Die Brassband Banda Comunale spielt, zu sehen sind Menschen, die verschiedene Instrumente spielen.

Ein Dorn im Ohr

Die Banda Comunale spielt seit mehr als 20 Jahren mit fröhlicher Musik gegen Neonazis in Sachsen an. Zuletzt unterstützte die Brassband vor allem Demokratiebündnisse in der sächsischen Provinz. Kann sie damit etwas verändern?

Über die Straße in Altenburg dröhnen die tiefen Töne einer Tuba und ein Schlagzeug gibt den Takt vor. Dann steigen Trompete und Posaune ein, während sich die Demonstration langsam durch die alte Stadt südlich von Leipzig zieht. Es ist der 28. Januar, ein Sonntag. Etwa zwei Wochen vorher hat das Recherchenetzwerk Correctiv veröffentlicht, dass es ein Geheimtreffen der AfD mit Rechtsextremen in Potsdam gab. Das gemeinsame Ziel: möglichst viele Menschen abschieben. In der Folge protestieren deutschlandweit mehr als eine Million Menschen gegen die rechten Remigrationsfantasien. 

Die Banda Communale marschiert gegen rechts, wie hier im Februar in Dippoldiswalde. Zu sehen ist eine Menschengruppe mit Instrumenten hinter einem Banner, auf dem "SOE GEGEN RECHTE HETZE" steht."
Gemeinsam gegen rechts — die Banda Communale marschiert mit wie hier im Februar in Dippoldiswalde.

In vielen kleinen Orten Ostdeutschlands mit dabei: die Brasskapelle Banda Comunale. Ihre rund 20 Mitglieder sind in Brasilien, Schottland, Syrien, Polen, Irak, Israel, Italien, Russland, Palästina, Dresden und Bayern aufgewachsen. Mittlerweile leben sie in Deutschland und fahren seit Jahren gemeinsam raus in die sächsische Provinz, um vor Ort die Proteste gegen rechts zu unterstützen. Nach der Demonstration in Altenburg spielen sie allein Anfang des Jahres noch in Meißen, Dippoldiswalde, Waldheim, Bautzen, Rochlitz, Freiberg, Flöha, Zittau und Dresden. Kann das tatsächlich dazu beitragen, dass sich mehr Menschen für Demokratie engagieren? 

Michał Tomaszewski spielt in der Band die Klarinette. Er lacht viel und hat auf seinem Musikinstrument einen Sticker angebracht: «Good Night White Pride». Seine Familie flüchtete 1989 aus Polen nach Niedersachsen, neun Jahre später zog er nach Dresden. Er war von Anfang an mit dabei und kümmert sich online um die Auftritte der Band. Als sie sich 2001 gründete, erzählt er, wollten die Musiker*innen den Neonazis etwas entgegensetzen. Zu Tausenden seien sie damals in die Stadt gekommen, etwa für den sogenannten Trauermarsch am Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten. «Mobile Musik, das ist einfach etwas anders, als mit Verstärkern auf der Bühne zu stehen», sagt Tomaszewski. Warum? Das zeigt sich etwa in Dippoldiswalde. 

Auf dem Marktplatz der sächsischen Kleinstadt regnet es an diesem ersten Sonntag im Februar. Trotzdem spielt die Banda Comunale dort neben dem Löwenbrunnen, etwa 800 Demonstrant*innen sind gekommen. Bunte Regenschirme über den Köpfen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. «SOE (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) gegen rechte Hetze» steht auf einem Banner, es ist sichtlich durchnässt. Die Menge klatscht und hüpft im Takt der großen Trommel. Michał Tomaszewski klemmt sich lächelnd seine Klarinette unter den linken Arm und fordert mit beiden Händen zum Tanzen auf. Dann bläst er wieder in sein Instrument und dreht sich in seiner gelben Jacke um die eigene Achse. 

Die Banda Comunale spielt schon länger nicht mehr nur auf den Straßen. Anfang Juli hatte sie einen Auftritt im Bundeskanzleramt in Berlin. Gefeiert wurde dort an diesem Freitag, dass es seit 26 Jahren eine Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gibt. Die Banda war der letzte Act im Programm. 

