pro Jahr rund 1.000 Tonnen Elektroaltgeräte auf Wiederverwendung und Datenlöschung für Wiederverwendung
  • wir sind zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb und übernehmen gewerbliche Aufträge zum Elektrorecycling 
  • wir bieten im eigenen Sammelsack für rund 110.000 Haushalte im Kreis Herford einmal monatlich eine Kleidersammlung ab Haustür, wir sortieren diese Kleiderspenden bei uns und bieten sie in den Kaufhäusern und Läden an 
  • wir sind für Wiederverwendung der Kooperationspartner des Umweltbetriebs der 350.000- Einwohner-Stadt Bielefeld

Es wurde in unserem Aktionsradius mit rund einer drei Viertel Million Einwohner/innen eine regionale „Marke" etabliert, wozu neben dem Alltagsgeschäft auch kulturelle Aktivitäten wie die Entwicklung und Organisation des Recycling-Designpreises beitragen, die Beteiligung an Bürgerfesten, an Aktionstagen wie dem Weltkindertag usw. Das erarbeitete Renommee durch öffentliche Anerkennung, Wertschätzung und Berichterstattung schafft Identifikation der Mitarbeiter/innen mit ihrer Arbeit. Recycling – in unserem Fall zu übersetzen als „iederverwendung" - braucht viele Hände für einfache Tätigkeiten wie, beispielsweise, Sortierung, Reinigung und Aufbereitung zum Secondhand-Angebot. In diesem Bereich arbeiten rund 100 sozialwirtschaftliche Betriebe allein in NRW. Das reicht vom kleinen Secondhandshop in der caritativen Nische bis zum sozialwirtschaftlichen Kaufhaus mit „Vollsortiment". Hier überall liegen Chancen zum Ausbau der Inklusion von Langzeitarbeitslosen in tatsächlich sehr arbeitsmarktnahe Ausbildung, Beschäftigung und Qualifizierung. Leider musste in den letzten Jahren eine Reihe von Beschäftigungsträgern in die Insolvenz gehen oder sich von Betriebsteilen trennen. Dies gerade aktuell in einer Zeit, da mit dem neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz die Wiederverwendung = Secondhand-Nutzung gestärkt werden soll. Einer der wesentlichen Gründe ist die Arbeitsmarktpolitik. Aus dem „Fordern und Fördern der Anfangsjahre" ist das Fördern so gut wie verschwunden, Folge der in den letzten zwei Jahren durchgeführten Mittelkürzungen um ca. 50 Prozent. Zudem werden wir dadurch eingeschränkt, dass viele sogenannte „Maßnahmen" für von Amts wegen schwervermittelbare Langzeitarbeitslose immer noch mit der sogenannten „Zusätzlichkeit" belegt sind. Das heißt: Die angebotene Integration oder Inklusion soll einerseits marktnah sein. Meinen die Handwerks- oder Handelskammer, Kirchen- und Gewerkschaftsvertreter/innen mit dem angebotenen Projekt entstehe durch geförderte Langzeitarbeitslose eine „subventionierte" Konkurrenz, wird das Angebot durch das Jobcenter nicht bewilligt. So kann und sollte es nicht weitergehen.

Unsere langjährige Erfahrung ist:

1. Projekte, Jobs und Beschäftigung zum Beispiel bei sozialwirtschaftlichen Wiederverwendungsbetrieben sind keine Konkurrenz. Innerhalb unseres Aktionsradius ist das „gewerblich" betriebene Wiederverwendungs-bzw. Secondhandgewerbe trotz unserer Aktivitäten lebendig und umfangreich wie eh und je.

2. Selbst wenn Förderprogramme ohne das Gebot der „Zusätzlichkeit" aufgelegt werden, so dass schwervermittelbare Langzeitarbeitslose gefördert in jedem Betrieb arbeiten dürfen, nimmt gewerbliche oder privatwirtschaftliche Wirtschaft diese Angebote selten wahr. Die Gründe sind mannigfaltig: Vorurteile, keine Erfahrung mit dieser Klientel, Klientel zu kompliziert usw.

Zusammengefasst bedeutet dies:

Das „Zusätzlichkeitsgebot" muss neu definiert oder besser gleich abgeschafft werden, um die machbare Inklusiondieser Bevölkerungsgruppe in Arbeit und Beschäftigung bei sozialwirtschaftlichen Betrieben nicht zu behindern und statt dessen Chancen zu eröffnen.

Die EU-Kommission hat, gerichtet an die Mitgliedsstaaten, in einer Mitteilung zur EU-„Initiative für soziales Unternehmertum zur Förderung der Sozialunternehmen als Schlüsselakteure der Sozialwirtschaft und der sozialen Innovation" einige bemerkenswerte Forderungen veröffentlicht. Unter anderem gehe es um

  •  Vereinfachung des Regelungsumfeldes
  •  Verbesserung des Zugangs zu Risikokapital für die sozialen Unternehmen.

Auch wenn das nun bereits zwei Jahre zurückliegt: Dem können wir nur beipflichten.

 
 
 

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