Bis dahin ist der Besprechungsraum SL 1.41 im Kanzleramt ihr Backstagebereich. Limo und Snacks stehen auf dem Konferenztisch und am hinteren Ende sitzen vier der Musiker: Gregor Littke – Posaune, Germi Riess – Trompete, Arne Müller – Schlagzeug und Ronaldo Santos da Silva – Gitarre. 

Ihre Instrumente liegen einsatzbereit auf dem dunklen Steinboden vor der Nordtreppe des Kanzleramts. Der Auftritt ist erst in gut sieben Stunden. Wegen des Soundchecks aber sind sie schon da, der Rest kommt später. Sie tragen lockere T-Shirts, Hemden, Jeans und Sneaker, scherzen und quatschen über frühere Gigs. Die vier sind unterschiedlich lange dabei. Arne Müller spielt seit 2008 mit, Ronaldo Santos da Silva seit diesem Jahr. 

Musik mitten unter den Leuten – das hilft gegen miese Stimmung 

Sie haben Zeit, ein bisschen zu erzählen. Bei der Banda sei es wie bei allen Bands: Mal gehen langjährige Mitglieder, dafür kommen neue hinzu. Ist ein Instrument unbesetzt, sucht die Banda im Bekanntenkreis nach Ersatz. Ronaldo Santos da Silva wurde gefragt, weil der frühere Gitarrist nicht mehr so viel Zeit hatte. Germi Riess kam vor neun Jahren hinzu. Alle engagieren sich nebenher in weiteren Projekten oder arbeiten in festen Jobs. Aber jetzt mal im Ernst: mit Musik gegen die AfD? 

Wie und warum genau die Banda Comunale eine solch starke Wirkung hat, kann sie natürlich nicht wissenschaftlich belegen. Was aber alle aber aus eigener Anschauung wissen: Die Krisen der vergangenen Jahre, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Inflation, haben auf viele Menschen lähmend gewirkt. Dass Anfang des Jahres plötzlich mehr als eine Million Menschen deutschlandweit auf die Straßen gingen, hat ein «Wir-Gefühl» erzeugt. Wie eine Studie des Kölner Rheingold Instituts schon im Januar nahegelegt hat, haben die Proteste einer Mehrheit der Demonstrierenden auch das Gefühl gegeben, etwas bewegen zu können. Andere Studien zeigen: Musizieren vermittelt sowohl beim Spielen als auch beim Zuhören ein Gefühl der Zugehörigkeit. Die emotionalen Reaktionen sind noch stärker, wenn eine Band live auftritt – so wie die Banda Comunale auf den Demonstrationen. 

Germi Riess hat beobachtet, wie aus diesen emotionalen Reaktionen etwas entstanden ist. Über einige Jahre hatten die Sympathisant*innen der AfD die Marktplätze erobert, einfach, «weil sie am lautesten waren». Mit vielen Fahnen und hetzerischen Ansagen auf viel zu großen Bühnen. «Aber mittlerweile organisieren sich Leute, um die Marktplätze zurückzuholen.» Und wenn dann sie, die Banda Comunale, dabei ist, mitten unter den Leuten, mit ebenfalls lauter, aber fröhlicher Musik, «dann verändert das etwas». 

Auch der Posaunist Gregor Littke erinnert sich. Er spricht langsam, als gehe er im Kopf die vergangenen Auftritte noch einmal durch. Zum Beispiel den in Waldheim: Als die Banda dort Ende Mai auf dem Obermarkt gespielt hat, haben politisch engagierte Menschen aus der Kleinstadt in Mittelsachen ein paar Biertische auf das Kopfsteinpflaster gestellt und sie gedeckt: mit Porzellantellern, Kartoffelsalat, Apfelsaft, Regenbogenfähnchen. Nebendran umsäumten fünf junge Bäume den steinernen Wettinbrunnen. «Es war einfach ein schöner Ort.» 

Währenddessen zog auf der anderen Seite des Obermarkts rechter Gegenprotest auf: Neben blauen AfD-Fahnen wehten auch mehrere grün-weiße von den Freien Sachsen. Littke spürt sie noch heute, diese miese Stimmung, die sie verbreiteten. Und wie happy die Leute waren, die ihnen, der Band, zuhörten. «Da merkt man, die Musik bringt Energie rein.» Im Nachhinein schickten mehrere Leute Nachrichten an die Band, um sich für den Auftritt zu bedanken. «Macht bitte weiter», hieß es da, oder: «Ihr seid seeeeeeeehr wichtig!» 

Wegen Anfeindungen und Bedrohungen aufhören? Niemals. 

Und wie reagiert die andere Seite auf die Banda? Germi Riess zieht ein imaginäres Handy aus der Tasche und schießt ein imaginäres Bild. Immer wieder passiert es, erzählt er, dass Menschen ihnen die Kamera vor die Nase halten und einfach Fotos von ihnen machen, beinahe bei jedem Auftritt. Die anderen nicken. Einmal habe er einen Handy-Mann direkt angesprochen: «Na, schönes Foto gemacht?» Und zur Antwort bekommen: «Es kommt die Zeit, da holen wir die Listen raus, und dann seid ihr dran.» 

Deswegen aufhören? Niemals. Bisher sei ihnen allerdings auch noch nie etwas Ernsthaftes passiert. Ronaldo Santos da Silva ist neu dabei. Manchmal, sagt er, sei er schon etwas angespannt. Etwa am 1. Mai in Chemnitz, als die Banda Comunale mit ihrer Musik den Auftritt des AfD-­Politikers Maximilian Krah zu übertönen versuchte. Littke stand direkt vor einem «Kein-Platz-für-Nazis»-Banner und blies mit aller Kraft in seine Posaune, Santos hielt sich mit seiner Gitarre etwas im Hintergrund. Auf der anderen Seite hatten sich etwa 30 Neonazis versammelt, Santos behielt sie immer im Blick. «Wären die losgelaufen, wäre ich bereit gewesen.» Littke beschwichtigt: «Aber die Polizei stand die ganze Zeit dazwischen.» Santos da Silva nickt. «Ja, aber es war für mich das erste Mal.» 

Als die Band vor 20 Jahren angefangen hat, gingen sie höchstens zwei oder drei Mal pro Jahr auf die Straße. «So richtig politisiert haben wir uns erst Ende 2014 mit Pegida», sagt Gründungsmitglied Tomaszewski. Beim Gegenprotest in Dresden spielten sie dann Woche für Woche fröhlich gegen den Rassismus an. Aber als der Hass sich ein paar Monate später in Freital handfest gegen Geflüchtete entlud, reichte das nicht mehr. Täglich protestierten dort, zehn Kilometer südlich von Dresden, rund 100 Menschen unter dem Motto «Nein zum Heim» vor der Asylunterkunft im «Hotel Leonardo». Sie warfen Flaschen, Böller, Steine. Die Banda packte ihre Instrumente ein und stieg in den Zug nach Freital. Das Ziel: die Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen mit Musik willkommen heißen. Das Ergebnis: Die Banda bekam neue Mitglieder aus den Reihen der Geflüchteten. 

Nach Freital besuchte die Banda weitere Unterkünfte. Klarinetten und Posaunen bliesen kurz auch dort die Angst weg. Manche Geflüchtete griffen nach ihren eigenen Instrumenten: Zu Tuba und Trompete gesellte sichen Oud, eine Kurzhalslaute, und Riq, eine einfellige Rahmentrommel mit Schellen. Osteuropäischer Klezmer und arabische Volksmusik flossen zusammen. 

Workshops zu interkultureller Musik sprengen Klischees 

Seit etwa sieben Jahren geht die Brassband mit ihrem neuen Repertoire auch an sächsische Schulen und gibt – in Kooperation mit dem Ausländerrat - Workshops zu interkultureller Musik, über hundert sind es mittler­weile. Einer davon fand zum Beispiel in einer Grundschule in Limbach-Oberfrohna Anfang des Jahres statt, wie man es in einem Video der Banda sehen kann: In einem Klassenraum sitzen Kinder auf dem Holzboden und trommeln im Takt auf orange Plastik­eimer. In einem anderen Raum spielt Cellist Akram Younus Rama­dhan Al-Siraj mit einem Dutzend Kindern. Sie stehen in einem Kreis, springen abwechselnd im schnellen Takt, drehen sich und werfen die Arme in die Luft. Wenn Al-Siraj ihnen dann erzähelt, dass er aus dem Irak geflohen ist, sprenge das Klischees, davon ist die Banda überzeugt. Aus Flüchtlingen würden Menschen, die Medizin oder Pädagogik studieren und vor allem Musik lieben und leben.

Und wie lange wirkt die Energie der Musik nach in der sächsischen Provinz? Wenn die Banda Comunale wieder nach Dresden fährt und alles wieder in den alten Trott verfällt? Diese Frage kann zum Beispiel Christian Schäfer von tvBUNT, dem Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis Bautzen, beantworten. Er hat in diesem Jahr mehrere Veranstaltungen unter dem Titel «Happy Monday» mitorganisiert. Auf den vier Bautzener Märkten traten Musiker auf, es gab Lesungen, Achtsamkeitstraining und gemeinsames Tanzen. Etwa 50 Vereine, Einrichtungen und Initiativen aus Bautzen beteiligten sich. Das Ziel: ein positives Lebensgefühl verbreiten. Die Musik der Banda, sagt Schäfer, vertreibe die Angst. Und sie motoviere andere, sich weiter zu engagieren. 

Am 25. Februar demonstrierten in Bautzen bis zu 2.000 Menschen unter dem Motto «Bunte Blasmusik gegen Rechtsextremismus». Angeführt von der Banda Comunale tanzten sie zu fetziger Musik durch die Stadt und ließen sich auch von provozierenden Rechten am Kornmarkt nicht abschrecken. Statt zwei Stunden, wie eigentlich geplant, lief die Demonstration drei Stunden – die Banda immer mit dabei. «Von der guten Laune haben manche hier monatelang gezehrt», erinnert sich Schäfer. 

Besonders in den dunklen Tagen der Wintermonate sei das wichtig. Die Situation in Bautzen sei dann «beängstigend», wie Schäfer es ausdrückt. Bei den regelmäßigen Demonstrationen der Rechten immer montags würden da mehrere Tausend Menschen durch die Stadt rennen, auf den Bühnen stünden Rechtsextreme und brüllten ihre Verschwörungsideen hinunter, in den sogenannten Jugendblock reihten sich schon 13-Jährige ein, gescheitelt hinter dem Banner «Wir sind die Jugend ohne Migrationshintergrund». Viele kleideten sich in Schwarz. Ihre Strategie sei einfach, aber wirkungsvoll: «Die nehmen sich den öffentlichen Raum.»

Und die Banda Communale hält dagegen, holt sich ihn zurück. So erleben das Schäfer und auch Mitglieder der Banda wie Michał Tomaszewski. Statt auf die Verschwörungserzählungen der Rechten einzugehen, zu widersprechen, hüpfen die Mitglieder aus Irak, Brasilien, Dresden und sonst woher freudig gemeinsam zu Klängen aus Osteuropa. Wenn sich Michał Tomaszewski nach dem Auftritt dann mit einem Punk unterhält, kann es durchaus sein, dass eine ältere Frau dazu kommt und sich einklinkt. Solche Szenen zeigten auch die verbindende Kraft der Musik, das könne Politik so schnell nicht ersetzen. «Und selbst wenn die AfD hier regieren würde, wir alle würden hier ja weitermachen.» Nicht zuletzt deshalb gehört die Banda vielleicht zu den Top 20 Feindobjekten der Partei in Sachsen. 

Zuletzt skandalisierte die Partei zum Beispiel, dass die «ultralinke Band» eine Million Euro vom Freistaat Sachsen bekommen habe. Klarinettenspieler Tomaszewski findet das lustig. Zum einen sei das Geld über sechs Jahre zusammengekommen und ausschließlich für die Schulprojekte verwendet worden. Zum anderen «beschwert sich die AfD damit über etwas Urdeutsches: eine Blaskapelle», lacht er. Die Banda selbst finanziere ihre Fahrten aufs Land über private Spenden, Preisgelder oder gelegentliche Honorare für Auftritte. Meistens spielen sie ehrenamtlich. 

Aber wie steht es um das zukünftige Engagement in Sachsen? Beim Überlegen spielt Arne Müller im Kanzleramt mit seinen Drumsticks. «Das hängt an den jungen Leuten, wie viele sich Mühe geben oder sich nicht vertreiben lassen», sagt er und lässt die Stöcke rhythmisch aufeinanderklacken. 


David Muschenich arbeitet für die taz als Korrespondent in Sachsen, Sachsen-­Anhalt und Thüringen. Er hat Journalismus an der Universität Leipzig sowie Sozial- und Wirtschafts­­wissenschaften an der Universität Erfurt studiert.

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